Kapitel 2

Freitag, 22:49 Uhr

Nachdenklich legte ich den Kopf schief. Eigentlich hatte er ja recht, ich konnte mir gar nicht sicher sein, dass er mich nicht auf der Stelle aufschlitzen würde, so wie er es mit seinen anderen, bisher bekannten Opfern gemacht hatte. Wobei er diese mit einem Messer getötet hatte. Ich sah auf die riesige Sense in seiner Hand. Sie war beinahe so groß wie ich und ging meinem Gegenüber etwa bis zur Schulter. Wäre es wohl angenehmer durch sie umgebracht zu werden, anstelle eines Messers?

„Heeeey! Ich rede mit dir!", fuhr mich Isaac Foster wütend an. Mir war jedoch klar, dass ich ihm keine konkrete Antwort hätte geben können: „Ich weiß es nicht. Aber irgendetwas sagt mir, dass wenn du mich hättest töten wollen, du es schon längst getan hättest." Trotzdem zuckte ich noch einmal unsicher mit den Achseln.

"Haaaa?!", brüllte der Sensenmörder mir ins Gesicht, was mich leicht zurückzucken ließ. Ich verzog mein Gesicht und funkelte ihn genervt an. „Und was hast du jetzt vor?", fragte ich ihn schließlich.

Er sah mich nachdenklich an, hob die Sense auf seine Schulter, drehte sein Gesicht weg und antwortete: „Dich am Leben lassen, vorerst zumindest. Irgendetwas sagt mir, dass du vielleicht ganz hilfreich sein könntest." Das nennt man Verstand, hätte ich ihm beinahe entgegnet, musste es aber unterdrücken. Irgendetwas sagte mir, dass dieser Typ hier eher schlecht mit Witzen umgehen konnte.

Stattdessen grinste ich ihn optimistisch an: „Klingt nach einem guten Anfang und einer hervorragenden Chance noch etwas länger am Leben zu bleiben, wenn ich ehrlich bin." „Das rate ich dir auch", funkelte er mich daraufhin an. Ich runzelte die Stirn: „Wie bitte?" „Ich hasse eben Lügen! Sagte ich doch bereits! Darum rate ich dir, ehrlich zu sein. Und du verrätst mir, wie viel du von Rachel weißt und wo sie steckt.", es klang zwar beinahe wie eine Drohung, aber ich ließ mir diesen Hintergedanken nicht anmerken, als ich einwilligend nickte.

Dann war es also beschlossen. Ich würde diesem Mörder wohl helfen. Eigentlich hatte ich mir ja genau das auch gewünscht, aber trotzdem kam es mir viel zu surreal vor. Nicht dass ich ihm half, viel mehr, dass ich ihm tatsächlich begegnet war. Zwar war die Chance gegeben gewesen, aber es hatte viel mehr von einem Zufall als von tatsächlicher Zuversicht abgehangen. Was würde wohl passieren, wenn irgendjemand dahinterkam?

Der junge Mann der direkt vor mir stand war immerhin die Schlagzeile schlechthin. Kein Anwalt hatte ihn verteidigen wollen, nicht mal die Pflichtverteidiger hatten es zu einem zweiten Termin gebracht. Nicht weil er sie tötete oder sonstiges, vielmehr hielten sie ihn eindeutig für unzurechnungsfähig und gemeingefährlich. Alle sagten sie auf den Pressekonferenzen, dass er ihnen ständig wirres Zeug erzählte und alles auszusprechen schien, dass ihm seine Fantasie gerade bieten konnte. All das unter dem Vorbehalt, er würde ihnen jediglich die Wahrheit erzählen.

Das hatte mich neugierig gemacht. Meine Muttter war immerhin selbst eine Journalistin und hatte mir schon seit Jahren eingeprägt, wie oft der Schein trügen konnte. Sie hatte
mir immer bewusst gemacht, dass so einiges nicht immer stimmte und dass es wichtig war, Dinge hinterfragen und reflektieren zu können. Ihr eigentlicher Gedanke dabei war zwar vielmehr gewesen, dass ich mein eigenes Verhalten reflektieren lernen sollte, aber sie hatte mir zeitgleich auch einiges an Medienkompetenz mitgegeben.

Natürlich war mir daher schnell klar, dass es einen Hintergrund zu Isaacs Verhalten geben musste und das nicht alles an Informationen freigegeben wurde. Um meine eigene Meinung zu bestätigen hatte ich also für mich entscheiden, dass es gar nicht mal so schlecht wäre, ihn einfach selbst kennenzulernen. Gewiss bestand die Gefahr, dass er mich auch einfach töten könnte, aber irgendwie schien mir dies weniger wichtig als die Wahrheit.
Wie besessen hatte ich alle Berichte verfolgt und die Nachrichten eingeschaltet. Leider gab es wirklich nicht allzuviele Informationen über ihn, deshalb holte ich sie mir bevorzugt aus erster Hand.

Während ich mit meinen Gedanken abschwiff, wurde mein Gegenüber zusehends unruhiger, beinahe hibbelig. Auf seinen Befehl, ihm alles über Rachel zu erzählen, hatte ich nichts entgegenzusetzen. Ich wollte ihm alles erzählen, alles, was ich herausgearbeitet und alles, was ich gehört hatte. All jene Informationen die ich in den letzten Wochen wie ein Schwamm aufgesogen hatte, sie wollten nur so aus mir heraussprudeln, mussten es. Aber hier war ganz einfach nicht der richtige Ort dafür und auch nicht genug Zeit.

„Lass uns erst mal hier weg, dann erzähle ich dir alles, was du wissen willst. Nich nur über Rachel, sondern auch über sich selbst", schlug ich zaghaft vor. Irgendwie hatte ich mir sein Temperament etwas weniger aufbrausend vorgestellt als es tatsächlich war. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, immerhin war und blieb er ein Mörder, unzurechnungsfähig, wie ihn die Verteidiger einstuften. Die Ärzte hingegen waren anderer Meinung, die Lügendetektoren ebenfalls, aber darauf gab in diesem Prozess beidauerlicherweise keiner was.

Anstatt mich wieder anzubrüllen, nickte der Mann vor mir nur und machte auf dem Absatz seiner schwarzen Schuhe kehrt. Ein Schulterblick verliert mir, dass ich ihm folgen solle. Ich ging der stummen Aufforderung nach und übernahm schließlich die Führung, immerhin war ich es, die einen anderen Ort zum Reden vorgeschlagen hatte und an diesen Platz musste ich ihn nun führen.

Tatsächlich hatte ich bereits einen idealen Ort im Sinn.

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