(Haikyuu!) Ushijima Wakatoshi x Reader
Charakter: Ushijima Wakatoshi
Anime/Manga: Haikyuu!
Taggs: Weihnachten, gebrannte Mandeln, Park, Klassenkameraden
Request von: FoxSinofGreed97
Wörter: 6.307
Geschrieben am: 27.11.2020
Tag der Veröffentlichung: 24.12.2020
Weihnachten mit einem Menschen, den ich versuchte kennen zu lernen
Weiße, pralle Schneeflocken segelten bedächtig vom dunklen Himmel und landeten auf den verschiedensten Untergründen. Einige trafen meine Hände und schmolzen in Sekunden, wobei ich mich ernsthaft fragte, warum sie dies taten, schließlich fühlten sich meine Hände so kalt und tot an, dass ich ihnen keine Wärme zugetraut hätte.
Nun saß ich hier. In der Kälte. Draußen. An Weihnachten.
Schwer seufzte ich und streckte mein ebenso erkaltetes Gesicht Richtung Himmel. Was soll ich jetzt tun?, fragte ich mich das mindestens zehnte Mal in einer Stunde, ohne eine Antwort zu finden.
Ich mochte den Schnee, welcher hauchzart auf mich fiel. Die dazugehörige Kälte allerdings nicht. Hin und wieder wurde mein Körper von Zitteranfällen durchgeschüttelt und meine Nase lief fast unaufhörlich.
Wiedermal musste ich mir klar machen, warum und wie ich hier draußen gelandet war. Kirche. Aber nicht weil der Weihnachtsgottesdienst in der schönen Schneelandschaft gehalten werden sollte, sondern weil es schlicht zu viele wahren, die an diesem heiligen Tag dem Wort Gottes lauschen wollten.
Somit mussten einige zwangsweise den Gottesdienst verlassen und ich war einer der Ersten, wenn es um so eine Aufopferung ging. Nicht, weil ich die christliche Kirche nicht ausstehen konnte oder einfach nicht an Gott glaubte, sondern weil ich an Weihnachten die Letzte war, die älteren Menschen den Platz in einer Kirche vorbehaltene.
Nun stand ich also hier, in einen der vielen Parks in dieser Stadt, darauf wartend, das meine Familie aus dem Gotteshaus herauskommen würde, obwohl der Gottesdienst noch um den Dreh rum zwei Stunden dauern würde.
Was nun?, wollte ich zum unzähligen Mal von meinem verlassenem Ich wissen. Die meisten Freizeitmöglichkeiten war ich schon durch gegangen, doch heute war Heiligabend, nichts, aber auch gar nichts hatte auf und so war ich gezwungen in dieser Kälte irgendeine Beschäftigung zu finden.
Also tat ich das, was mir als nächst Bestes einfiel. Spazieren. Und dies tat ich auch.
Die Bäume und Wiesen waren von einer weißen Schneedecke überdeckt, einige waren ganz und gar in dem flauschig aussehendem Weiß verschwunden.
Kaum ein Mensch war im Park unterwegs und bei den Wenigen, die man doch sah, wusste man augenblicklich, dass es ihnen genau so oder ähnlich ging wie mir. Leute, welche einfach nicht wussten mit sich an Weihnachten anzufangen.
Knirschende Geräusche kamen an mein Ohr, jeder Schritt verursachten sie, ohne dass man sie umgehen könnte. Ich hatte keinen Plan, wo ich hinwollte, ich ging einfach wie ein Schlafwandler umher, das Ziel war egal.
Bald musste ich allerdings feststellen, dass meine Gewohnheit mich schnurstracks zu dem Zentrum des Parks führte. Eingefroren war der Touristenmagnet, der Hauptbrunnen mit seinen romantischen Tatsch, ebenfalls eingehüllt in einer Schneedecke.
Das Wasser des Brunnens war schon Mitte November abgedreht worden, die frühe Trockenlegung ließ sich auf den viel zu plötzlich kommenden Kälteeinbruch zurück führen.
So leer wie nie waren die Bänke, die in einem Kreis um den Brunnen herum gingen und den Besuchern einen perfekten Blick auf das Gebilde gaben. Unberührte Schneeschichten zeugten davon, dass sich in den letzten Stunden keiner für eine Pause auf die Bänke niedergelassen hatte.
Mein Blick fuhr über die leeren Bänke und blieb schließlich bei der hängen, die als einzige einen Besucher einen Platz zum ruhen schenkte.
Auf dem ersten Blick dachte ich, dass es sich bei der Person um einen Heeren handelte, aus irgendeinen Grund schob ich ihn in die Kategorie „Männer ab dreißig bis vierzig."
Beim Näherkommen allerdings bemerkte ich schmerzhaft; ich kenne diese Person. Dort, in der eisigen Kälte, mit einigen Schneeflocken bedeckt und auf einer fast eingeschneiten Bank in der Mitte des Parks saß Ushijima Wakatoshi, eingepackt in einen winterfesten, braunen Mantel, einen schwarzen, schlichten Schal und einer dazugehörigen, ebenfalls schwarzen Mütze.
Fast hätte ich das Ass des Volleyballklubs meiner Schule nicht erkannt. Er hatte mich noch nicht bemerkt, sondern schaute nur wie eingefroren in den Schnee vor sich auf dem Boden.
Wie bestellt und nicht abgeholt, schoss es mir in Gedanken durch den Kopf. Gleichzeitig fragte ich mich, was er hier zu suchen hatte. Es war 13:45, durch die Schneewolken am Himmel so dunkel wie am Abend, einige Straßenlaternen beleuchteten die Wege durch den Park und die Plätze.
Neben jeder zweiten Bank stand so eine Leuchte, zufällig genau neben Ushijima keine. Gewollt?, fragte ich mich.
Da ich nichts besseres zu tun hatte schlenderte ich auf ihn zu. Keine Ahnung, warum ich dies tat, ich tat es einfach. Kurz bevor ich direkt vor dem verloren wirkenden, achtzehn Jahre alten Jungen mit olivbraunen Haaren und Augen stand, bemerkte er mich.
Mit seinem üblichen stoischen Gesichtsausdruck blickte er auf, schaute mir mit seinen klaren Augen direkt in meine. Zu meiner Überraschung blieb er still, äußerte sich nicht einmal gestisch über mein Erscheinen.
Deshalb entschloss ich mich, denn ersten Schritt zu machen. „Hi, ich bin's. Was machst du denn hier?" fragte ich 0815, da ich einfach nicht nachgedacht hatte, bevor ich gesprochen hatte.
Innerlich schämte ich mich schon nach einer Millisekunde für das, was ich gesagt hatte. Nun ja, ändern konnte man es ja eh nicht.
Anstatt einer Antwort bekam ich nur einen abschätzenden Blick, er schien zu überlegen, was ich von ihm wollte.
Also gab ich ihm wieder Starthilfe. „Meine Familie ist in der Kirche, darf ich mich setzten?" Schon wieder hätte ich mich schlagen können.
Sein Blick schien mich zu durchdringen, danach erlöste er mich allerdings. „Klar." antwortete der große Jugendliche gefühlslos, ohne etwas hinzuzufügen.
Mit einem selbst beruhigenden Atemzug wischte ich den dicken Schneeteppich von der Bank und setzte mich mit Sicherheitsabstand neben ihn. Bin ich wirklich so einsam, dass ich mir das antue?
Ushijima und ich hatten nie großen Kontakt gehabt. Zwar waren wir in der selben Klasse, doch viele Wörter oder gar Sätze waren zwischen uns nie gefallen.
Doch ich wusste viel über ihn, zumindest dachte ich das. Schließlich hatte er in unserer Schule, der Shiratorizawa, genug verrückte Fangirls, die ihn unbedingt haben wollten und dementsprechend Aufmerksamkeit auf ihn brachten. Verständlich, schließlich war er ein großer, muskulöser Jugendlicher, der neben seinen guten Aussehen noch das Ass, der beste Spieler und Käptain der Volleyballmannschaft war, welche landesweit ziemlich weit vorne stand.
Er war eher ein stiller Typ, welcher oft ruhig einfach nur im Klassenzimmer saß, seine Antworten und Vorträge allerdings sehr sicher und selbst überzeugt vortrug. Das war es dann auch schon, was ich über ihn wusste.
Und wie geht es jetzt weiter?, fragte ich mich, während ich genau wie Ushijima in den Schnee schaute. Sollte ich ihn ansprechen oder kommt das komisch herüber? Fand er meine Anwesenheit gar unangenehm?
Fragen über Fragen in meinen Kopf. Als ich mir gerade den Kopf über sie zerbrach, sprach urplötzlich der sonst so wortkarge Ushijima zu mir.
„Um deine Frage zu beantworten, ich bin hier, um mir die Zeit zu vertreiben." Kam es über seine Lippen in seiner angenehmen männlichen Stimme.
Genau wie ich, dachte ich mir etwas überrascht etwas von ihm zu hören, gleichzeitig aber glücklich nicht zum schweigen verurteilt zu werden.
„Zeit vertreiben? Was ist mit deiner Familie? Ist die Kirche bei dir auch so vollgestopft, dass du raus musstest?" fragte ich belustigt mit humorvollen Stimme, um die Stimmung zwangsweise aufzuheitern. Allerdings stellte sich dies als großer Fehler heraus.
„Meine Eltern sind geschieden. Mein Vater lebt in Australien und meine Mutter muss heute arbeiten."
Autsch. Wie ein Messer gingen mir seine Worte ins Herz. Bis in die Unendlichkeit bereute ich meine Frage und wünschte mir, sie nicht gestellt zu haben.
Deswegen war er hier so alleine. In der stillen, heiligen Nacht. Ohne jemanden an der Seite. Wie bestellt und nicht abgeholt eben, nur trauriger.
„Tut mir leid, das wusste ich nicht." entschuldigte ich mich sofort in bedrückter Stimme und nahm meine bemitleidenden Augen von Ushijima. Der Schnee hatte schließlich keine Gefühle, die ich unbewusst verletzen könnte.
„Kein Problem." entgegnete der Volleyballspieler schlicht, ohne auch nur einen Augenblick von dem Boden aufzuschauen.
Die unangenehme Stille breitete sich wieder über uns aus, wie eine Nebelglocke. Was tue ich hier eigentlich? Um irgendwie mehr Wärme zu bekommen kuschelte ich mich ein bisschen tiefer in meine Jacke und zog meine Mütze weiter über meine kalten Ohren.
Den blauen Schal meiner Mutter drückte ich an meinen Hals, ohne zu erwarten, dass dies etwas bringen würde, ein Versuch war es jedoch wert. Soll ich etwas sagen? Ein Thema anfangen? So als Klassenkameraden?
„Ähm..." fing ich an, verlor allerdings die Kreativität einen Satz auszudenken unmittelbar danach. Jetzt einfach nichts zu sagen wäre unangenehm und peinlich, weshalb ich einfach das nächst Beste sagte, was mir in der Hektik einfiel.
„Wie läuft es denn im Volleyballklub?" erkundigte ich mich unscheinbar. Ushijima antwortete schon das zweite Mal nicht so schnell, ließ sich die Frage durch den Kopf gehen oder hatte schier keine Lust, meine blöde, aus dem Land wo der Pfeffer wächst hergezogenen Frage zu beantworten.
Verständlich. Die Tatsache dass er selbst kein Gesprächsthema aussprach, verständlich. Dass er nicht mit mir reden wollte, verständlich. Würde ich auch, wenn plötzlich eine Person vor mir auftauchen würde, die ich nur vom sehen kenne und sie sich neben mich setzt. Irgendwie ähnlich mit den Begegnungen von Müttern in Einkaufläden. Sie kennen sich nicht wirklich, labern aber trotzdem.
Genauso fühlte ich mich auch. Aber gleichzeitig auch nicht. Denn Ushijima war seit zwei Jahren mein Klassenkamerad und zum Reden war um Gottes Willen niemand gezwungen. Wir mussten uns auch nicht anlächeln und von uns erzählen, zum Beispiel wie es uns und unseren Familie ging. Wenn man es so sah, war es eine entspannte Station, welche ich mir nur angespannt mache.
Und das Letzte was ich jetzt fragen wollte, war wie es seiner Familie so ging, so wie es Eltern in den ersten Sätzen ihres Gespräches fragten.
Er tat mir tief im Herzen leid. Weihnachten mit niemanden, das war schon hart. Ob ich etwas dagegen tun kann?, fragte ich mich mit guten Willen.
Hilft es denn, nur hier zu sitzen und mit ihm zu reden? Theoretisch schon, aber fühlt er sich dadurch nicht vielleicht noch schlechter?
„Gut. Wir haben das Winterturnier gewonnen und bereiten uns schon für den Frühling vor." Knapp und ohne große Emotionen, wie ich es erwartet hatte.
„Schon für den Frühling? Wow, dabei dauert das noch so lange. Ihr müsst wirklich total hinter eurem Sport stehen." meinte ich mit lieblicher Stimme und hoffte, ihn durch ein lockeres Gespräch etwas aufzumuntern.
Erneute Stille. Unruhig fragte ich mich, ob er durch sein Schweigen das Gespräch beenden will und plante voraus, was ich gleich hinzufügen kann, damit er weiter ins Gespräch kommt.
Der Braunhaarige drehte seinen Kopf zu mir, schaute statt der weißen Pracht nun mich an, nur unangenehmer, durchdringlicher.
„Du musst nicht zwanghaft ein Gespräch anfangen, um mich zu trösten." teilte er mir mit. Schuldig starrte ich ihn an, fühlte mich noch schlechter als zu vor.
Aber was nun? Einfach aufstehen und gehen war keine Option. Allerdings wollte ich ihn nicht unnötig kränken, indem ich seine versteckte Bitte einfach ignorierte und weiter redete. Wahrheit oder Lüge.
Ich schaute in den Himmel. Die Schneeflocken waren dicker geworden und die Kälte klirrender. Und ich erinnerte mich. Daran, was heute für ein Tag war. Weihnachten.
Ohne einen weiteren Gedanken entschloss ich mich für die Wahrheit.
„Entschuldigung. Ich wollte dich nicht verletzten oder so. Es ist nur...es ist bestimmt hart an diesem Tag alleine zu sein und ich... ." Noch bevor ich den Satz beendete verstummte ich. Es war eh alles gesagt.
Seine Olivbraunen Augen schauten mich an. Mein Mund war wüsten-trocken und hatte etwas ungewohntes an sich.
„Es ist okay, kein Grund dich zu entschuldigen." sprach er abwesend. Sein Blick galt den glitzernden Schneeflocken, welchen über aller in der Umgebung umher tanzten und die Welt weiter in eine weiße Weihnachtslandschaft verwandelten.
Es störte Ushijima nicht, wenn ihn die kalten Flocken im Gesicht oder auf seine freien, der Winterkälte ausgesetzten Hände, die blass und eingefroren wirkten, fielen und schmolzen. Still war es um uns, kein Hundegebell, laute Rufe oder Gespräche waren zu hören, die Welt schien den Atem anzuhalten und sich auf diesen Tag zu besinnen.
Während ich verlegen nach einem Satz suchte, um ihn zu antworten ohne es noch weiter zu vermasseln, bemerkte ich, dass Ushijima genau so fröstelte wie ich. Wahrscheinlich saß er ein ganzes Stück länger da als ich, was auch der Schnee auf seinen Klamotten vermuten lässt.
Läden wo es wärm wäre hatten heute zu, aber was war mit seinem Zuhause? Wenn er eh kein Weihnachten feierte, warum war er dann überhaupt rausgegangen?
Soll ich ihn das fragen? Oder wäre das nur störend und ein Schuss in den Ofen? Es interessiert mich wirklich, aber ich sollte ihn das nicht antun. Er wird schon seine Gründe haben, malte ich mir in Gedanken aus, meinen Blick immer noch unauffällig auf den Jugendlichen gerichtet.
Jedenfalls dachte ich, dass er unauffällig war, doch dies war nicht der Fall. Denn Ushijima ließ seine Augen zu mir wandern, dabei bewegte er leicht seinen Kopf, um mich sehen zu können und fing sofort meinen Blick auf.
„Möchtest du etwas sagen?" fragte er mich aus dem heiteren Himmel. „Hä? Wie kommst du darauf?" erwiderte ich überrascht und versuchte natürlich zu wirken.
„Warum solltest du mich denn sonst so unsicher anblicken?" wollte Ushijima wissen. Ich wusste nicht wieso, aber während er diesen Satz sagte verlor ich mich in seiner angenehmen, flüssigen und erwachsenen Stimme, welche keinen einzigen rauen Akzent beinhaltete.
Wie bei ausgebildeten Synchronsprechern, erweiterte ich. Unruhig biss ich mir ein wenig auf die Unterlippe und blickt von ihm weg auf den abgeschalteten Brunnen, der wie verloren und vergessen in der Schneelandschaft vor sich hin stand.
„Naja, ich habe mir überlegt, was du hier überhaupt machst. Ist es im Warmen, also Zuhause nicht besser?" fragte ich unentschlossen. Manchmal dachte ich mir, dass ich Sachen nicht machen sollte und tue sie aus irgendeinem Grund trotzdem. Wie diese Frage zu stellen.
Zu meiner Überraschung ließ sich Ushijima diesmal nicht so viel Zeit für seine Antwort, sondern sagte offen und ehrlich; „Ich musste raus. Alleine in einer vertrauten Umgebung zu sein ist nicht immer besser."
Besonders an Weihnachten, fügte ich bedrückt hinzu.
Seine Aufmerksamkeit galt einen Vogel, der sich auf der Schneedecke des Brunnenrandes, trotz des Schnees niedergelassen hatte und nun hektisch hin und her nach Feinden Ausschau hielt.
Bestimmt wollte er nicht, dass er mir leid tat, vielleicht war er es gar gewohnt, oft alleine zu sein und solche Tage ohne Familie zu verbringen, doch ich konnte nicht anders, als ihn Wehmut zu fallen.
Diese Wehmut entleerte meinen Kopf, weshalb ich ohne einen Gedanken meinen mittelschweren, fast vergessenen Rucksack von den Schultern gleiten ließ und ihn ohne ein lautes Geräusch zu verursachen auf den schneebedeckten Boden abstellte.
Aus dem Augenwinkel beobachtete mich Ushijima, wie ich den Rucksack auf machte und eine rote Thermoskanne beziehungsweise -Flasche heraus kramte, die dazugehörige Tasse abschraubte und eine weitere aus den Tiefen der Tasche holte.
Die Dazugehörige stellte ich ihn hin, die Dazugewürfelte presste ich neben mich in den Schnee, damit sie nicht umfiel. Wortlos drehte ich den Deckel der Thermoskanne ab und füllte die dampfende, weinrote Flüssigkeit in meine Tasse hinein.
Als diese voll war und deutlich dampfte, blickte ich Ushijima an. Er hatte alles still beobachtet und wusste, was ich ihm anbot.
Ebenfalls wortlos nahm er die Tasse, welch ich ihm hingestellt hatte und hielt sie mir hin. Ich ließ die Flüssigkeit in seine Tasse fließen, dabei erhaschte ich einen Blick auf seine, die Tasse haltende Hand.
Vom nahen sah sie noch blasser und kälter aus, so als ob er schon Tage in der Kälte draußen wäre. Allerdings schien ihn die Wärme der Tasse nichts auszumachen, er führte sie zu seinen Mund und pustete.
„Was ist das?" fragte er mich, wobei er seine Mission „Abkühlen" unterbrach und mich anschaute. „Rate." erwiderte ich und schon wieder bereute ich es. Warum war ich heute so unbedacht mit meiner Wortwahl?
Zu meinem Glück war Ushijima darauf nicht böse, im Gegenteil, er tat wie ihm gesagt und hielt sich die Tasse unter die Nase.
Nicht lange dauerte es, bis er erraten hatte, worum es sich handelte. „Glühwein." meinte er monoton und lag goldrichtig. Als Antwort nickte ich sanft.
Mit Vorfreude im Körper einer meiner Lieblingsgetränke zu mir zu nehmen, nahm ich die Tasse an meine Lippen und nahm einen Schluck. Wie vom Blitz getroffen schluckte ich schnell und keuchte dann, der Glühwein war nach zwei Stunden immer noch so unglaublich heiß, als ob er gerade aus dem Topf kommen würde.
Während ich gerade mit dem Schmerz in meinem Mund zurecht kommen versuchte, erlaubte sich der Volleyballspieler neben mir den ruhigen und kurzen Kommentar; „ Pusten."
Immer noch unter den Folgen meines Fehlers leidend schaute ich ihn ausdruckslos an, er konnte sich allerdings vorstellen, dass er sich diesen Kommentar hätte verkneifen können.
„Dein Ernst?" hinterfragte ich mit Unterton. Ushijima schaute kurz zu mir, bevor er dann wieder nach vorne schaute, seinen Glühwein zum abkühlen und wärmen gleichzeitig in beiden Händen.
„Ja." teilte er mir gelassen mit. „Wenn du es gleich getan hättest, müsstest du jetzt nicht deinen Schmerz herunter schlucken." fuhr er fort und traf wieder haargenau die Situation.
„Du sagst gerne mal dass, was du denkst, oder?" bemerkte ich. Wieder führte er seine Tasse zum Mund und pustete, diesmal allerdings traute er sich zu trinken. Der Glühwein war anscheinend kühl genug, denn er trank ohne Probleme zwei Schlucke.
Als er sie wieder absetzte, gab er mit einem „Manchmal." zu, dass er teilweise unverblümt war und eine Neigung hatte, das zu sagen, was er dachte.
Ohne darauf etwas zu erwidern tauchte ich mit meiner Hand ein weiteres Mal in den Rucksack hinein, diesmal holte ich allerdings eine Keksdose heraus.
Mit den Worten; „Alleine schaffe ich die nicht." stellte ich die geöffnete Box zwischen uns. Der Blick des Achtzehnjährigen fiel auf die Kekse und Plätzchen, welche verführerisch und unwiderstehlich in der Box lagen, nur darauf wartend, gegessen zu werde.
„Danke." sagte er und nahm sich einen Zimtstern aus der Keksdose. „Aber gerne." flüsterte ich, keine Ahnung ob Ushijima mich gehört hatte oder nicht.
Meine Wahl viel ebenfalls auf einen Zimtstern, den meine Oma mit all ihrer Liebe gebacken hatte, wie jedes Jahr zu Weihnachten.
Ungefähr jetzt muss das Krippenspiel vorbei sein, dachte ich mir mit Blick auf meine billige Uhr. „Wann ist den der Gottesdienst vorbei?" fragte mich Ushijima, der meinen Blick gefolgt war.
„In einundhalb Stunden, hab also noch genügend Zeit." informierte ich ihn.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen lehnte sich Ushijima zurück und legte seinen Kopf in den Nacken. Fragend, ob es dort oben etwas spannendes gab, tat ich es ihm gleich.
Unzählige, dicke Schneeflocken flogen von dem dunklen Himmel, es wahren so viele, dass man sich unmöglich nur auf eine konzentrieren konnte.
„Schnee ist was Schönes." kam es mir urplötzlich in den Sinn, ohne eine Antwort auch nur ansatzweise von dem stillen Jungen neben mir zu erwarten.
Wer hätte gedacht, dass ich einmal ausgerechnet mit ihn ein Stück Weihnachten verbringen würde, im Park, Draußen, mit Plättchen und Glühwein.
Dabei war Ushijima bis jetzt immer dieser unerreichbare, stille, erfolgreiche und beliebte Junge gewesen, der in die Gruppe „Kenne ich aus der Klasse, habe aber nie mit ihm gesprochen und habe es auch nicht wirklich vor." meiner Sicht aus steckte.
Warum hätte ich den auch mit ihr reden sollen und vor allem wie und worüber. Ich kannte ihn ja noch nicht mal richtig.
Doch in diesem Moment, genau jetzt, fühlte ich mich so, als ob ich die Person wäre, die ihn am Besten verstand. Es klang eingebildet, aber genau so war es eben.
„Schon. Aber nicht wenn Tendo dir einen großen Schneeball ins Gesicht wirft." kam es plötzlich von Ushijima, der weiter in den Himmel schaute. Direkt fragte ich mich, warum er mir so etwas sagte oder eher gesagt anvertraute, da er sonst niemand war, der Sachen aus seinem Alltag einfach so erzählte.
„Echt? Du Armer." lachte ich. „Tendo ist eben ein aufgedrehtes und verrücktes Kerlchen, auch wenn ich ihn bei weiten nicht so gut kenne wie du, weiß ich das."
„Tja, da hast du recht." bekräftigte mich Ushijima und nahm sich einen Lebkuchenmännchen-Plätzchen, welches er mit einem Bissen verschwinden ließ. Bedrückung machte sich in mir nieder, als ich bemerkte, dass das Thema Tendo nicht so gesprächsantreibend war, wie ich erhofft hatte. Dabei habe ich mich so gefreut, ein Gesprächsthema zu haben, schmollte ich unbemerkt.
„Allerdings..." begann Ushijima zu sagen und riss mich so aus meinen Gedanken. „Ist er ein hervorragender Spieler, wenn er nur will." Kurz schnaufte Ushijima auf und ergänzte etwas mürrisch; „Kommt aber selten vor."
Ich lachte leise. „Im Ernst? Wenn man euch Beide so sieht, scheint ihr euch allerdings mehr oder weniger gut zu verstehen." weihte ich ihn in meine Wahrnehmung ein. „Meinst du?" fragte Ushijima und beobachtete meinen vorsichtigen Versuch, denn nun etwas abgekühlten Glühwein zu trinken.
Durch das scheue Pusten konnte ich ihn nun tatsächlich ungestört trinken. „Wann hast du uns den gesehen?"
Mit hochgezogener Augenbraue schaute ich ihn an, wusste er es tatsächlich nicht? „Auf einem eurer Spiele, natürlich." löste ich auf.
„Tatsächlich?" auskundschaftete sich Ushijima. „Bei welchem Spiel?"
Eine Weile redeten wir mit Glühwein und Plättchen über das eine Spiel gegen eine andere Oberschule, Ushijima redete plötzlich ziemlich viel, wahrscheinlich weil Volleyball es war, was ihm am Meisten Interessierte.
Es ging um seine Teamkameraden, die Sprüche von der Tribüne, das gegnerische Team und das meine beste Freundin mehr oder weniger daran Schuld war, dass ich an diesem Tag seinem Spiel gefolgt war.
Die einzelnen Trainingsphasen, Strategien und Taktiken, welche mir unbemerkt im Spiel zum Einsatz gekommen waren, davon erzählte mir Ushijima mit einer fachmännischkeit, der ich nicht immer folgen konnte. Wenn er dies bemerkte, umschrieb oder erklärte er in meiner Sprache den Fachbegriff oder die Volleyballtaktik.
Das Gespräch war flüssig und unangenehm, durch das gemeinsam verfolgte Spiel konnten wir beide mitreden und hatten auch genug zu erzählen, er logischerweise mehr als ich.
„Es überrascht mich, dass du so über Volleyball sprechen kannst, obwohl du nie gespielt hast." meinte Ushijima nach einiger Zeit und trank seinen Glühwein aus.
Im Laufe des Gesprächs hatten wir die Keksdose leer bekommen, selbst mit meinem Bärenapettit hätte ich die nicht alleine geschafft.
„Vielen Dank für die Kekse und den Glühwein." bedankte sich Ushijima mit sanfter Stimme und stellte mir seine Tasse in den Schnee auf der Bank. Mit einem „Gern geschehen" nahm ich die Tasse an und verstaute sie zusammen mit meiner Tasse, der Kanne und der Dose in meinem Rucksack.
Aus dem Augenwinkel nahm ich gerade noch so war, dass Ushijima aufstand und einige Meter von der Bank weg ging. Das war es dann wohl, dachte ich mir fast schon wehmütig. Er will wahrscheinlich auch nicht die ganze Zeit ihr sitzen, hätte ich mir eigentlich auch denken können.
Gerade schulterte ich mir meinen Rucksack auf und wollte mich bei Ushijima verabschieden und ihn noch ein schönes Fest wünschen, als er folgendes zu mir sagte;
„Willst du noch ein bisschen mit mir spazieren gehen?" fragte er mich völlig unerwartet über seine Schulter, seine olivbraunen Augen schauten mich ruhig und einladend wie sonst nie an.
Meinte er das ernst?, fragte ich mich ungläubig und starrte Ushijima wie ein Hase an, verständlich, schließlich hatte er von sich aus gerade gefragt, ob ich noch ein bisschen Zeit mit ihm verbringen wollte.
Vielleicht bin ich ihm ja doch nicht so unsympathisch, hoffte ich, während ich mit einem
schüchternen Ton „Ja, klar." sagte und zu ihm ging.
Als ich nun so direkt neben ihm stand, wurde mir bewusst, wie klein ich war. Oder eher gesagt, wie groß er war. Zwischen uns waren ungefähr zwei ganze Köpfe, so unglaublich groß war er, ein Riese aus meiner Sicht.
Sicher bin ich aus seiner Sicht nur ein Zwerg, schauderte es mir durch meine Gedanken, meine Größe war mir auch schon ohne einem Riesen neben mir ein schmerzender Dorn im Auge.
Langsam setzten wir uns in Bewegung, gingen von dem beschneiten Brunnenplatz weg weiter in den Park hinein, vorbei an weißen Bäumen und Büschen. Wir schwiegen, genossen die seltene, märchenhafte Winterlandschaft um uns herum in vollen Zügen.
Die Kälte nagte langsam aber sicher an meinen Knochen, selbst der viel zu heiße Glühwein hatte daran nichts ändern können. Die Bewegung tat mir und meinem müden Körper gut, mein Kopf allerdings war die ganze Zeit auf Hochtouren, der unmittelbare Grund ging gerade aus schauend neben mir.
Es gab so viel, was ich nicht über ihn gewusst hatte und ich bereute es, ihn nie angesprochen zu haben. Auch wenn er meist verschlossen war und nie jemanden richtig an sich ran lassen zu schien, war er ein ganz angenehmer Zeitgenossen, wenn er entschied, dass du okay warst.
Zu mindestens hoffte ich, dass er mich okay fand. Denn ich fand ihn okay.
Schwere, dicke Schneeflocken landeten sanft und zart auf unseren Klamotten, Haut und Haar. Aus irgendeinem Grund fühlte sich gerade alles extrem Weihnachtlich an, es war dieses Gefühl der Besonderheit und des Wohlfühlends, was man nicht so leicht beschreiben konnte.
Kaum hörbar waren unsere Schritte, hätte ich nicht an Ushijima gedacht, hätten meine Gedanken ihn verloren. Wieder machte ich mir oberflächlich und etwas tiefer Gedanken dazu, dass Ushijima den für mich besten Tag des Jahres alleine verbringen musste. Es war nicht gerecht. Aber konnte ich ihm denn etwas Gerechtigkeit geben und ihn einen schöneren Tag schenken? Bis jetzt duldet er ja meine Anwesenheit ohne sich aufzuregen oder mich wegzueckeln.
Durch diese Erkenntnis fühlte ich mich gleich viel wohler, Hoffnung blühte wie eine Frühlingsblume in mir herauf. Hoffnung worauf? Ganz genau konnte ich dies auch nicht beantworten, es war einfach dieses Gefühlt, aber ich wusste, dass sich die Hoffnung zum Großteil darauf bezog, ihn keine Last oder so zu sein und ihn tatsächlich Weihnachten erträglicher zu machen. Zudem hoffte ich, dass er meine Anwesenheit vielleicht geniesen würde, doch so weit ging ich nicht. Und als Letztes erhoffte ich mir, dass er mich und ich ihn dadurch besser kennen lernen würde.
„Sieh mal." kam es von Ushijima und holte mich so zurück in die Realität. Fragend folgte ich seinem Blick und traf einen vereinsamten Stand in roten und grünen Weihnachtsfarben, der gebrannte Nüsse und Schokoladenbezogenes anbot.
Tatsächlich stand in dem Häuschen eine Frau mitte dreißig, was ich überhaupt nicht erwartet hätte, denn es war Weihnachten und deshalb würden bestimmt nicht viele Leute kommen. Zudem wollte man doch nicht an Heiligabend arbeiten, oder?
„Willst du etwas?" fragte mich Ushijima und blickte zu mir herunter. Zwangsweise schaute ich zu ihm auf und wurde mir schon wieder bewusst, wie groß er eigentlich war. Wenn er mich umarmen würde, könnte man mich nicht mehr sehen.
„Geht leider nicht, kein Geld dabei." antwortete ich seufzend, dabei verfluchte ich mich und meine Gedanken, dass man bei einem Sparziergang im Park und generell draußen kein Geld benötigt.
Ushijima löste sich neben mir und ging auf den Stand zu, zeitgleich sprach er „Ich geb dir was aus. Was willst du?".
Geplättet bekam ich mit, wie er immer näher dem Stand kam, ich hingegen musste erst mal auf seine Einladung klar kommen. Freude, heiß wie ein Tee, denn man gerade herunter geschluckt hatte, brodelte in einem Inneren auf.
Glücklich, dass er so nett war lief ich ihn hinter her, allerdings nicht, um einfach so anzunehmen. „Du musst mir nichts ausgeben, wirklich nicht." meinte ich in einem beruhigenden Ton, um ihn auch ja zu überzeugen.
Doch wie sich herausstellte ging dass nicht so einfach, Ushijima blickte zwar kurz auf mich herab, allerdings ohne meine Worte ernst zu nehmen.
„Das wäre das mindeste, was ich tun kann. Sieh es als Wiedergutmachung für den Glühwein und die Kekse." versuchte er wiederum mich zu überzeugen.
Der verführerische Geruch von gebrannten Mandeln drang an meine Nase und erweckte in mir den Wunsch, etwas von dem Süßzeug zu essen, gegen den ich mich gerade stur stellte. Der Volleyballspieler schien sich schon entschieden zu haben, denn er holte aus seiner Manteltasche einen Geldbeutel hervor und öffnete ihn.
„Was willst du?" wiederholte er ruhig, was mich überraschte, ich hingegen wäre nach so einer Aktion von mir eher angenervt. „Du musst mir nichts schenken, wirklich nicht." entgegnete ich dankend, jedoch schaute mich Ushijima mit kalten, nicht böse gemeinten Druck in den Augen an, so dass ich Angst bekam, die Fortschritte zwischen uns könnten kaputt gehen.
Unfreiwillig gab ich nach. „Dann hätte ich gerne...gebrannte Mandeln." sagte ich das erst Beste was mir ins Auge fiel, ich wollte Ushijima nicht noch weiter mit meiner Unschlüssigkeit nerven.
„Gut. Dann zwei mal gebrannte Mandeln bitte." bestellte er bei der Frau, die nickend die Bestellung annahm und zwei rot-weiß karierte Packungen gebrannter Mandeln hervorholte und sie mit einem Lächeln auf den Tresen legte.
Ushijima bezahlte und bekam zusammen mit mir ein „Schönes Fest." von ihr, was wir sofort erwiderten.
„Hier." sprach Ushijima und hielt mir einer der Mandeltütchen hin. „Vielen Dank." entgegnete ich vorfreudig und nahm die Packung in der Hand. Sie war angenehm warm und duftete ebenso unwiderstehlich, genau wie ich es mochte.
„Wollen wir uns da hinsetzten?" fragte ich mit dem Blick auf einen Brunnen, welcher kleiner, aber ebenso eingeschneit war, wie der von gerade eben. „Klar, warum nicht." äußerte sich Ushijima, der meinem Blick zum Brunnen gefolgt war und die Idee nicht schlecht zu finden schien.
Also machten wir uns auf den Weg zu dem abgestellten Brunnen, der ursprünglich den Park mit Wasserschauspielen beglücken sollte, nun allerdings vom Winter zum schweigen verurteilt da stand, nicht anders wie seine Kollegen.
Ich war die Erste, die den dichten Schnee von dem Rand herunter wischte, wobei allerdings meine Hand zutiefst unangenehmen Kontakt mit dem kalten, nassen Schnee machte und es so eher eine Folter als ein Vergnügen war.
Meine nun nasse und noch weiter erkältete Hand zitterte nun und versuchte sich an der einzigen vernünftigen Wärmequelle aufzuheizen, die Packung gebrannte Mandeln. Der Braunhaarige tat es mir nach und setzte sich bedankend, dass ich für ihn auch den Schnee weg gewischt hatte, neben mich.
Dabei viel mir auf, dass nun, anders wie auf der Bank, keine rießen Lücke zwischen uns bestand, sondern wir nah bei einander saßen. Wie ein Honigkuchenpferd freute ich mich, dass Ushijima mir nach so kurzer Zeit so vertraute, wenn man dies überhaupt so sagen konnte.
Leises Knistern drang an mein Ohr, als wir die Tütchen aufmachten und begannen, uns die süßen Leckereien schmecken zu lassen, die gleichzeitig unsere Hände von dem Frost beschützten.
Wir waren still, genossen regelrecht die Stille um uns. Selten war sie und sie passte auch zu diesem besonderen Tag, ich begrüßte sie sehr.
Süßer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, danach folgte das Nussige der Mandel, zusammen ließen sie Erinnerungen in mir aufblühen.
Wir saßen eine ganze Weile dort und naschten unsere Mandeln, bis sie auf ein Viertel geschrumpft waren. Eigentlich dachte ich, wir würden bis wir fertig waren kein Wort miteinander reden, doch da hatte ich mich getäuscht.
„Danke." kam es aus dem heitern Himmel aus Ushijimas Mund. „Danke für was? Sollte ich mich nicht eher für die gebrannten Mandeln bedanken?" fragte ich ihn und schaute ihn direkt an.
„Nicht wirklich, war ja ein Geschenk. Weißt du, ich hatte nie wirklich das Gefühl, was Weihnachten eigentlich vermitteln soll. Früher hatte ich das, aber das ist lange her, als mein Vater noch bei uns gelebt hat. Nun lebt er wie erwähnt in Australien, oft sehe ich ihn deswegen nicht. Meine Mutter ist Krankenschwester und da die Krankenhäuser auch an Weihnachten Patienten bekommen, hat sie als ich zehn Jahre alt war entschlossen, dass ich alt genug wäre um kein Weihnachten mehr zu feiern. In den letzten Jahren hat mir das nichts ausgemacht, denn an gemeinsame Weihnachtsfeiern erinnere ich mich gar nicht mehr richtig. Weihnachten ist für mich ein Tag wie jeder andere, unabhängig davon, dass ich von damals Erinnerungen mittrage."
Seinen Blick, denn er während seiner Erzählung in die Ferne gerichtet hatte, lag nun auf mir. „Ich möchte kein Mitleid erregen oder sonst was, mir ist das relativ egal, allerdings muss ich mich bei dir bedanken, dass du mir dieses Gefühl von Weihnachten wieder ein wenig näher gebracht hast." sagte er schlussendlich.
Sprachlos. So ließ sich mein Zustand am ehesten beschreiben. „I...im Ernst?" fragte ich zweifelnd und blickte ihn wahrscheinlich gerade ziemlich komisch an.
„Ja." antworte er knapp und stand auf. „Es ist lange her, dass ich mit jemanden etwas an Weihnachten gemacht habe. Und dann auch noch so schön." sprach er mit einer Stimme wie Honig und neigte den Kopf, die Lippen zu einem Lächeln verschlossen.
Er lächelt. Es war das erste Mal, dass ich ihn habe lächeln sehen, den ruhigen, jedoch so auffälligen Jungen.
Ein kalter Windstoß zog an uns, versuchte in die warme Schutzschicht unserer Mäntel einzudringen und spielte mit unseren Haaren, blies sie ohne Hemmungen durch. Zeit zum frösteln war nicht.
Denn es war dieses Gefühl. Dieses warme Gefühl. Das Gefühl, welches mich wie eine Tatze anfassen zu schien. Kälte von außen, Wärme von innen.
Und ein Kribbeln.
„Du musst jetzt los, oder?" Ushijimas Stimme kam gedämpft, allerdings klar, wie es nur in einer Parellelwelt sein könnte.
Mein verirrter Blick wich auf meine Uhr, welche mir zeigte, dass es soweit war, die Zeit des Abschiedes war gekommen.
„Ja, leider." meinte ich wehmütig und schaute auf, zu dem Jungen, den ich in den letzten Stunden besser kennen gelernt hatte, als so Mancher aus seinem näheren Umfeld in seinem ganzen Leben.
Bedrückung machte sich wie eine schwarze Welle in mir breit, überschwemmte die sommerwarmen Gefühle von gerade eben.
„Ich würde mich schlecht fühlen, dich einfach hier so stehen zu lassen." gab ich kleinlaut meine Bedenken zu. Seine olivbraunen Augen schienen mich zu fesseln und in eine andere Welt hineinzustoßen, in welcher ich jämmerlich ertrank.
Verwirrung machte sich in mir breit, holte mich im Laufe der Zeit ein.
„Musst du nicht. Deine Familie wartet bestimmt, außerdem hast du mir heute schon mit deiner Anwesenheit viel Gutes bereitet." entwich es ihm in rosa Tönen, seine Augen lagen weiter mit dieser Macht auf mir.
„Verstehe. Dann wünsche ich dir noch ein frohes Fest." Schüchtern kamen mir die Worte von den Lippen, fast schon fremdartig fühlten sie sich an.
„Schönes Fest." wiederholte Ushijima mit seinem typischen stoischen Gesichtsausdruck, der sich wie ein Brandeisen in mein Gedächtnis gebrannt hatte, der einzige Gesichtsausdruck, denn ich vor kurzen von ihm kannte, denn ich kennen gelernt hatte.
Er meinte es lieb, dies wusste ich. Ebenso wurde mir bewusst, dass es nie wieder so zwischen uns werden würde, wie vor diesem heiligen Tag. Unsere Mauern schienen gesprengt worden zu sein, der Abstand überwunden.
Wer weiß, vielleicht würden ich sogar in der Schule mit ihm reden. Oder ich komme zu seinen Spielen. Vielleicht. Hoffentlich. Wahrscheinlich. Bestimmt.
Dies dachte ich mir, als ich mich von ihm weg drehte und er sich von mir, wir uns unsere Rücken zu zeigten und unseren Weg weiter gingen, allerdings nun mit dem Gefühl im Herzen. Das Gefühl von Weihnachten und Wärme.
Das Knirschen des Schnees wirkte nun alleine viel lauter, der Platz, auf dem Ushijima vor kurzen noch neben mir gewandert war, leer und verlassen, die Stille auf einmal unerträglich. Es fehlte etwas, eine Seele, ein Mensch, der sich innerhalb zwei Stunden in mein Herz eingefügt hatte, als jener, der mir wichtig war.
Unglaublich, wie schnell so etwas ging und wie sehr ich es zu verhindern und gleichzeitig zulassen zu versuchte. Ich wollte es und auch nicht.
Wer auch immer es war, der mich im Schnee, mitten im Park auf diese Idee bringen ließ, ich dankte und verfluchte, hasste und liebte ihn.
Rekordverdächtig drehte ich mich um, ließ den Schnee spritzen und rannte. Die Atemwölckchen waren unverkennbar zu sehen, zeigten meinen rasenden, gehetzten Atem und mein pochendes Herz.
Weiße Bäume flitzten an mir vorbei, erschienen und verschwanden wie in einem Theaterstück, unaufhaltsam und unvorhersehbar. Die Kälte peitschte mir ins Gesicht, ließ mich fühlen wie in der Antarktis in einer Eiswüste. Doch es war egal. Mein Körper regelte es. Meine Aufregung regelte es. Meine Sturheit ebenso.
Ich war nun so weit, dass ich Ushijimas Rücken ganz klein sah und mitverfolgte wie er immer größer wurde.
Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Schoss es mir durch meinen entleerten Kopf, der alles andere außer das denken können zu schien.
Mache ich das grade wirklich?
Warum wollte ich es?
Was treibt mich dazu?
„Ushijima!" entfloh es meiner trockenen Kehle, schmerzend vor Kälte. Er drehte sich zu mir um, seine Augen lagen ungewohnt sachte auf mir, während er geduldig auf mein Eintreffen wartete.
Meine Brust schmerzte von meinem schreiendem Herzen, meine Lunge schien zu sterben, regelrecht den Geist aufzugeben, als ich vor ihm zum stehen kam und leicht einknickte, die Hände auf meinen Knien.
„Sag mal..." schnaufte ich atemlos und atemringend. Still wartete Ushijima auf meine folgenden Worte, schaute auf mein erschöpftes Ich herunter und beobachtete mich eindringlich, doch eher weich als stechend.
„Kann...kann ich deine Nummer haben?" hauchte ich federleicht und fragte mich im nächsten Moment, wo ich nur den Mut fand, um diesen Schritt zu tun.
Sein Blick lag schwer auf mir, deutlich spürte ich ihn auf meinem zitternden Leibe, irgendwie kalt und warm zeitgleich.
Die Luft um mich herum schien intensiver kälter zu werden, jeder Atemzug lag mir in der Lunge und drückte, dazu spürte ich das kräftige Pochen meines Herzens bis zu meinen Ohren und deutlich in meinen Adern.
Ich bettelte, flehte nach einer Antwort, einem Wort aus seinem Mund. Die Nervosität übernahm meinen hilflosen Körper, umgriff ihn.
Die Augen, sein Blick richtete sich nach unten, während er in seiner Manteltasche kramte. Er holte ein kleineres, dunkelblaues Handy heraus und sprach: „Klar."
Kurz und knapp, so wie ich es von ihm gewohnt war. Oder eher gesagt, es einschätzte.
Ich bemerkte sie nicht, so groß war meine Freude über seine Einwilligung. Dabei waren sie so deutlich wie nie zuvor, sie waren hier. Die Gefühle, nach denen ich mich gesehnt hatte. Nach denen wir uns beide gesehnt hatten.
Und so ging ich mit der Nummer eines ehemaligen Fremden in Richtung Kirche, der zu mehr geworden war und dass an einem verschneiten, kalten, anderen, besonderen Weihnachten.
Dem Tag, an dem Wünsche war werden können. Auch die, von denen man vorher gar nichts gewusst hatte.
A/N: Ein schönes Fest wünsche ich euch allen und gesegnete Weihnachten^^
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