16

„Was stinkt hier eigentlich so?" Janina warf ihre Tasche auf ihr Bett und streckte die Nase in die Luft. „Und was sitzt du da wie so'n Unschuldslamm?" Ihr Blick blieb an Lesz hängen, der auf seinem Bett saß.

„Nur so", sagte der und verschränkte seine Finger ineinander.

„Riechst du das nicht?"

Natürlich roch er es.

„Was denn?"

„Es riecht so ... nach Pisse irgendwie. Hast du ins Bett gemacht?", spottete Janina. Sie setzte sich neben ihre Tasche und zog die Füße aufs Bett, rümpfte aber sofort die Nase. Sie schnupperte erneut und folgte einer unsichtbaren Fährte, die sie nach unten in Richtung ihres Lakens führte.

„Leszek." Jeglicher Spott was aus ihrer Stimme verschwunden. „Warum riecht mein Bett nach Pisse?"

„Tut es das?"

„Verarsch mich nicht!" Sie sprang auf und fuhr mit ihren Händen prüfend über ihren Hintern, dann trat sie mit geballter Faust an Lesz heran. „Was hast du gemacht?", zischte sie.

„Okay, ich zeig's dir", erwiderte er leise. Er schob sich an ihrer Faust vorbei und kletterte aus dem Bett.

„Wehe du holst jetzt deinen Schwanz raus oder so!"

„Hä, was?" Er zog die Augenbrauen zusammen und drehte sich zu ihr. „Bist du bescheuert?"

„Nein, aber du bist voll ekelig, keine Ahnung was du wieder gemacht hast." Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

Lesz trat an seinen Kleiderschrank, öffnete die Tür und nahm Skorupy aus dem Fach mit seinen Shirts. Einen Augenblick verbarg er sie in seinem Arm und drehte sich dann um, sodass Janina sie sehen konnte.

„Nein, wie süß, ein Kätzchen!", entfuhr es ihr in einer Tonlage, die eine Oktave über ihrer eigentlichen Stimme lag. Sie streckte ihre Hand aus, aber Lesz drehte beschützend seinen Oberkörper zur Seite, woraufhin Janina die Hände in die Seiten stemmte. Wenn sie das tat, erinnerte sie ihn immer an ihre Oma. „Hat die auf mein Bett gepisst?"

„Ich glaub schon."

„Und wo hast du sie her?"

„Ich hab sie gefunden."

„Gefunden."

„Ja, gefunden. Jemand hat sie ausgesetzt, okay." Er ging an ihr vorbei und setzte sich aufs Bett. Skorupy hatte kein Interesse daran auf seinem Schoß zu bleiben, sondern tapste durch die hohen Wellen der Bettdecke.

„Was willst du jetzt mit ihr machen?"

„Sie behalten natürlich." Er verfolgte das Kätzchen mit seinem Blick.

„Das erlaubt Mama dir nie."

„Warum nicht?"

„Weil sie keinem von uns ein Tier erlaubt. Nachher ist Zuzi noch allergisch oder so, wer weiß." Janina schüttelte den Kopf, trat an ihr Bett, hielt aber inne bevor sie sich setzte. „Sie sagt eh nein. Und du beziehst jetzt mein Bett neu!"


Gegen acht klingelte Jannis' Handy. Er lag auf seinem Bett, hörte Musik und nahm sofort ab, als er Leszeks Namen las.

„Ich brauch dich", sagte Lesz.

„Ich bin unterwegs", erwiderte Jannis. Er drückte Lesz weg und schaltete den CD-Player aus. Mit einer Sweatjacke unter dem Arm eilte er die Treppe runter und schlüpfte in seine Vans, ehe er ohne ein Wort zu seiner Mutter zu sagen das Haus verließ.

Er traf Lesz auf halben Weg zwischen ihren Wohnungen.

„Was ist los?", fragte Jannis und blieb Lesz gegenüber stehen. Er hatte das Kätzchen in eine Decke gehüllt auf dem Arm.

„Meine Mutter hat gesagt ich darf sie nicht behalten. Ich soll sie ins Tierheim geben, aber das mach ich nicht. Das kann sie nicht verlangen."

„Wieso?"

Der Himmel färbte sich rosa, die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Jannis glaubte für einen Augenblick ein feuchtes Schimmern in Leszs Augen zu erblicken, dann war es aber schon wieder weg.

„Wir haben eh schon keinen Platz und kein Geld und wenn sie mir ein Haustier erlaubt muss sie allen eins erlauben und was, wenn Zuzi allergisch reagiert oder Angst hat ... Nur Scheiße halt. Ich hasse sie."

Jannis nickte.

„Scheiß auf die. Eltern sind scheiße." Er trat an Lesz heran und legte ihm einen Arm um die Schultern.

„Ich weiß nicht wo ich sie hinbringen soll." Lesz senkte den Blick auf das Knäuel in seinem Arm.

„Vielleicht kann sie ins das Haus, in dem wir mit Leo waren. Weißt du? Das leerstehende. Da könntest du immer hingehen und dich um sie kümmern", überlegte Jannis. Auch sein Blick blieb an dem Kätzchen hängen.

„Sie heißt Skorupy."

Jannis schaute Lesz an und sah ein Lächeln über sein Gesicht huschen.

„Hat das 'ne Bedeutung?"

„Scherben. Das heißt Scherben."

„Passt", lächelte Jannis. Mit seinem Arm übte er ein wenig Druck aus und zog Lesz mit sich die Straße runter. „Komm, wir gehen mal bei dem Haus gucken. Oder hast du 'ne bessere Idee?"

Lesz schüttelte den Kopf und während die Sonne tiefer sank, brachten sie Meter für Meter zwischen sich und ihre Zuhauses, während sie dem zukünftigen für Skorupy näher kamen.


„Hast du Ahnung?"

Jannis packte die Tür am Griff und rüttelte, aber es rührte sich nichts.

„Ne", sagte Lesz. Er stand neben ihm auf der obersten Treppenstufe, während in ihrem Rücken die Feierwütigen durch die Straßen zogen.

„Soll ich Leo mal anrufen?" Jannis rüttelte nochmal an der Tür und schaute Leszek dann an. Der zuckte mit den Schultern. Jannis holte sein Handy aus der Hosentasche und scrollte durch seine Kontakte bis er Leos Namen entdeckte. Er wählte seine Nummer und drehte sich in Richtung Universitätsgebäude, das auf der anderen Straßenseite den Blick auf den Himmel verdeckte. Das Freizeichen vermischte sich mit dem Motorengeräusch vorbeifahrender Autos, mit den umherfliegenden Stimmen der Passanten.

Lesz setzte sich auf die oberste Stufe und legte das Katzenbündel auf seinem Schoß ab. Skorupy miaute ungehalten, wahrscheinlich wollte sie frei sein. Rumlaufen. Selbst entscheiden wo sie hinging.

Jannis' Blick blieb an ihr hängen, während er dem Freizeichen lauschte.

„Welche Ehre, Monsieur Jannis", lachte Leo, als er endlich abnahm. Seine Stimme war ein wenig schief, Lärm vermischte sich mit dem um Jannis herum.

Er lächelte.

„Hey, Leo. Wir brauchen mal deine Hilfe."

„Meine Hilfe braucht ihr, so so. Worum geht's denn? Unmögliches erledige ich gestern, alles andere erst morgen früh wenn ich meinen Rausch ausgeschlafen hab."

„Kommst du zu dem verlassenen Haus, das du uns letztens gezeigt hast?"

„Wieso, bist du da?"

„Ja, mit Lesz und noch jemanden. Ist echt wichtig."

Leo schwieg einen Moment.

„Na gut, ich bin eh grad in der Gegend. Gib mir 'ne halbe Stunde oder so, dann bin ich da."


Eine Stunde später tauchte Leo in der Universitätsstraße auf. Er trug ein breites Grinsen auf den Lippen und eine brennende Zigarette zwischen den Fingern.

„Was geht, Freunde?", lachte er und streckte die Arme aus wie ein Papst, der seine Gefolgschaft begrüßte.

Lesz hob den Blick, sagte aber nichts. Seine Lippen waren zusammengepresst und zwischen seinen Augenbrauen stand eine winzige Falte.

„Hey", grinste Jannis. Er trat vor und begrüßte Leo mit einer Umarmung, dann stellte er sich neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Bringst du uns da rein?", fragte er, während er genau wie Leo das Haus betrachtete.

„Das ist alles?", lachte Leo. „Eine meiner leichtesten Übungen." Er holte sein Monokel raus, klemmte es sich in die Augenhöhle und zog die Augenbrauen hoch. Den Mund spitzte er zu seinem Rattengesicht, dann zog er seinen Schlüsselbund hervor und trat die Stufen hinauf. Mit ein paar geübten Griffen öffnete er die Tür und stieß sie mit einer raumgreifenden schwungvoll auf. „Bitte sehr!"

Lesz stand von der Treppe auf.

„Danke", sagte er kalt und trat an Leo vorbei ins Haus.

„Was'n los mit ihm?", fragte Leo Jannis, als der folgte.

„Er ist abgefuckt weil du so lange gebraucht hast. Hey, krieg ich deinen Tabak?"

Auch Leo trat ins Innere des Hauses.

„Was denn, waren doch nur zwanzig Minuten oder so", meinte er und holte seine Tabakpackung aus seiner Kutte. Er reichte sie Jannis.

„Fast", lachte der.

Sie liefen die Treppen hinauf in den ersten Stock und betraten die Wohnung, in der mehr leere Bierflaschen als Fliegen existierten.

„Kann man die Tür zu machen?", fragte Lesz.

„Nee, das Schloss is' im Arsch. Wieso willst du sie zu machen?"

Lesz drehte sich zu ihm und hob Skorupy ein wenig an, dazu zog er die Augenbrauen hoch.

„Scheiße, was ist das denn?", lachte Leo. Er streckte die Hand aus, aber Lesz drehte sich beschützend zur Seite.

„Das ist 'ne Katze und ich brauche einen Ort, an dem ich sie lassen kann", sagte er ernst.

„Hey, ich kann gut mit Tieren, okay? Wir haben sechs Katzen Zuhause."

Jannis saß auf der Couch und drehte sich eine Zigarette. Mit seinem Feuerzeug steckte er sie an und hielt Leos Tabak weiterhin in der Hand.

„Das interessiert mich 'n Scheiß, schön für deine Katzen. Sie will jetzt hier raus und sie braucht Wasser und Futter und einen Ort, an dem sie schlafen kann. Kannst du mir da weiterhelfen oder hab ich umsonst eine Stunde auf dich gewartet?"

Jannis sah auf. Noch nie hatte er diesen Tonfall bei Lesz gehört. Noch nie diese Schärfe in seinem Blick gesehen.

Leo schien für einen Moment sprachlos.

„Oben war auch noch 'ne offene Wohnung, aber ich glaube da wohnt jemand", warf Jannis ein. „Also da ist 'ne Matratze und eine Topfpflanze und eine Flasche Eistee gewesen."

Lesz wandte ihm den Blick zu.

„Und? Da lass ich sie bestimmt nicht."

„Vielleicht können wir noch irgendeine andere Wohnung öffnen?", schlug Jannis vor und schaute zu Leo.

„Kein Problem", sagte der. Er warf Leszek einen Blick zu, dann verließ er die Wohnung wieder und trat an die Nachbartür. Jannis stand auf und lehnte sich mit der Zigarette in der Hand gegen den Türrahmen, während Leo in die Hocke ging. Er betrachtete das Schloss, ehe er seine Dietriche positionierte und sie hin und her bewegte.

Lesz setzte sich und hielt Skorupy auf seinem Schoß fest. Sie zappelte und miaute, seine beruhigenden Berührungen schienen sie nicht zu interessieren.

„Dauert das noch lange?", fragte er.

„Ich mach ja schon", gab Leo zurück. Er saugte seine Unterlippe in seinen Mund und presste die Zähne dann konzentriert aufeinander.

Jannis rauchte auf, dann versuchte er sich an einer weiteren Zigarette. Welches Utensil er am besten in welche Hand nahm, hatte er inzwischen raus. Den Filter steckte er sich in den Mundwinkel, das Blättchen hielt er am Decke der aufgeklappten Tabakpackung fest. Dann hatte er die rechte Hand frei, um den Tabak ins Blättchen zu streuen, den Filter dazuzulegen und zu guter Letzt alles zu rollen und zu verschließen.

„Willst du?", fragte er und drehte sich, um Lesz die Zigarette hinzuhalten.

„Ne", erwiderte der und warf Jannis einen genervten Blick zu.

Jannis drehte sich wieder nach vorne und hielt Leo die Zigarette hin.

„Gib sie mir", sagte der und öffnete den Mund ohne den Blick von dem Schloss abzuwenden. Die Hände hielt er still.

Jannis stieß sich von der Wand ab und beugte sich vor. Er schob Leo die Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie ihm dann an. Leo paffte den ersten Zug.

„Danke", sagte er und bewegte die Dietriche wieder im Schloss.

Eine Minute später war ein Klacken zu hören, dann schob Leo grinsend die Wohnungstür auf.

„Je vous en prie, les monsieurs", grinste er und richtete sich auf.

Lesz seufzte und hob Skorupy auf seine Arme.

„Ciężki frajer", murmelte er, schob sich an Jannis vorbei und ging an Leo vorbei in die aufgebrochene Wohnung. Leo verneigte sich spöttisch.

„Hab ich doch gern gemacht", sagte er mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme.

In der Wohnung gab es eigentlich nichts. Sie war komplett leergeräumt, nur einige Kabel hingen aus der Wand und ein paar eingeschlagene Nägel waren noch vorhanden, an denen wohl mal Gemälde gehangen hatten. Lesz beschloss die erste Nacht zusammen mit Skorupy dort zu verbringen und Jannis leistete ihm Gesellschaft. Leo verzog sich recht schnell wieder, dafür riefen sie Marti an, der zwei Schüsseln, frisches Wasser und eine Wolldecke mitbrachte.

Lesz fütterte sie aus den Dosen, die er in den wenigen Stunden, in denen das Kätzchen in seinem Zimmer Zuhause gewesen war, gekauft hatte. Aus der Decke baute er ihr ein Bettchen, in das sie sich einkuscheln und verkriechen konnte.

Die drei Jungs verquatschten die halbe Nacht und schliefen irgendwann gegen die Wand und aneinander gelehnt in der leeren Wohnung.





______________________________

Je vous en prie, les monsieurs – Bitte sehr, die Herren!

Ciężki frajer – Vollidiot

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top