26
Jannis und Vroni saßen zusammen im Kinder- und Jugendhaus und spielten Mensch, ärger dich nicht, als Vronis Handy in ihrer Hosentasche vibrierte. Sie stellte ihre gelbe Spielfigur zwei Felder vor Jannis' Startpunkt ab und zog es hervor.
„Kian hat mir geschrieben", sagte sie, während sie die Nachricht öffnete.
„Was will er?", fragte Jannis und würfelte.
„Er fragt, ob ich schon was vorhab." Sie hob den Blick und grinste ihn an. Auch Jannis grinste.
„Und, hast du?", fragte er.
„Höchstens mit dir."
„Ich will dir nicht im Weg stehen", lachte er, nahm seine rote Spielfigur und rückte zwei Felder vor. Vroni war ihm dicht auf den Versen, weil sie die ganze Zeit Sechsen und Fünfen würfelte und er Einsen und Zweien.
„Denks du, ich sollte ihn treffen?" Ihre Augen leuchteten vor Aufregung.
„Hast du Lust ihn zu treffen?"
„Ja, schon. Aber was ist mit seiner Freundin?"
Jannis schaute sie an.
„Ich denke, das solltest du ihn fragen. Aber ich glaube nicht, dass er glücklich mit ihr ist."
Sie nickte und fuhr mit ihren Fingern die Kanten ihres Handys entlang.
„Hm", machte sie.
„Grübeln bringt nichts."
„Da hast du Recht."
Er lehnte sich zurück.
„Wenn du ihn treffen willst, triff ihn einfach. Da ist nichts dabei."
Sie blickte noch einen Augenblick auf ihr dunkles Display, dann nickte sie und ließ es aufleuchten.
„Du hast Recht. Es ist nichts dabei."
Kian lehnte bereits draußen an der Scheibe neben dem Eingang ins Einkaufscenter, als Vroni die Stadtmitte erreichte. Er lächelte, als sie an einem Pärchen vorbei in sein Blickfeld trat, und stieß sich von der Glasscheibe ab.
„Hey", sagte er, kam ihr entgegen und zog sie eng an sich, als er sie in die Arme schloss.
„Hey", grinste sie, legte ihre Arme um ihn und trat einen Schritt zurück, als er sie wieder losgelassen hatte.
„Wollen wir reingehen?" Er deutete auf die Glastüren rechts hinter ihm und Vroni nickte lächelnd. Nebeneinander entkamen sie der brennenden Sonne und traten in den Gang zwischen Schaufenster und shoppende Menschen. Liefen an den Geschäften vorbei und stellten sich auf die Rolltreppe, mit der sie nach oben in den Vorraum des Kinos fuhren. Nur vier Leute standen in zwei Reihen vor ihnen auf den schwarzen Fliesen am Kartenverkauf. Auf Monitoren über den Verkäuferplätzen wurden die Filmtitel angezeigt, hinten an der Wand hingen Filmplakate.
Vroni suchte den Film aus und Kian bezahlte die Karten. Gemeinsam liefen sie über den grau gemusterten Teppich und holten sich Cola und Popcorn, die sie am Kartenabreißer vorbei zum Kinosaal trugen.
„Ich freu mich, dich wiederzusehen", lächelte Kian.
„Ja?", grinste Vroni. Sie drückte Popcorn und Cola gegen ihre Brust und schaute zu ihm hoch. Er nickte und trat vor ihr durch die offen stehende Tür in den Saal. Sie hätte ihm gern gesagt, dass sie sich auch freute, denn das tat sie. Aber was war mit Isi? Wusste sie von diesem Treffen?
Kian blieb am oberen Ende der Treppe stehen und warf einen Blick auf die Karten in seiner Hand, ehe er den Blick über die Reihen schweifen ließ und die Treppe hinabstieg. Er bog mittig nach rechts ab und setzte sich auch hier mittig auf einen der Sitze.
Ein roter Vorhang verdeckte die Leinwand und die länglichen Lampen an den roten Wänden leuchteten noch.
Vroni setzte sich neben Kian, stellte ihr Getränk in die Halterung an der Armlehne und das Popcorn neben ihre Füße auf den Boden. Sollte sie fragen?
„Was hast du heute so gemacht?", fragte Kian. Er lehnte bequem in seinem Sessel und stützte sich mit dem Ellbogen auf die von ihr abgewandte Armlehne.
„Erst habe ich ausgeschlafen und dann war ich mit Jannis im KHJ, aber es war nicht wirklich was los. Dann war ich kurz Zuhause und bin hergekommen." Sie grinste. „Und du?"
„Ich hab geschlafen", erwiderte er mit einem leichten Grinsen im Mundwinkel.
„Tat das eigentlich weh?", fragte Vroni und deutete auf ihren Nasenflügel, an die Stelle, an der Kian sein Piercing trug. Er schüttelte den Kopf.
„Nee, gar nicht eigentlich. Das ist so ähnlich wie 'ne Spritze kriegen, die machen das ja auch mit Kanülen. Die stechen die kurz dadurch, ziehen das Piercing auf und machen es beim rausziehen gleich rein, das war's dann schon. Die ersten Tage ist es dann noch ein bisschen empfindlich, aber solange man es gut pflegt, passiert da eigentlich nichts."
Vroni nickte.
„Klingt ja echt nicht so schlimm."
Während und nach der Feier war es irgendwie einfacher mit Kian gewesen. Da waren keine Gedanken an Isi in ihrem Hinterkopf gewesen.
Der rote Vorhang schwang auf und die Werbung machte lautstark auf sich aufmerksam. Kian schob sich eine Hand voll Popcorn in den Mund und legte einen Fuß auf der Lehne des Sitzes vor ihm ab. Sein Blick wanderte zur Leinwand.
Als der Film anfing, legte er seinen Arm um Vroni, aber sie schob ihn wieder weg. Nach einem kurzen Blick zu ihr schaute er wieder zur Leinwand und behielt seine Hände in seinem Popcorn.
Grübeln brachte nichts, sie sollte ihn einfach fragen.
„Kian", flüsterte sie und übertönte nur knapp die Geräusche des Films. Er beugte sich zu ihr. „Was ist denn eigentlich mit Isi?"
Er griff nach seiner Cola und trank einen Schluck durch den Strohhalm.
„Was soll sein?", flüsterte er dann.
„Na ja, weiß sie, dass wir hier sind?"
Kian knickte den Strohhalm um und ließ ihn wieder hochklappen.
„Nee", flüsterte er nach einer kurzen Pause.
„Irgendwie ist das nicht okay, oder?"
„Das hat dich auf der Party doch auch nicht gestört."
„Da war ich betrunken."
„Ja, keine Ahnung. Dann nicht." Er klang fast ein wenig verletzt.
„Ich find das einfach nicht richtig. Ihr gegenüber."
Kian presste die Lippen aufeinander und nickte.
„Hast Recht", flüsterte er und lehnte sich auf die andere Armlehne. Schob sich Popcorn in den Mund und trank Cola, ohne den Blick nochmal vom Geschehen auf der Leinwand abzuwenden.
„Ich muss kurz aufs Klo", sagte Vroni, als sie nach dem Film den Kinosaal verließen und wieder auf den grau gemusterten Teppich traten. Kian wurde langsamer und drei Leute, die ebenfalls dabei waren das Kino zu verlassen, überholten sie. „Wartest du auf mich?"
Er warf ihr einen kurzen Blick zu.
„Ja, ich warte da vorne", sagte er und deutete auf die gegenüberliegende Wand.
„Bis gleich", erwiderte Vroni und lief zu den Toiletten, wo sie die mit dem Schild für die Damen aufstieß und ihrem eigenen Blick im Spiegel begegnete. Sie bog nach rechts ab und schloss sich in einer Kabine ein. Starrte gegen die weiße Tür, während sie dem Geräusch von Urin auf Porzellan lauschte. Außer ihr schien niemand in den Toilettenräumen zu sein, nur das Platschen hallte von den Wänden wider. Nach der Lautstärke des Films war die Stille ungewohnt.
Kian war noch da, als sie zurückkam. Wie versprochen lehnte er an der Wand und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er setzte sich an ihre Seite und gemeinsam gingen sie wieder in den Eingangsbereich und stiegen von dort auf die Rolltreppe.
Das Schweigen war nicht angenehm, es drückte und Vroni würde gerne etwas sagen, um es zu durchbrechen. Die Rolltreppe ratterte. Stimmen hallten von den Schaufenstern und den hohen Decken wider.
Sie stiegen von der letzten Stufe auf die Fliesen in der Einkaufspassage und durchquerten sie, traten wieder in die abendliche Sonne hinaus.
„Ich hab's nicht böse gemeint", sagte Vroni über den Lärm des Lebens hinweg.
„Ich weiß", sagte Kian, aber er schaute sie nicht an.
„Du nimmst es mir aber böse."
Er zuckte mit den Schultern. Sie liefen nach links, dann wurde Kian ein wenig langsamer.
„Ich nehm's dir nicht böse, du hast halt eigentlich recht ... Ist scheiße Isi gegenüber. Aber sie verhält sich auch scheiße. Wir haben seit der Party nicht miteinander geredet, ich weiß gar nicht, ob wir noch zusammen sind. Oder ob ich das überhaupt will." Er neigte den Kopf nach vorne und ließ die Schultern hängen.
„Vielleicht solltest du erst mal darüber nachdenken."
Kian schaute sie an und nickte langsam.
„Ja, sollte ich wohl."
„Kannst dich ja dann melden, wenn du willst." Sie setzte ein Lächeln auf und Kian erwiderte es mit einem Mundwinkel.
„Mach ich", sagte er. Er drehte sich zu ihr und zog sie in eine kurze Umarmung. „Mach's gut."
„Du auch."
Damit ging er die Straße hinunter, während Vroni zurückblieb und sich schließlich in die andere Richtung wandte.
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