Überfall
D/N
Mein Herz raste. Das Blut konnte ich sogar in meinen Ohren pochen hören, während ich mich eng an die Mauer presste - nicht nur mein Blut, sondern auch Isaacs. Wir sind drinnen.
Dank unseres vorangegangenen Besuches konnte ich unser ungefähres Zeitfenster ziemlich exakt abschätzen, das sich öffnete sobald der letzte Wagen das Gelände verließ und sich anschließend zusammen mit dem Tor schloss. Zwischen dem Herausfahren des Wagens, bis zur Torschließung ergaben sich circa 25 Sekunden. 25 wichtige Sekunden, die über so viel zu entscheiden vermochten.
Doch ich war mir ziemlich im Klaren darüber, wie wir das Beste aus unserem kleinen Zeitfenster herausholen konnten. Kaum war der Wagen aus dem Gelände gefahren, huschten Zack und ich im Schutze der Dunkelheit um die Ecke, direkt am Tor vorbei und drückten uns im Innenhof an die meterhohe Mauer, um möglicherweise anwesenden Wachleuten auszuweichen.
Der Dunkelhaarige stand direkt neben mir, im Gegensatz zu mir erschien er mir hingegen doch weitaus gelassener als ich selbst. Immer noch ein wenig nervös zwar, aber keinesfalls sah er ängstlich aus. Wäre aber auch ziemlich untypisch für ihn.
Unsere Blicke trafen sich, als er nach rechts und links spähte und sich auf der suche nach Wachleuten umsah. Seine Augen blieben an mir hängen.
Tiefes Unbehagen machte sich in meiner Brust breit. Beide wussten wir ganz genau, wie unser Plan aussah - ein weiteres oder vielleicht sogar letztes Gespräch zwischen uns war dabei nie eingeplant gewesen.
Jeder Moment zu viel an diesem Ort könnte bereits unser gesamtes Vorhaben gefährden. Der Gedanke machte sich in meiner Brust breit und umklammerte mein Herz. Auf ein mal kam ich mir so klein und mein Plan so dumm vor. Was mache ich hier bloß? Zweifel machten sich in mir breit, aber ich wusste besser als jeder andere, dass ich diese Zweifel nicht zur Verzweiflung werden lassen durfte. Im Umkehrschluss bedeutete es eigentlich nur, dass wir genau jetzt los mussten.
Doch ich konnte mich nicht rühren. Es war als wolle ich die Nähe der Mauer nicht verlassen, wie ein warmer Platz der mich vor Kälte schütze, genau das bedeutete diese Mauer gerade für mich. Sie war das einzig Bekannte hier, das einzige das ich von Außerhalb kannte.
Isaac nahm mir meine Überwindung ab.
Der Schwarzhaarige griff nach meinem Hinterkopf und zog mich kurz vor seine Brust, so dass ich ihn ansehen konnte. Denn sobald ich die Zuversicht und Entschlossenheit in seinen Augen erkannte, kehrte auch meine zurück und mein Griff um das Messer in meiner Hand festigte sich wieder. Ich wandte mich mit einem schnellen Nicken von ihm ab und huschte los. Jetzt ist es eh zu spät für jeden Zweifel. Zack weiß was er zu tun hat, aber es funktioniert nicht, wenn ich meinen Teil nicht erledige. Ich darf unseren Plan und sein Versprechen nicht zunichte machen, nur weil ich Angst habe.
Ich musste in Innere des Gebäudes, die Rezeption erreichen ohne erwischt zu werden und im System Rachels genauen Standort ausfindig machen. Vor einer breiten Eingangstür hielt ich inne. Ich verlangsamte meinen Schritt und trat vorsichtig auf, als ich meinen Weg über den Parkettboden fortsetzte. Ein langer Korridor erstreckte sich in der Dunkelheit vor mir, nur durch einige wenige gedimmte Lichter ließ sich meine Route genau ausfindig machen. Die Lichter leuchteten beinahe alle an Schildern, die nahe der Decke aufgehängt waren und den Weg ausschrieben.
Eine der Ausschilderungen bedeutete mir schnell den Weg: geradeaus ging es zur Rezeption, zum Beratungszimmer in die erste Etage und rechts neben mir befand sich das Treppenhaus. So leise wie eben möglich schritt ich weiter voran und näherte mich immer weiter der Rezeption. Diese musste etwa in der Mitte des langen Korridors sein, denn ich konnte bereits einige Meter vor mir einen rundlichen Pult erkennen, den ich auch aus Sekretariaten in der Schule oder von Krankenhäusern kannte. Jedoch leuchtete dort zu meinem Erstaunen ein helles Licht. Es war nicht gedimmt wie das der Aufhängungen, sondern viel mehr grell wie das Licht eines Bildschirms.
Wer zum Teufel legt denn hier bitte eine Nachtschicht ein? Ich runzelte die Stirn und hoffte kurz, vielleicht würde sich meine kleine Mission verkürzen, weil irgendein Idiot den PC dummerweise angelassen hätte, doch schnell verflog meine Hoffnung, als sich die Farbe des Lichtes an der Wand änderte. Jemand war da und trug anscheinend noch einiges ein. Ich ließ meinen Atem kurz stocken, um die Tastenklänge besser vernehmen zu können - definitiv war jemand hier.
Ich rollte kurz mit den Augen, weniger weil es mich nervte, viel mehr weil ich lieber genervt als nervös wäre. Wenn ich mich jetzt nicht gut anstelle und erwischt werde ist es aus. Da sich die Rezeption links hinter einer Ecke verbarg, konnte mich der schuftende Arbeiter auch nicht sehen, leider ich ihn aber genauso wenig. Das Licht des Bildschirmes hingegen leuchtete gegen die Wand rechts von mir. Die leise Hoffnung, dass die Nachtschicht mit dem Rücken zu mir tippte, machte sich in mir breit und ich beruhigte mich wieder ein kleines bisschen.
Um Nummer sicher zu gegen blieb ich dennoch in Deckung, sah mich nach beiden Seiten im Flur um und ließ mich in eine Hocke fallen, damit ich sicher nicht entdeckt werden würde.
Plötzlich fing es an zu summen. Mein Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus und ich fuhr zusammen.
Es war eine Frau, die gerade leise ein Lied summte. Kurz dachte ich, es könnte aus einem der vielen Räume auf dem Flur kommen, in denen sich höchstwahrscheinlich Patienten befanden. Doch es war genau vor mir. Die Person, nein, die Frau am PC war der Ursprung dieses Summens. Immerhin ist für mich eine Frau weitaus besser zu überwinden als ein erwachsener Mann. Ich hoffte, ich würde Recht behalten. Langsam schlich ich mich um die Ecke und krabbelte an dem runden Rezeptionspult entlang.
War es einen Blick wert, rüber zu spähen? Oder würde ich vielleicht direkt gesehen werden?
Ich schüttelte meinen Kopf und damit auch meine Zweifel ab und fasste meinen Mut zusammen. Vorsichtig hob ich meinen Kopf etwas höher, bis meine Augen nicht mehr das Holz vor mir sahen, sondern ich den Rücken einer Frau vor den Hintergrund eines Bildschirmes registrieren konnte. Es war aber unmöglich von meiner Posttion aus einen guten Blick auf die Zimmerverteilung zu werfen, vor allem da zumal einige weitere Tabs geöffnet waren, die noch weniger zu erkennen gaben.
Ich unterdrückte ein genervtes Schnaufen und legte meinen Blick nun wieder auf die Silhouette der Frau. Ein Kabelkopfhöhrer hing ihr aus einem Ohr, der andere hingegen hing in der Luft über dem Boden. Höhren könnte sie mich also trotzdem, auch wenn sie die ganze Zeit summte und von einem Tab zum nächsten wechselte. Aus meiner aktuellen Position konnte ich nicht die genauen Aufschriften erspähen, wie denn auch, es war ganz klar, dass ich näher dran musste. Viel näher.
Ich sah mir die Gegebenheiten auf der anderen Seite des Tresens an und hielt Ausschau nach Gegenständen, die ich in jeglicher Form als Versteck verwenden könnte.
Die Topfpflanze wird wohl meine einzige Chance sein..., stellte ich bedauernd fest und ließ mich wieder in die Hocke sinken, um mich am Boden entlang weiter zu bewegen. Mein Herzschlag ging schneller, als ich weiter um den Tresen schlich, doch da erkannte ich mein Glück: die Rezeption hatte keine kleine Tür, die ich aufschwingen müsste, sondern anstatt dessen einfach eine offene Stelle, um hinter den Tresen zu kommen.
Schnell huschte ich hinter die Topfpflanze und warf der Frau im Bürostuhl einen Schulterblick zu. Ihr Mantel kam mir auf einen Schlag ziemlich bekannt vor. Das kann doch eigentlich nicht sein, oder? ,,Dann wünsch ich Ihnen einen schönen Arbeitstag in der Klink, Miss.", hallte die Stimme des Hotelmitarbeiters in meinem Kopf wider. Sie war es. Ohne Zweifel, es war die Frau aus dem Aufzug, die Zack einen angeekelten Blick wegen seiner Verbrennungen zugeworfen hatte.
Daher bräuchte ich wohl auch kein schlechtes Gewissen für das haben, was ich gleich tun würde.
Isaac
Nachdem ich den ganzen Hof nach Wachleuten abgesucht hatte, rannte nun auch ich der Kleinen in den langen Flur hinterher, in den sie vor einigen Minuten verschwunden war. Unser Plan sah vor, dass ich mich über die Wachkräfte informierte, während sie Rays Zimmer für mich fand.
Hetztend stürmte ich durch den Flur, bis ich endlich an einem großen runden Bereich ankam, wie die Kleine es zuvor in unserem Zimmer beschreiben hatte. Sie war auch da, mit einer Frau. Als ich mich über das Pult schwang und auf der anderen Seite landete, giftete die Kleine mich mit ihrem Blick an. ,,Sei gefälligst leise du Trampel", zischte sie zwischen ihren Zähnen hervor, das geklaute Messer am Hals der geknebelten Frau.
Als ich mir die Dame genauer ansah, kam mir auch etwas bekannt an ihr vor, aber ich war viel zu beeindruckt von den Knoten meiner Begleiterin, die unserer Geißel mit ihrer eigenen Bluse den Mund gestopft und die Hände zusammengebunden hatte, um mich mit der Frage auseinanderzusetzen, woher ich die Alte vielleicht kennen könnte. Allerdings konnte man noch ein leises Wimmern von ihr vernehmen und ihr Blick wechselte verwirrt und mit tränenden Augen zwischen mir und der Kleinen.
Diese hingegen steckte mir das Messer zu und tippte wild auf der Tastatur herum. Da ich immer noch nicht wirklich Lesen konnte, ging ich einfach davon aus, dass es Rachels Name sein musste. Die Frau im Stuhl neben mir sah mich hilfesuchend an und wand sich wild, um ihre Hände aus dem Knoten an ihrem Rücken lösen zu können. Ihre nassen Wangen waren voll von verwischtem Schwarz unter ihren Augen und ihre Tränen wollten anscheinend auch nicht aufhören zu fließen. Nach einem schnellen Schlag in den Nacken hing sie schließlich still in ihrem Stuhl.
„Ich dachte schon die hört gar nicht mehr auf zu heulen,", nuschelte ich genervt und drehte mich wieder zu meiner Verbrechenspartnerin: „Draußen sind übrigens nicht mehr als vier Männer, die ihre Runden laufen. Aber wirklich laufen können von denen höchstens zwei, die anderen sind alte Säcke."
,,Sehr gut...", antwortete die Kleine nur, schien aber dabei viel zu abgelenkt von dem Bildschirm vor ihr. Ich kickte den Bürostuhl mit der Frau etwas weiter weg und lehnte mich, von dem nun frei gewordenen Platz aus, über die Schulter meiner Begleiterin, um mich nicht völlig unnütz zu fühlen. Diese schlug plötzlich auf den Tisch und rief leise ein triumphierendes: „Ich hab sie! Zweite Etage Zimmer fünf. Wir müssen zu Zimmer 2 5, Zack." Bei ihren Worten steckte ich ihr ihr Messer wieder zu.
,,Das fünfte Zimmer, also auch das fünfte Fenster oder?", hakte ich schnell nach, zwar schien sie etwas verwirrt, nickte jedoch. Das reichte mir schon als Antwort. ,,Ich geh von Draußen", gab ich schnell an, wobei ich schon über das Pulter herübersprang und aufgeregt den langen Flur bis zu seinem anderen Ende herunterlief und dabei völlig vergaß, dem Mädchen von dem weiteren Auto zu erzählen, das neben denen der Wachleuten stand, zu berichten.
Am Ende des Flures bliebt mein Blick an der letzten Tür vor dem Ausgang hängen. Die erste Zimmerzahl von hier aus ist 1, also muss ich von außen das fünfte Zimmer nehmen, wenn ich nicht ganz dämlich bin.
Ein scharfes Nachdenken erforderte es jedoch von außen gar nicht mehr, als ich in den zweiten Stock hinauf sah.
Denn durch das Fenster hindurch konnte ich helles, blondes Haar sehen. Es waren definitiv Rays Haare, doch so kurz wie ich sie gesehen hatte, so schnell waren sie auch schon wieder weiter hinten im Zimmer verschwunden. Kurz hielt ich inne. Heute würde es tatsächlich so weit sein.
Ach was, das war doch die ganze Zeit der Plan. Es war doch klar, dass es so kommt, wieso bin ich überhaupt überrascht davon jetzt wirklich hier zu sein? Ich schüttelte bei dem Gedanken meinen Kopf und beschäftigte mich nun mit der Frage, wie ich an ihr Fenster kommen sollte. Ich sollte mich nicht ablenken lassen.
(D/N)
Durch meinen vorigen Gang durch den Korridor wusste ich ziemlich genau, dass es in diesem Gebäude zwei Treppenhäuser geben musste, jeweils in gleichem Abstand zur mittig liegenden Rezeption der Klinik. Daher zog ich noch ein mal die Knoten an den Handgelenken der unsympathischen Sekretärin zusammen und hastete gleich los, Isaac hinterher. Anstatt ihm allerdings auch nach draußen zu folgen, nahm ich das Treppenhaus. Wie will er denn aber auch von Draußen in den zweiten Stock kommen? Springen? Das schafft doch nicht ein mal er, oder?
Schon fand ich mich im ersten Stock wieder. Kurz warf ich einen Blick nach rechts und links, nur um doch noch ein mal sicher zu gehen, dass sich in dieser Etage wirklich niemand mehr befand. Da hier plötzlich auch deutlich mehr Lichter leuchteten, konnte ich sogar beide Enden des Korridors schemenhaft erkennen. Als mir alles ruhig erschien, machte ich mich weiter auf in den zweiten Stock.
Genauso sah ich mich auch dort um, direkt blickte ich nach rechts, sobald ich mich wieder im Flur befand. Danach nach links – mir stockte der Atem.
Entweder hier spuckt es oder da ist gerade jemand die andere Treppe heruntergegangen.
Beide Szenerien verschreckten mich dabei gleichermaßen. Wieso zum Teufel war hier überhaupt noch irgendwer? Es war ja nicht so, als ob hier viele Leute einfach ausbrechen würden, oder etwa doch? Späte Sprechstunde, war meine einzige Erklärung für die Frau im Arztkittel mit den schulterlangen kastanienbraunen Haaren, die sich zu meinem Glück nicht nach hinten umgedreht hatte. Hauptsache sie geht nach unten und bleibt nicht auf dieser Etage – oh Scheiße.
Wenn sie jetzt nach unten ging würde sie mit Sicherheit die geknebelte, bewusstlose Sekretärin antreffen, bevor sie sich von ihrer Schicht abmelden konnte. Ich sah auf die Zimmernummer rechts neben mir, 6. Kurz wurden meine Beine schwach und ich musste mich für eine Sekunden an der Wand hinter mir abfangen.
Wow, näher als ich dachte. Trotzdem ging ich diese finalen Schritte mit schnellem Schritt, sobald ich mich erneut aufraffen konnte. Bald wird es hier nur so von Polizisten wimmeln, kam mir der grausame Gedanke, der mich wieder in die Realität zurückrief, bevor ich am Türgriff drehen konnte. Kurz blieb ich stehen.
Da zeriss ein Schrei die Luft.
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