12. Brüderchen und Schwesterchen

12.  Brüderchen und Schwesterchen

Am nächsten Morgen wachte Emily schon früh auf. Sie lag einen Moment still im Bett und starrte an die Decke. Etwas war anders. Dann stürzte alles wieder auf sie ein. Sie hatte einen Bruder. Sie hatte Familie. Harry war ihr Zwilling, ihre andere Hälfte. Aber sie wusste nicht was sie genau fühlte. Sie freute sich, dass sie jetzt wusste wer ihre Familie war und dass sie sogar einen Bruder hatte. Gleichzeitig fürchtete sie sich auch. Sie hatten zehn Jahre getrennt voneinander verbracht und ohne voneinander zu wissen. Sie hatte Angst davor, dass Harry sie nicht mochte oder sie nicht als Schwester haben wollte. Dazwischen mischte sich der Gedanke, dass alles gar nicht real und sie alles nur geträumt hatte.

 „Emily! Kommst du? Wir haben Hunger!“, brüllte einer von den Zwillingen.

Emily lächelte und schwang sich aus dem Bett. „Ich komme“, brüllte sie zurück. In Rekordzeit zog sie sich um und rannte die Treppe hinunter. Die Zwillinge erwarteten sie schon grinsend.

„Ich dachte immer Mädchen brauchen lange im Badezimmer“, sinnierte George vor sich hin. Gemeinsam liefen sie die vielen Treppen hinunter in die große Halle.

 „Sieh mal es schneit“, rief Fred begeistert als sie auf dem Weg an einem der großen Fenster vorbeikamen. Emily sah nach draußen und sah nur weiß. Es schneite so große, weiße Flocken, dass man kaum ein paar Meter weit gucken konnte. Das wird nichts mit Fliegen, schoss es Emily durch den Kopf. Aber bevor sie sich einen anderen Treffpunkt überlegen konnte, zogen Fred und George sie schon weiter.

 Am Tisch trafen sie auf Harry und Ron. Ron war wie üblich dabei so viel Essen wie nur möglich in sich hinein zu schaufeln ohne zu platzen. Harry hingegen sah nachdenklich aus und aß kaum etwas. Emily setzte sich neben ihn und lächelte kurz. Sie verbrachte das Essen schweigend und lauschte der Unterhaltung zwischen den Weasleybrüdern. „Ich geh schon mal hoch. Wir sehen uns dann nachher“, sagte Harry plötzlich und stand auf. Er blickte zu Emily und sie stand ebenfalls auf.

 „Lass uns in die Eulerei hochgehen. Dort stört uns keiner“, schlug Harry vor. Emily nickte und die beiden liefen in ihre Schlafsäle um sich warme Sachen zu holen. Dick eingepackt in einen warmen Mantel, Schal und Wollmütze stiegen die beiden auf den Turm in dem sich die Eulerei befand. Es war ein runder Raum ganz oben, nur mit Fensteröffnungen, so dass der Wind ungestört hindurch pfeifen konnte. Auf langen Stangen saßen Hunderte von Eulen jeder Größe und schienen zu schlafen. Es war kalt hier oben und andauernd wehten einem Schneeflocken ins Gesicht, aber es war keine Menschenseele zu sehen.

 Als Emily und Harry eintraten schwebten zwei Eulen auf sie zu und landeten auf ihren ausgestreckten Armen. „Wir haben also beide eine Eule als Haustier gewählt“, stellte Emily lachend fest und strich Eos über das Gefieder.

 „Ja. Schon mal eine Gemeinsamkeit.“, sagte Harry, ebenfalls lachend. „Da fällt mir noch etwas ein. McGonagall hat damals zu mir gesagt, dass mein Vater ein exzellenter Quidditchspieler war. Das heißt Quidditch scheint bei uns in der Familie zu liegen. Hast du irgendwelche Erinnerungen an unsere Eltern?“

 Emily schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt keine. Das einzige ist ein Strahl grünen Lichts und ein fürchterlicher Schrei. Ich wusste noch nicht mal wie sie heißen. Ich habe mich auch nie getraut zu fragen, aber ich hätte sowieso keine Antwort bekommen.“

 „Kenne ich. Tante Petunia und Onkel Vernon haben mir auch nie eine Antwort gegeben. Und dann kam Hagrid vorbei und hat mir alles erklärt. Er hat einfach die Tür eingetreten." Harry kicherte bei dem Gedanken. „Und  unserem Cousin Dudley ein kleines Ringelschwänzchen verpasst. Es war der beste Geburtstag meines Lebens.“

 „Ich kann es immer noch nicht so ganz glauben, dass wir Zwillinge sind“, seufzte Emily. „Man verbringt zehn Jahre seines Lebens damit zu glauben, dass die eigene Familie tot ist und dann ändert eine Nacht alles und man hat einen Bruder.“

 „Mir geht es ja selbst nicht besser“, gab Harry zu. „Meine - unsere – Tante hat mir immer erzählt, dass sie bei einem Autounfall umgekommen sind. Und dann habe ich erfahren, dass sie von Voldemort umgebracht worden sind und ich als einziger überlebt habe. Ich war plötzlich der Junge der überlebt hat. Ich bin berühmt ohne es zu wissen. Ich dachte immer ich wäre alleine.“

 „Oh, Harry. Du wirst nie wieder alleine sein. Wir sind jetzt zu zweit“, rief Emily und umarmte Harry fest. Die beiden Eulen flatterten wild um sie herum. Harry blickte auf seine kleine Schwester hinab und lächelte. Emily löste sich aus der Umarmung.

„Das klang ein jetzt ein bisschen kitschig“, sagte sie verlegen. Sie sahen sich an und brachen in lautes Gelächter aus.

„Nein, eigentlich nicht“, antwortete Harry ehrlich.

 „Weißt du am Anfang habe ich gedacht, dass ich plötzlich verrückt werde, weil ich das Gleiche gespürt habe wie du. Am ersten Abend, nachdem McGonagall uns gesagt hatte, dass wir im Team sind und als ihr nachts unterwegs ward“, sagte Emily leise.

„Man fühlt plötzlich etwas was nicht zu einem gehört, aber dann wieder doch. Das erste Mal als wir uns die Hände gegeben haben und das zweite Mal beim Trollangriff. Du warst auf einmal so wütend“, sprach Harry. „Was war überhaupt los?“

 „Der Troll erinnerte mich an jemanden den ich kenne. Außerdem kann ich es überhaupt nicht leiden wenn jemand meine Freunde angreift", wehrte Emily ab. Sie wollte den Tag nicht damit verbringen alten Erinnerungen nachzuhängen. „Ich erzähle es dir später einmal.“

Harry sah sie verwundert an. "Dann kann dieser Jemand aber nicht sehr nett sein." Doch er wechselte das Thema und  begann ihr zu erzählen wie sie an Dudleys Geburtstag im Zoo waren und er die Schlange freigelassen hatte oder wie er einmal plötzlich auf dem Dach gelandet war. Dann schwankte ihre Unterhaltung zu ihren ersten Tagen in Hogwarts.

 „Ich war dir dankbar, dass du die einzige warst die nicht auf meine Narbe geschaut hat“, sagte Harry. „War ja auch nicht schwer. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du besonders bist.“, antwortete Emily lachend. „Aber wie sehr sich unser Leben geändert hat seitdem wir in Hogwarts sind. Mittlerweile ist es mein Zuhause.“ Harry nickte, ihm ging es genauso.

 „Was ist deine Lieblingsfarbe?“, fragte Harry unvermittelt. Emily sah ihn verwundert an und er erklärte: „Wir wissen fast nichts voneinander. Ich dachte wir machen einen Anfang.“

Sie lachte hell auf und antwortete: „Rot. Wie meine Haare und Gryffindor.“

 Sie unterhielten sich noch stundenlang, versuchten so viel wie möglich über den anderen zu erfahren und elf Jahre aufzuholen. Erst als beide durchgefroren und hungrig waren verließen sie die Eulerei und gingen zum Gemeinschaftsraum. Dort wurden sie schon ungeduldig von Ron und seinen Brüdern erwartet, die vor dem Kamin saßen.

 „Wo wart ihr? Wir haben uns schon Sorgen gemacht, weil ihr so lange weg wart“, rief Ron aufgeregt als er Emily und Harry erblickte.

„Waren wir wirklich so lange weg?“, fragte Emily erstaunt. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass schon so viel Zeit vergangen war.

„Wir sind nur ein bisschen unterwegs gewesen und haben geredet“, erklärte Harry.

 Die Zwillinge grinsten. „Nur geredet?“, zog Fred sie auf.

Emily erröte. „Harry ist nur-" Sie stoppte sich selbst, denn beinahe hätte sie gesagt mein Bruder. „-ein Freund.“, beendete sie hastig den angefangenen Satz. George zog fragend die Augenbraue hoch und lachte. Emily streckte ihm die Zunge raus.

 „Lass uns hinunter gehen. Ich hab Hunger“, sagte Ron und wie auf Kommando hörte man seinen Magen knurren. Jetzt war es an Ron zu erröten, denn alles lachte. Gemeinsam liefen sie die unzähligen Treppen hinab in die große Halle, die immer noch feierlich geschmückt war. Dumbledore saß am Lehrertisch und lächelte Emily und Harry zu als sie durch die großen Türen traten.

 *

 Die Weihnachtsferien flogen nur so vorbei und schon kamen die anderen Schüler wieder und der Unterricht begann wieder. Sie mussten Hermine leider berichten, dass sie nichts über Flamel gefunden hatte, vor allem weil sich keiner von ihnen mehr in die Verbotene Abteilung wagte. Auch wenn Emily noch oft an Nerhegeb denken musste und sich danach sehnte ihre Eltern wiederzusehen, so wagte sie es doch nicht noch ein weiteres Mal danach zu suchen. Dumbledores Worte klangen immer noch in ihrem Kopf nach.

 Bald fing auch wieder das Quidditchtraining an und zusammen mit den Bergen an Hausaufgaben lenkte es Emily wirkungsvoll von allen Gedanken an den Spiegel ab. Während des Trainings arbeitete Wood mit ihnen härter denn je, egal bei welchem Wetter. Doch wenn Gryffindor gegen Hufflepuff gewann würden sie Slytherin überholen, zum ersten Mal seit sieben Jahren. Allerdings warteten schlechte Nachrichten auf das Team.

 „Snape ist diesmal Schiedsrichter“, sagte Wood. Die Laune des Teams sank noch mehr, obwohl sie nach einem besonders dreckigen Training schon fast am Tiefpunkt war.

„Snape? Wann war der schon mal Schiedsrichter? Er wird nicht fair sein, nicht wenn wir Slytherin überholen können“, beschwerte sich George lauthals. Die anderen landeten auf dem Feld und beschwerten sich ebenfalls. Emily war diesmal auf ihrer Seite, obwohl sie immer noch vermutete, dass Snape hinter seiner griesgrämigen Schale ein netter Mensch war. Aber sie hatte im Unterricht gesehen wie unfair er sich gegenüber den Gryffindorschülern verhielt und das ließ nichts Gutes für das nächste Spiel hoffen.

 Noch dem Training blieb Emily noch auf dem Feld um mit Angelina und Katie zu üben. Angelina hatte sich während der Ferien ein paar Spielzüge für die Jägerinnen ausgedacht, die sie nun ausprobieren wollte. Doch da es schon bald so dunkel war, dass man fast gar nichts mehr sehen konnte und hörten deshalb auf. Emily liebte Quidditch, aber sie war auch froh, dass sie jetzt aufhörten, denn sie war dreckig und erschöpft. Außerdem machte Angelina mit ihren Trainingsmethoden durchaus Wood Konkurrenz.

 Emily schleppte sich nach oben in den Gemeinschaftsraum und hoffte einfach nur auf eine heiße Dusche als Hermine angelaufen kam. „Wir haben Flamel gefunden!“, flüsterte sie glücklich. Sofort war Emily wieder hellwach. „Stand hinten auf einer Schokofroschkarte. Er hat den Stein der Weisen erschaffen“, sprudelte es aus Hermine heraus.

„Dann ist also der Stein im dritten Stock versteckt“, sagte Emily.

„Ja. Weil Flamel und Dumbledore befreundet sind, und er wusste, dass jemand hinter dem Stein her ist.“

„Der Einbruch in Gringotts.“

„Richtig. Und jetzt ist Snape hinter dem Stein her.“

 „Snape?“, fragte Emily. „Ich würde ja eher auf Quirrell tippen. Er ist richtig komisch. Zombies besiegen, aber Angst vor einer simplen Schulklasse?“

„Da bist du einzige. Harry und Ron tippen beide auf Snape. Aber es ist schon komisch, dass Snapes Bein verletzt ist, als ob er versucht hätte am Hund vorbei zu kommen“, hielt Hermine dagegen.

Emily zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hast du Recht. Ich geh nach oben. Ich bin so müde, ich kann kaum richtig denken. Nacht.“

 Im Bett fiel ihr ein, dass sie Ron und Hermine immer noch nicht gesagt hatten, dass sie Zwillinge waren. Deshalb schnappte sie sich in der nächsten Mittagspause Harry, Ron und Hermine und zog sie in die leere Mädchentoilette.

 „Was hast du vor?“, keuchte Ron. „Und was machen wir in der Mädchentoilette?“

„Die wird nicht mehr benutzt. Die Zwillinge haben mir von ihr erzählt. Man muss nur auf die Maulende Myrte aufpassen, aber die ist grad nicht da“, erklärte Emily. „Bevor ich anfange, müsst ihr schwören, dass ihr es keinem erzählt was ihr gleich erfahrt.“

 Ron und Hermine sahen sie verwundert an, aber schworen es. Harry, der begriffen hatte was Emily vorhatte, lächelte. „Jetzt rück schon raus“, forderte Ron ungeduldig.

Emily holte tief Luft und sprach: „Ich bin die Zwillingsschwester von Harry.“ Jetzt sahen Ron und Hermine ernsthaft geschockt aus.

 Hermine war die erste die ihre Sprache wiederfand. „Das hätte ich nie gedacht. Seit wann wisst ihr davon?“

„Seit Weihnachten. Dumbledore hat es uns erzählt. Davor wusste es ja auch keiner von uns beiden“, erklärte Harry. „Aber wir müssen es geheim halten.“, fügte Emily hinzu.

 „Warum das den?“, fragte Ron.

„Oh, Ron. Verstehst du denn nicht?“, sagte Hermine. „Harry ist berühmt, er hat schließlich Du-Weißt-Schon-Wen überlebt. Und wenn Snape schon hinter dem Stein der Weisen her ist, wer weiß ob er nicht auch hinter Harry her ist? Denk an das Quidditchspiel! Und weil Emily seine Schwester ist, ist sie automatisch auch in Gefahr.“

Emily nickte zustimmend. Ron schien jetzt endlich auch ein Licht aufzugehen, denn er nickte ebenfalls. Aber er legte den Kopf schief und sah zwischen Emily und Harry hin und her.

 „Was ist?“, fragte Harry irritiert.

„Ihr seht euch nicht wirklich ähnlich. Wenn man es nicht wüsste, würde man es nicht glauben.“ Sie brachen in Lachen aus, selbst Ron grinste. Das Lachen brach die Angespanntheit zwischen ihnen. Plötzlich hörten sie ein leises Pfeifen wie ein Wind der um die Ecke pfeift.

 „Los. Das ist wahrscheinlich die Maulende Myrte. Sie sollte uns hier besser nicht entdecken“, flüsterte Emily und schob die drei nach draußen.

„Außerdem fängt der Unterricht bald an. Wir sollten uns beeilen, damit wir nicht zu spät kommen“, fügte Hermine hinzu.  Ron konnte man ansehen wie wenig er begeistert war, aber er ließ sich widerwillig von Hermine mitziehen.

 Emily und Harry gingen ein Stück hinter den anderen her. „Danke, dass du es ihnen gesagt hast. Ich hätte nicht gewusst was ich sagen sollte“, sagte Harry.

Emily lächelte. „Ich wusste es auch nicht. Aber in diesem Fall war die Wahrheit das einfachste.“

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Die Widmung ist für Mondschimmer fürs Fannen, die netten Kommentare & die Votes :) Danke :)

Außerdem empfehle ich euch ihre HP-Fanfiction Lerne Fliegen durchzulesen :)

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