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„Halt das Pape so", flüsterte Leo und führte Jannis unter dem Tisch des Chemieraums vor, wie er das dünne Papier in den Fingern seiner rechten Hand hielt. „Du lässt hier vorne Platz für den Filter und streust hier dann den Tabak rein." Er griff in den Tabakbeutel auf seinem Schoß und krümelte den Tabak in das Pape. „Siehst du? Dann den Filter rein" – er drückte einen aus der Plastikpackung und legte ihn in die passgenaue freie Fläche am linken Rand des Papes – „drehen" – er rollte das Papier zwischen seinen beiden Fingern auf und ab – „anlecken und zumachen." Er leckte über die Seite mit dem Klebestreifen, rollte die Zigarette zusammen und klopfte sie dann kurz mit dem Filter nach unten auf den Tisch. „Fertig."
Jannis nickte. Er warf einen kurzen Blick nach vorne, wo ihr Lehrer gerade irgendwas mit dem Bunsenbrenner machte, und zog dann ein neues Pape aus der Pappverpackung und hielt es zwischen den Fingern, wie Leo es ihm gezeigt hatte. Er griff in den Tabakbeutel und streute einen ganzen Haufen davon in sein Pape. Nahm wieder einige Krümel weg und stopfte sie in den Tabakbeutel zurück.
Leo nickte.
Jannis schob den Tabak zurecht, sodass ein kleines Stück am linken Rand frei war und Leo reichte ihm einen Filter. Jannis passte ihn ein, dann drehte er das Pape zwischen den Fingern hoch und runter, leckte den Klebestreifen an und verschloss die Zigarette. Sie war ein wenig krumm, aber Jannis rollte sie zwischen seinen Händen und klopfte sie dann mit dem Filter nach unten auf den Tisch.
Grinsend präsentierte er sie Leo, der sie entgegennahm und mit wichtigem Blick genau inspizierte.
„Ja", sagte er mit verstellter Stimme und zog ein Monokel aus der Tasche seiner ausgefransten und mit Patches benähten Weste. Er klemmte es sich vor sein rechtes Auge und beäugte die Zigarette noch ein wenig genauer. „Ja, keine schlechte Technik. Kreativer Einsatz, das gefällt mir." Er klang ein wenig als sei er stark verschnupft.
Jannis kaute grinsend auf seiner Unterlippe herum, um nicht in lautstarkes Lachen auszubrechen.
„Doch, ein Naturtalent."
Leo schaute Jannis durch sein Monokel an und spitzte die Lippen, sodass er Ähnlichkeit mit einer Ratte bekam. Er hob eine Augenbraue.
„Ich weiß gar nicht, was daran so lustig ist", näselte er.
Jannis brach augenblicklich in lautes Lachen aus. Der Großteil seiner Klassenkameraden drehte sich zu den beiden um und auch Herr Weiss blickte von seinem Experiment hoch.
„Jannis, Leopold", sprach er die beiden Jungs in der letzten Reihe an.
Leopold drehte seinen Kopf wieder nach vorn, das Monokel klemmte noch vor seinem Auge.
„Ja, bitte?", näselte er ohne etwas an seinem Rattengesicht zu ändern.
Jannis brüllte vor Lachen und hieb mit der Faust auf den Tisch, ehe er sich durchs Gesicht wischte. Einzelne Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln.
„Ihr könnt gerne vor der Tür weiter lachen", sagte der Lehrer.
Leo schaute Jannis an, dann sah er wieder nach vorne.
„Gerne", nahm der das Angebot an und packte seinen Zigarettenbaukasten zusammen, ehe er den Stuhl zurückschob und seine antike Schultasche unter dem Tisch hervorholte.
Jannis klappte lachend seinen Collegeblock zu und warf seinen Kuli in den Rucksack, den Block stopfte er hinterher.
Leo behielt das Monokel auf, während sie durch die Tischreihen nach vorne schritten. Er starrte Herr Weiss einen Moment lang an, dann folgte er Jannis lachend durch die Tür auf den Gang.
Die beiden durchquerten die leeren Gänge und verließen das Gebäude durch die Hintertür. Quer über den Schulhof erreichten sie die Ecke zwischen Zaun und Pausenhalle, die dank der tiefhängenden Äste einiger Bäume immer im Schatten lag. Eine Bank stand am Zaun, auf die die beiden sich setzten.
Leo holte seinen Tabakbeutel aus der Tasche seiner Weste und öffnete ihn.
„Bist du gespannt?", fragte er und reichte Jannis seine erste selbst gedrehte Zigarette.
„Ziemlich", grinste der und nahm sie entgegen. Aus seiner Hosentasche holte er ein Feuerzeug hervor, steckte sich die Kippe zwischen die Lippen und zündete sie an.
Leo beobachtete seinen ersten Zug und hob dann die Augenbrauen an.
„Und?"
Jannis pustete den Rauch wieder aus und nickte, dann streckte er die Zunge raus und pflückte sich ein wenig Tabak runter.
„Der Filter sitzt glaube ich etwas locker", grinste er und schob ihn wieder an seinen Platz im Papier.
„Die nächste wird besser", meinte Leo und holte eine Streichholzpackung aus der Innentasche seiner Weste, die mit pinkem Samt ausgekleidet war. Er ratsche eines an der Seite der Packung entlang und steckte sich seine eigene Zigarette zwischen die Lippen, nachdem es aufgeflammt war. Mit einer eleganten Geste zündete er sie an, paffte zweimal und inhalierte dann den Rauch.
„Das erste Mal, dass ich in Chemie was gelernt habe", grinste Jannis mit Blick auf die Kippe zwischen seinen Fingern. Er klopfte obendrauf und die Asche fiel zu Boden.
„Da bist du mir weit voraus", grinste Leo und lehnte sich gegen den Zaun.
„Auch, wenn's nur Kippen drehen ist?"
„Auch, wenn's nur Kippen drehen ist."
Sie entschieden sich dagegen in den Unterricht zurückzugehen und blieben unter den Bäumen sitzen, bis es zur großen Pause klingelte. Herr Weiss hatte gesagt sie sollten draußen weiterlachen – er hatte nicht gesagt wo draußen. Draußen war groß.
Nach und nach strömten die Schüler auf den Hof, auch unter den Bäumen wurde es voller. Auch Marcel und seine Freunde Can und Levent versammelten sich unweit von Leo und Jannis.
Leo spuckte in ihre Richtung auf den Boden, als er sie erblickte.
„Was, du scheiß Punk?", kam die prompte Reaktion von Levent. Er streckte die Arme aus und schwellte die Brust, zwischen seinen Fingern brannte eine Zigarette. Keine gedrehte, eine gekaufte.
„Verpiss dich mal hier", forderte Leo ihn auf. Er stand auf, als Levent noch einen Schritt an ihn herantrat. Seine Freunde positionierten sich hinter ihm, während Jannis sitzen blieb und das Spektakel betrachtete.
„Das hier ist'n freies Land, scheiß Nazi", erwiderte Levent und spuckte auf dieselbe Stelle, die Leo zuvor getroffen hatte.
„Glaubst du echt ich hab was gegen dich weil du Türke bist?", fragte Leo und hob die Augenbrauen.
„Klar, dein Punkgetue ist nur Fassade. Nimm dich bloß vor dem in Acht", wandte Levent sich an Jannis.
„Mach ich", erwiderte Jannis und schaute über Cans Schulter auf den Schulhof.
„Ich hab was gegen dich weil du ein Vollidiot bist", erwiderte Leo und spuckte wieder zwischen sie beide auf den Boden.
„Ach ja?" Levent machte einen drohenden Satz auf Leo zu, der tat es ihm gleich. Dann standen sie einander sehr nah gegenüber und starrten sich feindselig an, während Jannis aufstand und an einem Baum und der Gruppe vorbei ging.
„Wie war Chemie noch?", fragte er mit einem Grinsen auf den Lippen das Dreiergrüppchen, das auf ihn zukam.
„Was war das für 'ne Aktion vorhin?", lachte Leszek.
„Ich hab nur versucht was für's Leben zu lernen", grinste Jannis.
Die vier blieben einander gegenüber stehen, während Leo sich im Hintergrund weiter mit Levent stritt.
„In Chemie?", fragte Vroni grinsend nach.
Jannis nickte.
„Ja. In Chemie."
„Und das hat dich so glücklich gemacht, dass du lauthals lachen musstest?", fragte sie weiter.
Jannis setzte eine besserwisserische Miene auf und nickte, dann lachte er wieder.
„Ne, aber habt ihr mal Leos Monokel gesehen? Echt geil das Teil!"
„Wo wir gerade bei Leo sind", sagte Marti. „Braucht er Hilfe?" Er nickte in Richtung der Bank.
Jannis drehte sich kurz um und schüttelte den Kopf.
„Das sind nur die Typen aus seiner alten Stufe, die haben irgendwie eine komische Beziehung zueinander", erklärte er und zuckte mit den Schultern.
Marti schaute nochmal an ihm vorbei und zuckte dann mit den Schultern.
„Wenn du das sagst."
„Was hast du denn nun so Tolles gelernt?", fragte Vroni nach. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und blickte neugierig in Jannis' Gesicht.
„Leo hat mir beigebracht wie man Zigaretten dreht", sagte er. „Warte, ich zeig's euch." Er lief einen Schritt rückwärts und drehte sich dann um. Leo und Levent starrten einander mit zusammengekniffenen Augen an, jeder von ihnen bereit anzugreifen. „Kann ich noch mal eben deinen Tabak?", fragte Jannis Leo und schaute Levent kurz ins Gesicht.
Niemand beachtete ihn.
Dann bewegte Leo seine Hand und griff langsam in seine Tasche, als wäre er ein Cowboy und würde sein Colt ziehen wollen.
Levent ging ein wenig mehr in die Knie.
Leo reichte Jannis den Tabak, der bedankte sich und winkte seine Freunde zu der Bank rüber.
„Also, pass auf", sagte er zu Vroni, die sich ihm gegenüber setzte, ein Bein auf der Bank, eins auf dem Boden. Er zupfte ein Blättchen aus der Pappverpackung und erklärte Vroni mit bildhaften Beispielen, was Leo ihm vorhin gezeigt hatte.
Der Filter fiel aus der Zigarette, als sie fertig war und Jannis öffnete sie nochmal und probierte es mit einem neuen Blättchen nochmal. Schwieg diesmal, legte seine ganze Konzentration ins Drehen.
Beim zweiten Mal wurde es besser. Die vier rauchten die Zigarette, während Leo und Levent sich inzwischen beleidigten, da entschärfte die Pausenglocke die Situation.
„Das hier ist noch nicht vorbei", zischte Leo und spuckte zwischen sich und Levent auf den Boden.
„Ist es nicht", erwiderte der und tat es ihm gleich.
Leo spuckte erneut.
Dann wieder Levent.
Jannis wandte sich grinsend ab und legte seinen Arm um Leszek.
„Lasst uns reingehen", sagte er und die vier setzten sich in Bewegung.
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