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„Was waren das für Leute?", flüsterte Vroni, als die schwarz bekleideten, breiten Rücken in der Ferne verschwunden waren.
„Ich hab die schonmal getroffen", sagte Jannis. „Da war ich mit André und Kian unterwegs."
„Echt?", fragte Vroni.
Jannis nickte. „Ja. Aber da haben die uns nich' angepöbelt."
„Denen passte halt nicht, wie ich rumlaufe", meinte Leo mit verbissener Miene. Er rückte seine Kutte zurecht und holte seinen Tabak aus der Tasche.
„Das ist doch krank", flüsterte Vroni.
Leos Finger zitterten leicht, während er eine Zigarette drehte, dann hielt er Jannis das Drehzeug hin.
„Danke", murmelte der und drehte mit fahrigen Bewegungen. Er reichte die erste Kippe an Vroni weiter, drehte noch eine und steckte sie sich an. Leo nickte mit dem Kopf die Straße runter und die drei setzten ihren Weg fort. Vroni warf immer wieder einen Blick über die Schulter die dunkle Straße runter, aber von den Deutschen Brüdern war nichts mehr zu sehen.
„Denkt ihr, die kommen wieder?", fragte sie, als alle Zigaretten längst aufgeraucht waren.
„Nicht jetzt. Aber wir haben die bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen", meinte Leo. Links von ihnen wurde ein Parkplatz von Häusern und schließlich dem Gebäude eines Sportclubs verdrängt.
„Was haben die damit gemeint? Dass Zecken zerquetscht werden? Was für Zecken?", fragte Vroni weiter. Ihre Stimme klang ein wenig höher als gewöhnlich und ein leichtes Zittern lag darin.
„Zecken sind Leute wie ich. Punks, Linke. Alle Leute eben, die nicht dem Weltbild von solchen besorgten Bürgern entsprechen." Leo holte seinen Tabak raus und drehte sich eine weitere Zigarette. Die Straße beschrieb eine Kurve und sie passierten die verschlossenen Türen des Jobcenters.
„Besorgte Bürger?", wiederholte Vroni. Jannis zog eine Hand aus der Hosentasche und wischte sich durchs Gesicht. Er trottete hinter den beiden her, stolperte zwischendurch über Unebenheiten im Bürgersteig oder seine eigenen Füße. Weit konnte es nicht mehr sein, bestimmt nicht. Sie liefen schon ewig.
„Solche Leute wie die. Die glauben, dass hier was schief läuft und irgendeine Bevölkerungsgruppe, oder –schicht oder die Ausländer oder Juden oder keine Ahnung wer Schuld daran trägt. Und sie glauben, wenn sie die vertreiben wird's besser."
„Glauben die das wirklich oder sagen die das nur?", fragte Jannis von hinten.
Vroni und Leo drehten sich und schauten ihn an.
„Was meinst du?", fragte Leo.
„Glauben die wirklich, dass das so ist oder suchen die nur'n Grund, um scheiße zu sein? Oder 'ne Entschuldigung oder so, auch wenn's keine ist."
„Keine Ahnung, aber ist das wichtig?", fragte Leo und steckte sich seine Zigarette an.
„Find schon", meinte Jannis.
„Was auch immer ihr Grund ist, ich find's viel beängstigender, dass sie überhaupt da sind. Kann man da nichts machen, ist das legal? Sollten wir das unseren Eltern erzählen?", fragte Vroni.
„Wenn ich meiner Mutter davon erzähle, lässt die mich gar nicht mehr raus", meinte Jannis.
„Was sollen unsere Eltern auch machen? Oder die Bullen? Die sind eh auf deren Seite", meinte Leo.
„Wieso sollten sie?", erwiderte Vroni.
Leo bog nach links ab und steuerte den Parkplatz hinter dem Jobcenter an. Auf einem schmalen Wiesenstück zwischen Parkbuchten an der Ecke des gegenüberliegenden Gebäudes standen ein paar gammelige Couches herum, Sperrmüll wahrscheinlich, den nie jemand abgeholt hatte. Auf den Sofas hingen ein paar dunkel gekleidete Gestalten herum, die im ersten Moment an die Deutschen Brüder erinnerten. Im zweiten deutete jemand in ihre Richtung und Kian stand auf und wandte sich ihnen zu.
„Weil das schon immer so gewesen ist, darum", erwiderte Leo und trat auf die Straße.
„Hey, Leute", grinste Kian und blieb an der Bordsteinkante stehen. Er begrüßte Leo und Jannis mit einem Handschlag, dann lächelte er Vroni an und zog sie in eine Umarmung. „Hey", hauchte er an ihrem Ohr und sein Lächeln stand noch, als er sich von ihr zurückzog.
„Hey", erwiderte sie und konnte nicht verhindern, dass auch ihre Mundwinkel sich verzogen. „Wie geht's dir?"
„Gut soweit", erwiderte er, legte ihr sanft einen Arm um die Schultern und manövrierte sie in Richtung der Couches, wo ein paar weitere Typen saßen. Sie schienen ähnlich alt, vielleicht ein bisschen älter, trugen allesamt dunkle Kleidung und schauten ihnen ein wenig misstrauisch entgegen.
„Yasin, oder?", fragte Jannis und blieb vor dem Typen stehen, der ganz links auf der Couch saß.
Der Kerl nickte, hielt Jannis die Hand hin und er schlug ein.
„Ey, den da kennen wir ja", meinte ein anderer Typ, der ein Bandana um die Stirn gebunden hatte und machte eine lasche Geste in Leos Richtung. „Aber wer sind die?" Diesmal rahmte er Jannis und Vroni mit seiner Handbewegung ein.
„Das sind coole Leute", sagte Kian und nahm neben einem weiteren unbekannten Kerl auf der Couch Platz.
„Alles klar?", fragte Jannis Yasin ohne den anderen Typen weiter zu beachten. Yasin nickte und hob den Daumen in die Höhe, woraufhin Jannis ebenfalls nickte und sich mit der Hand auf der Lehne abstützte.
„Möchtest du sitzen?", fragte Kian Vroni und deutete mit einem zurückhaltenden Lächeln auf seinen Schoß.
„Ich möchte", sagte Leo und schmiss sich so schwungvoll auf Kians Schoß, dass dieser aufstöhnte und seine Fäuste für einen Moment ballte.
Vroni grinste, schüttelte leicht den Kopf und trat an Jannis heran.
„Is' da noch Platz für mich?", fragte der gerade Yasin und seinen Sitznachbarn. Yasin rutschte ein wenig auf, sein Kumpel ein wenig unwillig ebenfalls und Jannis quetschte sich halb auf die Armlehne und halb auf den schmalen Streifen Sitzfläche, der frei geworden war.
„Alles gut?", fragte Vroni und trat an seine Seite, nachdem der Bandanatyp ein wenig zur Seite gerückt war.
„Hmh", machte Jannis zustimmend. Er lehnte den Kopf zurück und schloss seine Augen. „Will mich nur'n bisschen ausruhen."
„Ey, ausruhen ist war für Langweiler", lachte Kian, der seine Hände hinter dem Kopf verschränkt hatte, während Leo es sich auf seinem Schoß gemütlich gemacht hatte.
„Und was macht ihr gerade Spannendes hier?", fragte Vroni und hob grinsend die Augenbrauen.
Kian schaute sie an und nickte langsam.
„Touché", gestand er ein. „Ja, wir sind wohl ziemliche Langweiler."
„Willst du uns nicht mal bekannt machen?", fragte der Bandanatyp, der seine kräftigen Oberarme durch ein Muskelshirt entblößte und inzwischen mit verschränkten Armen gegenüber der Couch auf dem Bürgersteig stand. In seinem Rücken lag das verlassene Jobcenter.
„Es wäre mir eine Ehre", erwiderte Kian, entschränkte seine Hände und deutete über die Köpfe seiner Freunde hinweg auf Jannis. „Das ist Jannis, das neben ihm ist Vroni." Er ließ seine Hand zum Bandanatypen weiterwandern. „Eiko, Leo kennt hier eh jeder, Timo und Yasin."
„Hey", sagte Eiko und nickte Vroni zu. Sie erwiderte das Nicken und hob die Hand, ehe sie wieder zu Kian schaute.
„Hey", kam es von Jannis, der sich nicht die Mühe machte die Augen zu öffnen.
„Habt ihr was zu Saufen da?", fragte Leo und drehte seinen Kopf, um Kian ins Gesicht zu schauen.
„Ein, zwei Bier vielleicht noch irgendwo. Aber viel nicht, wir wollten nachher noch los."
„Los", wiederholte Leo und wackelte mit den Augenbrauen.
„Ja, genau. Los."
Vroni hob die Augenbrauen. „Los?", wiederholte sie. „Los los?" Sie legte den Kopf ein wenig schief. Kian formte einen Zylinder mit seiner Hand, schüttelte sie und drückte dann den Zeigefinger runter.
„Was labert ihr da?", kam es von Jannis, aber Kian legte mit einem verschwörerischen Grinsen den Zeigefinger an die Lippen.
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