»Es reichen die kleinen Gesten, wenn man den Zauber erkennt.« | Kapitel 6
❝ Schöne Augenblicke lassen den Alltag nicht mehr als etwas Alltägliches erscheinen. ❞
Monika Kühn-Görg
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Wenn man die Zeit anhalten will, rinnt sie einem durch die Finger wie feiner Sand, der in dem warmen Licht funkelt, wie tausend kleine, diamantene Momente.
Dieser Augenblick ist so einer. Ganz langsam legt Raja ihre kalte Hand auf meinen Hemdkragen, jagt mir damit einen Schauer über den Nacken, der jedoch augenblicklich an Bedeutung verliert. Ihre Haut ist warm unter meinen Fingern und ich kann nicht anders, als sie weiter über ihre Wange wandern zu lassen. Erst als ihre Lippen meine fast berühren, ruht meine Hand und vorsichtig bringe ich unsere Gesichter zusammen. Wie ein kleiner Funke, der von einer auf die andere Sekunde ein trockenes Feld in Brandt setzt, klingt sich mein Kopf aus. Mein Atem stockt und der Muskel in meiner Brust klopft, klopft, klopft, schneller, lauter, dringlicher.
Der Druck ihrer Hand verstärkt sich. Nur noch Zentimeter trennen uns. Ich kann jeden einzelnen der Sprenkel in ihren Augen erkennen, könnte sie zählen, wenn ich noch wüsste wie das geht.
Sie lächelt, bis sie ihre Augen schließt und kurz davor ist die letzte Distanz zu überwinden.
Es poltert. Laut und schrecklich nahe. Viel zu nah.
Ich zucke zurück. Ich blicke mich um, suche Orientierung in der Realität, die mir plötzlich fremd ist.
Von der Bühne wandert mein Blick hektisch zu Raja, die wie versteinert an mir vorbei schaut und meine Hand mittlerweile so fest hält, dass ich ihr beruhigend über den Handrücken fahre, in der Hoffnung, sie würde ihren Klammergriff dann vielleicht lösen.
Ihre Wangen sind gerötet, sie kaut auf ihrer Unterlippe herum und wo eben noch Schreck in ihren Augen lag, liegt nun Berechnung. Ihr Blick trifft meinen und bedeutet mir ungeduldig, mich doch endlich umzublicken. Ich muss lachen und empört schüttelt sie den Kopf. Und so drehe ich mich mit einem, vielleicht etwas zu selbstfälligen, Grinsen zum Unruhestifter um. Rajas Hand fällt von meiner Schulter. Ich könnte den jungen Putzmann verfluchen, der gerade mit einem durchaus amüsierten Gesichtsausdruck, den er noch nicht einmal zu verstecken versucht, den Schrubber aufhebt, der ihm wohl zufällig aus der Hand geglitten ist.
»Stör ich?«, spottet er und mit aller Seelenruhe tritt er auf uns zu. Langsam zieht er sich einen Kopfhörer aus dem Ohr und lässt ihn demonstrativ fallen.
Bevor er uns erreicht und die erbärmliche Bühne nutzen kann, die er sich selbst geschaffen hat, schnappe ich mir meinen langen Mantel und rutsche unruhig im Sessel hin und her.
Die Hand, die dabei immer noch in meiner liegt, lasse ich nicht los. Raja versteht den Wink und hat ihre Tasche schon in der anderen Hand. Von einem Sekundenbruchteil zum nächsten springt sie auf und zieht mich mit ihr hoch.
Wir flüchten. Hand in Hand. Durch den wie leergefegten Saal, die engen Reihen, über den Teppich bedeckten Boden, hinaus, wo unsere Schritte die leeren Gänge füllen und das schallende Gelächter, das aus uns herausplatzt, das alte Gebäude mit Leben erfüllt. Dumpf schlägt die massive Holztür zu.
Die Wände ziehen an uns vorbei, ein Gemälde nach dem anderen taucht auf und verschwindet wieder, der edle Teppich jagt unter unseren schnellen Schritten hinweg und das einzige, was beständig ist, ist die Hand in meiner, mein schnell klopfendes Herz und der womöglich glücklichste Gesichtsausdruck, den ich je getragen habe.
Pure Euphorie mischt sich mit Adrenalin, besetzt meinen Körper, steuert meine Gedanken, meine Gefühle.
Fühlen. Ich fühl mich... frei, sorglos. Glücklich.
Und so laufen wir durch das ehrwürdige Theater und können die haltlose Freude nicht verstecken. Sie sucht sich den Weg über unsere Lippen und fliegt durch das Gebäude.
Erst als die langen Flure ein Ende finde, verlangsamt Raja ihre Schritte. Als wäre nichts gewesen, treten wir nebeneinander die weite Treppe hinab. Nur der schwer Atem und die schnell schlagenden Herzen verraten den Sprint.
Als glänzender Mamor abrupt den purpurnen Teppichstoff ersetzt, bleiben wir im Einklang stehen und kommen zu Atem.
Vorsichtig öffne ich meine Hand. Dann bereue ich es. Sie wirkt plötzlich leer und kalt, als hätte sie ihren Halt verloren, ihren Sinn.
Trotzdem hocke ich mich hin, um meinen Puls wieder in ein angemessenes Maß zu bringen und meinen Gedanken Zeit zum ordnen zu schaffen.
Auch an der rothaarigen Frau an meiner Seite geht das Ganze nicht spurlos vorbei. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass sie zur Treppe geht. Als ich mich aufrichte und einmal übers Gesicht fahre, beginne ich langsam zu realisieren und kann beim besten Willen nicht das zufriedene Lächeln verstecken, das mir wie ins Gesicht gekleistert ist, wenn ich bei Raja bin. Ich blicke sie über die Schulter hinweg an und kann nichts dagegen tun, als es sich vertieft.
Mit leicht verwehten Haaren, das Kinn auf ihr Knie gelegt, die Hände knetend, sitzt sie Mitte in der pompösen Eingangshalle.
Sonst strotzt diese vor Leben. Überall herrscht Hektik, Aktivität, Menschen die sich unterhalten, künstlich lachen, ihre viel zu teuren Kleider zur Show tragen, falschen Freunden schmeicheln, ihr Leben in die Welt hinaus schreien, dass alle, die es hören wollen oder auch nicht, mitbekommen.
Jetzt nicht.
Der Moment ist einzigartig , doch das Grinsen auf Rajas Gesicht, als sie mich mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen anfunkelt, macht den Augenblick erst perfekt.
All das Leben, was den Ort jetzt ausmacht, bündelt sich in der zierlichen Gestalt, die auf der Treppe sitzt. Es ist plötzlich ruhig, ehrlich, so echt in der Halle, mit all den beladenen Kronleuchtern, imposanten Treppen und Säulen, dem Glamour und Fake.
Sie ist es. Ruhig, ehrlich, einfach echt.
Das alles wirkt so paradox und gleichzeitig ist genau das der Zauber. Verzaubert. Vielleicht bin ich das. Vielleicht bin ich verzaubert.
Und es ist bei Leibe nicht das Schlechteste, um ehrlich zu sein.
»Ist was?«
Ich schrecke aus den Gedanken und schüttle etwas lahm den Kopf.
»Na dann«, witzelt sie, »Setz dich«.
»Das würd ein schönes Bild abgeben, oder?«
»Definitiv. Du in deinem chicen Aufzug ja sowieso.«
Fast ist es, als würden ihre Hände in den ruhelosen Bewegungen innehalten.
»Und du erst in dem Kleid«, antworte ich, während ich einen Schritt nach dem anderen auf sie zu gehe.
»Lustig«, sagt sie tonlos und aus ihrem Blick spricht pure Berechnung.
»Nein. Gar nicht.«
Mittlerweile bin ich bei der ersten Stufe angekommen und lehne mich müde gegen das Geländer. Fast wirkt es so, als würde es aus flüssigem Gold bestehen, so elegant windet sich die Farbe um das massive Eisen und täuscht. Oft werden wir getäuscht, wenn wir es am wenigsten erwarten.
Das sagt auch der aufmerksame braunäugige Blick, der jede meiner Bewegungen kontrolliert. Sie sucht nach der Täuschung in den Worten. Aber sie wird sie nicht finden, weil es keine gibt.
Die Kälte des Metalls dringt schnell durch den Stoff meiner Kleidung und so stoß ich mich wieder ab, ohne Raja einmal aus dem Blick zu lassen.
Beinahe macht er mich nervös und beinahe würde ich vergessen, wie man einen Fuß vor dem nächsten setzt. Aber nur beinahe.
Mit Argusaugen sucht sie nach Anzeichen, ich würde sie lächerlich machen, aber offensichtlich hat sie bisher nichts gefunden, was ihre Behauptung bestätigen würde.
»Du siehst fantastisch aus.«
Sie schnaubt. Doch als sie das Gesicht senkt und ihr die Haare davor fallen, wirkt es so, als würde sie das sanfte Rot ihrer Wangen und das selige Lächeln verstecken wollen.
Um sie nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen, reiße ich mühsam meinen Blick ab und lasse ihn schweifen, bis er schließlich beim schweren Vorhang hängen bleibt, hinter dem sich der Haupteingang befindet.
»Zieht's dich raus?«
»Vielleicht.« Ich blicke ihr wieder ins wunderschöne Gesicht.
»Wenn du's so nennen willst. Du kannst ja schließlich nicht den ganzen Abend auf der Treppe hocken, oder?«
»Wer weiß das schon.«
»Es gibt wesentlich schönere Orte dafür, weißt du?«
»Kann ich mir kaum vorstellen.«
Sie grinst herausfordernd. Das Licht der massiven Kronleuchter tanzt über ihre Haut und betont den Schelm in ihren Augen. Provokant funkelnd hängt ihr Blick an mir. Unter Beobachtung gehe ich einen weiteren Schritt auf sie zu.
»Wollen wir noch mehr zum Klatsch und Tratsch des Personals beitragen? Ist dein Bedarf für heute noch nicht gedeckt?«
Bei der Anspielung auf den Fast-Kuss beißt sie sich auf die rosigen Lippen. Wenige Sekunden später wendet sie den Blick ab und trotzdem kann ich sagen, dass es in ihrem klugen Kopf rattert.
Unabhängig davon fahre ich fort: »Ich kenn einen besseren Ort«.
Augenblicklich habe ich wieder ihre gesamte Aufmerksamkeit und die Verlegenheit ist verpufft. Oder sie lässt es nur so aussehen. Eine Täuschung und ich sehe sie nicht, weil ich sie nicht erwarte.
»Welchen?«
»Darf ich dich überraschen?« Sie schweigt. »Ist das okay?«
Kurz mustert sie mich, dann nickt sie langsam.
»Ich vertrau dir.«
In mir zieht sich etwas zusammen und das Gefühl, dass durch meinen Körper geistert, kann ich nicht anders als warm bezeichnen.
Ganz ernst blickt sie mich an, als fragt sie sich, ob das die richtige Entscheidung war.
»Danke.«
Der kritische Blick in ihren Augen wird weich und vielleicht bilde ich mir das ein, aber ich meine zaghafte Begeisterung und kindliche Vorfreude darin aufblitzen gesehen zu haben. Unschlüssig stehe ich bei der Treppe, weiß nicht wohin mit mir. Das Chaos, das der bisherige Abend in mir hinterlassen hat, benebelt meine Gedanken. Oder zumindest sage ich mir, dass es so ist. Alles andere würde das Durcheinander noch einmal ordentlich durchwehen.
»Dann lass uns gehen.«
Ihre helle Stimme katapultiert mich zurück in den Saal. Raja greift nach der kleinen Tasche, die sie neben sich abgelegt hat. Nachdem sie sich aufgerichtet hat, steht sie auf der letzten Stufe, nur wenig von mir entfernt. Unsere Gesichter liegen auf der gleichen Höhe und sie steht einfach nur dort, wartet. Fast bin ich versucht, es noch einmal zu versuchen. Fast. Aber manches soll es auch gerade nicht.
Stattdessen strecke ich ihr automatisch meine Hand in und als ihre Hand in meine gleitet, als würde es genau so gehören, bin ich damit vollkommen zufrieden. Manchmal reichen die kleinen Gesten vollkommen, wenn man ihren Zauber erkennen kann.
— ♕ —
Die Nachtluft ist klar, etwas außerhalb der Stadt im kleinen Unipark. Als wir vor zwanzig Minuten das Theaterhaus verlassen haben, erschien mir die Welt im ersten Moment surreal.
»Es ist jedes Mal so, dass ich beginne mich in der Musik zu verlieren, sie als Maß nutze, meine Wirklichkeit zu definieren, und plötzlich ist die Welt surreal, als wäre sie mir fremd, wenn ich aus dem Gebäude trete, als wäre ich ihr fremd, wenn ich durch die gedankenlosen Menschenmassen meinen Weg gehe.«
Nur wenige Wolken haben sich oben am Himmelszelt versammelt und schauen mit den Sternen auf die Erde hinab. Unter unseren Füßen knirschen die Steinchen und mischen sich mit dem Rauschen der Großstadt, dem schwachen Sirren, der wenigen Insekten.
»Meist komme ich dann hier her.«
Rajas Hand liegt federleicht in meiner. Sanft drückt sie sie und ich suche ihren Blick. Im schwachen Licht der Laterne werfen ihr die Haarsträhnen Schatten aufs Gesicht und während ihrer Worte streicht sie sie zur Seite: »Wieso hier her?«
»Ich weiß es nicht.«
Der Weg glitzert, wenn sich das Licht der Laternen in den tausend kleinen Steinen bricht.
»Natur zeigt mir, dass...«, ich beiße mir auf die Lippe.
Ich spüre ihren Blick. Neugierig, aufmerksam, erwartungsvoll.
Trotzdem schweige ich.
»Was zeigt sie?«, fragt sie zaghaft nach.
Ich schlucke.
»Dass diese Perfektion, diese Detailverliebtheit, diese verborgene Schönheit von Musik, ihre Vollkommenheit, unserer Welt vielleicht doch nicht so fremd ist.«
Meine Stimme ist immer leiser geworden, doch als sie einfach stehen bleibt, bricht sie.
»Warum studierst du nochmal Jura?«
»Bitte, was?« Verständnislos suche ich nach einer Antwort.
»Du weißt hoffentlich, dass der Poesie an dir ein Meister verloren geht, oder?«
Sie lässt meine Hand los und tippt mir stattdessen auf die Brust.
Für einen Augenblick stelle ich ihre Worte in Frage, doch dann sehe ich die grenzenlose Ehrlichkeit in ihrem Gesicht und schmunzle.
»War das etwa ein Kompliment?«
Widerwillig setzt sie sich wieder in Bewegung, nachdem ich einfach weitergegangen bin.
»Sowas von.«
Wir lachen. Immer wenn wir das tun, vermischen sich unsere Stimmen und klingen wie Musik in meinen Ohren, bringen etwas in mir zum Schwingen.
»Aber ehrlich, Lewis.« Ihre Worte sind ganz ruhig und aus ihnen spricht eine solche Überzeugung, dass nun ich stehen bleibe, um sie anzublicken.
»Und wenn schon.«
Raja presst ihre Lippen zusammen und sagt kein Worte, doch in ihrem Blick liegt Kampfeslust.
»Ich wollte nur, dass du dir dessen bewusst bist.«
»Bin ich.«
Ein stummes Blickduell entfacht. Irgendwann muss sich ein Lächeln auf mein Gesicht gestohlen haben, das schließlich zum Grinsen wächst und Raja ansteckt.
»Und ein Herzblutmusiker dazu.«
»Was ist mit dem?«
»Der geht mit dir verloren.«
»Ehrlich?«
Ich runzle die Stirn und kneife die Augen zusammen.
»Ehrlich.«
In ihrem Gesicht liegt nur Aufrichtigkeit.
»Na dann«, ich schlucke und leise fahre ich fort, »Es wird wohl so sein«.
Die ganze Zeit hängen unser Blicke aneinander und keiner von uns bricht den Blickkontakt einmal ab.
»Unentschieden?«, frage ich nach minutenlanger Stille und die Frau mir gegenüber lacht laut auf.
» lVon mir aus. Du wirst schon früh genug verlieren.«
Langsam setzten wir unseren Weg fort und hängen schweigend unseren Gedanken nach.
Die wenigen Bäume rascheln mit ihren Kronen, das Licht des Mondes tanzt durch die Nacht und irgendwo erklingt verhaltenes Gegacker einer Studentin. Eine Katze rennt über die Wiese und jagt uns einen Schreck ein. Die nächste Laterne flackert unruhig und ein kalter Windhauch wispert durch den Park.
Irgendwann gehen wir enger beieinander durch die Ungewissheit. Unsere Finger berühren sich zufällig, die Handrücken streifen und irgendwann schließe ich ihre Hand wieder in meine. Sofort wandert ihr Daumen meine Haut entlang und ihre Fingerknöchel unter meinen Fingerspitzen sind mein liebstes Gefühl.
Ein Weg nach dem anderen, bis wir schließlich wieder auf dem Hauptweg gehen, der vom Hauptgebäude zur Bibliothek und zum Kunstwerk, wie die Hobbywerkstadt von den Studies genannt wird, führt.
»Setzten wir uns?« Sie deutet auf eine Bank, die am Wegesrand steht.
Ich nicke: »Kurz«.
»Und dann?«
Ich zucke mit den Schultern und ehe sie protestieren kann, habe ich sie neben mich auf die Bank gezogen.
»Schön hier.«
Ihr Blick wandert durch den spärlich erleuchteten Park.
»Auf jeden Fall.«
»Und du studierst hier Jura?«
Forsch bohren sich ihre Rehaugen unvermittelt in meine.
Ein Lachen bahnt sich meine Kehle hinauf.
»Schuldig. Aber das hatten wir doch heute schon thematisiert?«
Sie schüttelt grinsend den Kopf.
»Und du? Was willst du nach dem Aupair-Jahr machen?«
Sie rückt kurz herum, doch dann schaut sie mich an und antwortet mit einem Grinsen: »Auch Jura, wie meine Mutter«.
War irgendwie klar, schießt es mir in den Kopf.
»Eyy! Was grinst du so bescheuert?« Die Worte unterstreicht sie mit einem sachten Hieb ihres Ellenbogens.
»Nichts.«
Sie funkelt mich an, das erkenne ich selbst im Dunkeln.
»Habe mich nur gefreut...«
Ich beiße mir auf die Lippe. Sie verdreht die Augen.
»Was?«, hakt sie nach. Statt zu antworten, presse ich meine Lippen zusammen und schließe sie mit einem unsichtbaren Schlüssel ab.
Der Klang ihres klaren Lachens bringt mein Herz zum Pochen und befreit etwas in mir, von dem ich gar nicht wusste, dass es eingeschlossen war.
»Jetzt rück's raus...bitte«, fleht sie und etwas staut sich an.
»Ist ja gut«, gerade, als ich den Satz vollenden will, löst sie ihre Hand. Raja greift nach dem unsichtbaren Schlüssel, hantiert in der Luft vor meinem Mund herum und lässt sie wenige Sekunden später sinken.
»Sie mögen sprechen, Barde. Ihre Königin schenkt ihnen die Stimme.«
Aus mir platzt es heraus und bevor ich mich versehe, halte ich sie im Arm und lache haltlos in ihre Schulter. Etwas verdattert sitzt sie da, bis sie ebenfalls einstimmt.
»Gut, dass du das auch nicht ernst nehmen kannst«, bringt sie irgendwann hervor.
Ich löse mich von ihr und nicke.
»War...«, »...dir nur wichtig klar zu stellen?«, unterbreche ich sie und feixend löst sie sich aus der Umarmung.
»Sonst noch etwas, das du klar stellen willst?«
Unmittelbar habe ich wieder ihren Ellenbogen, diesmal etwas schmerzhafter, in der Seite, »Ughhh«.
»Oh, tut mir leid! Geht's?«, erkundigt sie sich vorsichtig, nachdem ich mich übertrieben nach vorne gelehnt habe und mir die kaum ziehende Stelle halte. Entschuldigend liegt ihre Hand auf meiner Schulter und wandert schließlich zu meiner, wo ich sie augenblicklich verschränke und langsam wieder aufrichte. Verwirrt sucht sie den Schmerz in meinem Gesicht. Doch sie findet es nicht und da versteht sie.
»Wirklich, Lewis?«
Amüsiert verziehe ich das Gesicht und bringe sie nur zum Augenrollen.
»Also, worüber hast du dich gefreut? Wir wollen ja nicht ablenken, nh«, wechselt sie mit leicht bissiger Stimme das Thema.
»Wirklich?«
»Lewis!«
»Ja, okay.« Ergeben hebe ich die freie Hand, um sie bloß nicht böse zu machen. »Ich habe mich nur gefreut, als du gesagt hast, dass du auch Jura machen willst, dass ich dich schon so gut kenne, dass ich das wusste.«
Sie lacht.
»Klingt gut.«
»Ich weiß.«
Nach einer Pause, sage ich, was ich mir selbst bis dahin nicht eingestanden habe: »Und vielleicht, dass wir auch da noch eine Gemeinsamkeit haben. Und es richtig war, sich wegen dir mit Haflot anzulegen. Und ganz eventuell auch, dass du nicht nur gut aussiehst, sondern auch eine verdammt kluge Frau bist«.
Ich habe sie nicht angeschaut, aber als ich nun ihren Blick suche, weicht sie mir aus.
»Vielleicht«, sie blickt mich endlich an, »bist du doch nicht das hirnlose Badboy-Arschloch«. Ihr Mundwinkel zucken verräterisch und die kleinen Lachfalten an ihren Augen entstehen.
»Da hab ich ja nochmal Glück gehabt.«
»Wohl eher ich, oder?«, sie grinst, »Dann wäre das hier ein ganz verschwendeter Abend gewesen.«
»Mit einem Arschloch hättest du es doch nicht den ganzen Abend ausgehalten, hoffe ich«, necke ich sie.
»Eben, das ist ein gutes Zeichen. Deshalb bin ich mir ja auch erst jetzt sicher, dass du keins bist.«
Sie beugt sich zu mir. Die Nacht wirft einen fahlen Schein auf ihre von Sommersprossen bedeckte Haut.
»Außerdem hätte ein Arschloch mich nicht mit zum Orchester genommen, sondern in eine Bar oder einen Club geschleppt.«
»Was ist denn an Clubs so schlimm?«
»Nichts, außer den Menschen, die dort sind«, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen.
Kritisch ziehe ich eine Augenbraue hinauf.
»Und woher weißt du, dass ich nicht so einer bin.«
»Weiß ich nicht, aber es ist mir auch egal. Solange ich nicht mit muss.«
Mit einem Lächeln auf den Lippen fahre ich mir fassungslos durch die Haare. »Wer weiß das schon.«
»Ich. Aber wieso waren wir jetzt heute in genau diesem Konzert?«, wechselt sie das Thema, ehe ich widersprechen kann.
Sie lässt sich nach hinten sinken und erst jetzt bemerke ich, wie nah wir uns wieder waren, ohne es zu bemerken. Ihr Blick hängt an mir und aufmerksam lauscht sie meinen Worten, als ich ihr erkläre, dass dies unser neues Stück im Uniorchester sein wird und es eben ein Muss ist, mindestens eine andere Aufführung dazu gesehen zu haben, um ein anderes Verständnis dafür zu entwickeln.
»Und denkst du, ihr bekommt es auch so hin?«
Ich zucke mit den Schultern. »Woher sollen wir das jetzt schon wissen? Bisher haben wir alle nur den Beginn unserer Stimme gespielt.«
»Und welche hast du?«
Während ich antworte, richte ich mich auf: »Die erste Geige«.
Als ich ihr wieder ins Gesicht schaue, liegt etwas in ihren Augen, das ich nicht zu ordnen kann. Fast sieht es aus wie Stolz, doch da ist es schon wieder hinter ihrer Maskerade verschwunden.
»Spielst du mal für mich?«
Sie steht ebenfalls auf.
»Irgendwann bestimmt.«
Ihre Hand löst sich aus meiner und sorgfältig streicht sie sich ihr Kleid zurecht. Ein kleines Lächeln liegt auf ihren Lippen.
»Komm.« Ich strecke ihr meine Hand entgegen.
Wieder liegt ihre Hand in meiner und langsam spazieren wir den Weg entlang.
Vorsichtig durchbricht sie die nächtliche Stille: »Alleine, weil du Geige spielst, kannst du vermutlich schon kein Arschloch sein«.
Rau lache ich auf und stoße sie an.
Sie kichert, das Geräusch ist so untypisch für sie, dass ich kurz stocke. Aber als sie mich mit leuchtenden Augen anschaut, ist es vergessen.
»Also, wo gehen wir hin, Lewis?«
»Schon mal eingebrochen?«
Sie grinst und schüttelt den Kopf. Ihre roten Haare tanzen über ihre Schultern.
»Dann wird's Zeit«, sage ich und beschleunige meine Schritte.
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