|14| Ein Sturm bricht los

Das Gespräch mit meinen Eltern wirft ein unübersehbares Gewirr aus Fragen und Zweifeln auf, das meine Gedanken wie ein wilder Sturm durcheinanderwirbelt.

"Es begann alles mit dieser Gameshow mit Chad Diamond." Ihre Augen fixieren mich, voller Erwartung und gleichzeitig mit einem Hauch von Angst, als sie darauf warten, dass ich ihnen erkläre, wie ich in diese virtuelle Welt geraten bin. "Es ist eine neue Show, bei denen die Teilnehmer von App zu App springen und verschiedene Spiele spielen, um zu gewinnen. Seit eurem Tod habe ich nicht mehr viel. Ich habe zwei Jobs - naja, mittlerweile nur noch einen - und als ich die Anzeige gesehen habe, war es einfach ein impulsiver Entschluss, teilzunehmen. Carter ist mein Spielpartner, den ich erst kurz vor Showbeginn kennengelernt habe."

Meine Eltern hören aufmerksam zu, während Carter weiter erzählt. "Wir haben einige Apps gemeistert, bis Realms of Mythica kam. Es war anders. Nicht wie die anderen Apps, es war ... echt, als wir in die App gesogen wurden."

"Es muss schrecklich gewesen sein!" Meine Mutter stößt Luft aus und wirkt sichtlich mitgenommen.

"Dad, ich musste sofort an Deep Dive Transference denken", sage ich und auch Carter stimmt mir zu. "Ich auch. Offensichtlich funktioniert es wirklich."

"Das tut es. Und es bedeutet, dass diejenigen, die hinter uns her sind, sich Zugang zu meinen Entwicklungen verschafft haben. Woher kennst du diese Technologie, Carter?", will mein Vater wissen und wirft ihm einen fragenden Blick zu.

"Ich bin ebenfalls Softwareentwickler. Vielleicht noch nicht so bekannt und angesehen wie Sie, Mister Mitchell, aber hoffentlich irgendwann mal."

Die Skepsis steht meinem Vater ins Gesicht geschrieben. "Interessant. Für welche Firma arbeitest du?"

"Für TechSolutions NYC", antwortet Carter und schlürft gierig seine Suppe, woraufhin meine Eltern beide nach Luft schnappen.

"Was ist hier los?", frage ich beunruhigt, während ich den Löffel zur Seite lege.

"Was hier los ist? Das kann ich dir sagen", beginnt mein Vater, fast schon schreiend. "Die TechSolutions NYC ist schuld daran, dass wir hier feststecken. Sie sind diejenigen, die unter allen Umständen an die Informationen kommen wollten."

Mein Herz rutscht eine Etage tiefer. Carters Firma hat meine Eltern hier eingesperrt? Haben sie auch meine Eltern für tot erklärt, um an seine Technologien heranzukommen? Gehört Carter womöglich sogar zu ihnen?

"Ich schwöre, ich habe nichts damit zu tun", rechtfertigt er sich sofort. "Ich wusste nichts davon." Die Anspannung in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Trotzdem frage ich mich, ob er vielleicht doch mit den Leuten unter einer Decke steckt. Ist er sogar der Grund, weshalb wir hier nicht mehr rauskommen?

Meine Gedanken wirbeln durcheinander, als ich zwischen meinen Eltern und Carter stehe. Die Enthüllung über Carters Verbindung zu der Firma, die meine Eltern hierher gebracht hat, löst eine Lawine aus Emotionen in mir aus. Kann ich ihm überhaupt noch vertrauen?

Mein Vater sieht Carter mit wachsender Feindseligkeit an, während meine Mutter Carol mit traurigen Augen zu mir blickt. Ihre Stille spricht Bände und ich kann die Enttäuschung förmlich in der Luft spüren.

Carter versucht verzweifelt, seine Unschuld zu beweisen, doch ich kann seine Worte kaum registrieren. Ein Teil von mir möchte ihm glauben, aber die Vorstellung, dass er in irgendeiner Weise mit dem Leiden meiner Eltern verbunden sein könnte, ist unerträglich.

„Sadie, du kennst mich mittlerweile gut", beteuert er und sieht mir mit durchdringem Blick in die Augen. "Du weißt, dass ich nichts damit zu tun habe."

Ein riesiger Kloß sitzt in meinem Hals fest und es fällt mir unsagbar schwer, zu atmen.

"Ich weiß gerade nicht, was ich denken soll."

Es ist einfach alles zu viel. Meine totgeglaubten Eltern stehen plötzlich vor mir und dann wird auch noch offenbart, dass Carter für die Menschen arbeitet, die ganz offensichtlich böse sind und meinen Eltern schaden wollten.

"Raus aus unserem Zuhause!", befiehlt mein Vater mit autoritärer Stimme. Seine Worte treffen mich wie ein kalter Windstoß, der mir die Realität dieser verworrenen Situation ins Gesicht bläst.

Tränen brennen in meinen Augen, als ich eine Entscheidung treffe. „Ich kann meine Eltern jetzt nicht alleine lassen, Carter", murmele ich, meine Stimme brüchig vor Emotionen. „Ich habe sie schon einmal verloren und ich möchte das nicht noch einmal durchmachen müssen."

Es schmerzt in meiner Brust, als Carter versteht, worauf ich hinaus möchte. Kopfschüttelnd steht er auf, sieht stumm zu mir und schenkt meinen Eltern keinen einzigen Blick, bevor er nach unten geht. Ich sehe ihm nach, sehe, wie er Luna streichelt und sich von ihr verabschiedet. Dann nimmt er den Speer und macht sich auf den Weg. Noch ein einziges Mal dreht er sich um und sieht hoch zu mir. Es fällt mir schwer, aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, was richtig und was falsch ist.

Ungewissheit und Schuldbewusstsein nagen an mir. Wegen mir ist er jetzt auf sich allein gestellt. Wenn etwas passiert, bin ich schuld daran.

Ich muss dringend herausfinden, ob Carter wirklich von nichts wusste. Wenn ich nur wüsste wie ...

Die Stille im Baumhaus ist erdrückend, nachdem er gegangen ist. Ein unangenehmes Gefühl der Leere breitet sich in mir aus, als ob ein wichtiger Teil unserer kleinen Gemeinschaft plötzlich fehlen würde.

Mein Vater seufzt schwer und reibt sich müde die Augen. "Ich weiß nicht, was ich davon halten soll", murmelt er, als ob er mit sich selbst im Konflikt läge.

Meine Mutter legt beruhigend eine Hand auf seinen Arm und sieht ihn mitfühlend an. "Es ist okay, Travis. Wir werden einen Weg finden, es herauszufinden. Jetzt müssen wir uns aber darauf konzentrieren, wie wir hier herauskommen. Ich kann nicht dabei zusehen, wie unsere Tochter hier gefangen ist."

Ihre Worte klingen hoffnungsvoll, aber ich kann die Anspannung in ihrer Stimme spüren. Wir alle wissen, dass die Situation kompliziert ist und dass es keine einfachen Lösungen geben wird.

Plötzlich fällt mein Blick auf den Tisch, auf dem die Überreste unseres Abendessens liegen. Ein Gefühl der Verlorenheit überkommt mich, als ich daran denke, dass wir hier vorhin noch harmonisch mit Carter gesessen haben. In all den letzten Tagen hat er mir nie das Gefühl gegeben, zu wissen, warum wir hier sind. Und nie hat er mir das Gefühl gegeben, dass ich ihm nicht trauen kann. Im Gegenteil - er hat mich beschützt, mir Essen besorgt und mich gewärmt, wenn es kalt war. Ohne ihn wäre ich sicher längst tot.

Mein Vater scheint meinen Blick zu bemerken. "Wir werden das schaffen, Sadie", versichert er mir mit einem sanften Lächeln. "Gemeinsam werden wir einen Weg finden, um hier herauszukommen."

Ich nicke langsam, aber der Knoten in meinem Magen löst sich nicht. Meine Schuldgefühle bleiben bestehen.

"Ich schätze, dass Carter hier irgendeine Aufgabe hat und deswegen in Realms of Mythica ist. Aber warum bist du hier?", fragt er. "Ist es Zufall oder doch alles ein Plan?"

Die Frage hallt in der Luft wider und ich spüre, wie sich ein Kloß in meinem Magen bildet. Warum bin ich hier? Ist es wirklich nur ein Zufall oder steckt mehr dahinter?

"Ich weiß es nicht", flüstere ich.

"Vielleicht gibt es einen Grund, den wir noch nicht verstehen. Vielleicht müssen wir nur Geduld haben und darauf vertrauen, dass alles einen Sinn ergibt", sagt meine Mutter.

Doch wie soll man Geduld haben, wenn man in einer App gefangen ist? Wie soll man vertrauen, wenn man nicht einmal weiß, wem man vertrauen kann?

Die Ungewissheit nagt an mir, aber ich spüre auch einen Funken Hoffnung in mir aufkeimen. Der Kuss mit Carter war echt und ich kann mir nicht vorstellen, dass er es nicht ehrlich mit mir gemeint hat.

"Ich muss zu Carter!", verkünde ich entschlossen, als plötzlich das Knacken von Ästen und das Zischen von Steinen durch die Luft dringt. Ein ohrenbetäubender Krach durchbricht die Stille und das Baumhaus beginnt zu wanken, als ob es von einer gewaltigen Kraft angegriffen wird.

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