21
Niklas wohnte im zweiten großen Plattenbauviertel der Stadt. Das Haus, in dem er lebte, war heruntergekommener als Kians. Die Eingangstür schloss nicht richtig, der Dreck im Treppenhaus war maximal an die Seite geschoben und die Wände waren mit Edding beschmiert. Kunstwerke wie die von Kian suchte man vergebens.
Aus Niklas' Wohnung drang laute Technomusik auf den Flur, Niklas selbst war ein unscheinbarer Typ mit kurzem, blondem Haar.
„Kian, Alter, was geht?", grinste er und begrüßte ihn mit einem Handschlag.
„Läuft", erwiderte Kian grinsend und trat an ihm vorbei in die Wohnung.
Niklas streckte Leo die Hand hin, er schlug ein.
„Das sind Jannis, Vroni, Lesz und Marti, Freunde von mir", stellte er die übrigen vier vor.
„Willkommen, Leute, kommt rein. Das Gesöff ist in der Küche, Klo ist hier vorne. Sucht euch einfach 'n Platz wo ihr Bock habt", sagte Niklas und winkte sie durch.
Kian verschwand im Wohnzimmer, Vroni folgte ihm und Marti schloss sich an. Jannis sah ihnen hinterher und schaute sich in der Wohnung um, dann bog er in die Küche ab, wo eine große Auswahl an Alkoholika auf dem Küchentisch stand. Alle möglichen Sorten Schnaps, alles hartes Zeug, nur Bier gab es keines. Lesz trat mit ihm ein.
„Ich bin dafür wir probieren das alles mal", grinste Jannis und Lesz nickte mit dem gleichen Gesichtsausdruck.
„Lasst mich euer Saufreiseleiter sein", sagte Leo, der hinter ihnen eintrat. „Ich mach euch aus jeder einzelnen Flasche hier 'ne geile Mische." Er trat an den Tisch heran und begutachtete die Auswahl.
„Das klingt gut", grinste Jannis und lächelte Lesz an, der sein Lächeln erwiderte.
„Wir beginnen mit dem Klassiker. Wodka-E", erklärte Leo mit wichtiger Miene. Er zog drei Becher von dem Stapel auf der Ablage und reihte sie auf dem Tisch auf. Er griff sich eine angefangene Wodkaflasche und schüttete je zwei Finger breit in die Becher. Als nächstes nahm er eine Plastikflasche mit einem billigen Energydrink und füllte die Becher. Er griff sich den linken, Jannis nahm den in der Mitte und Lesz den rechten.
Leo hob seinen Becher an, wartete, bis Jannis und Lesz ihre daneben hielten, und schaute ernst in die Luft.
„Auf das Ende der Gefängniszeit", sagte er, stieß seinen Becher gegen die anderen beiden und dann tranken die drei einen Schluck.
Der Wodka lief scharf Jannis' Kehle hinab, während der Energydrink einen klebrig-süßen Geschmack auf seiner Zunge hinterließ. Bier schmeckte besser. Besser als dieses Zeug und auch besser als Rum-Cola.
„Lasst ins Wohnzimmer", sagte Leo und lud die beiden mit einer raumgreifenden Geste ein ihm zu folgen. Sie durchquerten den Flur und näherten sich der Quelle der repetitiven Technobeats, die die dünnen Wände mühelos durchdrangen.
Ein großes Sofa aus weißem Lederimitat belegte die rechte Wand, ein gut gefüllter Couchtisch stand davor und einige Stühle bildeten einen Halbkreis. Vroni, Marti und Kian saßen auf der Couch, mit ihnen noch ein Junge und zwei Mädels. Ein weiterer Junge und ein Mädel hatten auf zwei Stühlen Platz genommen und Niklas stand am Laptop, der auf einem Regalbrett der Wohnwand stand, die die linke Seite füllte.
Leo schnappte sich einen der Stühle, während Jannis stehen blieb und in die Runde schaute.
„Hey, ich bin Jannis", sagte er mit einem Lächeln. Die Fremden nickten ihm zu, winkten oder ließen ein kurzes „Hi" verlauten. Lesz hob die Hand. Jannis setzte sich auf den letzten freien Stuhl neben Leo und zog Lesz grinsend auf seinen Schoß.
„Was trinkt ihr?", fragte Vroni, die zwischen Kian und Marti in der Ecke der Couch saß.
„Wodka-E, eine Kreation des großen Leo", sagte Jannis, streckte sich an Lesz vorbei und hielt ihr den Becher hin.
„Leo hat das doch nicht kreiert", sagte ein Mädchen mit großen Kreolenohrringen, die zwischen ihrem feinen, braunen Haar hervorblitzten.
„Aber ich hab's gemischt, ist fast dasselbe", erwiderte der.
Vroni nahm den Becher entgegen und probierte einen Schluck.
„Das schmeckt gut, ich glaube sowas will ich auch", sagte sie und reichte den Becher an Marti weiter.
„Folg mir", grinste Leo. Er stand wieder auf und Vroni quetsche sich zwischen ihren Sitznachbarn hervor, schob sich am Couchtisch vorbei und hakte sich bei Leo unter, ehe sie zusammen das Wohnzimmer verließen.
Auch Marti probierte und grinste.
„Ich behalt das jetzt", sagte er und brachte die Mische aus Jannis' Reichweite.
„Bedien dich", grinste der und schlang seine Arme um Leszs Bauch. Er wartete, bis der getrunken hatte, dann nahm er ihm den Becher aus der Hand und trank seinerseits einen Schluck.
„Wo kommt ihr eigentlich her?", fragte der Typ, der auf dem Stuhl saß. Er trug eine graue Jogginghose über klobigen Schuhen.
„Das sind Freunde von Leo, die sind richtig korrekt, ich schwör", erwiderte Kian, bevor Jannis was sagen konnte.
„Is' so", sagte der also und grinste.
„Is' so, ja?", fragte der Typ grinsend.
„Solange sie nicht wie André sind glaub ich das schon", ließ sich Niklas vernehmen.
„Niemand ist wie André", grinste Leo, der mit Vroni wieder ins Wohnzimmer trat.
„Zum Glück, Alter", murrte Niklas.
„Ist doch witzig", lachte Leo.
„Witzig? Der Kerl ist ein richtiger Hurensohn, ohne Scheiß. Ich hau dem die Fresse ein wenn ich den nochmal sehe."
„Na, nicht solche Ausdrücke, mon petit", mahnte Leo mit erhobenem Zeigefinger. Er ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder, während Vroni sich zwischen Kian und Marti auf die Couch quetschte.
„Hier, für dich", lächelte sie und überreichte Kian einen zweiten Becher, den sie dabei hatte.
Niklas zeigte Leo den Mittelfinger.
„Geil, danke", grinste Kian. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und stieß mit ihr an, ehe beide tranken.
„Lieb von dir, dass du auch an mich gedacht hast", sagte Marti.
Vroni drehte sich zu ihm.
„Du hast doch was", sagte sie und deutete mit ihrem Becher auf seinen.
„Das ist Jannis'."
„Das ist Jannis?", lachte Vroni mit Blick auf den Becher und beugte sich zu ihm vor. „Du hast dich aber verändert", sagte sie, als spräche sie mit Jannis.
„Ja, ich weiß, ich hab um die Hüften rum bisschen zugelegt", lachte Jannis und ließ sich von Lesz den Becher aus der Hand nehmen.
„Kommst du mit eine rauchen?", fragte Leo ihn. Er öffnete die Tabakpackung und schob sich einen Filter zwischen die Lippen.
„Kommst du ohne mich klar?", fragte Jannis Lesz und schaute ihn mit großen Augen von der Seite an.
Lesz drehte den Kopf.
„Nein, ich werde sterben", erwiderte er trocken und erhob sich.
„Schade", erwiderte Jannis, klaute sich noch einen Schluck aus Leszs Becher und folgte Leo auf den Balkon, wo der seine Kippe fertig drehte und Jannis dann Tabak, Papes und Filter übergab.
„Das wird 'ne richtig geile Party, das hab ich im Blut", grinste er mit der Zigarette zwischen den Lippen und der Streichholzpackung in der Hand. Er holte eines raus, steckte es an und entzündete die Zigarette mit einer eleganten Geste.
„Die Musik ist scheiße", meinte Jannis, leckte über das Pape und verschloss die Zigarette. Er holte sein Feuerzeug aus der Hosentasche und steckte sie an.
„Scheiß auf die Musik, hier ist genug Alkohol damit ich mich so richtig aus dem Leben schießen kann und genau das werde ich auch machen. Und dich nehm' ich mit", grinste Leo und nahm einen tiefen Zug.
„Als mein Reiseleiter", sagte Jannis.
„Genau, als dein Reiseleiter. Ich mache hier nur Aufklärungsarbeit. Irgendwann würdest du dich eh so hart besaufen, dass du kotzt, und da ist es besser wenn ich dabei bin und beim ersten Mal auf dich aufpassen kann", führte Leo aus nickte vielsagend, während er wieder seine Zigarette an die Lippen führte.
Jannis lehnte sich gegen das Geländer des Balkons und schaute an den angrenzenden Plattenbauten vorbei bis zum Fluss, der in der Ferne gemütlich vor sich hinfloss.
„Dann kann ja nichts schief gehen", grinste er, als sein Blick wieder zu Leo wanderte.
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mon petit – mein Kleiner
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