mutig sein oder doch Fehler zulassen
„Ja, hey. Schön dich zu sehen", sagt er freundlich und kratzt sich mit der Hand am Kopf. Wir hatten zwar bisher nett miteinander geschrieben, aber es wirkt auf mich so surreal, ihn hier jetzt zu sehen.
„Ja, finde ich auch", gebe ich irritiert aber doch erfreut zurück. Eigentlich wollte ich ihn sowieso gerne wiedersehen, also freue ich mich über diesen Zufall. Wir können einfach miteinander reden, ohne uns zwanghaft zu verabreden.
„Wie geht's dir?" Fragt er mich gerade echt im Club wie es mir geht? Meine Verwunderung kommt nicht daher, dass er überhaupt fragt, sondern, dass er es wirklich ernst meint. Ich habe so oft schon gespielte Besorgnis entgegengebracht bekommen, ich weiß auch wie es sich in diesen seltenen Momenten anfühlt, wenn es ernst gemeint ist. Seit Monaten hat mich das keiner mehr gefragt. Auch wenn man es mir ansehen konnte, hätte ich mich über die Frage gefreut.
„Gut, und dir?" Ich bin noch nicht so weit, dass ich von meinem vorgetäuschten Glück loslassen kann. Zumindest sind die anderen schon gegangen. Dann würde unser Gespräch keiner mitbekommen. Alex nickt bescheiden und ich werde nervös, jetzt da unser Smalltalk ein Ende hat. Ich könnte ihn fragen, ob er was trinken möchte. Ja, wieso eigentlich nicht? Sei mutig, Lu.
„Der Typ, der bei dir war", wechselt Alex dann doch das Thema und ich sehe ihn überrascht an, „Der sieht mir nicht nach einem aus, der es gut meint." Die Tatsache, dass mein Unterbewusstsein zustimmt verärgert mich, schafft mir aber immer mehr Raum für Mut. Vielleicht sollte ich den Tatsachen einfach entgegentreten.
Hier steht jemand, mit dem ich schon lange Zeit verbringen wollte und der, mit dem ich hier sein sollte, hat mich zurückgelassen. Klar kann ich ihnen einfach folgen, aber darum geht es nicht. Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Inhaltlich kann ich seine Aussage wohl einfach so stehen lassen.
Wir blicken uns geühlte Minuten lang an, wahrscheinlich sind es nur Sekunden. Gott, der gleiche Blick wie damals. Die gleiche Hand an meiner Taille, die damals auf meinem Knie lag. Ich sollte mich umdrehen und gehen, aber ich kann nicht. Ich lasse den Gedanken an das was hätte sein können zu und lächle leicht, als sich unsere Gesichter immer näher kommen. Ist das der Mut, der mir gefehlt hat?
Nein, das ist moralisch verwerflich. Aber wieso lasse ich mich dann in seine Arme ziehen und erwidere seinen Kuss? Ich wollte das damals so sehr und es ist genau wie ich es mir vorgestellt hatte. Sonst ist die Realität nur selten so gut wie die Vorstellung. Solange jedenfalls bis sich Alex löst. Ich bin mir meiner Umgebung in diesem Moment gar nicht mehr bewusst. Ja, die Musik ist laut und es laufen viele betrunkene Menschen umher, aber ich hab nur noch einen vor Augen und im Kopf.
„Über das was damals zwischen uns in der Bar war hast du dich nicht getäuscht. Ich wollte dich. Ich wollte nur auch nichts wagen und dich dann nie wieder sehen", knüpft Alex an unserem Chat an und ich erwidere seinen Blick sanft. Ich habe mich nicht getäuscht. Er wollte das genauso sehr wie ich. Er hat diese Spannung auch gespürt. Das allein reicht mir, um mich sicher zu fühlen. Zu wissen und zu spüren, dass mein Gegenüber das gleiche Interesse an mir hat wie ich an ihm.
„Wieso warst du damals so unsympathisch? Wenn das Alter jetzt keine Rolle spielt, wieso damals? Ich.. Mittlerweile ist da jemand-", druckse ich umher, unsicher, was dann passieren würde. Ich wünschte ich müsste ihm das nicht sagen, aber so weit reicht mein Gewissen noch, ihn nicht unfreiwillig in diesen Fehler reinzuziehen. Hannah hatte Recht. Heute bin ich so mutig, einen Fehler zu begehen und danach dafür geradezustehen.
„Das hat es damals genauso wenig. Ich habe angenommen, dass wir uns danach sowieso nie wieder sehen würden und ja, das Alter spielt in diesem Punkt schon einen Unterschied, aber nicht den entscheidenden. Aber jetzt.. Ich hab euch gesehen, dich und den Typen. Das sah mir nicht sonderlich bedeutsam aus."
Ist es auch nicht, will ich am liebsten antworten. Stattdessen mustere ich sein Gesicht für einen Moment und sehe genau das was ich sehen muss. Leidenschaft, Interesse, Aufrichtigkeit. Er hat Recht. Damals wäre ein Treffen wohl unwahrscheinlich gewesen. Jetzt bietet sich uns endlich die Gelegenheit.
„Kommst du mit zu mir?", frage ich ohne weiter nachzudenken, ob das eine sinnvolle Idee ist oder nicht. Seit ich ihn gesehen habe und wir uns nahe gekommen sind, will ich nichts anderes als ihm zumindest näher zu kommen. Und wenn es nur für eine Nacht ist, auch okay. Ja, auch eine Frau darf mal nur an ihre Bedürfnisse denken. Und für mich war dieser Moment gekommen.
Den Gedanken einen Fehler zu machen, lasse ich im Club zurück, als Alex und ich gehen und in ein Taxi steigen. Ich bin nur froh, dass Hannah noch weiter feiern will und sich wohl selbst jemanden suchen wird, so dass wir bei dem was wir tun werden zumindest ungestört bleiben. Sie hat auch kein Problem damit, wenn ich ohne sie gehe und das weiß ich zu schätzen. Mit Hannah ist das Leben frei von irgendwelchen Dramen.
Alex und ich reden auf dem Weg nach Hause viel, im Vergleich zu unserer bisherigen, eher auf Flirts basierenden Beziehung wohl sehr viel. Aber wir scheinen es beide zu genießen und die Flirts und Berührungen bleiben auch nicht aus. Genauso wie es im Skiurlaub schon hätte sein sollen.
„Schöne Wohnung", staunt Alex nicht schlecht, als wir Hannah's und meine Wohnung betreten und er sich umsieht. Die Wohnung ist größer als die von normalen Studenten aber nicht so groß, dass ein besonderer Wohlstand ersichtlich ist. Sie ist genau perfekt für uns. Die Größe der Wohnung ist perfekt, um auch mal Freunde einzuladen und nicht zu groß für uns beide. Damit hatten wir ein riesen Glück. Da wir die Wohnung selbst finanzieren, bin ich auch über den Preis froh.
„Das ist alles Hannah's Werk. Ich habe kein Händchen für Einrichtung", erkläre ich ihm und ziehe ihn mit in die Küche wo ich uns gleich ein neues Getränk mixe. Wenn ich das nicht etwas benebelter angehe, mache ich wohl aus Nervosität einen Rückzieher und das will ich gerade wirklich nicht. Juristisch gesehen halte ich mich dennoch für schuldig aber heute Abend verbanne ich diesen Gedanken in meinen Hinterkopf. Noch ehe wir aber unser erstes Glas geleert haben, küssen wir uns wieder und verlegen das Ganze endlich ins Schlafzimmer.
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