03 | Erinnerungen

Ihr Süßen, ich wünsche euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel :)

Während ich die Bilder wieder verdrängte, musterte Marten mich zweifelnd. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er noch immer nicht wusste, wo er mich hinstecken sollte. Die gemeinsame Nacht war sicherlich etwas, woran wir uns beide ungern erinnerten, aber dass er gänzlich vergessen hatte, was zwischen uns gewesen war, reizte mich so sehr, dass das Blut in meinen Adern regelrecht zu kochen begann. Ich hatte erwartet, dass auch er das unschöne Erlebnis gern ungeschehen machen würde, doch dass an der Stelle, wo meine miesen Erinnerungen waren, offenbar eine riesige Gedächtnislücke klaffte, so, als hätte ich nicht einmal ansatzweise irgendeinen Eindruck bei ihm hinterlassen, kränkte mich zutiefst. Ich wusste, dass es im Grunde genommen Schwachsinn war, schließlich hatten wir beide zu viel getrunken und unseren Teil dazu beigetragen, dass diese Nacht ein riesiger Flop geworden war. Trotzdem verstand ich nicht, wieso er so gar keine Erinnerung mehr an mich hatte. Ich war weder unattraktiv noch langweilig, sodass er sich zumindest an mein Gesicht erinnern sollte. So sehr ich auch bemüht war, mich vor all den Anwesenden zu kontrollieren – es gelang mir nicht. Die Hitze, die sich bis in meine Fingerspitzen ausgebreitet hatte, wurde nahezu unerträglich, ehe sie sich in einer riesigen Explosion entlud.

„Weißt du was? Häng dich weg, Marten."

Mit den Worten ließ ich ihn stehen und rauschte aus dem Raum, während mir die anderen ratlos und verblüfft gleichermaßen dabei zusahen. Eilig hastete ich durch den muffigen Gang des in die Jahre gekommenen Gebäudes in Richtung Treppenhaus.

„Ey!", hallte seine Stimme mir aufgebracht hinterher, doch ich ignorierte ihn und setzte meinen Weg fort. Kurz darauf rauschte ich aus dem Gebäude und sog die kühle Nachtluft tief in meine Lungen. Ich wusste inzwischen nicht mehr, was mich wütender machte – Martens augenscheinlicher Blackout oder dass ich ein Seminar besuchen musste, bei dem sich irgendwelche Irren zur Aggressionsbewältigung gegenseitig beklatschten. Ich war hier offensichtlich falsch, denn ich neigte zwar hin und wieder zu Wutanfällen, aber im Vergleich zu diesen Verrückten war ich nun wirklich harmlos.

Natürlich stand ich mit meinen zwei Jobs ständig unter Stress und machte mir zusätzlich Druck, weil ich meine Großeltern nicht hängenlassen wollte. Sie hatten immer hart gearbeitet, um irgendwann mal etwas hinterlassen zu können, aber in den vergangenen Jahren lief das Café schlecht, nicht zuletzt meinetwegen, und jetzt, wo sie kurz vor der Rente standen, machten sie sich große Sorgen um ihre Zukunft. Also versuchte ich, sie so gut es eben ging zu unterstützen, auch, wenn das bedeutete, dass ich selbst viele Verluste hinnehmen musste.

Vor einiger Zeit hatte ich deshalb eine Stelle im Büro angenommen, doch meine Chefin, die vermutlich in ihrem vorherigen Leben mal ein Drache gewesen war, machte mir das Leben schwer. Jede Woche lief sie einem neuen Trend hinterher und wechselte ihre Meinung wie andere ihre Unterwäsche, weshalb es mir oft kaum möglich war, die Abgabefristen einzuhalten, ohne Überstunden zu machen.

Der ganze Druck und die Unsicherheit setzten mir oft so zu, dass sich meine Nägel in meine Handflächen bohrten. Ein Schreibtisch, der vor mir stand, wirkte dann auf einmal wie ein willkommenes Ziel und ich fegte alles herunter, was sich darauf befand, während die Wut in mir hochkochte.

„Ey, bleib stehen!"

Martens bedrohliche Stimme, die durch die Dunkelheit hallte, riss mich aus meinen Gedanken. Erst jetzt hörte ich seine schnellen Schritte hinter mir und begriff, dass er offenbar die Verfolgung aufgenommen hatte. Da seine Beine wesentlich länger waren als meine, dauerte es zu meinem Leidwesen nicht lang, bis er mich einholte.

„Ey, bleib jetzt stehen!", wiederholte er seine Forderung, diesmal energischer. Der hatte echt Nerven. Obwohl es nur noch wenige Meter bis zur Straße waren, fuhr ich aufgebracht zu ihm herum.

„Keine Ahnung, mit was für Frauen du Primat sonst so redest, aber ‚ey' ist nichts, womit ich mich angesprochen fühle", fauchte ich und ballte meine Fäuste so fest, dass meine Knöchel weiß wurden.

„Wo willst du hin? Wir müssen die Übung machen!", überging er meine Ansage, als er vor mir stehengeblieben war. Seine blauen Augen durchbohrten mich regelrecht, als er erwartungsvoll auf mich herabschaute. Ich schnaubte wütend.

„Einen Scheiß muss ich", stellte ich entschieden klar.

„Ich hab keinen Bock, dass ich wegen dir am Ende den Kurs nicht anerkannt kriege", pöbelte er auf mich herab.

„Machst du jetzt auf Vorzeige-Alman in der Besserungsanstalt?", verspottete ich ihn und verschränkte abwehrend meine Arme vor der Brust. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und sein Gesichtsausdruck wurde ernst.

„Hast du immer so schlechte Manieren oder einfach nur deine Tage?", schoss er zurück. Ich stieß einen verächtlichen Laut aus.

„Du weißt nicht mal mehr, wer ich bin, und redest von Manieren – genau mein Humor", kommentierte ich bissig. Marten runzelte die Stirn. Seine Augen huschten verzweifelt über mein Gesicht, so, als versuche er, etwas zu erkennen. „Sorry, aber ich kann mir Gesichter schlecht merken", lächelte er nun entschuldigend, nichts ahnend, dass er damit alles nur noch schlimmer machte.

„Soll ich dir nochmal meinen nackten Arsch zeigen? Vielleicht erinnerst du dich an den", half ich ihm trocken auf die Sprünge. Während ich ihm einen abfälligen Blick schenkte, zählte Marten Masterbrain eins und eins zusammen.

„Oh. So gut kennen wir uns also", erwiderte er und kratzte sich beschämt am Hinterkopf. „Tut mir leid."

„Gut kombiniert, Sherlock. Aber ich kann dir nicht verübeln, dass du die peinliche Nummer verdrängt hast", ergänzte ich grimmig. Ich konnte spüren, wie meine Wut nachließ, als ich in seine blauen Augen schaute. Die Erinnerung an unsere gemeinsame Nacht war immer noch peinlich, aber seine aufrichtige Miene ließ mich zumindest kurz darüber nachdenken, ob er nicht vielleicht eine zweite Chance verdiente. Er zog die Augenbrauen hoch.

„Was meinst du?", hakte er verblüfft nach.

„Die Nacht war so schlecht, dass dir das wirklich leidtun sollte..."

„Okay. Du verwechselst mich", konterte er wie aus der Pistole geschossen und reckte mir überheblich das Kinn entgegen. Ich schüttelte entschieden den Kopf.

„True Lies, Fake Love?", zitierte ich eines der Tattoos unterhalb seines Bauchnabels. Er schüttelte grinsend den Kopf.

„Das hast du auf meinem Insta-Profil gesehen."

Ich verdrehte schnaubend die Augen, dann nickte ich in Richtung seiner Leisten.

„Die großen Kreuze rechts und links darunter und das-"

„Okay, okay", unterbrach er sie und riss abwehrend die Hände nach oben. „Aber eigentlich vergesse ich sowas nicht", beteuerte er zerknirscht.

„Wir haben uns im Cocoon Club kennengelernt. Ich bin mit zu dir. Du warst sehr betrunken. So betrunken, dass nur der eine Teil von dir Sex wollte. Der andere Teil war allerdings schon mit Auskatern beschäftigt", frischte ich sachlich seiner Erinnerung auf.

„Dein Ernst?", fragte er ungläubig und legte nachdenklich die Stirn in Falten.

„Meinst du, so eine peinliche Sache würde ich mir ausdenken?", schoss ich zurück, legte den Kopf schief und musterte ihn vernichtend. Er ließ seufzend die Schultern sinken.

„Okay, wohl eher nicht", räumte er ein. „Tut mir echt leid."

Mit einem frechen Schmunzeln auf den Lippen ließ er seinen Blick wohlwollend über meine vollen Brüste, meinen flachen Bauch und mein breites Becken wandern.

„Wir könnten es nochmal versuchen und diesmal sauf ich vorher nichts", bot er mir dermaßen plump eine Entschädigung an, dass selbst ich schmunzeln musste.

„Nichts für Ungut, aber ich hatte nicht vor, dieses Desaster zu wiederholen", gab ich bestimmt zurück und machte Anstalten, den Weg zum Auto fortzusetzen.

„Ich schwöre, du hast mich bloß auf dem falschen Fuß erwischt", beteuerte er. Als ich nochmal zu ihm herumfuhr, grinste er schief und hob wie zum Schwur seine Hand. Seine Augen funkelten schelmisch.

„Oh Gott, lass es bitte gut sein", lachte ich ausgelassen. Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Wut auf ihn bereits verraucht war.

„Sagst du mir trotzdem nochmal deinen Namen?", fragte er höflich, machte einen weiteren Schritt auf mich zu und sah mir neugierig ins Gesicht. Damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet.

„Warum? Du merkst ihn dir doch eh nicht", stichelte ich und entlockte ihm ein Lachen.

„Diesmal schon. Ich will dich schließlich nicht immer mit ,ey' ansprechen müssen." Ich seufzte leise, dann gab ich schließlich nach.

„Louisa."

Er reichte mir seine große, tätowierte Hand.

„Freut mich, dich kennenzulernen. Also... nochmal", sagte er, während er meine Finger in seine nahm. Ich ignorierte das sanfte Kribbeln meiner Fingerspitzen, als er sie schüttelte.

„Und jetzt komm. Keinen Bock, wegen dir noch einen Fehltag zu bekommen", fügte er trocken hinzu, ließ meine Hand los und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung des Seminargebäudes.

„Ich hatte eigentlich nicht vor, da heute nochmal reinzugehen", sagte ich und strich mir widerspenstig das Haar nach hinten. Als ich vorhin zögernd das Seminargebäude betreten hatte, war mir der muffige Geruch förmlich entgegengeschlagen und die stickige Luft drinnen hatte mich nahezu erdrückt. Er seufzte schwer.

„Meinst du, ich kann mir nichts Geileres vorstellen?"

Ich zog meine Augenbrauen zusammen.

„Ich weiß. Hast es schließlich vorhin deutlich genug gesagt", erinnerte ich ihn. Seine Lippen verzogen sich zu einem frechen Grinsen und sein Blick verriet, dass er sich in der Situation durchaus wohlfühlte.

„Ach, du dachtest, das war wegen dir", schlussfolgerte er amüsiert.

„Weshalb auch sonst?", gab ich misstrauisch zurück. Er schmunzelte.

„Ich hab allgemein nie Lust auf diese dummen Therapie-Spiele", klärte er das vorangegangene Missverständnis auf. „War also nicht auf dich bezogen."

„Aha", machte ich, noch immer mürrisch. Er hielt mir einladend seine Hand hin.

„Vorschlag. Wir gehen jetzt da rein und ziehen das zusammen durch. Und danach erzählst du mir, wie ich es beim nächsten Mal besser machen kann."

Hach, das klingt doch nach einer richtig abenteuerlichen Nacht, die die beiden miteinander verbracht haben, oder was meint ihr? Haha. Wäre euch das unverhoffte Wiedersehen dann auch unangenehm? Oder würdet ihr der Sache doch noch eine Chance geben? Haha.

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