Kapitel 1

„Kinder der Gaia sind begabt, dies anzuzweifeln, wäre sich dem Offensichtlichen abzuwenden, doch möge Gaia, denen beistehen, die nicht eindeutig oder gar nicht, den fünf göttlichen Ausprägungen Gaia's einzuordnen sind. Meine Sorge an alle verfluchten und zukünftig verfluchten Kinder Gaia's.",

Fragment aus dem originalen Essay „Die Leiden der Blutkinder", geschrieben und unveröffentlicht von Lady Amandra Bonneville (1878 gest.).


Wieso muss dieses Scheusal auch so hoch sein? Fluchend versuche ich meinen Halt zu bewahren, während sich mein rechter Fuß, in einem unnatürlichen Winkel, im Waschbecken einer schäbigen Tankstellen Toilette befindet. Krampfhaft klammere ich mich an der Kante des Waschbeckens aka. Scheusals fest und hoffe, dass mir mein anderer Fuß nicht, auf den feuchten Fliesen, wegrutscht. Dabei verdränge ich den Ekel, der mich bei den Gedanken überkommt, dass ich mit diesen Fuß wahrscheinlich in irgendeiner Pampe stehe, da Wasser nie und nimmer, so schleimig sein sollte.

Ein gequältes Seufzen entkommt mir. Wieso finde ich mich immer in einer solchen Situation wieder? Während ich die Frage gedanklich beiseite schiebe, ziehe ich mir eine weiter Scherbe aus meinen Fuß und werfe diese in den Mülleimer, gleich neben den Waschbecken. Die Scherbe gehört zu einer kaputten Bierflasche, in die ich getreten bin und jetzt bin ich schon seit einer halben Stunde dabei mir die kleinen Scherben aus meinen Fuß zu pulen.
Die nicht vorhandene Hygiene, im WC Raum einer Tankstelle, lässt mein Unterfangen in keinem guten Licht erscheinen. Ich meine, wer kommt auf die Idee, seinen blutigen Fuß in einem gelben Waschbecken zu stellen, während er barfuß mit den Anderen in einer schleimigen Pampe steht. Wichtig ist noch die Tatsache, dass das Waschbecken ursprünglich wohl nicht gelb war, sondern weiß. Das Leben zwingt einem, manchmal schon komische Situationen auf.
Ach, was würde ich jetzt nicht alles für einen eisgekühlten Cocktail tun, in dem sich einer von diesen bunten Papierschirmchen befindet, während ich vor mir einen schönen Ausblick auf das Meer habe und man am Horizont Segelschiffe beobachten kann, die sich leicht im Wind wiegen. Dazu noch eine Kühle Prise die mir sachte durchs Haar fährt und mein Leben wäre perfekt, stattdessen bin ich hier und das Meer ist weit von mir entfernt.

Ein schmerzhaftes Fiepen entschlüpft meinen Lippen, als ich aus versehen eine kleinere Scherbe weiter in meinen Fuß drücke, bei den Versuch eine Andere raus zu ziehen. Dabei verzieht sich mein Gesicht für einen kurzen Moment zu einer grotesken Grimasse, die ich in den Spiegel beobachten kann, der an der Wand hängt. Jetzt grade kann man mein Spiegelbild mit einem Wort beschreiben. Abschreckend. Und das liegt nicht nur an den Riss im Spiegel, der das ganze Bild nochmals leicht verzerrt. Nein, es liegt an der unnatürlichen Blässe die mein Gesicht durchzieht. Eine kränkliche Blässe. Keine gesunde Porzellan Haut Blässe. Unterstrichen wird diese nochmal durch die tiefen Augenringe und den leicht eingefallenen Wangen. Ich sehe so aus, als hätte ich die letzten Wochen nicht viel geschlafen oder etwas Nahrhaftes gegessen. Leider entspricht dies auch der Wahrheit. Die letzten zwei Wochen waren, nett umschrieben, nicht grade die einfachsten und sicherlich kann ich da noch mindestens eine Woche dranhängen.
Schließlich friste ich mein Dasein grade mitten im Nirgendwo und es befindet sich keine Stadt in nächster Nähe oder irgendwelche Anzeichen von Zivilisation. Die einzige Zivilisation, die ich nach zweieinhalb Tagen Fußmarsch erreicht habe, ist diese herunter gekommene Tankstelle mit einem kleinen Anbau, in dem sich eine Toilette für beide Geschlechter befindet. Wobei ich der Tankstelle zu Gute halten muss, dass sie meine Rettung ist, da ich schon fast zwei Tagen ohne Vorräte und ohne Schuhe unterwegs bin.


Grund dafür ist eine Motorbike Gang, die sich 'Road Driver' nennt. Der Name der Gang ist meiner Meinung nach ziemlich unkreativ. Dieser Haufen Hirnloser Männer hatte einen riesigen Spaß dabei mir meinen Rucksack abzunehmen, mir meine Schuhe von den Füßen zu reißen und mich beinahe zu vergewaltigen. Diese Vergewaltigung haben sie aber abgebrochen, weil mein Erscheinungsbild zu dem Zeitpunkt auch schon ziemlich abschreckend war und ich ihnen vor die Füße gekotzt habe. Übergeben habe ich mich allerdings nur wegen einer Gehirnerschütterung, die entstanden ist, als sie meinen Hinterkopf auf den Asphalt aufgeschlagen haben. Anfangs hatten sie noch Spaß bei den Gedanken ein wehrloses Mädchen auf der Straße zu Überfallen und sich zu amüsieren, als es dann aber um einen Freiwilligen ging, der mich vergewaltigen sollte, hatte niemand so wirklich Interesse und das sagt doch eine Menge über mich aus. Zum Beispiel muss ich einen echt üblen Gestank verbreiten, sodass selbst solche Widerlinge sich nicht an mir vergehen wollen. Warum sie aber meine Schuhe mitgenommen haben, wird für mich wohl immer eine Frage bleiben. Meine Vermutung liegt aber dabei, dass sie einen Schuhfetisch haben. So nach dem Motto, lass mal Schuhe von dem nächsten Fremden klauen, um sie unserer Sammlung hinzuzufügen. Unwahrscheinlich, jedoch begründe ich meine Theorie anhand der völlig fehlenden Intelligenz der Männer. Aber was soll man schon von einer Motorradgang, am Arsch der Welt, erwarten?

Meine Verfassung ist also nicht die Beste. Platzwunde am Hinterkopf. Zerrissenes T-Shirt. Blutige Füße. Erschöpfung. Und ich besitze nur ein paar Dollar, die sich in meiner Hosentasche befinden. Vielleicht erlaubt mir der Besitzer der Tankstelle einen Anruf zu tätigen, damit ich hier wegkomme. Aber wen sollte ich dafür bloß anrufen? Nach längerem Überlegen fällt mir auch keine Person ein, die mir helfen könnte. Freunde, hier in der Gegend, besitze ich nämlich nicht. In Allgemeinen muss ich mir eingestehen, dass ich keine Freunde habe. Traurig, aber wahr. Aber Hey, ich habe eine Familie. Eine Familie, die mich zwar hasst und ich sie deswegen nicht anrufen kann, aber immerhin eine Familie. Ich sollte es mir zum Ziel setzen öfters mal optimistisch, als pessimistisch, zu denken. Hab Mal gehört das soll glücklich machen. Diesen Gedanken verwerfe ich aber schnell. Ich glaube kaum, dass ich heute noch glücklich werden kann.

Meine Geduld ist am Ende, als ich ein weiteres Mal eine Scherbe weiter unter meine Haut schiebe, anstatt sie zu entfernen. Fluchend hebe ich meinen Fuß aus dem Waschbecken und ignoriere den Fakt, dass noch sämtliche Scherben in diesen stecken, nicht zu vergessen der ganze Dreck, der in die Wunden gekommen ist. Wird Zeit die Tankstelle zu betreten. Vielleicht kann mir der Besitzer auf irgendeiner Art und Weise weiterhelfen.
Mit neuer Entschlossenheit verlasse ich die Toilette und belaste dabei meinen rechten Fuß so wenig wie möglich. Den Schmerz den ich beim Auftreten habe, verdränge ich dabei. Ich ignoriere auch die entstehenden Schmerzen beim Laufen, die aufgrund der leichter Verbrennungen, unter meinen Füßen vorhanden sind, weil ich seit zwei Tagen barfuß auf den heißen Asphalt wandere. Nachdem hinter mir die Tür ins Schloss fällt und ich endgültig nach draußen trete, kommt mir erstmal eine Hitzewelle entgegen. Die schwüle Luft nimmt einem hier die Luft zum Atmen. Es ist erdrückend. Schotter, Sand und Asphalt soweit das Auge reicht. Mit dieser Tankstelle, als einziger Anhaltspunkt mitten in einer Wüste aus Steppen und Gestein.

Mein Weg führt mich zum Eingang der Tankstelle, vorbei an den rostigen Zapfsäulen. Mit dem Ziel, Hilfe zu bekommen, betrete ich das Gebäude der Tankstelle. Meine Aufmerksamkeit richtet sich als erstes auf das knattern eines Deckenventilators, der schon bessere Tage gesehen hatte. Das Knattern ist das einzige Geräusch in diesen Raum und unterbricht kaum die störende Stille. Mich umsehend, identifiziere ich diesen Raum, als eine Art kleiner Laden für Gebrauchsgegenstände und Snacks.
Hinter einen Tresen aus Holz sitzt ein alter Mann. Weiß Haare, viele Falten, Grübchen und leicht gelbliche Zähne. Der Mann macht eigentlich einen netten Eindruck, wäre da nicht dieser grimmige Blick mit dem er mich betrachtet. Das Gefühl nicht willkommen zu sein überkommt mich und ich merke wie meine Hoffnung hier Hilfe zu bekommen langsam erlischt. Aber ich wäre nicht ich, wenn ich schon Aufgeben würde bevor ich es überhaupt versucht habe. Meine Haltung wird automatisch, und trotz Schmerzen, aufrecht. Kinn gehoben und eine nette Begrüßung schon auf den Lippen, als der Mann mir dazwischenfährt. "Verschwinde, Gesindel wird hier nicht bedient und Gauner erst recht nicht." Mit seinem Kopf deutet er in Richtung Tür. Und nicht zum ersten Mal in meinen Leben bemerke ich, dass mein Stolz einen deutlichen Knacks abbekommen hat.

Mein Leben ist einfach gesagt, ziemlich erbärmlich. Der beste Beweis dafür ist meine Lebensgeschichte. Die aufrechte Haltung zerfällt in sich und nimmt ihre ursprüngliche Form an. Leicht zusammengesunken und als eine erbärmliche Spiegelung meines Lebens. Ich wage einen zaghaften Versuch mich zu Rechtfertigen. Dem Mann hinter der Theke zu erklären, dass ich weder Gesindel, noch ein Gauner bin, aber der Mann würgt mich einfach mit seinem Blick ab.

"Ich verschenke hier nichts. Hab schon Probleme genug diese Tankstelle am Leben zu erhalten. Ha. Soweit kommt's noch. Irgendwelchen Landstreichern etwas zu schenken, die nicht so aussehen, als könnten sie bezahlen." Hatte der Mann grade noch einen einigermaßen netten Eindruck auf mich gemacht? Ja, ich nehme es zurück. Dieser Mann ist ein unverschämter, ekelhafter Geizkragen! Temperamentvoll wie ich nun mal bin, nehme ich kein Blatt vor den Mund. "Wissen Sie alter Mann, wenn dieser Drecksschuppen vor die Hunde geht, liegt das sicherlich nicht an mir, sondern an ihrer Unfähigkeit diesen Laden zu führen. Gucken Sie sich doch um. Wer würde hier was kaufen? Bei einem alten grimmigen Manne in einer versifften Tankstelle, der es noch nicht mal mehr schafft mit einem Mopp den Boden vom WC sauber zu halten."

Die Reaktion des Besitzers fällt auf meine Erwiderung nicht besonders nett aus. Aufgebracht baut sich der Besitzer der Tankstelle zu seiner vollen Größe auf.

"Hören Sie mal junges Fräulein, wenn sie nicht sofort meinen Laden verlassen, nehme ich die Schrotflinte, die sich unter den Tresen befindet und ballere Ihnen ein schönes Loch zwischen den Augen."

Mir fällt meine Kinnlade herunter. Der Alte hat sie doch nicht mehr alle. Der gehört in die Geschlossene. Im Grunde habe ich aber auch selbst Schuld. Ich hätte wie so oft in meinem Leben einfach Mal die Klappe halten sollen.

Aber egal wie Temperamentvoll ich auch sein mag, schlussendlich kann ich meine Wut immer zügeln, wenn es drauf ankommt. Und ich weiß wann der Moment kommt, bei den man klein beigibt. Außerdem bin ich nicht dumm. Es ist nichts Ungewöhnliches, so weit ab vom Schuss, im Besitz einer Waffe zu sein, die in Griffnähe ist. Genau wie ein zwei Tote in der Woche hier auch nichts Ungewöhnliches sind. Interessieren tut sich hier für sowas niemand. Die paar Mal, die es über die Stränge schlägt, werden an Orten wie diesen gekonnt ignoriert. Ich senke leicht den Kopf, sodass ein Schatten über mein Gesicht fällt. Ein kaum hörbares Seufzen verlässt meine Lippen. Es hört sich resigniert an. Zaghaft drehe ich mich um und greife nach der Türklinke. Dabei wird mir klar, dass ich ihn für sein Verhalten nicht verurteile. An einem so abgelegenen Ort ist es nicht einfach. Sein Verhalten ist entschuldbar. Ich bin auch nicht sehr umgänglich, wenn ich mich angegriffen fühle.
Mit diesem Wissen verlasse ich den Laden ohne einen Kommentar abzulassen. Jeder Mensch geht halt seinen eigenen Weg. Für mich bedeutet das wohl in diesem Moment keine Hilfe zu bekommen. Welch ein Jammer. 

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