18 | Offenbarungen
Ihr Süßen, danke für eure Votes und Kommentare :) Hier geht es mit dem nächsten Kapitel weiter. Bin gespannt, was Marten so zu ihrem Ausflug zu sagen hat. Haha.
Ich fühlte mich völlig gerädert, als der Wecker mich aus den Träumen riss. Verschlafen sah ich auf das Display meines Smartphones und lächelte unwillkürlich, als ich Martens Nachricht sah.
„Sehen wir uns heute Abend?"
Mein Bauch kribbelte vorfreudig. Ich konnte es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Da ich ungern über Neuigkeiten sprach, bevor sie spruchreif waren, hatte ich ihm vorerst nichts von dem möglichen neuen Job auf dem Kiez erzählt, doch weil das spontane Probearbeiten so gut verlaufen war, würde ich das heute nachholen.
Nachdem Viktor mich regelrecht überfallen hatte, war ich erst spät in der Nacht nach Hause gekommen und nach einer Schicht im Café und einer in der Strandbar todmüde ins Bett gefallen. Viktor hatte nicht zu viel versprochen. Es war nicht einmal Wochenende, und doch hatte ich alle Hände voll zu tun gehabt. Betrunkene Trucker, vorlaute Touristen und gescheiterte Existenzen hatten sich praktisch damit abgewechselt, mich auf Trab zu halten. Anfangs war es mir nicht leichtgefallen, meine übliche Zurückhaltung Fremden gegenüber abzulegen, doch mit der Zeit war ich lockerer geworden, hatte ihnen ein offenes Ohr geschenkt und mich oberflächlich gut mit ihnen unterhalten. Obwohl ich nicht auf den Mund gefallen und Stress gewohnt war, war die Arbeit dort allerdings keineswegs mit der im Café zu vergleichen. Bei meinen Großeltern wurde ich weder herumkommandiert noch angepöbelt, die Luft war nicht rauchig und auch der Lärmpegel zwischen lauter Musik, derben Gesprächen und ausgelassenem Feiergegröle war definitiv etwas, woran ich mich erst gewöhnen musste. Doch vorher erwartete mich die nächste Frühschicht. Also blieb mir nichts anderes übrig, als aufzustehen.
„Gerne. Kommst du nach der Arbeit zu mir?", tippte ich jedoch zunächst eine Antwort an Marten. Erst, als ich sie abgeschickt hatte, quälte ich mich aus dem Bett und nahm eine kurze Dusche, um meine Lebensgeister zurückzubringen. Anschließend gönnte ich mir ein Frühstück bestehend aus einer Banane und einem Apfel, schlüpfte in eine Jeans und ein Shirt, band meine Haare zu einem Pferdeschwanz und schminkte mich dezent, bevor ich mich auf den Weg ins Café machte.
Als ich dort ankam, erwartete meine Großmutter mich bereits. Ich konnte in ihren Augen sehen, dass etwas nicht stimmte, denn sie wirkten traurig und glanzlos. Da wir noch etwas Zeit hatten, bis wir öffneten, nahm sich sie zur Seite, nachdem wir gemeinsam die Tische mit frischen Blumen dekoriert hatten und zusammen in die Küche zurückkehrten.
„Was ist los?", fragte ich, wissend, dass sie genauso ungern über ihre Probleme sprach wie ich und es hasste, sich zu beklagen. Also erwartete ich keine überbordenden Ausführungen. Sie seufzte, dann fuhr sie zu mir herum.
„Wir haben einen Bescheid vom Finanzamt bekommen. Wir müssen Steuern nachzahlen", erzählte sie knapp. Die Erkenntnis, dass die finanziellen Sorgen meiner Großeltern sich schlagartig verschlimmert hatten, brach mir beinah das Herz. Sie hatten immer ihr Bestes gegeben.
„Um wieviel Geld geht es denn?", fragte ich ohne Umschweife, wissend, dass sie genauso ungern über ihre Emotionen sprach wie ich.
„5300 Euro", antwortete sie, während sie sich die Schürze umband. Ich schluckte unmerklich. Das war eine ganze Menge Geld.
„Und bis wann müsst ihr bezahlen?", hakte ich nach. Sie setzte einen verärgerten Gesichtsausdruck auf.
„Bis zum 15. Nächsten Monats."
Ich seufzte.
„Tut mir leid. Aber du musst dir keine Sorgen machen. Ich kann euch was dazugeben", schlug ich vor. Sie hob abwehrend die Hände.
„Das kommt gar nicht infrage", sagte sie entschieden. Ich hatte mit keiner anderen Reaktion gerechnet.
„Aber ich habe ein bisschen gespart und würde es dir nicht anbieten, wenn es nicht möglich wäre", redete ich auf sie ein und versuchte, sie davon zu überzeugen, meine Unterstützung anzunehmen. Schließlich würde ich demnächst auf dem Kiez noch etwas dazuverdienen. Doch sie schüttelte vehement den Kopf.
„Auf keinen Fall. Du hast uns schon genug gegeben. Außerdem hast du selbst kaum Geld und hilfst uns immer noch aus, indem du für einen Hungerlohn bei uns arbeitest, statt dir einen Job zu suchen, der dich sattmacht", kommentierte sie ernst.
„Um ehrlich zu sein, fange ich in einer Bar an", beschönigte ich, dass ich mir zukünftig gegen Bezahlung in einer Zufluchtsstelle für Alkoholiker und andere Gestrandete die Nächte auf der Amüsiermeile zwischen Betrunkenen, Drogendealern, Junkies und Prostituierten um die Ohren schlagen würde. Das Gesicht meiner Großmutter hellte sich ein wenig auf.
„Da freu ich mich aber", lächelte sie, bevor sie mich beherzt an sich drückte. Ich erwiderte es und schlang meine Arme um sie. Als sie sich wieder von mir löste, sah sie mir fest entschlossen ins Gesicht.
„Trotzdem kriegen wir das auch ohne dich hin", versicherte sie mir. „Wir werden den Gürtel in den nächsten Monaten einfach noch etwas enger schnallen."
Ich verkniff mir einen bissigen Kommentar, dass viel enger wohl kaum noch möglich war, und entschied, stattdessen mit meinem Großvater noch einmal darüber zu sprechen.
„Und jetzt komm... Wir müssen den Laden öffnen", sagte sie, bevor sie mit gestrafften Schultern erhobenen Hauptes an mir vorbei aus der Küche huschte.
Auch, als ich an diesem Abend nach Hause kam, kreisten meine Gedanken immer wieder um die Frage, wie ich mit den Steuerschulden meiner Großeltern umgehen sollte. Einerseits konnte ich verstehen, dass meine Oma mein Geld nicht annehmen wollte, schließlich war ich ihr in diesen Dingen sehr ähnlich. Andererseits würde es mir durch den Job auf dem Kiez vermutlich gut möglich sein, ihnen finanziell unter die Arme zu greifen, ohne, dass ich am Hungertuch nagen musste. In meinem Kopf rechnete ich bereits meinen Lohn aus, den ich bekommen würde, wenn ich über die Wochenenden arbeitete.
Als ich mir die Sneaker von den Füßen gestreift hatte, stellte ich die Plastiktüte auf der Küchenzeile ab und holte die Essensboxen heraus, die meine Großmutter mir gerade noch eingepackt hatte. Sie wusste, dass ich heute Abend noch mit Marten verabredet war und hatte es sich nicht nehmen lassen, in einer ruhigen Minute einen kleinen Snack zum Abendessen für uns vorzubereiten, den ich mit nach Hause nehmen konnte. Automatisch huschte mein Blick auf das Display meines Smartphones. Es dauerte nicht mehr lang, bis er hier sein würde.
Ich nutzte die wenige Zeit, die mir noch blieb, um Shirt und Jeans gegen ein Top und eine gemütliche Jogginghose zu tauschen, dann huschte ich ins Bad, um mich frischzumachen und mein Make-Up nachzubessern. Ich war gerade damit fertiggeworden, als es klingelte. Mit einem vorfreudigen Lächeln auf den Lippen drückte ich auf den Türöffner, dann erwartete ich Marten an der Türschwelle. Es dauerte nicht lang, bis ich seine Schritte im Treppenhaus hören konnte. Dann bog er um die Ecke. Seine rote Snapback hatte er tief ins Gesicht gezogen, seine breite Brust drückte sich durch den Stoff des dunklen Shirts, dass er mit einer rot-weiß gemusterten Shorts und weißen Sneakern kombiniert hatte.
„Hey", begrüßte er mich und drückte mir einen Kuss auf.
„Hey", murmelte ich an seinen Lippen, ehe ich mich von ihm löste und einen Schritt nach hinten machte, um ihn hereinzulassen.
„Was ist passiert?", wollte ich wissen, als er die Tür hinter sich schloss.
„Schlechter Tag", sagte er und streifte sich die Sneaker von den Füßen. Ich schluckte unmerklich.
„Willst du drüber reden?", fragte ich vorsichtig und musterte ihn aufmerksam. Als ich den finsteren Ausdruck in seinen Augen sah, zog mein Magen sich unheilvoll zusammen.
„Hatte nen Gerichtstermin", antwortete er vage. Sofort rutschte mir das Herz in die Hose und der geheimnisvolle Brief schlich sich wieder in mein Gedächtnis.
„Weshalb denn?", hakte ich nach, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Er winkte ab.
„Hatte nen Unfall auf nem Parkplatz...", antwortete er. Ich runzelte die Stirn.
„Das war's?", platzte es aus mir heraus. „Ein Unfall auf nem Parkplatz?"
„Was hast du gedacht, was jetzt kommt? Dass ich jemanden umgebracht habe?", wollte er wissen und sah aus großen Augen auf mich herab. Ich seufzte schwer und fühlte mich schlecht, weil ich mich in die Sache in den vergangenen Tagen hineingesteigert hatte.
„Naja, wir sind nicht umsonst in diesem Kurs", sagte ich und nagte reumütig an meiner Unterlippe.
„Aber ich habe dir doch gesagt, dass du dir darüber keine Gedanken machen musst", erwiderte er verständnislos. Ich seufzte schwer.
„Ich weiß, aber ich habe mir trotzdem Sorgen gemacht", gestand ich.
„Nee, stand einfach Aussage gegen Aussage, deshalb ging das vor Gericht", erzählte er.
„Und du hast verloren", schlussfolgerte ich angesichts seiner finsteren Miene.
„Hmm", brummte er.
„Tut mir leid", sagte ich und drückte ihm einen Kuss auf. Vielleicht konnte meine Neuigkeit über den Job auf dem Kiez seine Laune ja auch ein wenig heben.
„Oma hat mir essen mitgegeben...", sagte ich und deutete mit einem Kopfnicken auf die Resteboxen. Sein Gesicht hellte sich augenblicklich ein wenig auf. Inzwischen war er ein Fan ihres Essens geworden, nicht zuletzt, weil sie mir häufiger etwas für uns einpackte und es ihm sehr gut schmeckte.
„Was gibt's denn?", fragte er neugierig und streckte seine Hand nach einer der Boxen aus. Ich grinste.
„Eine Nudelpfanne mit Gemüse. Das musste wohl weg", schmunzelte ich. Sein Grinsen wurde noch breiter, als er die Box aufklappte und einen Blick auf das herrlich duftende Pasta-Gericht warf.
„Sieht super aus."
„Finde ich auch. Komm, ich mach uns das schnell warm", sagte ich und schob das Essen aus den Boxen auf zwei Teller, um sie in die Mikrowelle zu stellen. Marten brachte unterdessen Besteck, Gläser und Getränke nach draußen. Da das Wetter nach wie vor gut war, bot sich ein Abendessen auf dem Balkon an. Als die Nudeln aufgewärmt waren, folgte ich ihm, zog die Tür hinter mir zu und reichte ihm seinen Teller. Dann setzte ich mich ihm gegenüber an den kleinen Tisch und wir machten uns über Omas Abendessen her. Während wir aßen, erzählte er mir von seinem Tag. Ich hörte ihm aufmerksam zu, als er mir von seinem Besuch bei seinen Eltern berichte. Als er fertig war und wir unsere Teller leergegessen hatten, lehnte er sich entspannt zurück und zündete sich eine Zigarette an. Ich lächelte. Endlich bot sich die Gelegenheit, in Ruhe mit ihm über den neuen ob zu sprechen.
„Ich muss dir auch was erzählen", sagte ich also. Er musterte mich stirnrunzelnd, zog an seiner Kippe und blies den Rauch aus.
„Was denn?", hakte er nach und musterte mich neugierig.
„Ich hab einen neuen Job."
Er musterte mich verblüfft.
„Echt?", lächelte er. „Wo denn?"
„In so nem Laden auf dem Kiez", antwortete ich und nippte an meinem Glas Zitronenlimonade. Er zog skeptisch die Augenbrauen zusammen.
„Was für'n Laden?"
Martens Stimme war einige Oktaven dunkler geworden.
„Strandbar heißt der", erzählte ich. Marten, der nochmal an der Kippe zog, versteifte sich auf seinem Stuhl und nahm mich düster ins Visier.
„Wie kommst du denn an die Strandbar?", hakte er misstrauisch nach.
„Als ich mit Sam was trinken war, hat eine der Kellnerinnen mitbekommen, dass ich einen Job suche. Die von der Strandbar haben händeringend eine neue Bardame gesucht, also hat sie mich kurzerhand dorthin vermittelt", plapperte ich aufgeregt drauf los. Marten schnaubte. Ich schluckte unmerklich, als sein Blick sich verfinsterte. Seine eben noch hellblauen Augen wirkten von einer Sekunde auf die andere wie die stürmische, raue See.
„Auf gar keinen Fall arbeitest du da."
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