21 | Schlechte Erinnerungen
Wir sind wahrscheinlich alle gespannt wie ein Bettlaken, was Marten da zu sagen hat, oder? Deshalb gehts auch ohne viel Bla Bla direkt weiter...
„Eigentlich ist es sogar gut, dass du fragst...", räumte er ein. Ich musterte ihn aufmerksam, als er mir den Kopf zudrehte und mir fest in die Augen sah. „Es hat was mit meiner Ex zu tun..."
Es war offensichtlich, dass er nur ungern über das Thema sprach, denn er ließ seinen Blick kurz durch den Raum schweifen und schien nach einem passenden Einstieg in das Thema zu suchen. Schwer seufzend strich er sich durchs Haar, dann sah er mir wieder ins Gesicht.
„Das mit ihr ging über zwei Jahre, immer wieder on/off – und es war die ungesündeste Beziehung, die ich jemals hatte. Am Anfang war alles cool. Aber immer, wenn wir gestritten haben, ist sie komplett eskaliert – und hat mich mitgezogen, weil ich auch die Beherrschung verloren habe. Ich hatte das nicht im Griff. Aber ich hatte Gefühle für sie und wollte das nicht einfach kampflos wegwerfen. Also haben wir gekämpft für eine Sache, die zum Scheitern verurteilt war, denn mit jedem Streit ist es schlimmer geworden. Wir haben uns immer mehr reingesteigert und aneinander hochgezogen. Irgendwann haben wir uns mindestens so sehr gehasst, wie wir uns geliebt haben. Sie hat es immer wieder geschafft, meine dunkelsten Seiten zum Vorschein zu bringen, und ich habe es ihr heimgezahlt, indem ich ihre inneren Dämonen geweckt habe. Wir hatten uns nicht unter Kontrolle, also haben wir uns krank geliebt, tollwütig gestritten und gestört wieder versöhnt. Wir wussten beide, dass wir toxisch füreinander sind, aber wir haben es nicht geschafft, voneinander loszukommen, weil wir süchtig danach waren, uns gegenseitig kaputtzumachen. Als wir uns endlich richtig getrennt haben, habe ich mir geschworen, mich nie mehr auf sowas einzulassen. Ich will mich nie wieder so fühlen oder einen anderen Menschen dazu bringen. Eine Beziehung sollte beiden guttun und sie nicht kaputtmachen..."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Seine Vergangenheit berührte mich tatsächlich tief in meinem Herzen und es tat mir leid, dass er in so einer Beziehung festgesteckt hatte. Die Art, wie er mir davon erzählt hatte, zeigte jedoch, dass er viel über sich gelernt hatte und in der Lage war, sich zu reflektieren. Ihm war bewusst, dass ihn eine Teilschuld traf, was darauf hindeutete, dass er sich seither weiterentwickelt hatte. Er wusste, was er wollte – und was nicht. Heftige Auseinandersetzungen, so wie unsere gestern Abend, gehörten nicht dazu. Ich fühlte mich miserabel. Reumütig zog ich die Unterlippe zwischen die Zähne.
„Tut mir leid. Ich wollte keine schlechten Erinnerungen in dir hochholen", sagte ich leise. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen.
„Ich weiß. Aber vielleicht verstehst du jetzt, weshalb ich gestern nur noch abhauen wollte..."
Ich atmete tief durch, strich durch seine Haare und sank seufzend auf seine Brust.
„Wahrscheinlich hätte ich an deiner Stelle auch die Flucht ergriffen", räumte ich ein. Er drückte mir einen Kuss auf den Haaransatz.
„Danke, dass du es mir erzählt hast", nuschelte ich nach einer Weile an seiner Brust.
„Danke, dass du mir einfach zugehört hast, statt mich komisch anzugucken."
Ein Moment der Stille entstand, doch sie fühlte sich nicht unangenehm an; im Gegenteil. Es war, als würde sie uns einander noch näherbringen. Wir schwiegen einfach und genossen die Nähe des anderen. Irgendwann schielte Marten auf die Uhr.
„Ich muss langsam los", seufzte er, doch ich war noch nicht bereit, ihn gehenzulassen.
„Nur noch ein bisschen", schlug ich deshalb vor, doch er schüttelte den Kopf.
„Geht nicht, muss noch mit Chopper raus. Aber ich kann dich vorher beim Café absetzen. Dann hast du keinen Stress mit der Parkplatzsuche", bot er an. Ich dachte kurz über seinen Vorschlag nach, dann nickte ich.
„Okay", lächelte ich, drückte ich ihm einen letzten Kuss auf die Lippen und schob die Bettdecke zur Seite.
Es fiel mir schwer, mich wenig später vor dem Café von ihm zu verabschieden. Das, was er mir über seine Exfreundin erzählt hatte, brachte mich zum Nachdenken. Ich hatte keine schlechten Erinnerungen in ihm wecken wollen und hoffte, dass ich nicht durch meinen Ausraster etwas zwischen uns kaputtgemacht hatte. Ich verbrachte einfach viel zu gern Zeit mit ihm. Umso mehr freute ich mich über seinen Vorschlag, mich nach meiner Schicht wieder abzuholen und noch einen Film bei ihm zu schauen. Wir verabschiedeten uns und ich stieg aus dem Wagen. Er wartete noch, bis ich das Café betreten hatte, bevor er verschwand.
Es waren tatsächlich um die Mittagszeit schon mehrere Tische besetzt, was daran lag, dass um die Ecke der Wochenmarkt stattfand und einige Rentner, Hausfrauen oder Mütter mit kleinen Kindern dann noch einen Zwischenstopp auf einen Kaffee bei uns machten. Meine Großmutter erwartete mich bereits hinter dem Tresen. Doch uns blieb keine Gelegenheit zu quatschen, denn zwei ältere Damen bestellten einen kleinen Snack, den ich in der Küche zubereiten musste. Anschließend ging es Schlag auf Schlag. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, die ganzen Bestellungen zuzubereiten. Am Nachmittag stellte mich auch noch eine große Gruppe auf die Probe.
Sie waren schon unfreundlich und sprachen in herrischem Tonfall mit mir, als sie ankamen. Aber ich hatte die Ruhe bewahrt und die Tische zusammengeschoben sowie sämtliche Wünsche notiert und mehrmals mein Tablett mit Heißgetränken und Kuchen vollgeladen. Mit ihrer Lautstärke hatten sie die anderen Kunden vertrieben. Einerseits musste ich mich dadurch nur noch auf die Damen konzentrieren, andererseits haderte ich mit mir, ob es richtig war, ihnen nicht nahezulegen, dass sie aus Rücksichtnahme etwas leiser miteinander schnattern könnten. Ihre Beschwerden über das unzureichende vegane und fettfreie Angebot, hatte ich schon nur noch zähneknirschend hingenommen, aber dass sie alle getrennt bezahlen wollten, setzte dem Ganzen die Krone auf. Es stand mir bis obenhin, während ich die einzelnen Posten verrechnete. Natürlich war es kein Problem, dass sie alle einzeln zahlen wollten, aber es bedeutete, dass ich alles auseinanderrechnen musste. Um das Ganze zu vereinfachen, holte ich ein Blöckchen und einen Stift dazu. Es dauerte eine Weile, bis ich alles, was die Erste von ihnen verzehrt hatte, zusammenaddiert, von der großen Rechnung gestrichen und abgerechnet hatte. Nach und nach ging ich alle Damen durch.
„Geht das vielleicht auch etwas schneller? Ich habe noch einen wichtigen Termin und würde ungern zu spät kommen", unterbrach mich eine der Kundinnen in meiner Rechnerei.
„Ich bin gleich soweit", versprach ich, dann addierte ich weiter die einzelnen Posten zusammen.
„Ich muss auch jetzt los."
„Wenn Sie das nicht schneller können, nehmen Sie doch einen Taschenrechner", schlug eine andere abschätzig vor. Ich biss mir auf die Zunge und atmete unmerklich tief durch. Dass sie erst eine getrennte Abrechnung forderten, ihnen diese bei den vielen Positionen nicht schnell genug gehen konnte und sie anfingen, mich zu gängeln, reizte mich. Dennoch zwang ich mir ein Lächeln auf, schließlich hatte ich die Hoffnung, sie würden wenigstens noch etwas Trinkgeld dalassen.
„Also Mathematik scheint nicht Ihre Stärke zu sein", warf eine der Damen bissig ein und deutete auf den Block. „Da haben Sie sich verrechnet. Das müssen zwanzig Cent sein."
Schnell prüfte ich ihre Kritik. Sie hatte Recht. Ohne ihren Einwand wäre es mir vermutlich nicht einmal aufgefallen.
„Oh, haben Sie bei mir gerade denn richtig gerechnet?", hakte eine andere nach, noch während ich mit der anderen Rechnung beschäftigt war. „Geben Sie mal meinen Zettel, das will ich besser nochmal nachrechnen. Nicht, dass ich zu viel bezahlt habe."
Ihr unfreundlicher Ton ärgerte mich. Schließlich machte ich das nicht mit Absicht und jedem unterliefen mal Fehler. Dennoch schob ich ihr den Zettel rüber, auf dem ich all ihre Posten notiert hatte. Während sie ihn kritisch beäugte, schaffte ich es, den richtigen Betrag für ihre Freundin auszurechnen und abzukassieren.
„Und, stimmt es?", hakte ich jetzt bei der anderen nochmal nach, nur, um sicherzugehen, keinen Flüchtigkeitsfehler übersehen zu haben. Sie nickte wortlos.
„Können wir jetzt endlich bei mir weitermachen? Ich habe nun wirklich keine Lust, zu spät zu kommen, nur, weil Sie Zeit haben, gemächlich zu arbeiten."
Der bissige Kommentar der nächsten Dame brachte mein Blut endgültig zum Kochen. Was erlaubten die sich überhaupt? Ich merkte, dass meine Finger sich um den Stift verkrampften. Die Wut, die sich in mir aufstaute, drohte sich ihren Weg nach draußen zu suchen. Instinktiv schaute ich mich nach weiteren Gegenständen um. Allein die Vorstellung, ihr das Kartenlesegerät an den Kopf zu werfen, verschaffte mir Genugtuung. Als ich merkte, dass ich dabei war, meinen Fehler zu wiederholen, biss ich mir auf die Zunge.
Plötzlich schlich sich Marten wieder in mein Gedächtnis. Gestern Abend noch hatte ich mich elendig gefühlt, weil ich mich nicht im Griff gehabt und ihn mit Tellern beworfen hatte. Ich musste etwas ändern, wenn ich nicht immer wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen und mir das Leben schwermachen wollte. Mein Hals schmerzte, als ich versuchte, meine aufkeimenden Emotionen herunterzuschlucken. Statt dem Wunsch nachzugeben, ihr um die Ohren zu hauen, wie respektlos ihr Verhalten war, addierte ich wortlos die restlichen offenen Posten zusammen. Erst, als die Kundinnen das Café verlassen hatten, verbarrikadierte ich mich für einen Moment in der Küche, um mich zu sammeln. Dabei dachte ich an meinen bevorstehenden Abend mit Marten und daran, dass ich mich von meiner Wut nicht mehr beherrschen lassen durfte.
Ein vorfreudiges Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich merkte, dass ich tatsächlich ruhiger wurde. Der Gedanke daran, dass ich heute Abend wieder Zeit mit ihm verbringen würde, half mir, die restlichen Stunden zu überstehen und mich nicht aus der Reserve locken zu lassen.
Es fühlte sich an wie eine schöne Entschädigung für diesen mental anstrengenden Tag, als wir abends mit Chopper an der großen Wiese entlangschlenderten, die sich hinter dem Haus bis hin zur Elbe erstreckte. Marten hatte seinen Arm um mich gelegt, in der anderen Hand hielt er die Hundeleine. Ich drehte ihm den Kopf zu.
„Es geht so", antwortete ich ehrlich auf seine Frage, wie es mir ging. Er zog eine Augenbraue hoch und musterte mich skeptisch.
„Weil?"
„Wir hatten eine riesige Gruppe da. Die waren mit dem Essen und dem Service nicht zufrieden, wollten alle einzeln bezahlen und das konnte natürlich nicht schnell genug gehen, also haben sie mich blöd angemacht, dass ich gefälligst mal ein wenig schneller arbeiten soll", fasste ich die Situation grob zusammen. Er sah mir erwartungsvoll ins Gesicht.
„Du ahnst nicht, wie viel Energie es mich gekostet hat, sie nicht mit dem Kartenlesegerät zu bewerfen", ergänzte ich trocken. Er schmunzelte.
„Was hast du stattdessen gemacht? Sie beleidigt?", hakte er nach. Ich schüttelte den Kopf.
„Ich habe an dich gedacht und daran, dass ich mich nicht mehr von meiner Wut beherrschen lassen wollte", erzählte ich.
„Und, hat es geholfen?", wollte er wissen und sah nochmal zu mir. Ich nickte.
„Ich war danach immer noch wütend, aber ich habe immerhin nicht nochmal den Ruf des Cafés aufs Spiel gesetzt", sagte ich. Er nickte.
„Ich bin stolz auf dich."
„Ich bin auch stolz auf mich", lächelte ich bedächtig.
„Sieht aus, als würde wenigstens eine von uns Fortschritte machen", sagte er. Ich runzelte die Stirn und sah zu ihm auf.
„Warum?", wollte ich wissen. „Was hast du gemacht?"
Er seufzte schwer.
„Hab vor dem Laden geparkt. Hatte keine Zeit, zwischendurch die Parkuhr umzustellen, also hat mich so eine aufgeschrieben. Ich bin raus, wollte mit ihr darüber reden, aber sie wollte einfach nicht einsehen, dass ich nun mal mein Geschäft dort habe und nicht alle zwei Stunden rausrennen kann. Ein Wort hat das andere gegeben, bis ich sie beleidigt habe. Wird vermutlich teuer...", erzählte er.
„Naja, wenigstens hast du sie nicht mit ihrem Scanner beworfen", sagte ich trocken und brachte ihn damit zum Lachen. Er zog mich näher zu sich heran und küsste meine Schläfe.
„Ich bin froh, dass ich dich habe."
Überrascht sah ich zu ihm auf. Es war das erste Mal, dass er so etwas in die Richtung sagte. Wir sprachen noch immer nicht oft davon, was das eigentlich nun zwischen uns war. Es war also so etwas wie das erste Eingeständnis seinerseits.
„Ich bin auch froh", bestätigte ich.
Wir gingen noch ein Stück, bis Chopper sein Geschäft gemacht hatte, dann machten wir uns auf den Rückweg. In seiner Wohnung angekommen, machte ich es mir auf der großen Wohnlandschaft im Wohnzimmer gemütlich. Marten ließ sich neben mich fallen. Erst jetzt bemerkte ich das kleine Päckchen in seiner Hand. Verzückt begannen meine Augen zu strahlen, als ich das Geschenkpapier sah.
„Auch, wenn du es eigentlich nicht verdient hast...", begann er seine Ansprache und reichte mir das kleine Geschenkpäckchen. Ich lächelte gerührt.
„Wie süß du bist", schwärmte ich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Für meine Lulu nur das Beste", sagte er großspurig. Eigentlich wollte ich protestieren, doch das Geschenk in meinen Händen hielt mich davon ab. Ich betrachtete es, schüttelte es neugierig und versuchte schon vor dem Öffnen zu ertasten, was es war, doch ich hatte keine Idee. Also riss ich ungeduldig das Papier auf. Ich stutzte, als ein Paket Plastikteller zum Vorschein kam. Martens Lippen hatten sich inzwischen zu einem frechen Grinsen verzogen.
„Fürs nächste Mal."
Er sagte es so trocken, dass ich lachen musste. Er stimmte mit ein.
„Du bist so ein Arschgesicht", lächelte ich kopfschüttelnd.
„Gerade das magst du ja so an mir", erwiderte er von sich selbst überzeugt und sah mir fest in die Augen. Ich biss mir auf die Zunge.
„Es gibt so viel mehr, was ich an dir mag", offenbarte ich ihm. Er lächelte schief.
„Was denn zum Beispiel?"
„Dass du mich zum Lachen bringst. Dass du dich für mich interessierst. Dass du mich unterstützt. Dass ich mich auf dich verlassen kann. Und du mich akzeptierst, wie ich bin", zählte ich nur einige der Eigenschaften auf, die ich an ihm mochte.
„Ich mag dich auch. Sehr sogar", sagte er, bevor er seine Lippen auf meine drückte. Augenblicklich begann alles in mir zu kribbeln und ich seufzte leise in den Kuss hinein. Diese Worte aus seinem Mund bedeuteten mir so viel, gerade, weil wir bisher nie über unseren Beziehungsstatus gesprochen hatten. Es löste ein unbeschreibliches Glücksgefühl in mir aus, zu hören, dass er für mich genauso viel empfand wie ich für ihn. Ich hielt ihn dicht bei mir, küsste ihn ein weiteres Mal. Dann löste ich mich von ihm und sah ihm reumütig ins Gesicht.
„Das mit den Tellern tut mir wirklich leid", beteuerte ich. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen.
„Glaub bloß nicht, dass ich dich einfach so davonkommen lasse. Und jetzt küss mich nochmal, bevor ich mir das alles anders überlege."
Was soll ich sagen, irgendwie hat sich ja gerade alles ein wenig aufgelöst. Er hat gar nicht so schlimme Dinge gemacht, wie sie geglaubt hat, und dass er ihr von seiner Vergangenheit erzählt hat, macht jetzt auch verständlicher, wieso er ist, wie er ist, oder was meint ihr?
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