#46 Role reversal
Pov Yoongi
Die anfänglichen Löcher im Netz schlossen sich.
So schien es.
Denn nichts hielt die einzelnen Fasern auf, sich wieder zu verbinden.
So glaubte man.
Doch durch die vielen Strapazen hatte das Netz an Spannkraft gewonnen, es war gereizt. Und so schnell es sich flicken ließ, desto schneller würde es wieder reißen.
Und wer hört schon ein einzelnes Loch aufreißen, wenn die Hilferufe unbemerkt und stumm bleiben?
"Warum wart ihr eigentlich auf uns vorbereitet? Ich habe euch gar nicht Bescheid gesagt." Nuschelte ich, während ich das letzte Stück meines Kuchenstücks zu Ende kaute. Die Stimmung war aufgeheitert, jeder war lockerer im Umgang mit jeden. Vielleicht lag das aber auch einfach nur am Kuchen.
Jin musste lachen und hielt sich die Hand vor den Mund, "Jungkook meinte, wir sollten einen Kuchen kaufen, falls du Jimin mitbringst. Wir wussten nicht, ob es heute schon so weit sein würde, deswegen haben wir auch gewartet und gehorcht, ob Jimin dabei ist."
"Das war ziemlich spontan." Ergänzte Namjoon und ich nickte nur beiläufig.
"Wo ist eigentlich Holly?" Schmatzte mein kleiner Engel und es hätte mir ein Lächeln auf die Lippen gezaubert, wäre ich nicht gerade in einer anderen Stimmung.
"Oben, bei Jungkook im Zimmer."
Von meinem gegenüber kam ein zustimmendes Murmeln. Beim näheren Betrachten seines Gesichts, bemerkte ich einen Krümel an seinem Mundwinkel. Sein unschuldiges Lächeln machte die Sache nicht besser, er sah zum Anbeißen aus.
Ich konnte nicht anders, ich beugte mich zu ihm rüber und nahm das Schockostückchen mit dem Zeigefinger auf, bevor ich mich wieder zurücksetzte und das Stückchen aß. Erst beim Schlucken realisierte ich, was ich eigentlich gerade getan hatte. Ich hob meinen Blick nicht mehr von der weißen Tischdecke, ich fühlte mich unwohl und wusste genau, dass das gerade jeder gesehen hatte.
"I-ich wollte gerade sagen, dass du da was hast, aber Hyung hat es schon erledigt." Jungkook versuchte diese Situation zu retten. "Ja.. ja, du hast da auch etwas." Stotterte Jimin verloren und tat das, was ich eben bei ihm getan hatte, bei Jungkook. Es sollte den anderen versichern, dass solche Berührungen normal waren, doch mich reizte es nur. Ich wollte nicht, dass Jimin andere berührte, ich wollte nicht, dass er die Sachen, die ich für ihn tat, verallgemeinerte oder für selbstverständlich hielt. Zu niemandem war ich, wie zu ihm, er war mein Ein und Alles, also sollte er diese Zärtlichkeit nicht gleich an jeden weitergeben. Und vielleicht dachte ich ja sogar so, es sollte niemand anderen außer mich in seinem Leben geben.
Ein Fußtritt bugsierte mich aus meinen Gedanken und machte mich auf meinen Gesichtsausdruck aufmerksam, der sich ärgerlich verzogen hatte. Ich rieb mir mit beiden Händen durchs Gesicht, um mich irgendwie wach zu bekommen, was war heute mit mir los? Warum dachte ich so anders?
"Aber mit Kuchen soll es nicht getan sein, meine Herren." Jin wischte seine Hände an einer Serviette ab und klatschte anschließend, "Wir kümmern uns jetzt ums Haus, Jimin muss sich ja auch wieder wohlfühlen können. Wer übernimmt was?"
"Hausputz?" Fragte ich erschrocken.
"Hausputz."
Ich sah zu Jungkook, "Haus-"
"Hausputz!" Jin musste schmunzeln.
"Min Yoongis größte Furcht: Der Hausputz!" Lachte Jungkook. Ich verzog mein Gesicht gequält, ich hasste Hausputz, ich fand es unnötig, der Dreck kam so oder so wieder, genau so wie negative Gedanken. Schon wieder...
"Hach, Hausputz~" Seufzte Jimin und sah verträumt zur Deck, "Das habe ich vermisst."
"Du hättest so viel vermissen können, warum gerade den Hausputz?!" Stöhnte ich genervt und hielt mir eine Hand vor den Mund, während es alle anderen als Scherz aufnahmen und lachten. Warum rutschte mir so etwas raus, warum verurteilte ich Jimin beinahe?
"Wir kümmern uns um mein Zimmer." Sagte Jimin und zeigte auf mich und ihn.
"Warte-" wollte ich einwerfen.
"Findest du, dass ist eine gute Idee?" Fragte Jin.
"Nein, aber ich muss mich dem irgenwann mal stellen." Sein Lächeln war heute so ehrlich und unschuldig, als wäre er nie in seinem Leben je verletzt worden. Und ich fragte mich, warum er so schien, so glücklich und fröhlich. Er hatte nun wirklich allen Grund zu gehen, genug von seinem Leben zu haben, dennoch funkelten seine Augen heute wieder zum ersten mal seit langer Zeit vor Lebenslust. Wie war das möglich, wenn er doch den Teufel genau vor sich hatte?
"Wir werden alle Sachen, mit denen du dich verletzen könntest suchen und wegsperren." Sagte ich stark. Egal von was ich heute sprach, es fühlte und hörte sich an, als würde ich einfach meine Gedanken aussprechen, dass ich nicht Herr über meine Zunge war.
"Und dann schmeißt sie weg." Lächelte Jungkook.
"Und ich soll mich dann mit einem Löffel rasieren, oder wie stellst du dir das vor?" Nörgelte Namjoon. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Was willst du denn rasieren?" Konterte der jüngste.
"Das, was du nie haben wirst, Babyboy." Bekam er zurück, bevor Taehyung sie unterbrach. "Oder wir geben sie einfach alle einer Person aus dem Haus und wenn wir etwas davon brauchen, fragen wir denjenigen."
"Also Jin." Kam es mehrfach, während ich mein leises, "Nam-" ebenfalls in ein "Jin." Verwandelte. Auf mich würde man nicht hören, wenn die Mehrzahl anderer Meinung war.
"Taehyung und ich machen Hoseoks und Taes Zimmer." Grinste Jungkook.
"Ich mach' das Bad." Murrte Namjoon und erhob sich bereits.
"Super, ich mache die Küche. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier." Jin war so entzückt von der Situation, dass ich mir, wieder mal, einen Kommentar nicht verkneifen konnte, "Du benimmst dich wirklich wie eine Mutter." Auch wenn ich es eher unterschwellig gesagt hatte, hörte es natürlich jeder der Anwesenden. Und schon wieder, das musste die gute Stimmung sein, nahm man es nicht ernst. "Und du dich wie ein ungezogner Bengel." Er sagte es in einer hohen Stimme, was mich auf irgendeine Weise nervte.
Ich dachte so anders als sonst, fühlte mich überfordert mit allem und erst später bemerkte ich, dass ich bereits dagegen anzukämpfen versuchte, es aber nur geringfügig half.
-
Ich hörte Jimin durchatmen, als er die Treppe nach oben genommen hatte und nun vor mir stand, eine Hand am Geländer. Ich fragte mich, was ihm wohl im Flur passiert war. Es war eine schlechte Frage, ich durfte so nicht denken, aber eine Neugier packte mich, die ich nicht anstellen konnte.
Fast schon unsanft packte ich Jimins Hand und hielt sie fest. Er zuckte, erwiderte den Griff aber halbstark kurze Zeit danach. Es sollte ihm symbolisieren, dass er nicht allein war, er war bei mir und ich würde ihn beschützen, er gehörte zu mir. Und vielleicht war mein Griff deshalb so stark. Weil er Mein war, ich Sein und ich niemand anderen an ihn heran lassen würde. Jeder wollte ihm weh tun, jeder wollte ihn brechen. Hoseok hatte seinen Willen schon einmal gebrochen und ihn mich vergessen lassen, das würde nie wieder vorkommen. Es machte mich so dermaßen aggressiv, dass er meinen Engel beschmutzt hatte, mit ihm war beinahe nichts mehr anzufangen, er zuckte ja bei allem zusammen.
Ich war so schlecht für ihn.
"Ich will dich küssen." Flüsterte ich.
"Hier hat er mich geküsst." Erinnerte er sich leise und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
"Tu das nie wieder." Knurrte ich. Mein Blick sollte ihn durchbohren, so finster wie er war.
"Was?" Er drehte sich zu mir. So engelsgleich, dieses Gesicht.
"Versuch nicht noch einmal dich an den Geschmack seiner Lippen zu erinnern."
"Ich- Tut mir leid."
Ich ging vor und zog ihn mit mir, wir hatten schließlich etwas zu tun. Doch gleich nachdem ich ihn überholt hatte, blieb er stehen, ließ den Kopf hängen und wehrte sich weiterzugehen. Wie bei einem Seil wurde ich von seiner Hand zurückgehalten und blieb stehen, drehte mich nicht zu ihm um.
"Was ist los?" Hörte man ihn halblaut und erst durch seine Frage fiel mir auf, wie ich gerade zu ihm war. So gleichgültig und herrscherisch zugleich. Aber ich konnte es ihm nicht erklären, wenn ich selbst nicht wusste, was gerade mit mir passierte.
"Wir haben 'was zu erledigen, na komm schon." Ich zog etwas an seiner Hand, machte jedoch nicht einmal selbst Anstalten, mich zu bewegen. Jimins Arme legten sich im nächsten Moment von hinten um meinen Körper und mit einem mal umgab mich eine Wärme. Mein Bauch machte sich bemerkbar, die Schmetterlinge machten sich bemerkbar. Es schien, als würde ich mich daran erinnern müssen, dass ich in ihn verliebt war, dass ich ihn liebte.
Ich schmunzelte, die Liebe meines Lebens.
"Was ist los?" Fragte er noch einmal und plötzlich hatte ich den Drang, eher den Zwang ihm alles zu erzählen, alles was in meinem Kopf vorging. Ich fühlte mich in seinen Armen Sicher und geborgen, sicherlich war es ihr Bann, der mich die Wahrheit sagen ließ. "Ich vermisse dich, ich liebe dich, ich habe Angst um dich." Stieß ich hervor, wobei ich letzteres noch nichteinmal selbst gefühlt hatte. Was auch immer meinen Körper kontrollierte, es machte mir Angst, ich handelte nicht wie ich selbst.
"Kommt solangsam der Teufel in dir durch?" Seine Stimme war so ruhig. Ja, hätte ich geantwortet, hätte ich es gewusst.
"Bist du bereit dafür?" Fragte ich ihn, da uns nur wenige Schritte von seinem Zimmer trennten.
"Wenn ich zusammenbreche, bist du da, um mich aufzufangen. Fühle ich mich wohl, wirst du mit mir kuscheln. Egal was kommt, du bist immer an meiner Seite. Das weiß ich, ich habe keine Angst." Er war meinem Ohr so nah, dass es mir eine Gänsehaut bereitete, wenn sein Atem meine Haut streifte. "Dann komm."
Vorsichtig öffnete ich die Tür. Dieser Geruch, eine Mischung aus Jimin, ein bisschen von mir, dem Hund und frische Bettwäsche. Auch ich sah diesen Raum anders. Musste dabei bedenken, wie Jimin an schroffe Wände, den harten Boden oder den ekelhaften Körper Hoseoks gedrückt worden wurde. Vielleicht sogar all das, was ihm bei mir sonst Spaß gemacht hatte. Jimin hatte meine Hand nie losgelassen und ich spürte, wie sein Griff sich festigte und er sichergehen wollte, dass ich da war. Was wohl in seinem Kopf gerade vor ging. Erlebte er alles gerade nochmal, wünschte er sich wieder tot zu sein, was dachte er?
"Ich habe noch aufgeräumt, damit du dich hier ohne mich wohlfühlst." In seiner Stimme lag nichts als Leblosigkeit, er sprach monoton, versuchend all die Emotionen zurückzuhalten, die Hoseok vertrieben hatte.
"Jimin.."
"Nun gut, lass uns anfangen!" Er riss sich zusammen, atmete auf, lächelte breit und sah mich mit großen Augen an, erwartungsvoll.
Und in diesem Moment wusste ich:
Park Jiminie würde es hierdurch schaffen, so wie durch all die anderen schweren Zeiten. Denn er war stark, er ließ sich nicht noch einmal vom Leben piesacken.
"J-ja," ich bewunderte ihn viel zu sehr, um normal sprechen zu können, "Hast du hier irgendwelche... Scheren, Messer..?"
"Also," er fuhr sich durch die Haare und machte ein nachdenkliches Gesicht, "Im Nachttisch." Er ging auf die Ecke zu, in der das Bett stand, vollkommen ohne Berührungsängste und sah in die Schubladen seines Nachtschrankes. Heraus hob er tatsächlich eine kleine Nagelschere. Nachdem er sich geräuspert hatte, noch zwei andere.
"Was hast du da bitte für ein Waffenarsenal?!" Ich ging zu ihm und riss ihm die Klingen aus der Hand.
"Man muss ja vorsorgen, nicht war?" Lächelte er verschmitzt. Ich machte einen angeekelten Gesichtsausdruck und legte die Scheren auf seinen Schreibtisch.
"Sonst noch irgendwo?" Fragte ich und sah mich um. Er hatte das Zimmer so ordentlich gemacht und aufgeräumt, dass selbst der amerikanische Geheimdienst nichts über seine Identität gefunden hätte, wäre er wirklich gestorben. Und ich bestrafte mich innerlich, dass ich so einfach über dieses Thema sprach, selbst in einem Monolog mit mir selbst.
"Nein." Sagte er und schüttelte den Kopf.
"Guck mich an." Forderte ich ihn auf, was er befolgte. "Hast du?"
"Nein." Er zuckte mit den Schultern. "Ich habe es geschworen, denkst du wirklich, dass ich es in den ersten fünf Minuten breche?"
Wie er dort saß. Hingehockt vor seinen Nachttisch, das schwarze Shirt an seiner Brust und der Ausschnitt etwas weiter, sodass man sein schlüsselbein sehen konnte. Seine schwarzen Haare waren etwas zerzaust, seine Lippen schienen so bedürftig und sein Blick erst. Er sah so unschuldig aus, so niedlich und angreifbar. Ein sehr bekanntes Verlangen machte sich in meiner Magengegend breit, wie sehr ich ihn küssen wollte, wie unglaublich gierig ich nach ihm war. Ich hatte das Verlangen mich auf ihn zu stürzen und ihm zu zeigen, welchen Teufel er an seiner Seite hatte, ich wollte endlich wieder seine nackte Haut unter meiner spüren, wollte unsere Zungen miteinander spielen-
"Hyung, was hast du denn?" Er stand auf einmal vor mir, ich war so in Gedanken versunken, dass ich es nicht bemerkt hatte. Seine flache Hand legte sich an meine Wange und verdammt, wie es brannte. Sein Geruch war so intensiv und seine Augen, dessen Braun direkt in meine sahen, raubten mir den Atem. Ich wurde sprachlos bei seinem alleinigen Anblick, sodass meine Lippen trocken wurden, während sich mein Mund einen Spalt öffnete.
"J-Jimin, ich.. ich bin eigentlich nicht schwul, aber du bist-"
"So unglaublich anziehend?" Seine Stimme drang so tief in jede Faser meines Körpers und ließ mich erzittern.
"Mehr als das." Stieß ich nicht nur wörtlich, sondern auch körperlich hervor, als ich meine Hand in seinen Nacken legte und ihn stark zu mir zog. Doch anders, als ich es vielleicht selbst erwartet hatte, drückte ich ihn stark gegen meine Brust und vergrub mein Gesicht in seinem Haar. "Und ich will dich für immer an meiner Seite haben, ich werde dich vor jedem beschützen." Ich krallte mich fast an ihn, so fest umarmte ich ihn.
"Du bist heute so komisch." Murmelte der kleinere in meinen Armen. Ich kniff die Augen zusammen, mein Herz pochte so stark. Was war nur mit mir los? Warum verhielt ich mich nicht wie ich selbst?
"Bleib einfach bei mir und lass mich nicht allein." Meine Stimme zitterte. Jimin zwängte sich aus meinem festen Griff, sodass er mir wieder in die Augen sehen konnte. Und spätestens jetzt bemerkte man, dass er sich Sorgen machte. Sein Blick musterte kritisch mein Gesicht, über welches er mit seiner Hand strich.
"Yoongi, das werde ich nicht. Ich habe nicht vor, dich zu verlassen. Ich liebe dich und das meine ich ernst... Was ist nur mit dir los?"
'Und wenn Satan sieht, es wird langweilig, lässt er die Rollen tauschen.'
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[Danke für's kommentieren und Voten]
Heyhoo~
Heute auch endlich wieder mal ein längeres Kapitel :)
Immer wenn ich meinen Kommentar hier drunter schreibe, vergesse ich all die Sachen, die ich noch sagen wollte och...
ACH
Danke für über 2k Reads, das ist einfach wow...
Ich freue mich über jeden einzelnen Leser und möchte mich mal für das ganze positive Feedback bedanken~
Einfach weil mir das viel bedeutet, genau so wie die Story und mich das jeden Tag immer wieder ein bisschen aufheitert ♡
Und die letzte Sache habe ich vergessen._.
Noch einen schönen Tag und eine schöne Woche~💜
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