(Haikyuu) Satori Tendou x Reader
short description: Ein Moment, ein Gefühl, eine Entscheidung, die alles zwischen euch änderte an jenem verregnetem Tag in der Kälte.
wortcount: 4.204
genre: first time, pain solace
Request: kazumi_tendou
Geschrieben am: 5.11.2021
Veröffentlicht am: 7.11.2021
A/N: Hab den Kopf meiner Kapitel etwas geändert^^ Hoffe es ist okay so? Falls ihr irgendetwas vermisst oder euch etwas stört, fühlt euch nicht angehalten, es mir in den Kommentaren mitzuteilen :)
Für die Tokyo Revengers Fans: Chifuyu und Mikey kommen als nächstes^^
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Einer dieser Momente
Ich wusste nicht, was ich tat. Es war einer dieser Momente, in denen man etwas tat, ohne zuvor gründlich darüber nachgedacht zu haben. Einfach so. Du machst es einfach. Ohne dir darüber Gedanken gemacht zu haben.
Genau so ein Moment war das gerade.
Der Regen prasselte in angenehmen Tönen auf meinen aufgespannten Regenschirm. Er erklang wie eine sanfte Melodie in der Stille des verregneten Tages. Schleppend rutschten die dicken Wassertropfen an der wasserabweisenden Oberfläche des Schirmes herab, bis sie prall mit Wasser gefüllt angestrengt versuchten, sich irgendwie an der Kannte festzuhalten.
Gescheitert glitten sie zu Boden und vereinten sich mit einem leisen Platschen mit der Pfütze, die neben meinen durchnässten Stoff-Schuhen weitere Regentropfen mit offenen Armen begrüßte.
Meine Augen waren starr nach vorne gerichtet. Die Welt um mich herum schien zu zerfließen wie mit zu viel Wasser gemischte Aquarellfarbe, überall, wohin ich blickte, erkannte ich Regen, der die Gegend verschwimmen ließ.
Unangenehm klebten meine nassen Socken, durchtränkt mit kaltem Wasser, an meinen verkühlten Knöcheln. Eine meiner wärmelosen Hände hatte ich bereits schutzsuchend in meiner wärmende Jackentasche gesteckt, die andere war jedoch qualvoll gezwungen, draußen dem Wetter stand zu haltend, um den schützenden Regenschirm über mein Haupt zu halten.
Meine Nase fühlte sich an, als würde sie jeden Moment ungehindert das Laufen anfangen und da ich kein Taschentuch oder ähnliches mit mir führte, könnte ich sie nicht daran hindern. Kläglich versuchte ich einen Zitteranfall zu lindern, der kraftvoll meinen Körper durchrüttelte, meine Härchen aufstellte und mir eine prickelnde Gänsehaut auf den Gliedern verpasste.
Er war ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass ich, wenn ich noch länger ohne Bewegung in der Gegend rumstand, noch mehr frieren würde. Doch ich konnte nicht. Ich brachte es schlicht nicht übers Herz.
In dem ganzem Grau-blau der im Regen untergehenden Umgebung stach eine Farbe unübersehbar heraus. Rot. Bei diesem Anblick war ich abrupt stehen geblieben, kurz davor war ich gedankenverloren die Straße entlang gegangen. Seit dem stand ich wie eingefroren im plätschernden Regen zwischen Pflanzen, die mit ihren Blättern die frischen Tropfen auffingen oder deren Last nichts entgegenzustellen hatten und sie weiter nach unten gleiten ließen.
Ich schluckte trocken und kuschelte mich in meine Jacke, in der Hoffnung, mehr liebliche Wärme zu spüren. Erfolglos. Das Geräusch des Regend drang in meine Ohren, hatte etwas vertraut und melodisches.
Beim Blinzeln spürte ich ein unangenehmes Gewicht und bemerkte überrascht, dass einer der kühlen Regentropfen, vermutlich über meine Stirn, einen Weg zu meinen linken Wimpern gefunden hatte und sich nun an diese klammerte.
Geistesgegenwärtig zog ich meine freie Hand aus meiner Tasche, um sie abzuwischen. Augenblicklich spürte ich die Kälte, die sich gierig auf meine Hand stürzte wie ein ausgehungertes Tier. Sie verleitete mich dazu, mein Vorhaben rasch durchzuführen.
Eilig wischte ich mir mit dem Rücken des Zeigefingers über die Wimpernlinie, vertrieb somit zwar den störenden Wassertropfen, doch ein fremdartiges Gefühl an jener Stelle verweilte, unabhängig davon, wie oft ich den Vorgang wiederholte.
Kurzerhand faste ich mir an die Nase, musste feststellen, dass diese sich ebenso kalt anfühlte und durchgefroren war, wie meine Ohren. Vermutlich waren sie bereits rot, so wie sie es immer waren, wenn diese Bereiche meines Kopfes schutzlos Kälte ausgesetzt waren.
Ich hätte gehen sollen. Den idyllischen Weg entlang, über die hübsche Holzbrücke für Fußgänger, die über den klaren Fluss führte, in dem ich heute dank dem Regen, der das Wasser unsanft aufwühlte, wohl keine Kois in ihren herausstechenden Orange- und Rottönen hätte beobachten können.
Vorbei am kleinen Supermark mit dem niedlichen Entenlogo, in dem in dieser Regenzeit, der sogenannten fünften Jahreszeit in Japan, warme Taiyaki, eine süße Speise in Fischform, mit einer besonderen Süßkartoffelfüllung angeboten wurden. Nach Hause, ins Trockene, wo ich mir einen heißen Kakao machen und mich glücklich auf das Sofa lümmeln konnte.
Trotzdem blieb ich hier. Mitten im Regen.
Die Pfütze neben meinen Füßen wurde immer größer, hungrig schien sie sich auszubreiten und die kleinen Steinchen auf der nassen Straße einfach zu verschlingen.
Tief atmete ich durch, die kühle Luft schoss in meine Lunge und reizte meinen Rachen. Der lockere Griff um meinen Schirm wurde fester. Mir selbst Mut machend ballte ich meine Hand zu einer Faust, die ich zurück in meine Tasche gesteckt hatte.
Es platschte kaum hörbar, als ich meinen Fuß nach langer Zeit wieder anhob und wenige Zentimeter vor mir wieder auf den Asphalt herunter senken ließ. Dabei spürte ich, dass sich meine Zehen bereits taub und eiskalt anfühlten. Kein Wunder, schließlich steckten sie in nassen Socken und einfachen Stoffschuhen, von denen einer an der Hacke sogar ein minimales Loch aufwies.
Ich tapste unsicher auf das Rot zu. Mein Herz schlug aufgeregt gegen meine bemitleidenswerten Rippen, so dynamisch, dass ich das kräftige Pochen in meinem gesamten Körper vernahm, während sich mein Atem beschleunigte, immer hektischer und unruhiger wurde.
Wieso, ich wusste es nicht. Warum ich es tat. Warum ich mich in Bewegung setzte. Warum ich dem Weg nach Hause den Rücken zuwandte, anstatt auf ihn mit schmerzender Heimweh und dem Verlangen nach Wärme in der Brust zuzugehen.
Denn es war einer dieser Momente. Einer dieser, in denen man etwas macht, was man nicht versteht. Einfach, weil es sich richtig anfühlte. Auch wenn man es sich nicht gleich erschließen kann, es nicht verseht. Meistens freuen wir uns trotz dem heftigen Sträuben in unseren Körpern, dass wir es getan haben.
Während das Rot immer näher kam und ich das kühle Material des Schirmgriffes fester umschloss, wurde mir unweigerlich bewusst, dass es das Richtige war. Ich hätte es so oder so nicht geschafft, mich einfach abzuwenden und nach Hause zu gehen und so zu tun, als hätte ich nichts gesehen.
Ich blieb stehen. Das beruhigende Rauschen des Regens kam mir plötzlich um einiges lauter vor. Das Rot befand sich nun direkt vor mir. Aus meinem Zögern wurde schnell dringend benötigte Sicherheit. Ich nahm den Schirm von meiner Schulter, hob ihn hoch und streckte ihn nach vorne, sodass zwar mein Kopf gerade noch Schutz vor dem Regen fand, mein Rücken jedoch von prallen Regentropfen getroffen und befeuchtet wurde.
„Hey.", brachte ich leise über meine trockenen Lippen hervor, unfähig etwas anderes zu sagen und meine verloren gehende Stimme zu festigen. Abgesehen davon wusste ich schlicht nicht, was ich sonst hätte sagen können. Ich wusste nur, dass ich etwas sagen sollte.
Das Rot bewegte sich.
Er hob den Kopf, blickte zu mir auf. Seine Augen musterten mich mit einem überraschten Ausdruck in den Augen. „Hallo Tendou.", hing ich unsicher hinten dran, nervöser durch seinen Blickkontakt und seinen erstaunten, mir zugewandten Gesicht.
Der Junge schwieg. Sah mich forschend an. Verunsichert ließ ich ebenfalls meine Augen über seine Gestalt wandern. Sein rotes Haar, welches sonst immer geradewegs nach oben gestylt war, hing ihm durchnässt und vor Wasser triefend ins blasse Gesicht.
Trotz der Uhrzeit hatte er seine Schuluniform an, die braune Hose klebte dunkel an seinen langen Beinen, das weiße Hemd mit der lila Krawatte umspielte seinen Oberkörper. Hatte er vielleicht Nachmittagsunterricht gehabt? Warum saß man um vier mit Schuluniform auf einer verlassenen Bank? Der Regen, der noch in seinen Haaren haftete, lief ihm unaufhörlich das Gesicht herunter.
Tränen waren unglaublich gut im Regen zu verstecken. Es war eigentlich unmöglich, sie von Regentropfen zu unterscheiden, besonders wenn der Himmel sich so stark ergoss, wie in diesem Moment.
Doch seine geröteten Augen und der verschwommene Ausdruck in ihnen verrieten mir, dass er bis eben geweint hatte. Er wirkte verloren auf mich. Traurig. Und einsam.
Eine Weile brauchte er, um zu realisieren, dass ich hinter ihm stand und meinen hellblauen Regenschirm schützend über seine nasse und frierende Gestalt hielt.
In sich zusammengekauert saß er auf einer Holzbank, deren Oberfläche durch den Regen viel dunkler als an sonnigen Tagen war. Ich kannte sie, sie stand zuverlässig jeden einzelnen Tag auf meinem Heimweg, nicht weit von der Schule entfernt, umgeben von prächtigen Bäumen, nahe an der Straße.
Seine matten Augen schauten direkt in meine, weshalb ich mich kurzzeitig unwohl fühlte und ich mich fragte, was ich nun tun sollte.
Gerade als ich meine Lippen öffnete, um das Nächstbeste zu sagen, was mir einfiel, drehte er seinen Kopf weg und schaute zurück auf den Boden. Er schwieg. Und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
Wie denn auch. Ich kannte ihn nicht richtig, dies wurde mir schmerzhaft bewusst, als ich ihn bemitleidend ansah. Obwohl wir seit drei Jahren schon in die selbe Klasse gingen, dem selben Unterricht folgten, die gleichen Prüfungen schrieben und das selbe Schulessen aßen, kannte ich ihn nicht im Geringsten.
Er war ein Klassenkamerad mit dem Namen Satori Tendou und er war im Volleyballclub der Schule. Er hatte auffallende rote Haare. Seine Noten waren durchschnittlich. Freunde hatte er wenige. Manche mieden ihn, da er auf sie gruselig wirkte. Seine Art war teilweise befremdlich. Jedes Mal wirkte es, als interessierte es ihn nicht.
Klar, dies wusste ich. Doch was ihn persönlich anging, was er dachte, was er fühlte, wie er als Mensch wirklich drauf war, war mir nicht bekannt. Nicht mal ein bisschen. Eine gewaltige Tatsache, die mir Angst machte. Wie kann man einen Menschen, mit dem man so lange in ein und dem selben Raum gesessen hatte, nur so wenig kennen?
„Hi.", gab er flüsternd zurück, als ich schon dachte, er würde mir nie antworten. Seine langen knochigen Hände, die sich wahrscheinlich perfekt fürs Volleyballspielen eigneten, verschloss er ineinander, damit sie wenigstens etwas warm wurden.
Mir erschien der Eindruck, dass wir beide nicht wussten, was wir sagen sollten. Die Frage, warum er geweint hatte, brannte in mir wie Feuer. Gerne hätte ich sie gestellt, meine grummelnde Neugier damit gestillt, doch ich nahm seine abweisende Haltung als Zeichen auf, dass er nicht darüber reden wollte.
Also fragte ich nicht. Erneut kam es mir einfach richtig vor.
Gehen konnte ich jetzt erst recht nicht. Das ich auf ihn zugehen würde, war eigentlich schon klar gewesen, in dem Moment, in dem ich ihn im Regen auf der Bank sitzend erkannt hatte. Ich hatte mich nur überwinden müssen, die Möglichkeit einfach weiter zu gehen stand nie zur Verfügung.
„Darf ich mich neben dich setzten?", fragte ich nach einer Weile des Zögern mit einfühlsamer Stimme. Sanft nickte Tendou.
Gerade als ich um die Bank bewegt hatte und mich setzen wollte, warf er mir aus dem Augenwinkel einen Blick zu. Wahrscheinlich hatte er sich daran erinnert, dass das Stück Bank neben ihn nass und kalt war.
Unter diesen Umständen war es spielend leicht, sich eine nervige Blasenentzündung zu holen, dies war mir durchaus bewusst. Trotzdem ließ ich mich neben ihm nieder. Er war wichtiger, als das, dies war meine naive Entscheidung.
Im Trösten war ich nach eigenem Ermessen nicht die Beste, doch ich war fest davon überzeugt, es wenigstens zu probieren, um Tendou's Willen. Dass ich nicht wusste, warum er überhaupt geweint hatte, war nur eine Hürde von vielen.
Unaufhörlich fanden die Regentropfen ihren Weg auf meinen Schirm. Ich hielt ihn über uns, darauf bedacht, besonders ihn ganz zu schützen. Erwarten, dass er mir erzählte, was ihn bedrückte, tat ich nicht, ebenso wenig verlangte ich es von ihm.
Meinetwegen hätten wir in diesem Moment über das Wetter in Grönland reden können, wenn es ihn danach besser gegangen wäre. Oder über seine Spiele in der Volleyballmannschaft, obwohl mir dieser eigentlich recht bekannte Sport kein Stück bekannt war. Ich hätte mit ihm über alles gesprochen. Ihm zugehört. Ihm ein Ohr geschenkt. Doch stattdessen schwiegen wir uns bitter an.
Nun war der Regen noch lauter als zuvor. Das wilde, durchdrehende Klopfen meines Herzens beruhigte sich nur mäßig, die Kälte nagte an meinen blanken Knochen. Beides ignorierte ich.
Dunkel war der Himmel, wirkte bedrohlich und doch vertraut. Ein gesund grünes Blatt, abgelöst von der Wucht des Regens, trieb auf der Pfütze vor der Bank und entsendete kleine Ringe über die unruhige Wasseroberfläche, die immer und immer wieder von Regentropfen wie von kräftigen Meteoriten getroffen wurde.
Unangenehm und scheußlich spürte ich stehendes Wasser in meinen Schuhspitzen, aufnehmen konnten meine weißen Socken das störende Nass schlicht nicht mehr, sie selbst waren schon vollgefüllt wie ein Schwamm.
„Darf ich fragen, was los ist?" versuchte ich vorsichtig, ein Gespräch ins Rollen zu bringen und ihn somit, so hoffte ich, helfen zu können. Er musste nur eine Kleinigkeit sagen und ich hätte augenblicklich mit meiner gesamten Anzahl von grauen Zellen versucht, eine gute und machbare Lösung zu finden.
Doch stattdessen hob er mit versiegelten Lippen seinen nassen Kopf, seinen dunklen Augen sahen mich mit einem mir nicht deutbaren Ausdruck still an. Für einen Moment blickte ich unsicher zurück, mir war unklar, wie ich diesen Blick auffangen sollte.
Ich bemerkte seine zitternden Lippen und seine durch Nässe aneinander klebenden Wimpern. Kleine, beim ungenauen Hinsehen nicht sichtbaren Rinnsale verliefen über sein Gesicht und gewährten dem Regenwasser frei zu fließen. Es störte ihn nicht.
„'Tschuldigung.", erwiderte ich leise und drehte meinen Kopf wieder nach vorne, um seinen ausdrucksstarken und doch nichts sagenden Blick zu entgehen. Stumm fing ich an, mich plötzlich für meine durchnässten Fußspitzen zu interessieren.
Verwirrt zog Tendou seine Augenbrauen zusammen, sein Gesichtsausdruck wurde fragend und ein weiteres Mal überrascht. Intensiv fühlte ich seine Augen über mich wandern, ich spürte sie so deutlich, als würde er seine Hand benutzen. „Du entschuldigst dich dafür?" Verdeutlichend unterstrich seine flüssige Stimme die verblüfft ausgesprochene Frage.
Mich irgendwie ertappt fühlend zuckte ich zusammen und blickte zaghaft auf den Boden. Erneut viel mir die weiter wachsende Pfütze auf. Nervös fing ich an, meine Finger zu ketten, musste dabei überrascht feststellen, dass sich ein geringes bis hin zu gar keinen Gefühl in ihnen befand.
„Tut mir lei-." flüsterte ich, ehe ich realisierte, dass er vor wenigen Sekunden erst angemerkt hatte, dass ich mich für Sachen entschuldigte, die keine Entschuldigung benötigten und abrupt abbrach. Tendou's Blick brannte auf mir.
Mein Kopf wurde rot, ich wurde nervös und aufgeregt. War das uncool gewesen? Hätte ich lieber nichts sagen sollen? Aber was soll ich sonst in dieser Situation unternehmen?
Leises Lachen drang an meine Ohren. Erst war es kaum vernehmbar, ein gehauchter Windstoß hätte seine Laute ohne Probleme wegwehen können. Doch dann wurde es etwas hörbarer, weshalb ich verdutzt aufblickte.
Tendou lachte leicht auf. Unmittelbar versuchte ich mir vorzustellen, wie er wohl aussah, wenn er vor echter Freude das Strahlen begann.
Während sein Lachen verstummte und er seinen Kopf in den Nacken legte, warf ich ihn fragende Blicke zu. Der übermütige Regen traf wiederkehrend den aufgespannten Regenschirm über uns und floss diesen ungehindert hinab. Meine, den Schirm haltende, Hand, die von der aggressiven Kälte ununterbrochen attackiert wurde, spürte ich nur noch mäßig.
Seine Augen hatten etwas wehmütiges, seine sanft hochgezogenen Mundwinkel hatten etwas gelöstes.
Verwirrender Weise hatte ich eine Sekunde lang den merkwürdigen Impuls gehabt, den Regenschirm weg zu ziehen, damit er in den Himmel hinauf schauen konnte. Da ihn dabei allerdings einige Regentropfen frontal und unvorbereitet ins Gesicht treffen würden, ließ ich es lieber.
„Du entschuldigst dich anscheinend für alles.", bemerkte er nebensächlich. Da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, schwieg ich, richtete meinen Blick auf den nassen Boden und wackelte mit meinen Schuhspitzen.
Die Stille, die unweigerlich folgte, nistete sich unangenehm zwischen uns ein. Kopflos wollte ich etwas von mir gehen, um sie zu vertreiben, doch meine Stimme versagte kümmerlich.
In mir brodelte das Verlangen, ihm irgendwie zu helfen und aufzumuntern, selbst wenn es nur ein wenig war. Dafür tat ich mir gerne die kalte Nässe an. Genau dieses Verlangen brachte mich auch dazu, einen zweiten Anlauf zu starten, wenn auch unsicher.
„Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte ich mit gesengtem Kopf, da ich es als abträglich empfunden hätte, ihn jetzt mit meinen Blick zu durchbohren. Er sicherlich auch, wer mochte es schon in solch einer Situation erwartungsvoll und neugierig beäugt zu werden.
Mein Herz schlug schmerzhaft in meiner Brust, die Tatsache, dass er erneut nicht antwortete, ließ mir einen traurigen Schauer über den Rücken laufen. Es fühlte sich wie eine knallharte Abweisung an. Irgendwie komisch.
Umso erfreuter war ich, als ich seine Stimme vernahm. „Wäre lieb, wenn wir uns unterhalten könnten.", vertraute er mir weiterhin nach oben blickend an. Eine volle Wasserperle rannte seinen Hals entlang.
Augenblicklich spitze ich meine Ohren und horchte auf. Unterhalten? Vertraute er mir etwa doch seine Probleme an? Sagt er mir, warum er geweint hatte?
Überrannt blickte ich nervös zu ihm, falls er mich nun mit seinem Leben konfrontierte, wäre ich unvorbereitet und aufgeschmissen. Zwar war ich meiner bescheiden Selbsteinschätzung nach passabel in solchen Gesprächen, doch dies bezog sich auf tiefgreifende Gespräche mit Freunden, wie es bei einfachen Klassenkameraden war, wusste ich schlicht nicht.
Der Rothaarige schnappte, scharfsinnig wie er war, meinen verwirrten Blick kurzerhand ein, der ihm verriet, dass mir nicht klar war, was ich tun sollte. „Es ist egal über was, such dir einfach was aus.", ergänzte er, nicht wissend, dass ich gerade gedacht hatte, er würde mir sein Herz öffnen. So weit waren wir wohl noch nicht.
„Also..." Ich räusperte mich kehlig, um meine verloren gegangenen Stimme zurückzuholen und zu testen, ob sie überhaupt funktionierte. Tendou wartete geduldig, bis ich soweit war, weiter zu sprechen.
„Wenn es weiter nichts ist.", sprach ich. In unmittelbarer Nähe rauschte der kalte Wind durch eine Baum und schüttelte dessen Krone durch. Der Regen hörte nicht auf, die dicken Wolken schienen sich über uns pudelwohl zu fühlen und dabei nicht einmal den Gedanken hegen, in nächster Zeit weiter zu ziehen.
Ein Zittern durchzog mich, brachte mich dazu, meine eiskalten Finger weiter ineinander zu verstecken. Meine durchnässten Klamotten wurden immer unangenehmer.
Ich blinzelte nachdenkend. Obwohl ich „Wenn es weiter nichts ist." gesagt hatte und es keine große Sache war, einfach über irgendetwas zu reden, stockte ich unfähig. Über was denn? Einfach irgendein Thema? Egal welches? Aber welches soll ich nehmen? Am Besten etwas, worüber man gut reden kann. Und über das wir beide Bescheid wissen.
Mein Kopf ignorierte meine ratternden Gedanken, die sich hektisch für etwas entscheiden wollten und spuckte ungeachtet meiner Überlegungen einfach das Nächstbeste aus, was mir spontan einfiel.
„Ich was bis eben im Bücher-Club." Verdammt. Das war ein dämlicher Satz. Als ob ihn das interessierte. Augenblicklich wollte ich nur noch im Erbboden versinken und ohrfeigte mich selbst ungehalten, dass ich keine einzige graue Zelle für diesen Satz angestrengt hatte.
Ich spürte, wie ich rot anlief und sich die Situation zu einer für mich peinlichen wendete. Plötzlich suchten sich meine Augen einen glänzenden, vollgefüllten Regentropfen, der sich entlang der metallischen Parkbank-Armlehne hangelte und sich auf seinen berechenbaren Weg mit kleineren vereinte.
Tu einfach so, als wolltest du das sagen, halte es in meinem Kopf, doch äußerlich sah ich schlicht verkrampft aus.
„Du bist im Bücher-Club? Liest wohl viel?" Glück gehabt. Mein Klassenkamerad ging auf meinen aus dem Nichts kommenden, sinnbefreiten Satz ein und dies sogar recht erleichtert, wie ich mit einem flüchtigen Blick auf sein Gesicht feststellte.
Ich nickte. Während ich meinen Kopf bewegte, lösten sich der nun kugelrunde Wassertropfen von der Armlehne und fiel glitzernd in die Tiefe. Unwiederbringlich zerschellte er auf dem ungnädigen Steinboden.
„Schätze ja. Es ist...etwas besonders, manchmal zumindest." Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Tendou neugierig seinen matten Blick von dem Innenleben des schützenden Schirmes nahm und mich nun interessiert anschaute.
Der erfreuliche Fakt, dass ich ihn mit meinem tollpatschigem Gerede von seinem Schmerz der letzten Minuten ablenken konnte, schenkte mir den Mut weiterzureden.
„Naja...es gibt Bücher bei denen du beim Lesen etwas empfindest. Es kann Trauer, Freude, Wut oder Zuneigung sein und das ausgelöst von einfachen Wörtern in Schwarz, die auf einer Papierseite abgedruckt sind. Ich finde das ziemlich krass.", gestand ich lächelnd und erinnerte mich an meiner Erfahrungen zurück.
Mit einem schnellen Blick zu meinem Sitznachbar versicherte ich mich, dass er weiterhin zuhörte. Und das tat er. Die ganze Zeit über, in der ich einfach drauf los redete, ihn mein absolutes Lieblingsbuch vorschwärmte, mich über einen naiven und zickigen Charakter aus einem anderen Buch beschwerte und ihn einweihte, wie viel Arbeit der Bücher-Club in seiner kleinen vergessenen Kammer eigentlich hatte.
Er war ein toller Zuhörer. Nie sprach er dazwischen, ließ mich immer ausreden und zeigte mir mit seinen Gesichtszügen immer eine Reaktion auf mein eben Gesagtes. Ebenso gut war er ein Erzähler, nachdem ich ihn mit Fragen, die ihn mit ins Thema rissen, sanft aufgefordert hatte, auch etwas dazu zu sagen.
Seine Stimme war erstaunlich angenehm, seine Sprechschnelligkeit gut zu verstehen und seine Erzählungen äußerst unterhaltsam. Bald vergaßen wir, warum wir eigentlich durchnässt bis auf die Knochen auf der einsamen Parkbank mitten im strömenden Regen saßen.
Wir redeten und redeten, sprangen wild von einem Thema zum nächsten und wieder zurück, falls es uns gefallen hatte. Uns beiden machte es überraschend viel Spaß miteinander zu reden, was ungewöhnlich war, wenn man bedachte, dass wir bis jetzt nur Sätze wie; „Wo haben wir jetzt Chemie?" oder „Heute fällt anscheinend Sport aus." gewechselt hatten.
Tendou und ich redeten weiter miteinander, unterstrichen unsere Wörter mit wilden Gestiken in der Luft.
Am Anfang hatte ich nuschelnd und scheu gesprochen, reagierte auf Tendou's Sätze mit Vorsicht und Bedacht, aus der Angst heraus, etwas falsch zu machen. Doch das Eis war nun zwischen uns zerbrochen, es war, als würde eine große Last von unseren Schultern fallen.
Inzwischen redeten wir wie alte Freude, als würden wir jeden Morgen gegenseitig aufeinander am Schultor warten und gemeinsam ins Gebäude gehen. Als würden wir in der Mittagspause beieinander sitzend plaudern und essen, als würden wir uns gemeinsam über Lehrer und Hausaufgaben beschweren, als würden wir am Ende des Tages zueinander nach Hause gehen.
Nach und nach hatten wir das gezwungene, unwohle Gefühl verloren und uns natürlicher unterhalten. Es war schön miteinander zu reden. Ich wunderte mich, warum ich nicht früher bemerkt hatte, was für ein angenehmer Typ er eigentlich war.
Als der nie enden wollende Regen dann schließlich doch aufhörte, war es, als würde mit einem Mal unsere kleine Welt brutal eingerissen werden.
„Der Regen ist vorbei.", informierte mich Tendou mit einer ausgestreckten, nicht mehr von meinem Regenschirm beschützen Hand, obwohl er wusste, dass ich dies schon längst bemerkt hatte.
Plötzlich fühlte ich mich komisch. Irgendwie leer. Ich wusste, die Zeit, die wir gerade miteinander hatten, war nun vorbei. Doch das prickelnde Glücksgefühl, mich so energisch mit ihm unterhalten zu haben, dass mir sogar die Kehle weh tat, überwog schwungvoll und übermütig.
Mit raschen Handbewegungen schloss ich den himmelblauen Schirm und Schüttelte ihn von uns weg haltend aus. Tausende Wassertropfen flogen glitzernd durch die Luft und vereinten sich sanft platschend mit der vor uns liegenden Pfütze, die ohne Regen friedlich vor sich hin lümmelte.
Tendou stand auf und fuhr sich durch sein nasses Haar, welches schlapp und vollgesaugt wieder nach unten fiel. Mal etwas anderes, ihn mit nicht nach oben gehenden Haaren zu sehen.
„Kommst du gut nach Hause?", fragte er, um wenigstens etwas zu sagen und so vielleicht die Stille zu vertreiben, die über uns gekommen war. Ich nickte. „Es ist nicht mehr weit bis nach Hause, ich komme klar. Und bei dir?" entgegnete ich, um diese Gespräch noch ein wenig länger am Leben zu halten.
Auch er nickte. „Ist kein Problem."
Erneut schwiegen wir uns an. Unsere Welt gab es nicht mehr.
Doch es hatte stattgefunden, unsere magische Unterhaltung. Wir beide fühlten uns nun wärmer und leichter, wir hatten Spaß gehabt in den letzten Minuten. Uns beiden war klar, dass wir dies nie vergessen würden.
„Also dann, auf Wiedersehen, schätze ich.", sprach ich zögerlich, während ich schwankend aufstand. Mir wurde unglaublich heiß, als ich Tendou's intensiven Blick auf mir spürte, mein Magen machte einen Satz und mein Herz schien einmal aus meiner Brust heraus und wieder hinein zu hüpfen.
Er konnte seinen Blick nicht von mir lösen, er versank in meinen Seelenspiegeln, suchte etwas in meinen Augen, sodass ich dachte, er würde mich für immer anschauen.
„Ich bin dir sehr dankbar, dass du dich neben mich gesetzt hast, vielen Dank. Du hast echt was gut bei mir." Ein wahres Lächeln zierte seine zitternden Lippen.
„Kein Ding, hab ich gern gemacht." Sein Lächeln erwiderte ich. Eine Weile sahen wir uns unsicher an, warteten hoffend darauf, dass der jeweils andere noch etwas sagte, doch keiner von uns sprang über seinen Schatten und öffnete seine Lippen. Sätze wie; „Sehen wir uns morgen?", „Ich würde mich gerne wieder so mit dir unterhalten." fielen nicht, obwohl sie uns beiden auf der Zunge lagen.
„Bis Morgen, Und noch mal vielen Dank.", verabschiedete er sich deutlich dankbar. „Bis Morgen.", entgegnete ich mit rauer Kehle, das Gefühl gerade etwas wichtiges zu verlieren, lastete unfassbar schwer auf meiner engen Brust.
Als wir uns beide umdrehten, er seine Hände mit seinem warmen Atem Leben einzuhauchen versuchte und ich meine steif anfühlenden Finger schmerzhaft um den Griff des Regenschirmes klammerten, fühlte sich alles komisch an.
Alles war plötzlich still um mich herum. Ich sah die Welt wieder, bestreut mit glitzernde Wassertropfen.
Wieder tat ich etwas, ohne mir Gedanken darüber zu machen. Ich tat es einfach. Meine Schuhe bekamen schutzlos einen Schwall Nässe ab, als ich mit ihnen in einer nicht tiefen Pfütze achtlos stehen blieb und mich wehmütig umdrehte.
Seine roten Haare waren von weitem noch zu sehen. Etwas in meiner Brust schmerzte und fühlte sich fremdartig an. Sehnsucht brannte in mir, doch ich konnte sie nicht löschen.
Es war nicht mehr wie zuvor, dies war uns beiden bewusst, besonders mir, während ich meinen Blick nicht von seiner immer kleiner werdenden Gestalt nehmen konnte, die nach kurzer Zeit um eine Ecke bog und verschwand.
Wir waren keine einfachen Klassenkameraden mehr.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top