◀ Kapitel 19 ▶

◀ Kapitel 19 ▶

Annie Irwin, Supreme Five HQ, 16.59 Uhr, 365 Tage nach Thanos

Ich weiche einem weiteren Schlag von Amadeus aus und rolle mich elegant aus seiner Reichweite. Mit einem sanften Schlag liegt er auf der Matte und sieht frustriert zu mir hoch. Wie oft hatte ich diesen Blick in der letzten Zeit schon gesehen?

„Das war schon viel besser als die letzten Male!", freue ich mich und helfe ihm dann auf.

„Können wir bitte für heute aufhören? Ich kann nicht mehr.", bittet Cho mich, als er wieder steht und ich nicke. Seine Stimme klingt sehr außer Atem und ich kann mir vorstellen, dass er geschafft sein muss. Immerhin sind wir mittlerweile seit beinahe fünf Stunden am Trainieren und ich hatte ihm nicht wirklich die Gelegenheit gelassen, eine längere Pause zu machen, als diese, die er benötigt, um einen Schluck zu trinken oder um auf die Toilette zu gehen.

Doch ich weiß, wie wichtig eine ausreichende Ausdauer in einem Kampf ist und ich weiß auch, dass es wichtig ist diese so früh wie möglich schon zu trainieren. Je eher man mit einem Ausdauertraining beim Kämpfen anfängt, desto schneller kann der Körper sich an den Ausnahmezustand während eines Kampfes gewöhnen.

„Danke!", keucht Cho und ich grinse kurz. Dann hebe ich nur eine Hand und lasse die Matten, mit denen wir den Boden der Trainingshalle ausgelegt hatten, mit einer schnellen Bewegung wieder auf einen Stapel in der Ecke schweben. Cho, der selbst eine Matte in der Hand hat, rollt mit den Augen, als er sieht, dass die weiteren neun Matten, die eben noch auf dem Boden lagen, schon ordentlich aufgestapelt in der Ecke liegen, bevor er mit seiner Matte überhaupt erst an dem Stapel angekommen war. Mit leichten Problemen schiebt er die Matte ganz nach oben auf den Stapel und dreht sich dann wieder zu mir um, während ich gerade meine Haare aus meinem Zopf befreie, den ich für das Training gemacht hatte.

„Annie?", fragt Cho dann noch um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich sehe ihn fragend an.

„Ich würde dich gerne zum Essen einladen.", meint er und ich sehe ihn überrascht an.

„Wie komme ich denn zu der Ehre?", frage ich. Cho zögert. Ich sehe, dass er etwas im Kopf hat, dass mir sicherlich nicht gefallen würde und da ich weiß, welchen Tag wir heute haben, ahne ich, was der Anlass seiner Einladung ist.

„Na ja, es ist ja jetzt genau ein Jahr her...", nuschelt Cho und bestätigt meinen Verdacht somit sofort. Ich wusste es. Er hatte es nicht vergessen. Seit ich heute Morgen aufgewacht war, hatte ich eigentlich gehofft, dass Cho es vergessen hat und mich nicht drauf anspricht. Ich zögere und obwohl alles in mir danach schreit seine Einladung abzulehnen, weiß ich, dass er sich in den letzten Wochen nichts sehnlicher gewünscht hat, dass ich wieder die Alte werde und wieder die Rolle einer großen Schwester übernehme. Ich weiß, dass er kein Problem damit hatte, mich aufzumuntern und nachdem ich langsam wieder ich selbst wurde, hatte sich unser Verhältnis auch noch mehr verbessert. Doch ich weiß auch, dass Cho in mir die große Schwester sieht, die er nie hatte. Und ich weiß, dass ich das in der letzten Zeit nicht sein konnte. Das hier bin ich ihm also mehr oder weniger schuldig, fürchte ich.

„Na schön, ich gehe mit dir essen. Aber nur, weil du es bist.", grummele ich und laufe gemeinsam mit Cho nach draußen. Wir machen uns auf den Weg zu unseren Zimmern.

„Ich muss vorher aber unbedingt noch duschen...", füge ich anschließend noch hinzu. Cho nickt und schnüffelt vorsichtig an sich selbst. Er verzieht sein Gesicht.

„Oh, das sollte ich auch dringend noch tun..."

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Ich wache auf, als ich einen lauten Schrei höre. Es dauert einen kleinen Moment, bis ich realisiere, dass es mein eigener war. Ich stehe schnell auf und laufe auf den kleinen Balkon vor meinem Zimmer. Innerlich hoffe ich, dass niemand meinen Schrei gehört hat. Vielleicht war es doch keine so gute Idee in das Avengers HQ zu fahren. Cho und ich sind mit meinem Audi zum Essen gefahren und hielten es danach für eine gute Idee den restlichen Abend mit den anderen Avengers zu verbringen. Also habe ich kurzerhand in unseren Gruppenchat geschrieben, wer auch ins HQ kommen will und Steve, Nat und Rhodey haben sofort zugestimmt. Auch, wenn Cho offiziell immer noch kein Avenger ist, wird er von Steve, Nat und Rhodey vollkommen akzeptiert. Ich hatte neulich ein Gespräch mit Steve, in dem er mir mitgeteilt hat, dass er sehr froh ist, dass ich Cho habe. Und er hat Recht damit: Wenn Cho nicht für mich da wäre, dann würde ich momentan wahrscheinlich immer noch deprimiert in meinem Zimmer sitzen.

Die kühle Luft auf dem Balkon jagt mir eine Gänsehaut über meine Arme, doch das stört mich nicht im Geringsten. Ich spüre sie fast gar nicht.

„Was machst du hier draußen?", fragt mich eine sanfte Stimme von der Seite aus plötzlich und ich drehe meinen Kopf nicht, da ich sofort weiß, wer mich dort anspricht.

„Ich hatte einen Albtraum.", gebe ich zu. Es nützt mir nichts, Steve jetzt zu belügen. Denn ich weiß ganz genau, dass er mich so oder so durchschaut.

„Möchtest du drüber reden?", fragt Steve mich sanft und ich sehe zu ihm. Er steht auf seinem eigenen Balkon, der direkt neben meinem ist, und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Er trägt ein schwarzes Tanktop und eine dunkle Jogginghose. Seine Haare sind völlig durcheinander und ich weiß, dass es meine Schuld ist, dass er jetzt wach ist.

„Ich träume immer wieder von dem Tag in Wakanda, weißt du? Ich habe das Gefühl, dass es meine Schuld ist, obwohl mir jeder sagt, dass das nicht stimmt." Ich weiß, dass ich dieses Gespräch hier schon mehrmals mit Steve geführt habe und bin froh, dass er mir nicht wieder erzählt, dass es wirklich nicht meine Schuld ist. Denn er weiß, dass er mir das noch so oft erzählen kann, ich werde mir immer die Schuld an der Sache geben. Ich hatte die Energie eines Infinity-Steines in mir und was hat es uns im Endeffekt gebracht? Rein gar nichts.

„Steve, ich habe so viele Jahrzehnte meine Emotionen unterdrückt und sie einfach nicht zugelassen... und nun sieh mich an. Ich habe beschlossen, dass ich sie zulasse. Ein paar Tage später ist Thanos aufgetaucht und mir geht es so schlecht, wie noch nie." Ich lache spöttisch, denn ich weiß, dass es eine Untertreibung ist zu sagen, dass es mir einfach nur schlecht geht. Doch das weiß Steve nicht und das ist auch gut so. Nicht mal Cho weiß von allem.

„Es ist okay zu trauern.", meint Steve und ich hebe meinen Blick wieder.

„Die Trauer macht mich schwach.", gebe ich nur zurück und sehe, dass Steve mit einer eleganten Bewegung über das Geländer des Balkons klettert und kurz darauf neben mir steht. Er sieht mich sanft an.

„Die Trauer macht dich nicht schwach.", meint er und legt mir einen Arm um die Schulter.

„Ich habe wirklich damit gerechnet, dass du dich anders entwickelst, Annie.", meint er dann noch und ich sehe fragend zu ihm hoch.

„Inwiefern?", möchte ich wissen und Steve schmunzelt.

„Ich habe damit gerechnet, dass du dich auf jeden kleinen Auftrag stürzt und skrupelloser denn je wirst.", gibt er ehrlich zu. Ich schmunzele leicht.

„Wer weiß, vielleicht wäre ich das ja auch, wenn die letzten paar Wochen vor Thanos anders abgelaufen wären.", antworte ich ihm. Mittlerweile spüre ich die Kälte doch sehr und deute nach drinnen.

„Lass uns rein gehen.", füge ich dann noch auffordernd hinzu und Steve und ich gehen in mein Zimmer. Dort setzen wir uns auf mein Bett und ich ziehe die Beine an den Körper.

„Vermisst du ihn?", fragt Steve mich dann und ich sehe ihn fragend an.

„Wen?", frage ich. Mir fallen gerade nämlich eine Menge Leute an, die er meinen könnte. Namor, Stephen, Luke... sogar Peter würde in Frage kommen.

„Tony.", erklärt er nur und ich sehe ihn nachdenklich an.

„Ich weiß es nicht... ich sehe Tony zwischendurch schon, so ist es nicht. Aber ja, irgendwie vermisse ich es, wie es früher war. Ich weiß, dass es nie wieder so werden wird, wie es war.", antworte ich und ich spüre, dass ich traurig werde bei der Erinnerung.

„Weißt du, was ich am meisten vermisse?", lache ich dann leicht und Steve sieht mich auffordernd an, damit ich weiter rede.

„Tony und dich streiten zu sehen, in dem Wissen, dass ihr euch trotzdem liebt wie Brüder." Ich weiche seinem Blick traurig aus, denn ich weiß, dass es nie wieder so sein wird. Allerdings habe ich Tony auch nicht verstanden. Steve hatte mir erzählt, was Tony ihm damals vorgeworfen hatte. Und ich war zuerst sehr wütend auf Tony. Denn wie konnte er wes wagen Steve zu sagen, dass er ihn im Stich gelassen hätte und nicht da gewesen wäre?! Nach allem, was Steve in Wakanda getan hatte?! Doch irgendwann ist diese Wut verflogen, denn ich habe realisiert, dass wir alle überrannt wurden von unseren eigenen Gefühlen. Ich habe jeden Tag aufs Neue das Gefühl, dass meine Emotionen mich völlig erdrücken und kontrollieren. An manchen Tagen ist es schlimmer, an anderen ist es besser. Doch ich weiß, dass auch wieder eine Zeit kommen wird, in der es mir besser gehen wird. Ich werde nie wieder die Annie sein, die ich einst war, doch damit werde ich mich anfreunden. Ich habe schon so vieles in meinem Leben überstanden und ich werde auch dies hier überstehen.

Normalerweise war Namor immer an meiner Seite, wenn es mir schlecht ging und die Tatsache, dass er es jetzt nicht ist, macht mir trotzdem noch mehr zu schaffen, als ich zugeben wollen würde. Verdammt, es würde mir wahrscheinlich nicht mal ansatzweise so schlecht gehen, wenn der Mann, den ich liebe, jetzt an meiner Seite wäre.

„Es ist viel passiert, das ich gerne rückgängig machen würde und ich weiß, dass ich es nicht mehr kann, aber das ist okay... Denn ich weiß, dass es nicht nur mir so geht." Ich lächele bei Steves Worten.

„Lass uns schlafen gehen, Steve...", meine ich dann und er nickt lächelnd. Auch, wenn er wahrscheinlich überrascht von meinem plötzlichen Themenwechsel ist, lässt er es sich nicht anmerken. Ich sehe, dass er sich gerade erheben will und greife nach meinem Handgelenk.

„Kannst du hier bleiben?" Zögerlich sieht er mich an.

„Ich möchte nicht alleine schlafen. Bitte, Steve.", bitte ich ihn und er nickt

„Na schön.", meint er und krabbelt zu mir unter die Decke. Ich lächele leicht. Es tut gut einen besten Freund zu haben, der für dich da ist.



„Annies persönliches Logbuch, Tag 365 nach Thanos... Es ist immer noch schwer zu denken, dass irgendwann mal wieder bessere Zeiten kommen werden, doch ich bin mir sicher, dass sie irgendwann da sein werden... ich hatte eigentlich geplant über Logan und Wanda zu reden. Wanda war eine Zeit lang quasi so etwas wie meine Schülerin und Logan und ich sind – waren echt gute Freunde, obwohl wir uns irgendwann in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Aber ich möchte heute stattdessen einfach nur danke sagen. Danke Steve, dass du momentan mit Cho so eine Stütze für mich bist. Ich weiß, dass wir damals keinen einfachen Start hatten, doch heute würde ich dir mein Leben anvertrauen. Danke, dass du so oft dafür sorgst, dass ich nicht den Verstand verliere. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Eintrag Ende."

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