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Das Haus verfiel langsam, es litt darunter, dass niemand hier wohnte, der sich um die Instandhaltung kümmerte. Aber bisher schienen noch keine Vandalen hier gewesen zu sein. Keine Tags waren an die Wände gesprüht worden, keine Türen zerschlagen. Eine weitere Wohnung stand im Obergeschoss noch offen, aber die anderen Türen könnten sie wahrscheinlich auch einfach knacken, wie Leo es schon mit der Haustür gemacht hatte.

Jannis begnügte sich damit durch die zweite leergeräumte Wohnung zu streifen. Hier gab es keine Couches, aber eine schmuddelige Matratze in der Zimmerecke. Ein zerwühlter Schlafsack lag darauf, eine Flasche Eistee daneben. Auf dem Balkon stand eine Topfpflanze in schönster Blüte.

Jannis drückte seine Zigarette an seiner Schuhsohle aus und öffnete ein Fenster. Er warf den Stummel raus, dann schloss er es wieder und verließ die Wohnung. Er lief die Treppen runter und trank auf dem Weg den letzten Schluck aus seinem Bier, dann gesellte er sich wieder zu Leo und Leszek ins Wohnzimmer.

„Was cooles gefunden?", begrüßte Leo ihn.

Jannis schüttelte den Kopf und setzte sich wieder neben ihn. Er stellte seine leere Flasche auf den Boden und holte die volle aus seinem Rucksack. Er drehte sie auf.

„Ich hab's in der Zwischenzeit auch geschafft", grinste Lesz und hob die brennende Zigarette zwischen seinen Fingern hoch.

„Er hat kein Talent. Nicht so wie du", sagte Leo und nickte, ehe er Lesz einen Blick zuwarf und mit einer sehr enttäuschten Miene den Kopf schüttelte.

„Ich bin mir sicher bald dreht er Zigaretten, als hätte er nie was anderes getan", grinste Jannis. Er zog seine Füße in den Schneidersitz und nahm einen Schluck Bier.

„Ich werde der König der Gedrehten", stimmte Leszek zu. Auch er war bei der zweiten Flasche angelangt.

„Gib mal'n Schluck", sagte Leo und griff nach Jannis' Flasche.

Er reichte sie ihm.

Leo trank, dann gab er sie Jannis zurück.

„Wo hängt ihr sonst so rum?", fragte er.

„Meistens im Seidelpark", sagte Jannis.

Lesz trank aus seiner Flasche.

„Da ist doch auch dieses besetzte Haus, oder?", fragte Leo.

„Ja, am Ende so", sagte Lesz. Er rülpste.

„Wie heißt das nochmal?" Leo zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen.

Jannis verzog nachdenklich die Lippen.

„Keine Ahnung", sagte Leszek, setzte die Flasche wieder an und kippte die letzten Schlucke hinunter, dann zog er nochmal an der Zigarette und warf sie anschließend in die Flasche.

„Ich auch nicht", stimmte Jannis kurz darauf zu. Auch er nahm einen Schluck.

„Nicht so wichtig", winkte Leo ab.

„Wie hast du das Haus eigentlich gefunden?", fragte Jannis.

„Das war nicht ich, das war mein Kumpel André. Der bessert sich sein Taschengeld mit Einbrüchen auf und hat die Gegend immer ziemlich gut im Blick. Irgendwann sind dann die ganzen Leute hier ausgezogen und niemand mehr ein ... Das steht jetzt schon zwei Jahre leer oder so. Oder eins."

„Warum?"

Leo zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung, seh ich aus wie'n Vermieter?", lachte er. Er nahm nochmal Jannis' Flasche und trank einen Schluck daraus.

„Ich könnte hier auch einfach einziehen."

Lesz streckte sich aus und legte seinen Kopf auf der Armlehne ab.

Jannis nahm das Bier wieder entgegen.

„Hier hab ich mehr Ruhe als Zuhause", redete Lesz weiter.

„Geschwister?", fragte Leo.

„Drei", sagte Lesz.

„Ich hab fünf", erwiderte Leo mit einem überheblichen Grinsen.

„Dafür wohnt meine Oma bei uns."

„Oh, gibt's etwa jeden Tag Kekse? Wie schrecklich", amüsierte Leo sich.

„Meine Oma wurde in Polen geboren. Gut kochen kann sie eigentlich, ja, macht sie aber nicht mehr. Stattdessen gibt's auf die Fresse wenn wir nicht springen." Er hob einen Kronkorken vom Boden auf und warf Jannis damit ab. „Der hat gar keine Geschwister, ey."

„Verwöhntes Einzelkind?", fragte Leo und grinste Jannis an.

„Total", sagte Jannis. Er hob den Kronkorken aus der Couch auf und warf ihn in Leszs Richtung, traf aber nur dessen Arm.

„Du kannst nicht werfen", lachte er.

„Fresse." Jannis grinste und trank dann die letzten beiden Schlucke aus seiner Flasche. Er stellte sie auf den Tisch und stieß auf, dann beugte er sich vor und zog an den Schnürsenkeln von Leszs Chucks.

„Ey, lass das!", beschwerte der sich und zog erst seinen einen Fuß und dann, als Jannis nach den anderen Schnürsenkeln griff, auch den anderen weg.

Leo zog sein Monokel hervor und klemmte es sich in die rechte Augenhöhle, dann zog er die linke Augenbraue hoch und beobachtete das Spektakel, als sei er ein vornehmer Brite. Dazu holte er seinen Tabak raus und drehte mit flinken Bewegungen eine Zigarette.


Die Dunkelheit nahm die Wohnung langsam ein. Sie kroch durch die fleckigen Fenster herein, legte sich über die durchgesessenen Couches und den dreckigen Boden.

Leszek rieb sich die Augen und zog sein Handy aus der Hosentasche. Er hielt es über seinem Gesicht in die Luft und entsperrte den Bildschirm.

„Vroni hat geschrieben", sagte er. „Vor fünf Stunden."

„Wie spät is' denn?", fragte Leo.

„Halb sieben", sagte Lesz und warf Jannis einen Blick zu.

„Was hat sie geschrieben?", fragte der.

„Was wir machen." Er fixierte seinen Blick wieder auf den Bildschirm und tippte eine Antwort.

„Habt ihr Bock noch was zu machen?", fragte Leo.

„Gerne", sagte Jannis.

„Ich hau nach Hause ab. Sonst macht meine Mutter sich noch Sorgen", erwiderte Lesz und schob das Handy in seine Hosentasche. Er schwang seine Beine durch die Luft und setzte sich auf.

„Willst du echt schon gehen?", fragte Jannis und Lesz nickte. Er schnürte seinen Schuh wieder und stand dann auf. Schulterte seinen Rucksack.

„Komm gut nach Hause", lächelte Jannis. Er stand auf und umarmte Lesz.

„Wir kommen mit raus", sagte Leo und griff sich seine antike Schultasche.

Auch Jannis setzte seinen Rucksack auf.

Gemeinsam stiegen die drei im dunklen Treppenhaus die Stufen hinab, Leo öffnete die Haustür und sie standen wieder in den belebten Straßen der Innenstadt, nicht weit von der Universität entfernt. Eigentlich sollte man meinen, dass an diesem Haus Interesse bestand.


Die drei liefen noch ein Stück gemeinsam, dann trennten sich ihre Wege. Während Lesz den Weg in Richtung seiner Wohnung einschlug, liefen Jannis und Leo nach Süden.

„Willst du nicht wissen, wo wir hingehen?", fragte Leo, während sie auf der Straße durch das Wohnviertel liefen.

„Du wirst es mir eh nicht verraten", grinste Jannis.

Leo lachte. Im Laufen drehte er sich eine Zigarette und reichte Jannis dann den Tabak.

Der bemühte sich ebenfalls zu drehen ohne stehen zu bleiben und konzentrierte sich so sehr, dass Leo ihn zur Seite ziehen musste, als der Autofahrer, der hinter ihnen herschlich, ungeduldig das Fenster runterließ.

„Ein Meter weiter rechts ist der Bürgersteig!", rief er im Vorbeifahren.

„Rechts ist nun wirklich keine Alternative", erwiderte Leo, während Jannis das Blättchen anleckte.

„Blagen", zischte der Autofahrer und gab Gas.

Leo winkte ihm.


Sie durchquerten das Wohnviertel und erreichten bald den Wald, der sich unterbrochen von ein paar Wiesen und Feldern Kilometerweit bis zum Flugplatz erstreckte. Sie folgten dem Wanderweg ein Stück, dann bogen sie in den Wald ein.

Inzwischen war es stockdunkel. Laternen gab es hier draußen nicht, nur das Licht des Mondes erhellte die Nacht und spätestens, als sie unter das dichte Blätterdach traten, brachte auch er nichts mehr. Dafür tauchte nach kurzer Zeit in der Ferne ein rötliches Flackern auf. Sie steuerten darauf zu, bald erkannte Jannis das Licht als Schein eines Lagerfeuers, um das ein paar Schatten herumsaßen.

„Das ist Jannis", sagte Leo zu den drei Typen dort, als sie angekommen waren. Er wandte sich Jannis zu und zeigte auf den, der die Kapuze seines schwarzen Hoodies auf den Kopf gezogen hatte. „Das ist André, von dem ich vorhin erzählt habe."

André nickte Jannis zu. Er hatte die Hände in der Tasche seines Pullovers vergraben.

„Yasin." Leo zeigte auf seinen Sitznachbarn, dessen dunkles Haar von der Nacht verschluckt wurde.

„Und Kian." Er deutete auf den letzten in der Runde, einen Kerl mit leuchtend blauen Augen und einem Ring in der Nase.

Kian lächelte und streckte Jannis die rechte Hand hin, er ergriff sie mit seiner linken und erwiderte das Lächeln.

Kian hob kurz die Augenbraue, sagte aber nichts.

Sie setzten sich dazu. Die Wärme des Feuers hüllte Jannis ein, während das gleichmäßige Knistern des verbrennenden Holzes sich mit den Geräuschen des nächtlichen Waldes vermischte. Dem leisen Rascheln im Unterholz und den Schreien der Raubvögel, die gerade auf Beutejagd waren.

„Trinkst du Bier?", fragte Kian und hielt Jannis eine Flasche Perlenbacher hin.

„Na klar", lächelte Jannis und nahm sie ihm ab. „Danke."

„Gib die hier mal Leo", bat Kian und gab ihm eine zweite, die Jannis an Leo weiterreichte. Er stieß mit den beiden an, André auf der anderen Seite des Feuers starrte schweigend in die Flammen. Die Knie hatte er eng an den Körper und die Schultern hochgezogen. Die Bänder aus seiner Kapuze steckten zwischen seinen Zähnen.

Jannis beobachtete ihn einen Moment und überlegte ihn nach dem verlassenen Haus zu fragen, aber André sah nicht aus, als wolle er reden. Dafür begann Kian sich über seine nervige Freundin zu beschweren und weihte Jannis bei dieser Gelegenheit in seine kompletten Beziehungsprobleme ein.

„Schlag ihn einfach wenn er zu viel redet", grinste Leo an Jannis gewandt und Kian streckte ihm den Mittelfinger hin ohne seinen Redeschwall zu unterbrechen.

„Hast du ihr das mal gesagt?", fragte Jannis, als Kian fertig war. Sein Bier war inzwischen halb leer.

„Was?", fragte Kian.

„Was dich an eurer Beziehung stört."

„Nein, bist du bescheuert?" Kian lachte, schüttelte dann aber bestimmt den Kopf. „Die würd voll austicken."

„Vielleicht auch nicht."

Kian schüttelte erneut den Kopf.

„Hattest du mal 'ne Freundin?", fragte er.

Diesmal schüttelte Jannis den Kopf. Er nahm den Tabak entgegen, den Leo ihm hinhielt.

„Du wirst mich verstehen wenn du mal eine hast", versicherte Kian und Jannis drehte ohne ihm zu widersprechen.

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