Wind
Der Sommer neigte sich seinem Ende zu und während die Tage noch immer unerträglich heiß waren, wehte doch des nachts bereits eine kühle Brise von den Höhen der mächtigen Akropolis herab, die den Herbst verkündete. In den kaiserlichen Gemächern des neuen römischen Quartiers bewegte der Wind sanft die seidenen Vorhänge und dort, wo er seinen Weg ins Innere fand, flackerten kaum merklich die Flammen der Öllampen, die das Lager Caesar Hadrians und seines jugendlichen Favoriten schwach erhellten. Zu fortgeschrittener Stunde waren einige von ihnen schon gänzlich leer gebrannt und so brauchten die Augen des Antinous einen Moment, bis sie sich an die ihn umgebende Dunkelheit gewöhnt hatten. Er lag allein da, denn weder hielten ihn die Arme des geliebten Mannes, noch spürte er die Wärme seines Leibes neben sich. Schlaftrunken tastete der schöne Grieche nach der Seite, wo Hadrian zuletzt gelegen hatte. Das Laken dort war noch warm, also konnte der Kaiser nicht weit sein. Vielleicht war er nur kurz aufgestanden, um sich nach dem kräftezehrenden Liebesspiel zu Beginn der Nacht eine Erfrischung zu gönnen. Antinous seufzte wohlig und räkelte sich, denn ohne Zweifel wäre Hadrian gleich wieder bei ihm.
Da bemerkte der Jüngling den Wind, der von dort kam, wo das Schlafgemach zwischen hohen Säulen hinaus auf die Terrasse führte. Die Vorhänge waren ein wenig aufgezogen, also musste Hadrian hinaus gegangen sein. Warum schlief er nicht, zu dieser Stunde? Antinous erhob sich, um seiner Frage auf den Grund zu gehen. Vielleicht war es ein böser Traum, der seinen Geliebten wachhielt oder gar eine Nachricht aus Rom? Was es auch war, der schöne Jüngling würde es verblassen lassen. Dieser Macht über das Gemüt seines Liebsten war er sich gewiss. Bei dem Gedanken, was er mit ihm anstellen würde, formte sich ein erwartungsvolles Lächeln auf seinen Lippen. Dies hier war ihr zweiter gemeinsamer Sommer, seit ihm der große Caesar auf seiner Reise durch die Provinz Bythinien zuerst begegnet war und Antinous' Verlangen nach ihm, seine Lust und Faszination hatten zugenommen, mit jedem Jahr, in dem er heranreifte.
Der Anblick Hadrians, dem er sich von hinten näherte, ließ heiße und kalte Schauer zugleich über seine Haut fahren. Der Mann stand nur still da, vorn an der Balustrade, welche die Terrasse begrenzte, unter der ein steiler Hang in die Stadt hinunterführte. Er trug nichts am Leib und seine große, kräftige Gestalt zeugte von einem Leben als Soldat und Kämpfer. Die Muskulatur des Rückens, der Arme und der unteren Kehrseite war gestählt vom Gewicht und Gebrauch der Waffen und wenn ihre Bewegungen auch nicht mehr so geschmeidig waren wie die eines jungen Mannes, so hatte sie doch an Stärke und Ausdauer nichts verloren. Antinous selbst, wenn auch erst sechzehn Jahre jung, war nicht weniger mit dem Training eines Kriegers vertraut. Er hoffte, dereinst einen eben solchen Ausdruck von Männlichkeit zu besitzen wie sein imposanter Geliebter.
Er trat an den geliebten Mann heran, legte ihm von hinten die Arme um die Brust und küsste ihn im Nacken. Es fehlte nicht mehr viel und Antinous wäre genau so groß, vielleicht noch größer als Hadrian. Der lehnte den Kopf genießend nach hinten und legte seine Arme auf die des Jünglings.
„Deine Schritte mögen noch so leise sein, mein Löwe. Dennoch wusste ich, dass du kommst", raunte der Kaiser ihm über die Schulter zu.
Antinous drückte seine vollen Lippen nochmals auf diese reizvolle Stelle und lächelte in den Kuss. „Nur ein Narr würde glauben, er könne sich hinterrücks an Caesar heranschleichen. Ich habe dich neben mir vermisst."
Hadrian drehte den Kopf noch weiter nach hinten und Antinous stieg auf die Zehenspitzen, um ihn auf den Mund küssen zu können. Es war ein zärtlicher Kuss, auch wenn die Lippen des Mannes rauer waren als die des Jünglings. Danach löste der Ältere die Umarmung ein wenig, um den Jüngeren nach vorn zu ziehen, wo er ihn an seine Brust drückte.
Antinous spürte, dass es etwas gab, was den Caesaren hatte hierher kommen lassen. Inmitten der Nacht. Am Fuß des Hanges, unter ihnen, lag und schlummerte Athen.
„Ich musste daran denken, wie wir uns hier das erste Mal liebten, du und ich, du sagtest du bist mein." Die Stimme Hadrians klang warm und liebevoll und was er ansprach, kam dem Jüngling sogleich lebhaft in den Sinn. Die Erinnerung ließ ihn im Dunkeln erröten, aber nicht vor Scham, sondern vor Erregung. Wieder fuhren Schauer über seine Haut und an ihm herab und ließen ihn hart werden. Jung wie er war, brauchte es dafür nicht viel.
„Hier auf dem Marmor war es", gab er wissend zurück.
„Du warst wild und furchtlos, darum habe ich dich erwählt."
Antinous horchte auf. Es war das erste Mal, dass der geliebte Mann so offen über diese Dinge sprach, die sie zusammengeführt hatten. Also würde er gleichsam nichts zurückhalten. „Was lässt dich glauben, dass du es warst, der mich erwählt hat, mein Kaiser?"
Hadrian bemerkte den neckenden Tonfall in der Stimme des Jünglings und schien darin eine Aufforderung zu verstehen, die ihn fortfahren ließ. „Weil ich es noch genau erinnere, wie ich dich zuerst in der Palästra sah. Unter all den anderen Epheben, die mir zu Ehren in den Wettkämpfen antraten, warst du der Schönste und Anmutigste. Deine Bewegungen im Zweikampf waren ebenso kraftvoll wie geschmeidig, mehr wie die eines Tänzers als die eines Ringers. Du hast nicht jeden der Kämpfe gewonnen, denn zwei deiner Gegner waren dir an Größe und Kraft klar überlegen, aber du hast keine Scheu gezeigt und ich konnte meine Augen nicht von dir abwenden. Im Staub der Arena schienst du mir wie ein Ebenbild Apolls und so musste ich wissen wer du bist. Sie sagten mir du seist der jüngere Sohn des Telemachos, erzogen in der griechischen Tradition und nach dieser noch niemandem verpflichtet."
„Dennoch galt deine Einladung zur Jagd den sechs besten Kämpfern des Tages und nicht mir allein."
„Ich wollte dich für mich gewinnen, nicht bedrängen, du warst nicht viel mehr als ein Knabe. Also ritten wir mit sechs von euch Kämpfern. Einer von ihnen schien mir ein besonderer Freund von dir, denn ihr ließet eure Pferde dicht beisammen und habt geredet und gelacht."
„Wir waren aufgeregt, denn noch nie zuvor hatte man uns zu einer Löwenjagd mitgenommen. Nun ritten wir mit Caesar und seinem Gefolge." Antinous lächelte, denn die Ereignisse jenes Tages waren für ihn heute so klar wie damals. Aber jetzt würde er sie von Hadrian erfahren.
„Es dauerte nicht lange, da nahmen wir die Spur des Tieres auf."
„Ich hatte so ein Tier niemals außerhalb der Arena gesehen."
„Das, mein Löwe, war dir nicht anzumerken, als du plötzlich ausriefst, da sei das Biest und mit deinem Pferd an mir und meinen Männern vorbei auf ihn zu jagtest. Etwas wie das, hatte ich noch nicht gesehen."
Der junge Grieche lächelte frech über diese Erinnerung seines Liebsten. „Später sagte man mir, dass es nicht schicklich sei, den Kaiser bei der Jagd zu überholen."
„Nein", bestätigte Hadrian und fasste den Jüngling fester in seinen Armen. „Das ist es nicht und doch war es das Schönste für mich. Du warst eins mit dem Hengst, deine Schenkel fest auf seinen Seiten, dein jugendlicher Leib angespannt, die Arme erhoben, mit Pfeil und Bogen im Anschlag, deine wilden Locken fliegend im Wind und dein Gesicht errötet vom Jagdfieber. Da wusste ich, dass nur du es werden konntest: mein Geliebter."
„Und so hast du mich erwählt?" Der schöne Jüngling hob neckend eine Augenbraue.
„Ja", gab der Kaiser zurück. „Dein Pfeil traf den Löwen und mich traf Armors Pfeil. Das Raubtier fuhr herum in wilder Wut, was dein Pferd scheuen und aufsteigen ließ. Blitzschnell sprangst du ab, um dich der Bestie zu stellen, da streckte sie mein Speer endgültig nieder."
>>> Danke, Riley Escanor-Mcforest, für das tolle Cover :)
>>> Die Fotos der Antinous- Statuen gehören nicht mir, leider auch nicht die Statuen ;) Antinous ist einer der am häufigsten porträtierten Menschen der Antike und das, obwohl er kein Kaiser wie Hadrian oder Julius Caesar war. Er ist in zahlreichen Museen und Sammlungen zu finden, meist gemeinsam mit Bildnissen Hadrians. Hier im British Museum in London (mein Foto).
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