25

Lesz war der erste, der am nächsten Morgen wach wurde. Er verpasste Jannis versehentlich einen Schlag mit dem Ellbogen, als er sich aufrappelte und den blauen Putzeimer an sich ran zog, um im nächsten Moment hinein zu kotzen.

Jannis schlug desorientiert die Augen auf. Ein drückender Schmerz breitete sich unter seiner Schädeldecke aus, die Übelkeit der Nacht war nicht verschwunden.

„Geht das auch leiser?", war Vronis verschlafene Stimme vom Bett aus zu hören.

„Nein", erwiderte Lesz, seine Stimme zitterte leicht.

Jannis streckte blind seine Hand aus, tastete und fand Leszs Unterschenkel. Er streichelte darüber.

„Wird schon", murmelte er tröstend.

Lesz spuckte nochmal aus und kletterte dann ins Bett zurück.

Erneut legte sich Stille über das Zimmer. Von draußen drangen die Geräusche des erwachenden Tages herein.

Vroni war die nächste, die aufstand. Sie kletterte aus dem Bett, stieg über Jannis und Lesz hinweg und verschwand noch ein wenig unsicher zum Klo. Pinkelte. Die Klospülung war leise bis in Kians Zimmer zu hören, weil es in der restlichen Wohnung leise war. Vroni kam zurück, legte sich wieder zu Kian.

„Du bist ja wach", flüsterte sie mit einem Lächeln in der Stimme.

„Wach", wiederholte Kian mit rauer Stimme und klang nicht überzeugt. Er räusperte sich, dann streckte er seinen Arm unter Vroni hindurch und legte den anderen von oben um ihren Körper. Er zog sie an sich heran. „Hab ich gestern viel Scheiße gelabert?", fragte er leise.

„Nicht, dass ich mich erinnern könnte", erwiderte Vroni.

Jannis drehte sich auf die andere Seite und fand sich mit seinen Augen direkt vor Leszs Gesicht wieder. Er rutschte ein Stück zurück.

„Dreh dich mal um", murmelte Kian.

Rascheln.

Er zog Vroni wieder an sich und vergrub sein Gesicht in ihren Locken.

„Ich mag wie deine Haare riechen", murmelte er und seufzte dann.

Es gelang Jannis nochmal einzuschlafen, das nächste Mal war es an ihm pinkeln zu gehen. Kians Mutter war gerade in der Küche zugange und sprach ihn an, als er auf dem Rückweg war.

„Ich hab Frühstück gemacht. Sagst du den anderen Bescheid?"

„Klar", murmelte Jannis. Seine Übelkeit war einigermaßen verschwunden, aber das Wort Frühstück löste kein gutes Gefühl in seinem Magen aus. Die Kopfschmerzen waren noch da.

Er trat wieder in Kians Zimmer, wo alle noch in den Kissen lagen.

„Es gibt Frühstück", teilte er mit und blieb stehen.

Niemand antwortete.

„Ey, aufwachen!", sagte er lauter und verzog das Gesicht.

„Was?" murmelte Kian.

„Frühstück!", wiederholte Jannis.

Kian seufzte und drückte sein Gesicht in Vronis Haar. Er zog sie wieder näher an sich.

Bis alle am Frühstückstisch saßen waren die Pancakes kalt. Mehr als einen Bissen bekam sowieso keiner von ihnen runter.

„Ich geh wieder ins Bett", murmelte Kian, der seinen Kopf auf seiner Hand aufgestützt hatte und nur knapp über der Tischplatte hing. „Kommst du mit?" Er drehte den Kopf, um Vroni anzuschauen.

Sie lächelte müde und nickte.

„Ihr könnt noch bleiben. Wenn ihr wollt", sagte Kian zu Jannis und Lesz. Lesz lag mit dem Kopf auf der Tischplatte, Jannis lehnte mit der Schulter an der Wand.

Sie hingen noch einige Minuten in der Küche rum, bis sie sich alle wieder ins Bett legten. Es wurde Mittag, Nachmittag. Kian startete eine Komödie ohne Ton, die er und Vroni schauten.

Lesz schlief wieder und Jannis lag da und zählte die Regentropfen auf dem Kunstwerk an Kians Wand.


Es war Abend, als die drei sich auf den Weg zur Haltestelle machten. Lesz und Jannis warteten im Flur, während Vroni noch mit Kian im Türrahmen stand.

„Ich fand's echt schön", sagte er leise und strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Fand ich auch", erwiderte sie.

„Sehen wir uns mal wieder?"

„Gern."

Lesz und Jannis tauschten Blicke.

„Denkst du es geht Skorupy gut?", fragte Lesz schwach.

Jannis nickte.

„Svea kümmert sich doch um sie."

„Vielleicht sollte ich noch nach ihr sehen."

„Geh ins Bett, du bist voll fertig."

Lesz schaute nachdenklich drein und wandte seinen Blick wieder zu Vroni und Kian, die einander immer noch gegenüber standen. Jetzt zog er sie in eine Umarmung.

„Komm gut nach Hause", sagte er.

„Danke", lächelte sie.

Jannis und Lesz wandten sich dem wartenden Fahrstuhl zu, den sie vorhin schon nach oben gerufen hatten. Bevor jemand hatte ahnen können wie lange Vroni und Kian für ihre Verabschiedung brauchten. Jannis drückte auf den Knopf und die Türen öffnete sich wieder. Die beiden stiegen ein und die Fahrstuhltüren schoben sich wieder zu, bevor Vroni bei ihnen angelangt war. Jannis hielt die Hand dazwischen.

„Komm jetzt", sagte Lesz und Vroni löste endlich ihre Hand aus Kians und kam mit einem Lächeln im Gesicht zu ihnen.


Auf dem Bürgersteig vor Jannis' Haus blieben die drei stehen.

„War echt 'ne schöne Feier", lächelte Vroni und zog Jannis in eine Umarung, dann trat sie zurück.

Lesz und er schauten einander in die Augen und wussten, dass der andere das gleiche dachte. Dass keiner von ihnen wirklich nach Hause wollte, weil ihre Eltern nicht waren wie Kians Mutter, bei der sich nach Hause kommen gar nicht so unangenehm anfühlte. Ob Kian ein Kätzchen aus dem Glascontainer behalten dürfte?

„Was ist los, Jungs?"

„Alles gut", murmelte Jannis, den Blick noch immer in Leszs Augen gerichtet. Er trat vor und zog ihn in eine Umarmung. „Ich komm morgen mit zu Skorupy. Hol mich ab."

„Mach ich."

Vroni und Lesz liefen gemeinsam die Straße runter und Jannis richtete den Blick auf die Haustür, hinter der sich bestimmt eine Menge Ärger verbarg. Er zögerte noch einen Augenblick, dann durchquerte er den Vorgarten, schloss die Tür auf und schlüpfte ins Innere. Natürlich trat sofort seine Mutter mit verschränkten Armen in den Flur und schenkte ihm diesen enttäuschten Blick, der von leichtem Kopfschütteln begleitet wurde.

„Wir haben was zu besprechen. Zieh deine Schuhe aus und komm ins Wohnzimmer", sagte sie kalt.

Schweigend ließ Jannis sich auf der Treppe nieder und streifte seine Schuhe ab, während seine Mutter voranging. Der dumpfe Schmerz drückte noch auf seine Schläfen, sein Magen konnte sich nicht zwischen Hunger und Übelkeit entscheiden und er war müde. Er wollte in sein Bett und das stand nicht im Wohnzimmer. Trotzdem trat er wenige Augenblicke später ein.

Sein Vater saß auf der Couch, seine Mutter stand mitten im Raum. Ein noch schlechteres Zeichen.

Er schlich an ihr vorbei und ließ sich mit etwas Abstand zu seinem Vater auf das Polster sinken.

„Worum geht's?", fragte er, stützte seinen Kopf in seine Hand und seinen Ellbogen auf seinen Oberschenkel.

„Unser diesjähriger Familienurlaub wird nicht stattfinden", platzte seine Mutter heraus und er horchte auf. Ihr stechender Blick und ihre zusammengepressten Lippen galten gar nicht ihm sondern hing an seinem Vater.

„Wieso nicht?"

Seine Mutter starrte seinen Vater an und Jannis' Blick wanderte langsam von ihr zu ihm. Sein Vater drehte sich zu ihm.

„Deine Mutter und ich haben uns in letzter Zeit häufig gestritten und wir denken es ist besser, wenn wir nicht zusammen wegfahren. Tut mir leid."

„Nicht schlimm. War's das?" Er schaute wieder zu seiner Mutter.

„Bist du traurig deswegen?"

„Eigentlich nicht", sagte er.

Wieder giftige Blicke, die sie zu seinem Vater schleuderte.

„Kann ich hoch gehen?"

Sie nickte knapp und Jannissprang auf und lief an seinem Vater vorbei in den Flur und die Treppe raus insein Zimmer, wo er sich erschöpft ins Bett kuschelte.

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