18
Lesz hing immer weniger mit seinen Freunden im Park herum, ins KJH ging er nicht mehr und auch Zuhause ließ er sich seltener blicken. Täglich knackte er das Schloss des leerstehenden Hauses gegenüber der Universität und spielte mit Skorupy bis Svea auftauchte.
„Fühlt sich gut an nicht mehr alleine zu essen", sagte sie, während sie die containerten Speisen aus ihrer Lidl-Tasche auspackte.
„Fühlt sich gut an mir die Scheiße Zuhause nicht mehr geben zu müssen", grinste Lesz und setzte sich im Schneidersitz zu ihr auf die abgetragene Decke auf den Boden. „Ich könnte auch zu Jannis gehen, aber bei dem ist's mindestens genauso scheiße. Mit seinen Eltern, die sich dauernd streiten."
„Ich bring dir alles bei, was du zum Leben brauchst", sagte Svea. Sie zog zwei Brotscheiben aus der Tüte und belegte sie mit abgelaufenem Käse.
Leszek erwiderte ihr Grinsen und nahm eine der Scheiben entgegen. Skorupy kletterte auf seinen Schoß und schlug mit ihrer Pfote danach.
„Wir wollen heute meinen Geburtstag feiern", erzählte er und gab dem Kätzchen ein Stückchen Käse.
„Herzlichen Glückwunsch", lächelte Svea. Auch sie reichte Skorupy ein Stückchen Käse.
„Meine Familie feiert den nicht. Aber Janinas Geburtstag, den haben wir natürlich gefeiert."
„Janina ist deine Schwester?" Svea biss in das Brot.
Lesz nickte.
„Wieso deinen nicht?"
„Ach, meine andere Schwester ist behindert, also wirklich. Sie hat das Down-Syndrom und das ist halt wichtiger als ich." Er seufzte und zupfte noch ein Stück Käse ab. „Ich mein, klar ... Ich versteh das schon ... Sie ist krank und ich nicht, aber irgendwie geht es immer nur bei mir nicht. Janina bekommt alles, was sie will und Daria, na ja, keine Ahnung." Er biss in sein Brot.
Svea schaute ihn an.
„Dafür hast du deine Freunde", meinte sie und hielt Skorupy ihren Finger hin. Das Kätzchen schnupperte und schmiegte dann ihre Wange gegen Sveas Hand.
„Die besten Freunde überhaupt", grinste Lesz.
Als er sich später im Park einfand, waren Vroni und Marti schon da. Ein paar Pizzakartons stapelten sich neben einem Kuchen, dessen Kerzen Vroni schnell entzündete, als Lesz sich näherte.
„Alles Gute!", rief sie lachend und drückte ihn herzlich an sich.
Marti stand aus der Wiese auf und umarmte ihn als nächster.
„Ich hab dir einen Kuchen gebacken", grinste er und trat einen Schritt beiseite, um den Blick auf sein Werk freizugeben.
Lesz ging in die Knie. Vierzehn bunte Kerzen steckten brennend in der dicken Schicht Schokoglasur.
„Wir warten noch auf Jannis, oder?", fragte er.
„Klar", lächelte Vroni.
Jannis kam, als die Kerzen schon beträchtlich heruntergebrannt waren und heißer Wachs auf den Kuchen getropft war. Er trug einen Rucksack über der Schulter und ein breites Lächeln auf den Lippen.
„Alles Gute, Lesz!", rief er schon von weitem und breitete die Arme aus, was Lesz dazu veranlasste aufzuspringen und ihm entgegenzurennen. Ohne zu bremsen sprang er Jannis in die Arme und brachte ihn fast zu Fall, der Inhalt seines Rucksacks klirrte. „Ich hab 'ne Überraschung", grinste er und löste sich von Lesz. Er zog den Rucksack nach vorne und öffnete den Reißverschluss, griff hinein und präsentierte Lesz eine Flasche Saalfelder Premium Pils. „Ich hab das mal mit Kian probiert, schmeckt viel besser als Perlenbacher."
Lesz lächelte und zog ihn nochmal in eine Umarmung.
„Gleich brennt der Kuchen", rief Vroni lachend.
„Geil, es gibt Kuchen?", fragte Jannis. Zusammen mit Lesz gesellte er sich zu den anderen beiden, wo Lesz die Kerzen mit einem tiefen Atemzug erlöschen ließ.
„Wie schön, dass du geboren bist", stimmte Jannis an und Marti und Vroni stimmten ein. Er verteilte vier Flaschen, während sie lauthals sangen, die sie erhoben, sobald sie alle geöffnet waren.
„Auf dich!", sagte Marti mit Blick auf Lesz, dann stießen sie die Flaschen über ihren Köpfen zusammen und tranken jeder einen Schluck.
Jannis machte einen Punksong auf seinem Handy an, die schwachen Lautsprecher füllten die Luft mit dem blechernen Sound ungestimmter Instrumente und dem verwaschenen Geschrei des Sängers.
„Das hier ist besser als jede von Janinas Partys sein könnte", meinte Vroni und schnitt den Kuchen in acht Stücke. Das erste reichte sie Lesz.
„Vor allem weil sie nicht dabei ist", grinste der und führte die Hand an den Mund, um abzubeißen.
„Nicht? Dabei hab ich sie extra eingeladen", grinste Jannis und erntete einen kräftigen Hieb gegen die Schulter.
„Wie geht's eigentlich Skorupy?", fragte Vroni und Lesz erzählte, dass ihre Pfoten verheilt waren und sie inzwischen schon das ganze Haus erkundete.
„Ich möchte einen Weg finden, dass sie rein und raus kann wie sie will. Ist doch scheiße sie einzusperren", meinte er.
„Ist es echt", stimmte Jannis zu und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche.
„Wenn ihr 'ne Idee habt."
Sie aßen kalte Pizza nach dem Kuchen, dann das zweite Stück und dann noch mehr Pizza. Leerten gemeinsam die sechs Bierflaschen und zogen dann los, um gemeinsam das besetzte Haus zu betrachten, das nicht weniger bewohnt und verlassen aussah als bei ihrem letzten Besuch.
„Eines Tages geh ich da rein", sagte Jannis. „Wenn ich keinen Bock mehr auf Zuhause hab."
„Wir können alle in Skorupys Haus ziehen", grinste Lesz.
„Und dann studieren wir, bis zur Uni haben wir's ja nicht weit", lachte Vroni.
„Willst du studieren später?", fragte Jannis, löste seinen Blick von dem Haus und schaute sie an.
„Ich denke schon. Wieso nicht?"
„Ich stell's mir langweilig vor. Wie Schule halt", erwiderte er und schaute wieder auf das Haus.
„Wirst du Leo zwei Punkt null?", fragte Marti.
„Es wäre mir eine Ehre", grinste Jannis und verbeugte sich in leonischer Manier.
Es wurde spät und als Jannis irgendwann im Dunkeln nach Hause kam, wartete seine Mutter mal wieder auf ihn. Das Licht fiel aus der Küche auf die Straße und er zögerte einen Moment. Dachte für einen Augenblick daran wirklich in irgendein leerstehendes oder besetztes Haus zu ziehen, da öffnete die Tür sich von alleine. Der Blick seiner Mutter war irgendwas zwischen wütend und enttäuscht, aber nicht mehr überrascht.
„Du hast Hausarrest", sagte sie. „Von jetzt an bis zu den Sommerferien."
Jannis schob seinen Schlüssel in die Hosentasche.
„Okay", sagte er und trat in das Haus.
„Hast du mich verstanden?"
„Ja. Ich hab Hausarrest bis zu den Sommerferien."
Seine Mutter verschränkte die Arme und musterte ihn unzufrieden, das spürte er, während er sich die Vans von den Füßen zog und ins Schuhregal warf.
„Geh jetzt auf dein Zimmer", sagte sie mit zusammengekniffener Miene, als er sich zu ihr umwandte.
„Natürlich", erwiderte er, schaute ihr mit einem selbstgefälligen Blick in die Augen und verzog sich die Treppe rauf. Er würde sich heute nicht mit ihr streiten, egal wie sehr sie es heraufbeschwor. Sollte sie ihm doch so viel Hausarrest geben wie sie wollte, das war nicht sein Problem. Auf dieser Welt gab es keine Grenzen, es gab nur erdachte Mauern in den Köpfen der Menschen, deren Einsturz nur das Öffnen einer Tür bedurfte.
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