Henkersmahl

Benommen und viel zu müde für jemanden, der bis zum Mittag geschlafen hatte, wachte ich langsam auf. Alleine. Verwirrt stützte ich mich in die Matratze und setzte mich schließlich auf, während ich mir durch meine dunklen Haare fuhr, um diese aus meinem Gesicht zu bekommen. Wie lange habe ich wohl geschlafen? Und wo ist die Kleine? Schnell sprang ich auf und warf einen suchenden Blick in den Flur, in dem jedoch nur meine Schuhe standen. Plötzlich erinnerte ich mich, dass ich sie in der vergangenen Nacht zum Bett getragen und ihr dort die Schuhe ausgezogen hatte. Jedoch konnte ich diese auch nicht am Fußende des Bettes finden, wo ich sie eigentlich erwartete. Die Kleine war weg.

Aufgewühlt und sauer darüber, dass ich nicht gemerkt hatte, dass sie morgens gegangen sein musste, lehnte ich mich mit dem Rücken an die breite Kante, die den Rahmen der Raumtrennung beschrieb, und ließ mich langsam zu Boden sinken. ,,Echt beschissen, mich nicht zu wecken", brummte ich genervt und ließ meinen Kopf in den Nacken fallen. Mein Blick richtete sich auf die gläserne Tür, durch die man den Balkon erblicken konnte. Vielleicht sieht man sie ja von da aus.

Entschieden stemmte ich mich wieder auf die Beine und drückte die Klinke der Glastür nach unten. Warmer Wind kam mir entgegen, als ich den Balkon betrat, um einen untersuchenden Blick auf die Straße unter mir zu werfen. Hier ist sie auch nicht!, stellte ich mit aufeinandergepressten Lippen fest und stieß daraufhin einen tiefen Seufzer aus, während ich meinen Kopf zwischen meinen Armen nach vorne fallen ließ.

Auch trotz der Tatsache, dass ich bereits mehrere Stunden geschlafen haben musste, spürte ich die Müdigkeit immer noch bis in die Knochen. Die Kleine wird schon wiederkommen. Und bis dahin penn ich einfach noch ein wenig weiter. Die Tür des Balkons ließ ich hinter mir zuknallen und schmiss mich erneut in das noch warme Bett. Auf dem Rücken liegend versenkte ich meine Arme überkreuzt hinter meinem Kopf im Kissen. Angenehm wärmte die graue Decke meine Beine bis hin zu meinem Bauch und das Kissen dämpfte das Gebrumme der ab und zu vorbeifahrenden Autos noch weiter ab. Die Kleine wird schon wiederkommen.

In meinem Kopf setzte sich langsam wieder das Bild der vorherigen Nacht zusammen und ich schlug die Augen erneut auf, mein Herzschlag beschleunigte sich. Mein Blick lag nun auf dem Flecken Matratze direkt neben mir, auf dem die Kleine geschlafen hatte. Kurz überlegte ich mir, ob ich mir nur eingebildet hatte, dass sie in meinen Armen eingeschlafen war, doch schon bemerkte ich das ungenutzte Kissen, dass ganz und gar nicht danach aussah als hätte jemand darauf übernachtet. Ich ließ meinen Kopf wieder tiefer in das Kissen sacken. Dennoch schlug mein Herz mir bis zum Hals. Trotzdem konnte ich mir nicht erklären, wie es dazu gekommen war, dass wir Arm in Arm eingeschlafen waren. Geträumt hab ich es auf jeden Fall nicht. Das war echt. Oder?

(D/N)
Geschickt balancierte ich meine zwei Frühstücksteller durch den Speisesaal. Auf dem einen ein Spiegelei und zwei Brötchen, auf dem anderen ein weiteres Brötchen und jede Sorte Marmelade, die ich in den kleinen geflochtenen Körbchen des Buffets finden konnte. Die kleinen Päckchen rutschten zusammen mit zwei Messern, die ich ebenfalls mitgenommen hatte, von Tellerrand zu Tellerrand und drohten jede Sekunde auf den Boden zu fallen, sobald ich meinen Blick abwandte. Mit meinem Croissant im Mund setzte ich meinen Weg aus dem Speiseraum fort und ging Richtung Rezeption, um daraufhin mit dem Aufzug auf Zacks und meine Etage zu fahren.

An dieser stand eine Frau, die ich auch trotz ihres Mantels anhand ihrer Silhouette erkennen konnte, gegenüber von ihr ein Angestellter an den ich mich ebenfalls erinnerte, da er uns an unserem ersten Abend nach dem Waffelessen freundlich mit einem Lächeln begrüßt hatte.
Bei der Frau handelte es sich allerdings um die Gestalt, die Isaac wegen seiner Narben im Aufzug schief angestarrt hatte.

Schon von etwas weiter konnte ich ihr Gespräch hören, um dessen Ende es sich allerdings schon zu handeln schien. ,,Dann wünsch ich ihnen einen schönen Arbeitstag in der Klinik, Miss.", damit und mit einem desinteressierten Tonfall beendete der Angestellte des Hotels die Konversation und richtete seinen Blick wieder auf den Computer vor ihm, bis die Frau sich schließlich wegdrehte und an mir vorbei, Richtung Ausgang stolzierte.
Im Vorbeigehen nickte ich dem Unbekannten kurz zu und versuchte dabei mit meinem Essen auf beiden Händen und dem Croissant im Mund nicht allzu dämlich auszusehen. ,,Wohin gehts denn?", sprach er mich überraschenderweise interessiert an und ich musste kurz schlucken, um zu verhindern, dass ich sabberte oder mein Essen runterfiel. Möglichst verständlich nuschelte ich: ,,Wieder zu meinem Freund. Wir machen später einen Ausflug." Schon ging ich wieder Richtung Aufzug, das leise ,,ihr Freund also-", hinter mir, auch trotz der klappernden Messer, vernehmend.
Zack musste einen Riesenhunger haben.

Ich verließ den Aufzug, dessen Knöpfe ich nur noch gerade so mit der Spitze meines kleinen Fingers bedienen konnte und lief den Flur zu unserem Zimmer herunter, in dem ich Zack auf dem Bett liegend vorfand. Er lag, als würde er gerade einen spannenden Film im Fernseher angucken, die Arme hinter seinem Nacken und unter dem Kissen verschränkt. Die Decke lag quer über seinen Beinen und ließ den Rest seines Körpers frei. Der Atem des Schwarzhaarigen ging ruhig und seine Augen waren friedlich geschlossen. Eigentlich hat er doch wirklich lange genug geschlafen, bemerkte ich neben ihm am Bettrand stehend und betrachtete das Heben und Senken seiner Brust für ein paar Minuten vollkommen ruhig.

Vorsichtig lehnte ich mich über seinen schlafenden Körper herüber und stelle den Teller aus meiner rechten Hand in der Mitte des Bettes ab. Dann hob ich behutsam auch mein rechtes Bein über seinen Oberkörper herüber und zog mein Linkes nach, das ich jedoch am Rand der Matratze behielt. Mit dem einen Teller in der Hand und dem Croissant immer noch im Mund hielt ich mich still über dem unteren Bauch des Schlafenden, über dem ich mit unserem Frühstück kniete. Ich stellte den Teller aus meiner Linken auf der nackten Haut seiner Brust ab und nahm nun auch den zweiten Teller hinzu, den ich etwas näher zu mir hin abstellte. Isaacs Augenlieder flackerten leicht und ich biss von meinem Croissant ab, während ich mich langsam zu seinem Kopf vorbeugte.

,,Frühstück", flüsterte ich ihm entgegen, als ich zu Ende gekaut hatte. Danach öffnete Zack die Augen etwas und starrte müde durch mich hindurch. ,,Ich hab dir Essen mitgebracht", brachte ich an und ging mit meinem Oberkörper wieder zurück, sodass ich mich vorsichtig über seinen Hüftknochen hinsetzten konnte, wobei ich dennoch darauf achtete, mich nicht sofort mit meinem ganzen Gewicht auf ihm abzusetzen.
,,Ich wusste, dass du wiederkommst", murrte er und riss seinen Mund zu einem tiefen Gähnen auf, bei dem sein Brustkorb anschwoll und somit einige der Marmeladenpäckchen vom Teller rutschten ließ.

,,Du bist also schon wach gewesen?", fragte ich, während ich eines der Päckchen öffnete und versuchte so zu ignorieren wie nicht-egal mir seine Worte waren. ,,Ich wusste, dass du wiederkommst". Zack hatte sein Gähnen beendet und antwortete mit einem Nicken auf meine Frage: ,,Ja, ich bin ein Mal aufgewacht, aber da warst du schon weg. Wieso hast du so viele von den kleinen Dingern mitgebracht?" Sein Blick lag auf den verschiedenen Sorten der Marmelade, die ich gerade von seiner Brust wieder auf den Teller legte. ,,Ich wusste nicht genau, was du willst", meinte ich dann, während ich die Ecke meines angebissenen Croissants in das geöffnete Päckchen der Pfirsichmarmelade tunkte und ihm daraufhin vor die Nase hielt.

Der Schwarzhaarige sah mich kurz unsicher an und nahm schließlich einen Bissen. ,,Woher soll ich das denn wissen?", nuschelte er mit seinem Essen im Mund und fügte nach einem Schlucken hinzu: ,,Ich ess doch sowieso alles." Ich biss ebenfalls von dem Croissant ab, wobei ich zugab: ,,War mir schon klar, aber ich wollte dir lieber noch mal die Wahl selbst überlassen. Außerdem hatten die so viele Sorten, dass ich mich selbst gar nicht entscheiden konnte." Abwesend nickte er und hob den Kopf etwas an, um das Kissen in seinen Nacken zu stopfen, bis er etwas höher lag. Dabei schien er zu versuchen seinen Körper unter mir nicht wegzuziehen. ,,Ich kann ansonsten auch aufstehen", bot ich zögerlich an und wollte gerade aus meiner Position auf seinem Bauch wieder aufstehen, doch Isaac schüttelte den Kopf. ,,Nein das passt schon", damit drückte er meinen Oberschenkel zurück nach unten, sodass ich auf seinem Bauch sitzen blieb und mir ein angenehmer Schauer den Rücken herunterlief.

Kurz räusperte ich mich peinlich berührt und widmete mich dem Teller mit den beiden Brötchen und den Spiegeleiern darauf. ,,Willst du nicht die Eier essen, bevor sie kalt werden?", hakte ich nach und schob ihm den Teller etwas mehr zu, während ich den letzten Bissen des geteilten Croissant zu mir nahm und mir die Krümel von den Händen klatschte, um das heiße Gefühl in meinen Ohren zu verdrängen. Mit einem ,,sicher doch" bejahte Isaac meine Frage und nahm sich eines der Messer und schnitt eines der Brötchen auf, wobei er mir die bessere Hälfte reichte und die andere Hälfte für sich behielt. Die Spiegeleier verteilte ich jeweils auf unsere Hälften und richtete meinen Blick gedankenverloren aus dem Fenster, während ich einen Bissen davon nahm. Noch war Vormittag. In den Tagen mit Zack hatte ich jedoch gemerkt, wie schnell die Zeit verging, wenn wir zusammen waren.
Gleich ist Abend.

,,Worüber denkst du nach?", kam es von Isaac, der gerade seinen letzten Bissen zu Ende gekaut hatte und mich aus meinem Tagtraum riss. Interessiert sah er mich aus seinen unterschiedlich gefärbten Augen an, während er immer wieder mit seinen Fingern leicht gegen meine rechte Kniescheibe schnipste, ohne seinen Blick von meinem Gesicht zu lösen. Ich schluckte kurz und überlegte, wie ich jemals in Worte fassen könnte, dass unsere gemeinsame Endlosigkeit vorbei war.

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(1633 Wörter)

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