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Was soll ich sagen? Das Versprechen, das ich mir an diesem Tag gegeben habe, war in etwa so solide wie ein Weinglas, aber damit nehme ich nicht zu viel vorweg.
Der Rest meiner Kindheit spielt in diesem Teil der Geschichte noch keine große Rolle, deshalb möchte ich ihn gerne noch ein bisschen nach hinten verschieben.
Es ist bewundernswert, was ein Paar azurblaue Augen anzustellen vermögen. Als ich sie das erste Mal gesehen habe, war ich mir sicher, lediglich auf Kontaktlinsen zu starren.
Die Begegnung mit Zachary Parsons könnte klischeehafter nicht sein und würde sich im Leben von normalen Leuten niemals so abspielen. Zumindest ist mir noch nie auch nur eine Person begegnet, die die Liebe ihres Lebens auf so bescheuerte Art kennengelernt hat.
Warum sind Klischees überhaupt Klischees, wenn sie im echten Leben oft gar nicht passieren? Oder sind Klischees Dinge, die in der Vergangenheit so oft vorgefallen sind, dass sie einfach irgendwann Klischees genannt wurden?
Wenn ja, dann mussten die Leute vor ein paar Jahrzehnten keine Brillen gehabt haben, sonst wären sie nicht, so wie ich, blind in eine Person hineingelaufen.
Ja, ich bin in Zachary Parsons hineingelaufen. In den Sohn eines unfassbar (erfolg)reichen Geschäftsmannes. Jeder in unserer Kleinstadt kannte Mr. Parsons. Der Mann, der es aus Chelsea rausgeschafft, ein Unternehmen in Kalifornien gegründet, Tochtergesellschaften in diversen Ländern stehen hat und vor ein paar Jahren zurück nach Chelsea gekommen ist, um sich eine riesige Villa bauen zu lassen und uns alle daran zu erinnern, dass er es geschafft hat.
Und wir nicht.
Dementsprechend kannte man auch Zach, seinen Sohn, der mehr als einmal in der Zeitung neben seinem Vater als Der junge Sprössling und Nachfolger betitelt wurde. Auch auf der Opening-Page der Website steht er lächelnd neben seinem Vater. Das weiß ich, weil mein Bruder gemeint hat, dass Zachary Parsons eher auf das Plakat einer Zahnpastareklame gepasst hätte, womit er vielleicht recht hatte. Zach war einfach zu attraktiv, um wahr zu sein.
Und genau in diese Person, die einen Abschluss an der Lawrenceville School -eine der teuersten Elite Schulen in den USA- gemacht hat, bin ich reingerannt. Er hat sich in seinem Leben bestimmt nie Sorgen um Geld machen müssen, im Gegensatz zu mir, die damals zwanzigjährige Anna, die am Ende des Monats sogar schon einmal vor der Frage gestanden ist: „Wie zur Hölle soll ich meine Tampons bezahlen?"
Und um genau dieser Höllenfrage nie wieder begegnen zu müssen, mir nie wieder Geld von meinem Bruder leihen zu müssen und nicht meine ganzen Kleider vollzubluten, habe ich seit einem knappen Jahr im Biscotti&Cie einem der drei „größeren" Cafés gearbeitet. Die Bezahlung war in Ordnung und ich habe die Leute gemocht. Dass ich hier bis an mein Lebensende Montag bis Freitag von neun bis sechzehn Uhr arbeiten, und in dieser Stadt vermutlich auch sterben würde, ohne jemals etwas Aufregendes erlebt zu haben, damit hatte ich mich längst abgefunden.
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Ich war gerade dabei, auf der Terrasse ein paar Tische abzuwischen und die leeren Tellerchen und Tassen auf einem Tablett zu stapeln, um sie in die Küche zu bringen, als der blauäugige Millionärssohn die Straße entlangschlenderte, in gut sitzenden Jeans und einem dunkelblauen Hemd. Die Armbanduhr, die das Licht der Sonne reflektierte und mich blendete, hatte bestimmt so viel gekostet, wie die Einrichtung in unserem Haus.
„Er siehst gut aus", schnurrte Beth sofort. „Zumindest hat er einen guten Kleiderstil."
„Wenn wir einen reichen Unternehmer als Vater hätten, hätten wir auch einen guten Stil", behauptete ich und betrachtete mich in der Fensterfront des Cafés. Weißes Oberteil und schwarze Jeans. Das Standardoutfit, wenn ich im Biscotti&Cie arbeitete. Meine honigblonden Haare hatte ich heute in einem Knoten zusammengebunden, weil es verdammt warm war und sich mein Nacken unter offenen Haaren schon mal zu einem Wasserfall verwandeln konnte.
In der Reflektion der Glasscheibe konnte ich sehen, wie der junge Mann im Café verschwand.
„Du hast einen Tisch vergessen", meinte Beth und ich riss meinen Blick von der zufallenden Türe. „Den da hinten. Mit dem vollen Aschenbecher."
Beth schnappte manchmal Dinge auf, die mir entgingen. Ich schlängelte mich zwischen den Menschen hindurch, zu dem Tisch.
„Hab ich noch was vergessen?"
„Naja, du könntest Mr. Fucking Perfect nach seiner Nummer fragen."
„Mach dich nicht lächerlich", entgegnete ich mild.
Ich konnte förmlich spüren, wie Beth mit den Augen rollte. „Du bist die langweiligste Bitch, der ich je begegnet bin."
„Ich hab dich auch lieb."
„Hör auf, so rumzuschnulzen, und mach dich an die Arbeit!"
„Ich wische doch schon!"
„Ich rede nicht von den Tischen, du Armleuchter!"
Ich seufzte. Beth benahm sich lächerlich. Zachary Parsons hätte nicht einmal aufgesehen, wenn ich ihn angesprochen hätte. Ich war nur die Bedienung. Und davon liefen bei ihm Zuhause bestimmt ein paar Exemplare herum. Ja, er sah gut aus und in einer perfekten Welt wären wir händchenhaltend dem Sonnenuntergang entgegen gelaufen.
„Ich erwarte ja nicht von dir, dass du ihn gleich heiratest", schob Beth noch hinterher. „Aber für ein paar Schuldstündchen ist dieser süße Hintern-"
„Beth!"
Flüchtig sah ich mich um, aber es schien nicht so, als hätte ich diesmal irgendeinen meiner Gedanken an Beth laut ausgesprochen. Meine Gespräche mit ihr hörten sich für viele wie Selbstgespräche an, wenn ich meine Worte aus Versehen laut kundtat, was wohl auch gut so war. Alles, was die Menschen um mich herum über mich dachten, war besser als die Wahrheit.
Ich schnappte das Tablett und machte mich auf den Weg in die Küche, als Beth die mieseste Nummer abzog, die sie hätte abziehen können. Mein Unterbewusstsein sagte mir sogar rechtzeitig, das ich der Person, die einen Frappuccino in der Hand hielt, gleich würde ausweichen müssen, aber Beth machte mir einen Strich durch die Rechnung.
„Pass auf, dein Schuh ist offen!", rief sie. Erschrocken hatte ich an mir herunter gesehen, um nicht über das Band zu stolpern.
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Mir ist zu spät aufgefallen, dass Pumps keine Bänder haben.
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