2. Kapitel

Nach meiner Mittagspause stürze ich mich wieder zurück in die Arbeit und tatsächlich gelingt es mir die Begegnung mit Jeremy für eine Weile zu vergessen.
Später klopft es an meiner Tür. Ich hebe den Blick von Bildschirm meines Laptops und rufe: "Herein."
Die Tür geht auf und meine ältester Bruder Matthew steht auf der Schwelle.
"Warum bist du noch hier, Anna?", fragt er und sieht mich mahnend an.
"Warum? Wie viel Uhr ist es?", frage ich zerstreut und sehe im gleichen Moment auf die kleine Anzeige an meinem Computer.
"Kurz nach acht", erwidert Matt, während mein Gehirn gleichzeitig die Uhrzeit begreift.
Ich stoße hörbar die Luft aus. "Habe wohl die Zeit vergessen."
Matt zieht seinen Autoschlüssel aus der Tasche seines Jacketts. "Komm. Ich fahre dich noch eben nach Hause."
"Das ist nicht nötig. Ich ruf mir ein Taxis", wimmle ich ihn ab, mein Handy schon in der Hand.
Ungeduldig klimpert er mit den Schlüsseln.
"Das ist doch Quatsch. Ich fahre eh fast bei dir vorbei!"
Seufzend gebe ich nach, fahre meinen Laptop runter, tausche meine Hausschuhe unter meinem Schreibtisch gegen Pumps und greife nach meinem Cape.
"Du arbeitest zu viel!", sagt Matt in das Schweigen hinein.
Ich halte in meiner Bewegung inne und werfe ihm einen genervten Blick zu.
"Ich bin erwachsen, Matt und nur zu deiner Information, Vicky hat mir heute auch schon einen Vortrag darüber gehalten", beschwere ich mich.
Er sieht nicht überrascht aus, sondern beinahe betreten. Ich runzle die Stirn. "Warte mal, hat sie dir etwa gesagt, du sollst noch nach mir sehen?", frage ich ungläubig.
"Nicht direkt", weicht Matt aus, "sie macht sich Sorgen um dich!"
"Haltet euch einfach aus meinem Leben raus", fauche ich, "mir geht es gut."
Ich stampfe an ihm vorbei aus dem Büro und haue demonstrativ fest auf den Lichtschalter.
Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken einfach abzuhauen, verwerfe ihn dann aber wieder, als mir aufgeht wie kindisch das wäre.
Während der Fahrt mit dem Aufzug herrscht bitteres Schweigen zwischen uns und auch im Auto bleibt es ruhig.
Nur das leise Summen des Motors ist zu hören. Das, gepaart mit dem Wechsel zwischen hell und dunkel der Außenbeleuchtung, lässt mich in einem sanften Dämmerzustand fallen.

"Anna! Wir sind da." Jemand ruckelt an meiner Schulter.
Ich stöhne genervt und mache nur widerwillig die Augen auf. Es dauert einen Moment bis ich zu ordnen kann wo ich bin. Dann erkenne dich die Fassade des Mehrfamilienhauses indem Pippa und ich uns eine Wohnung teilen.
Müde taste ich im dunklen Wagen nach meiner Handtasche.
"Hier!" Matt hat sie vom Rücksitz geangelt und hält sie mir hin.
"Danke."
Ich greife danach, doch als ich an ihr ziehe lässt Matt sie nicht los. Verwundert hebe ich den Kopf und sehe ihn an.
"Was ist?"
"Du hast Morgen frei", eröffnet er mir gelassen.
Jeder normale Mensch würde jetzt vermutlich glücklich sein, denn egal ob man seinen Beruf mag oder nicht, so ein freier Tag ist immer eine Wohltat.
"Warum das denn?" Der Ton meiner Stimme ist angriffslustig, aber davon lässt Matt sich nicht beirren.
"Weil du mal eine Pause brauchst! Außerdem gibt es morgen eh nicht viel zu tun. Bleib also zu Hause und ruh dich aus", bestimmt er.
"Matt! Ich habe noch lauter Sachen an denen ich arbeiten kann. Ich bin froh über alles was ich diese Woche noch schaffe! Außerdem muss ich mich nicht ausruhen. Dafür habe ich das Wochenende", argumentiere ich dagegen.
"Nur das du das Wochenende nicht als Pause nutzt. Ich will auch gar nicht mit dir diskutieren. Entweder du machst Morgen Pause oder ich schmeiße dich ganz raus."
Mir klappt der Mund auf. "Das würdest du nicht machen!", rufe ich.
"Natürlich! Ich bin der Boss", erinnert er mich gelassen.
Mit einem kräftigen Ruck entreiße ich ihm meine Tasche.
"Du bist ein Idiot!", fauche ich, bevor ich türeknallend aussteige und über den Gehweg zur Haustür stapfe.

Pippa ist noch nicht da. Das merke ich daran, dass es in der Wohnung dunkel ist und ihre Schuhe nicht wie sonst im Flur mitten im Weg liegen.
Die Müdigkeit übermannt mich erneut und ich mache mir nur noch schnell etwas zu essen, bevor ich ins Bett falle.

Mein Wecker klingelt schrill. Ich brauche dringend einen neuen Weckruf, sonst werde ich mein Handy irgendwann an die Wand werfen.
Einigermaßen ausgeschlafen drücke ich den Ton aus und checke stattdessen meine Nachrichten.
Mein Zwillingsbruder Jace hat mir Fotos aus Neuseeland geschickt. Ich klicke sie durch. Es sind alles wunderschöne Motive. Jace ist Fotograph und reist viel um die Welt. Ein wenig beneide ich ihn darum. Letztes Jahr hat er mich mit nach Indien genommen und es war eine der schönsten und aufregendsten Reisen, die ich je erlebt habe.
Außerdem habe ich eine WhatsApp Nachricht von einer unbekannten Nummer.
Ein ungutes Gefühl in der Magengegend und warnt mich vor, als ich die Nachricht öffne.

"Hi Anna,
war schön dich gestern nach so einer langen Zeit wiederzusehen. Können wir uns treffen? Ich würde gerne mit dir reden.
Jeremy"
Mein erster Gedanke ist: "Scheiße."
Mein zweiter: "Verdammt Scheiße!"
Und dann endlich beginne ich klar zu denken. Wie ist dieser Idiot an meine Nummer gekommen? Wie kann er es wagen mich anzuschreiben? Mich treffen zu wollen?
Reden! Er will mit mir reden! Als ob es zwischen uns noch etwas zu sagen gäbe.

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