Kapitel 8

„Rettet mich!"

Ein scharfer Schmerz durchfuhr Haniels Kopf und ließ ihn leicht zusammenzucken. Starke Kopfschmerzen befielen ihn, welche gegen sein Erinnerungsvermögen ankämpften. Was ist hier los? Der Erzengel konnte sich die plötzlich eingetretene Blockade in seinem Verstand nicht erklären und versuchte sie mit roher Gewalt zu durchbrechen.

Sanft berührte Seraphion Haniels verdeckte Wange und strich beruhigend über diese. Die Wirkung, die der Seraph damit erreichen wollte, trat ein und der Jüngere vor ihm fing bereits wieder an langsamer zu atmen. Die aufkeimende Energie, die das gesamte Wohnzimmer durchflutet hatte, verschwand langsam und nahm das drückende Gefühl der Enge mit sich.

„Haniel, was auch immer du gesehen hast, ist noch nicht eingetreten." Langsam und leise sprach Seraphion, damit er sicher gehen konnte, dass der Engel vor ihm jedes einzelne Wort auch verstand. „Nichts", entgegnete der Jüngere flüsternd. „Was meinst du mit nichts?", fragte der Seraph nach, doch unterbrach er die Streicheleinheiten an der Wange des Erzengels zu keiner Zeit.

„Nichts. Nichts ist in meinem Kopf. Sobald ich versuche, mich zu erinnern, setzt ein betäubender Schmerz ein, der versucht meinen Verstand zu vergiften", antwortete Haniel wahrheitsgemäß, auch wenn er somit seine momentane Schwäche preisgab. „Wir sollten für heute eine Pause einlegen", bestimmte der Seraph.

„Wir müssen auch gehen Michael." Uriels Worte trafen den ältesten der drei Erzengel hart, doch wusste er, dass er nicht bleiben konnte. Trotzdem rührte sich sein Körper nicht einen Millimeter vom Fleck, bis Uriel ihn leicht am Arm zog. Widerwillig folgte er seinem Bruder bis zur Haustür, doch drehte er sich, an dieser angekommen, zu Haniel um und blickte ihm mit einem ernsten Blick in die verhüllten Augen. „Haniel", sprach der Erzengel der Treue mit fester Stimme den Namen seines Bruders aus, der verstand, was er ihm stumm vermittelte.

Sobald Haniel eine Gefahr seitens Seraphion spürte, würde er es, ohne zu zögern, seine Brüder spüren lassen.

Dieses Versprechen bestätigte der Jüngere mit einem Kopfnicken, was die beiden Erzengel an der Tür nur schwerfällig beruhigte. Schweren Herzens traten sie aus dem Haus heraus und steuerten jeder für sich ihr eigenes Heim an, doch wussten die beiden älteren Engel, dass sie in dieser Nacht nicht wirklich schlafen werden können.

Kaum waren seine Brüder in die Abenddämmerung verschwunden, stand Haniel müde auf und stampfte über die gewöhnungsbedürftige Wiese unter seinen Füßen in Richtung Schlafzimmer. Dabei zog er die nasse, heilige Robe unbedacht über seinen Kopf, welche auch schon augenblicklich im Nichts verschwand, und präsentierte einem nach Luft schnappenden Seraphion seine wunderschöne Kehrseite. Erst als der Erzengel dieses Geräusch mit seinen Ohren vernahm, drehte er sich zu dem Seraphen um und bemerkte, dass er aus reiner Gewohnheit erneut nackt im Haus war.

Doch für einen peinlichen Fluchtversuch war es bereits zu spät, denn der Seraph hatte jedes körperliche Detail des Erzengels wie ein Schwamm in sich aufgesogen und in seinem Verstand abgespeichert.

Eine graue Haarpracht, die regelrecht danach schrie, dass man sie mit beiden Händen packte und leicht an ihr zog, war das Erste, was dem schmachtenden Seraphen auffiel.

Ein dichter Wimpernkranz umschloss die wohl wunderschönsten Sturmgrauen Augen, welche er je gesehen hatte, und entzog sich schweren Herzens ihrem verführerischen Bann und widmete sich den rosigen Lippen, die zum Anbeißen aussahen. Kein einziges Haar zierte die straffen Wangen, welche die stark ausgeprägten Wangenknochen betonten.

Seraphions Blick wanderte über die gut definierte Brust, welche im hellen Ton strahlte und dem Marmor um sie herum Konkurrenz bereitete. Eine leichte dünne Haarspur erhaschte seine Aufmerksamkeit, da sie vom Nabel abwärts verlief und den Seraphen praktisch dazu zwang, weiter hinunter zu sehen.

Bevor er jedoch mit den Augen sein Ziel erreichte, schob sich eine der beiden weißen Schwingen auf Haniels kräftigen Rücken in sein Blickfeld und holten ihn ins Hier und Jetzt zurück.

Haniel musste sich sichtlich zusammenreißen, als der dunkle Blick der Bernsteine des Seraphen ihn traf, welcher versuchte ihn zu verschlingen. Reiß dich zusammen, mahnte der Erzengel sich in Gedanken selbst und beschwor eine dünne Hausrobe, die seinen Körper einhüllte.

Haniel schaute den Seraphen an. „Ich denke es ist am besten, wenn du auf dem Sofa schläfst", sagte er, denn allein der Gedanke, dass Seraphion neben ihm lag, verursachte eine leichte Röte auf seinen Wangen.

„Das könnte ich, doch werde ich in deiner Nähe bleiben, da wir nicht wissen, ob du Nachwirkungen aufgrund des Kontakts mit dem Kind haben wirst. Für heute und morgen Nacht werde ich dein Bewacher sein und sichergehen, dass alles in Ordnung ist."

Das gefiel dem Jüngeren überhaupt nicht, ließ es aber unkommentiert. Seraphion dagegen folgte Haniel mit einem Lächeln in dessen Schlafzimmer und legte sich unverblümt direkt neben diesem in das breite Bett.

Die vielen Baumwollbeutel folgten ihnen und durch die Magie ihres Besitzers entstand ein Kleiderschrank in der Ecke des Schlafzimmers, vor dem sich die Beutel nacheinander öffneten und die Kleider sich in diesem verstauten. Nichts geht über Magie und farbliche Sortierung, dachte sich Seraphion und drehte sich leicht auf der weichen Matratze.

Sein Gesicht war nun dem Erzengel zugewandt, doch dachte der Jüngere nicht einmal daran, ihn anzusehen, und präsentierte ihm erneut seine Kehrseite. Der einzige Unterschied zu vorher war, dass die weißen Flügel sich an seinem Rücken so positionierten, dass er keinerlei Sicht auf dessen Körper hatte. Schade. Mehr dachte sich der Seraph nicht, bis ihm schmunzelnd eine Idee kam, wie er die Aufmerksamkeit des Erzengels auf sich ziehen konnte.

Haniel dagegen bekam nichts mit, da er den Schwarzhaarigen hinter sich ignorierte und sich auf das Einschlafen konzentrierte. Er zählte, wie die Engelskinder es gerne taten, die fliegenden Pegasoi und war bereits bei dreißig, als er eine hauchzarte Berührung an seiner linken Schwinge fühlte.

Bevor er sich umdrehen konnte, nahm die Berührung an Intensität zu und ein mehr als angenehmer Schauer jagte über seinen Körper. Was war das? Die weißen Schwingen raschelten und streckten sich leicht, aber so, dass Seraphion nicht vom Bett fiel.

„Was t-tust du?", keuchte Haniel, doch spürte er, wie eine Hand gegen seine Hüfte drückte und er sich automatisch auf den Bauch drehte. Seine Flügel lagen nun wie ein Fächer ausgebreitet über dem Bett und der Seraph war nicht mehr neben ihn.

Er spürte eine Wärme in seinem Rücken und warme leicht behaarte Beine, die sich um seine glatten Oberschenkel platzierten.

Zwei Hände kamen in sein Sichtfeld und Haniel wusste, dass er unter dem Engel gefangen war. Er hätte sich aufbäumen und ihn abwerfen können, doch war er müde und die Strapazen des Tages forderten nun ihren Tribut.

„Du solltest dich entspannen, kleiner Erzengel", hauchte ihm die tiefe Stimme des Schwarzhaarigen in sein Ohr und ein Schauer rann über Haniels Rücken. Erneut spürte er die hauchzarte Berührung und die Wärme lief seine gesamten Flügel entlang. Was tut er da?

Seraphion verschlang den unter ihm liegenden Engel förmlich mit den Augen. Die unschuldige Reaktion und Verwirrung heizten seine Begierde weiter an, denn Haniel war anscheinend so unschuldig, wie er ihn von Beginn an eingeschätzt hatte.

Seine Lippen berührten wie zuvor den oberen linken Bogen seiner Schwingen und er leckte diesen entlang. Der Seraph wusste genau, dass dies der empfindlichste Teil eines Flügels war, an dem viele Nervenstränge entlangliefen, und dass sich somit die Empfindungen von dort aus ausbreiten würden. Haniels Flügel spannten sich vor Ekstase an und ließen für kurze Zeit wieder locker, bis Seraphion am Ansatz ankam, wo der Flügel aus dem Rücken wuchs.

Der Erzengel schloss die Augen, denn das Prickeln wanderte über seinen gesamten Körper und eine wohlige Wärme breitete sich in ihm aus. Sein Herzschlag beschleunigte sich, wie auch seine Atmung. Erst jetzt fiel ihm etwas auf, was er zuvor nicht wahrgenommen hatte.

Seraphions Körper war wärmer als der von anderen und er roch nach Wildblumen und Honig.

Er wusste nicht, was der Seraph tat, doch es war, als würde er seinem Körper eine unsichtbare Fessel anlegen, denn dieser sehnte sich nach mehr. Mehr von den Berührungen, mehr von der Nähe, mehr von ... Seraphion.

Als er dessen Zunge auf seinem Rücken direkt am Ansatz seiner Flügel spürte, keuchte er erschrocken auf und ein Geräusch verließ seinen Mund, welches er noch nie zuvor von sich gegeben hatte.

Er spürte die Erregung durch seinen Körper fließen und begann sich, an der Matratze zu reiben. Fliehen konnte er nicht, denn er war nach wie vor unter dem Seraphen gefangen. Gefangen unter dem Körper, welcher unwiderstehlich nach Wildblumen und Honig roch.

Die Reaktion, die Haniel preisgab, weckte etwas tief in Seraphion, was er bei keinem seiner Partner jemals verspürt hatte. Es war etwas Ursprüngliches, etwas Animalisches. Dann ist es wirklich wahr.

Bisher war Haniel eine niedliche Ablenkung zu all seinem Schmerz gewesen, doch nun wurde er zu einem Ziel. Seinem Ziel. Er wollte ihn vollständig besitzen und ihn zu dem Seinem machen.

Ich will ihn hören.

Ich will meinen Namen aus deinem Mund hören.

Und ich will, dass deine wunderschönen Augen sich nach mir sehnen.

Es würde ihm nicht reichen, nur etwas mit ihm zu spielen, denn dafür war ihr Schicksal bereits zu stark miteinander verbunden.

Mit glühenden Augen biss Seraphion in den oberen Teil des linken Flügels und Haniel bäumte sich stöhnend auf.

Noch nicht, mein kleiner Erzengel.

Du wirst dich nach mir verzehren.

Wirst mich darum bitten.

Mit diesem Entschluss ließ er von Haniel ab und fuhr mit seinen Händen über dessen Rücken, um seine verspannten Muskeln zu massieren.

Die angenehme Reibung an seinem Rücken entspannte Haniel wieder und sein Herzschlag beruhigte sich. Er wusste nicht, was Seraphion getan hatte, doch eine angenehme Erschöpfung breitete sich in seinem Körper aus und er fiel in einen tiefen Schlaf. Begleitet und beschützt von dem Duft nach Wildblumen und Honig.

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