Kapitel 15.2
*Sebu*
Schon seit Stunden saß ich mit Jukka und Riku in ihrem Keller. Ziemlich oft hatten wir die Themen gewechselt und doch waren wir immer wieder bei Siiri gelandet. Ich konnte sie einfach keine Sekunde vergessen. Erschrocken zuckte ich zusammen, als mein Handy in der Hosentasche klingelte und hoffte so sehr, dass es Siiri war, doch es war eine fremde Nummer. Doch die Bilder wurden in Siiri's Wohnung gemacht. Sie zeigten Siiri zusammen mit Carlos. Beim Spielen. Beim Toben. Beim kuscheln und beim Lachen. Dann konnten die Bilder nur von Liisa sein. Aber Siiri machte nicht den Eindruck, als würde sie wissen, dass sie fotografiert wird. Oder war das sogar ihre Idee? Das konnte ich mir allerdings nicht vorstellen. Lächelnd konnte ich meinen Blick nicht von den Fotos abwenden. Sie schien in diesem Moment glücklich zu sein. Frei von sämtlichen Sorgen, die so sehr an ihr nagen.
„Fahr hin zu ihr" meinte Riku, nachdem er ein Blick aufs Handy geworfen hatte.
„Ich kann nicht mehr fahren" murmelte ich betrübt und bereute das eine oder andere Bier.
„Ich kann dich aber fahren. Mein Bier steht seit Stunden unangerührt vor mir" erwiderte er und sah mich fragend an. Sollte ich? Sollte ich es tatsächlich wagen und mich hinfahren lassen? Ich wollte doch einfach nur bei ihr sein. Nickend stand ich auf, steckte das Handy und das Armband wieder ein und taumelte schon minimal hoch zu Riku sein Auto, wo ich auf ihn wartete. Es dauerte nur einen kurzen Moment und schon waren wir auf dem Weg zu ihr.
„Wisst ihr, was mit ihr passiert ist? Was sie so hat werden lassen, wie sie jetzt ist?" fragte ich nun doch, obwohl ich die Antwort gar nicht wissen wollte. Nicht von ihm.
„Jain. Wir kenne sie ja auch erst ein paar Monate und wir sind uns sicher, dass wir nicht mal die halbe Geschichte kennen. Vermutlich sogar nur kleine Bruchstücke. Was wir aber in dieser Zeit herausgefunden haben, ist, dass ihr so viele für uns ganz normale Sachen fremd sind. Sie kennt die Bedeutung von Liebe nicht. Hat sie vermutlich nie selber zu spüren bekommen. Wusste nicht, was Vertrauen ist. Sie weiß, dass wir ihr vertrauen, aber ich bezweifle, dass sie uns vertraut. Freundschaft kannte sie nicht. Erst durch Rafa lernt sie, was das heißt. Zu ihm hat sie einen ähm besonderen Draht. Sie hat in diesen 3 Monaten, seit wir sie jetzt kennen, schon das eine oder andere, teilweise auf schmerzhafte Art und Weise, gelernt. Doch viele Sachen machen ihr Angst und sie verschließt sich. Sie versteht so vieles nicht, was für uns so normal ist" versuchte er mir zu erklären. Wie kann es sein, dass jemand noch nie geliebt wurde? Eltern, Geschwister, Freunde, Verwandte. Jeder liebt doch.
„Ich hab Angst. Du weißt, ich liebe mein Leben. Was, wenn sich nun alles ändert?" meinte ich ehrlich zu ihm und wünschte mir in diesem Moment, dass er umdrehen würde.
„Veränderungen gehören zum Leben dazu. Nicht jeder kannst du ausweichen. Und Siiri ist so anders, als alle anderen Frauen. Anders, als deine Ex-Frau. Sie ist dir in vielen Sachen ähnlich. Auch sie liebt ihre Freiheit. Ihre Unabhängigkeit. Sie ist keine von diesen Frauen, die den ganzen Tag Zuhause sitzen und ihren Männern das Leben zur Hölle machen. Ich kann nicht abstreiten, dass es schwierig wird. Vermutlich auch den einen oder anderen innerlichen Kampf mit sich bringen wird. Doch wenn du es nicht versuchst, wirst du es eines Tages bereuen. Und im Grunde weißt du das auch" bog er in ihre Straße ein und parkte vor dem Haus. Ich wusste, dass er Recht hatte.
„Kommst du mit hoch...?" fragte ich und musste ehrlich gestehen, dass ich nun doch etwas Schiss hatte. Nickend stiegen wir aus und da unten die Tür auf war, fuhren wir hoch. Vor ihrer Tür lag ein Paket, doch ich sah keine Karte, auf der man hätte schauen können, von wem das war. Doch es stand Siiris Name darauf. Während ich noch mit mir kämpfte, ob ich wirklich klingeln sollte, nahm er mir die Entscheidung ab, indem er es einfach tat. Ich war doch noch gar nicht so weit. Wütend funkelte ich ihn an, während er nur leise lachte. Siiri öffnete uns, mit Carlos auf dem Arm, die Tür und schaute mich mit großen Augen an, als ob sie einen Geist gesehen hätte.
„Siehst du Siiri. Ich habe es dir gesagt" sah ich Liisa auf der Couch grinsen und fragte mich, um was es ging. Hatten sie wirklich über mich gesprochen? Sie trat zur Seite und ließ Riku und mich ein. Er setzte sich zu Liisa, legte das Paket auf den Tisch und beide schauten uns abwartend an. Vielleicht hätte er doch unten warten sollen. Siiri und ich standen uns eine ganze Weile schweigend gegenüber und irgendwie war alles, was eben noch in meinem Kopf herum geschwirrt ist, weg.
„Hi" murmelte sie eine halbe Ewigkeit später und noch immer schauten wir uns einfach nur an.
„Hi... War grad in der Nähe... Dachte, ich schau mal vorbei" probierte ich es mit ihren Worten von vor zwei Tagen und sie schien es erkannt zu haben, denn kurz grinste sie mich schief an, „Ich hab eine Kleinigkeit für dich. Magst du mir mal deinen Arm geben". Zögerlich streckte sie mir ihren Arm entgegen und ich schob an ihrem Ärmel den Pullover etwas hoch. Danach legte ich ihr das silberne Armband um und erklärte es ihr genauso, wie den Jungs vorhin. Eine Weile schaute sie das Armband an und man sah deutlich, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Auch die Panik stand ihr wieder deutlich in den Augen, dass schien auch Carlos zu merken, denn er mauzte leise, doch davon nahm sie gar keine Notiz. Warum sagte sie es nicht? War es zu früh? Habe ich etwas Falsches gesagt? War es eine blöde Idee? Ganz bestimmt war es das. Plötzlich drehte sie sich um und verschwand ohne ein Wort ins Bad, bevor ich reagieren konnte. Verzweifelt sah ich Riku an, als ob er jetzt irgendetwas daran ändern könnte. Doch er stand nur auf, zog mich mit auf dem Balkon und verteilte Zigaretten, während Liisa ihr Glück an der Badezimmertür versuchte. Es dauerte eine Weile, bis diese geöffnet wurde und in der Hoffnung, dass Siiri rauskam, drehte ich mich um, doch stattdessen ging Liisa rein und die Tür wurde wieder geschlossen.
„Verdammte Scheiße. Dass war ein Fehler. Es war zu früh. Viel zu früh" fluchend und verzweifelt zog ich gierig den Qualm der Zigarette ein. Ich hätte nicht herkommen dürfen. Es war ein Fehler. Nun habe ich alles kaputt gemacht. Noch bevor es überhaupt richtig angefangen hat.
„Nun macht dich doch nicht verrückt und warte einfach ab. Normalerweise wäre sie fluchtartig aus der Wohnung abgehauen, doch sie ist nur ins Bad. Ich deute das als gutes Zeichen. Vertrau mir" versuchte Riku mich zu beruhigen und ich hoffte, er würde Recht behalten.
„Wie meinst du das? Aus der Wohnung abgehauen?"
„Nun ja. Sie flieht vor allem, was sie nicht kennt. Was ihr Angst macht. Was sie nicht zuordnen kann. Oder was sie einfach überfordert. Sie nimmt dann einfach reiß aus... Vielleicht schafft es Liisa, an sie heran zukommen" erwiderte er. Ich konnte nur noch schwach nicken. Besonders groß war meine Hoffnung nicht. Ganz im Gegenteil, sie ist noch tiefer als meine Parkgarage ist. Würde sie mich gleich auf nimmer wiedersehen rausschmeißen? Sich wieder in ihre Panik verkriechen? Warum versuchte sie nicht wenigstens mit mir zu reden? Ich würde ihr doch so gerne helfen wollen. Ihr einfach zeigen, dass ich für sie da bin. Immer. Egal, um was es geht. Vertraute sie mir denn überhaupt nicht?
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