15 | Ungutes Bauchgefühl

Cuties, ich wünsche euch viel Spaß mit dem Kapitel und einen schönen Übergang ins Neue Jahr :) Fühlt euch alle gedrückt und geknutscht. Inspired by a true story, have fun :D

„Ich finde, heute sollte jemand anfangen, der lang nichts erzählt hat", sagte der Seminarleiter und schaute über die Gläser seiner Brille prüfend in die Runde. Marten schmunzelte dämlich, als ich mich neben ihm tiefer in den knarzenden Stuhl drückte und mir Mühe gab, nicht aufzufallen. Zu meinem Leidwesen gab es in dieser Woche tatsächlich mehrere berichtenswerte Vorfälle, doch ich hatte sicherlich nicht vor, mich in die Fremdschamparade einzureihen.

„Erzähl mal das vom Drive In Schalter neulich", raunte Marten mir zu, während ich mir wünschte, mich in Luft auflösen zu können. Ich warf ihm einen vernichtenden Seitenblick zu, schließlich wusste er, wie ungern ich über solche Dinge sprach, denn das bedeutete, mir meine Fehler und Schwächen einzugestehen.

„Sprich du doch über deine Totaleskalation im Wald", zischte ich genervt. Er lachte leise.

„Als ob", grinste er belustigt. „Ich bin doch nicht bescheuert."

„Marten – Sie haben so lang nichts mehr erzählt", pickte Dr. Sandmann sich, vermutlich animiert von unserer kleinen Kabbelei, prompt meinen Sitznachbarn heraus. Der hob abwehrend die Hände.

„Nee, wirklich nicht", sagte er entschieden, doch der Seminarleiter nahm ihn erwartungsvoll ins Visier.

„In den letzten Sitzungen sind Sie immer davongekommen. Aber eine Totaleskalation klingt nach etwas, das ich dringend hören möchte", erwiderte er bestimmt. Nachdem Marten versucht hatte, den Fokus auf mich zu lenken, nur, um nicht selbst ins Visier zu geraten, geschah ihm das gerade recht.

„Danke für nichts, Lulu", murmelte er mürrisch, bevor er sich Dr. Sandmann zuwandte und betont lässig abwinkte. „So schlimm, wie sie gesagt hat, war das gar nicht."

Ich zog skeptisch eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts, sondern wartete ab, wie er aus der Nummer wieder herauskam.

„Ich war mit meinem Hund und einer Hexe im Wald spazieren. An dieser Stelle wird der Weg sehr schmal, also sind wir hintereinander gegangen. Mein Hund vorneweg, dann sie, hinten ich. Auf einmal kam uns so ein Idiot auf einem BMX-Bike entgegen."

Auch die anderen Teilnehmer des Kurses hörten Marten gespannt zu, während ich mich bereits unangenehm berührt in den Stuhl drückte.

„Er hatte ziemlich viel Speed drauf und ist voll auf uns zugehalten. Rechts und links von uns waren nur Büsche, etwa brusthoch, also war Ausweichen keine Option. Aber der Pisser hat nicht daran gedacht, abzusteigen oder wenigstens anzuhalten", erzählte Marten weiter und versteifte sich bei der Erinnerung daran auf seinem Stuhl.

„Und was ist dann passiert?", wollte Dr. Sandmann wissen.

„Er ist wohl davon ausgegangen, wir würden in die Botanik springen, um ihn vorbeizulassen, aber da hat er sich geschnitten..."

„Und was heißt das?", hakte der Seminarleiter nach.

„Ich hab mich um das Problem gekümmert", antwortete Marten vage. Ich unterdrückte ein Schmunzeln, als er versuchte, die Tatsachen zu beschönigen.

„Und wie?", bohrte das Sandmännchen weiter. Marten fasste sich in den Nacken und drehte den Kopf hin und her.

„Naja, wie man das eben so macht", wich er einer konkreten Antwort aus. Ich verdrehte die Augen.

„Er ist an mir vorbeigeschossen, hat den Typen vom Fahrrad gezogen und ihn ins Gebüsch geschubst", warf ich von der Seite ein. Marten drehte mir fassungslos den Kopf zu.

„Dein Ernst, dass du mir in den Rücken fällst, nachdem ich dir sozusagen das Leben gerettet habe?"

Ich schüttelte den Kopf.

„Aber das Rad hättest du echt nicht noch oben draufwerfen müssen", sagte ich. Marten sah mich aus großen Augen an.

„Das nächste Mal kannst du ja deinen Hexenbesen holen und drum rumfliegen, wenn dir das lieber ist", schoss er unbeeindruckt zurück. „Außerdem bist du kein bisschen besser als ich. Erzähl doch mal, was du dem Typen auf dem Parkplatz an den Kopf geworfen hast, als ich dich vorgestern nach deiner Schicht vom Café abgeholt habe", hielt er dagegen. Ich verdrehte schnaubend die Augen.

„Es geht aber gerade um deine Geschichte, nicht um meine", wehrte ich seinen Vorwurf ab.

„Marten, lassen Sie uns erstmal bei dem Vorfall im Wald bleiben. Was ist danach passiert?", unterbrach der Seminarleiter uns und griff das ursprüngliche Thema wieder auf.

„Was soll schon passiert sein? Wir sind weitergegangen", antwortete Marten schulterzuckend. Dr. Sandmann nickte, dann begannen die anderen Teilnehmer, anerkennend zu klatschen. Ich verdrehte unterdessen die Augen und hielt die Hand davor. Als die klatschwütige Meute sich beruhigt hatte, wandte Dr. Sandmann sich zu meinem Leidwesen an mich. „Louisa... Von welchem Vorfall auf dem Parkplatz hat Marten gerade gesprochen?"

***

„Ich kann nicht glauben, dass du so leicht aus der Nummer rausgekommen bist", sagte Marten empört, als wir ein paar Stunden später in seinen Wagen stiegen. Ich grinste.

„Gekonnt ist eben gekonnt", sagte ich überlegen und schnallte mich an. Er schüttelte den Kopf, dann tat er es mir gleich und startete den Motor.

„Du hast einfach nur Glück, dass du ne Frau bist und große Brüste hast, sonst hätte der dich nicht so leicht vom Haken gelassen", sagte er, schaute über die Schulter und lenkte das Auto aus der Parklücke. Ich grinste.

„Ich sage es dir nur ungern, aber es gab Zeiten, in denen hast du mich auch auf meine weiblichen Attribute reduziert", konterte ich vergnügt, strich mir die Haare nach hinten und drehte ihm herausfordernd den Kopf zu.

„Keine Ahnung, wie du darauf kommst, dass diese Zeiten vorbei wären", schoss er zurück, ohne mich anzusehen.

„Du bist bloß sauer, dass du die ganze peinliche Nummer aus dem Wald erzählen musstest", erwiderte ich wissend und sah zum Fenster hinaus. Die bunten Lichter der Stadt zogen an uns vorbei, während Marten das Auto durch den Verkehr lenkte.

„Das war ja wohl alles deine Schuld, du scheiß 31er", pöbelte er und warf mir einen finsteren Seitenblick zu. „Das nächste Mal sehe ich einfach dabei zu, wie dich irgendein Spast mit seinem Bike umnietet."

Ich grinste.

„Du hast angefangen. Schon vergessen?"

„Weil deine Geschichte sehr viel harmloser war als meine und ich keinen Bock hatte, das zu erzählen", erwiderte er. „Ich weiß nicht mal, warum dir das unangenehm war. Ich hingegen hätte beinah irgendeinen Hurensohn mit seinem eigenen Fahrrad erschlagen, nur, um dich zu beschützen."

Ich seufzte schwer.

„Okay, ich hab's geschnallt. Eigentlich war deine Übersprungshandlung eine Rettungsmission, bei der es um Leben und Tod ging", sagte ich trocken. Er verdrehte die Augen.

„Endlich hast du's verstanden."

Marten schwieg eine Weile, dann schaute er kurz zu mir herüber.

„Sollen wir noch was essen gehen?"

Ich verzog mein Gesicht zu einer leidenden Grimasse.

„Ich muss früh raus", erinnerte ich ihn an meine anstehende Frühschicht im Café. Seit ich meinen Job hingeschmissen hatte, schob ich Extraschichten bei meinen Großeltern. Natürlich kam meiner Oma das zugute, doch das Geld aus dem Büro fehlte mir an allen Ecken und Enden, denn sie konnte mir nicht mehr zahlen als den Mindestlohn – und selbst das war mir angesichts ihrer finanziellen Lage bereits unangenehm. Doch ich wusste, sie würde es nicht übers Herz bringen, mich verhungern zu lassen, nach allem, was ich für sie aufgegeben hatte.

„Okay, sollen wir zu mir? Dann bring ich dich morgen zur Arbeit."

Es dauerte nicht lang, bis wir seine Wohnung betraten. Der lange Tag im Café steckte mir in den Knochen und ich war froh, dass ich gleich endlich Jeans und Pulli gegen ein bequemes Outfit tauschen konnte. Während ich müde meine Sneakers von den Füßen streifte, fiel mein Blick auf einen gelben Briefumschlag, der aufgerissen auf der Kommode lag. Als ich skeptisch die Stirn runzelte, bemerkte auch Marten, dass ich ihn entdeckt hatte. Kommentarlos nahm er ihn an sich und verschwand im Schlafzimmer. Mein Magen zog sich unterdessen unheilvoll zusammen, während ich ihm folgte. Wir schwiegen einen Moment, während wir uns umzogen. Doch meine Neugier war so groß, dass ich es gerade mal aushielt, bis er seinen dicken Hoodie ausgezogen hatte.

„Post vom Gericht?", hakte ich vorsichtig nach, die Augen nach wie vor neugierig auf den Umschlag gerichtet, den er auf das Board gegenüber vom Bett geworfen hatte. Seit ich für meinen eigenen Prozess vorgeladen worden war, wusste ich wie unliebsame Briefe aussahen. Marten, der inzwischen nur noch in Boxershorts vor mir stand, zögerte einen Moment.

„Nur ne belanglose Sache. Nichts, worüber du dir Gedanken machen musst", versuchte er, mich in Sicherheit zu wiegen. Als ich meine Klamotten zu seinen gelegt hatte, machte ich ein paar Schritte auf ihn zu und musterte ihn misstrauisch. Er besuchte schließlich nicht grundlos diesen Kurs mit mir.

„Sicher?", hakte ich skeptisch nach. Er reichte mir, wie bei meiner letzten Übernachtung, ein T-Shirt aus seinem Kleiderschrank, und ließ sich dann aufs Bett fallen.

„Ja, nur bürokratischer Kram", antwortete er. „Sag mir lieber, wie dein Vorstellungsgespräch gewesen ist."

Ich seufzte lautlos, als er mich unerwartet daran erinnerte. Für einen Moment haderte ich mit mir, denn seine Antwort stellte mich nicht zufrieden. Doch es war offensichtlich, dass er nicht weiter über den Brief sprechen wollte. Anstatt nachzubohren, streifte ich mir das T-Shirt über den Kopf.

„Am Anfang lief alles super – bis ich offenbart habe, dass ich in Omas Café arbeite und nicht vorhabe, das aufzugeben", erzählte ich. Marten, der es sich inzwischen in den weichen Kissen gemütlich gemacht hatte, runzelte die Stirn.

„Was haben die gesagt?", wollte er wissen. Ich ließ frustriert die Schultern hängen.

„Dass sie befürchten, ich könnte dann nicht voll bei der Sache sein", erwiderte ich, während ich zu ihm ins Bett krabbelte.

„Es ist also scheiße gelaufen", fasste er treffsicher zusammen.

„Ja. Sie haben gesagt, sie melden sich, aber eigentlich ist es schon klar, dass die mich nicht nehmen", brummte ich und ließ mich in die Daunen sinken. Es war ein schönes Gefühl, mich wieder in seinen Arm zu kuscheln. Er legte die Decke über uns, dann zog er mich fest an sich.

„Lass dich davon nicht runterziehen. Du bist schlau, du findest schon was", sagte er zuversichtlich und streichelte über meinen Rücken.

„Danke", lächelte ich selig, als er mir einen Kuss auf die Stirn drückte. Dass er an mich glaubte, half mir über die Enttäuschung hinweg. Es beruhigte mich, von seiner Körperwärme eingehüllt zu werden, das leise Rascheln der Decke zu hören und seine Hand auf meinem Rücken zu spüren.

„Schlaf jetzt", nuschelte er leise, die Augen geschlossen. Wohlig seufzend schmiegte ich mich ein wenig dichter an ihn. Doch meine Gedanken schweiften erneut zu dem Brief ab. Hoffentlich hatte er sich nicht in ernsthafte Probleme verstrickt, die weitreichendere Konsequenzen nach sich zogen als unseren Anti-Aggressionskurs. 

Naw, cute sind die. Aber was hat es mit diesem Brief auf sich? Was denkt ihr?

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