1|Blut, Eier und Kekse
Die blinkenden Lichter des Krankenwagens erhellten den dunklen Park und zogen meine Aufmerksamkeit zum unzähligen Mal auf sich. Mein Blick huschte zu den noch offenen Türen des Wagens, aber ich konnte nicht viel erkennen, und meine Unruhe stieg abermals an. Ich hoffte und betete, dass er überleben würde, aber die Ungewissheit zerrte an meinem Innersten und verursachte ein mulmiges Gefühl in mir.
"Können Sie mir sagen, was passiert ist, Miss Andrews?" Ich konzentrierte mich auf den Polizisten, der mich mit seinem dichten Schnurrbart und den wachen, braunen Augen anstarrte. Er sah mich mit einem ernsten Gesichtsausdruck an, einen Notizblock in der Hand, bereit, jedes Detail aufzuschreiben, das ich ihm geben würde.
Ich dachte eine Sekunde lang nach und stellte fest, dass die Ereignisse der letzten dreißig Minuten so stressig gewesen waren, dass sie ein einziges Wirrwarr in meinem Kopf ergaben. Aber ich wusste, dass meine Aussage wichtig war, also biss mir auf die Wange und begann zu sprechen, nachdem ich meine Gedanken wenigstens etwas gesammelt hatte.
"Ich bin gerade im Park spazieren gewesen, die frische Luft genießen und all das. Und plötzlich hörte ich einen lauten Knall, der wie verrückt widerhallte. Zuerst wusste ich gar nicht, was los war, aber dann fingen die Leute an zu schreien, zu rennen und sich zu ducken. Ich glaube, erst da wurde mir klar, dass es ein Schuss war. Als ich versuchte, Deckung zu finden, bemerkte ich eine Person auf dem Boden, die auf dem Rücken lag, und ich dachte nicht weiter darüber nach, sondern rannte einfach auf sie zu, und dann sah ich, dass der Mann angeschossen worden war."
Ich gestikulierte in Richtung des Krankenwagens, um deutlich zu machen, dass ich den Patienten meinte, der gerade behandelt wurde. Ich schluckte und fuhr fort, nachdem mein Gegenüber mir ermutigend zunickte.
"Ich weiß nicht genau... es ging alles sehr schnell. Ich glaube nicht, dass es einen zweiten Schuss gab, und falls doch, habe ich ihn nicht gehört. Ich habe mich nur noch auf den Verletzten konzentriert und versucht, ihm zu helfen. Bald kamen andere Leute und sagten mir, sie hätten den Notruf gewählt, und ich versuchte einfach weiter, die Blutung zu stoppen bis der Rettungswagen kam."
Der Beamte nahm meine Daten auf, und mein Blick fiel sofort wieder auf die Ambulanz. Diesmal schlossen die Sanitäter die Türen des Wagens und ich sah zu, wie sie mit heulenden Sirenen davonfuhren. Meine Hände schwitzten inzwischen so sehr, dass man meinen konnte, ich hätte sie gerade unter einen Wasserhahn gehalten. Tatsächlich wünschte ich, das wäre der Fall. Immerhin klebte Blut an meinen Händen und ich konnte es kaum abwarten, alles von meinen Fingern zu schrubben.
Die Ungewissheit zehrte an mir, und ich wünschte, ich hätte einen Blick in den Krankenwagen werfen können, nur um zu sehen, ob der Mann noch lebte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nur hoffen und versuchen, positiv zu denken.
Schließlich würde man keine Sirenen aufheulen lassen, wenn man einen Leichnam transportierte, oder?
"War das Opfer noch bei Bewusstsein, als Sie ihm geholfen haben? Hat er etwas gesagt?" Ich konzentrierte mich wieder auf den Polizisten.
"Ja, also, er war bei Bewusstsein und hat gesprochen. Ich weiß nicht, ob er irgendetwas zu mir gesagt hat oder nur vor sich hin brabbelte. Ich konnte ihn nicht richtig verstehen, ich glaube, er sprach Spanisch, was ich leider nicht kann. Aber ich glaube, er sagte den Namen Alex... aber ich bin mir nicht ganz sicher."
Ich biss mir auf die Lippe, denn ich hatte nicht das Gefühl, dass ich eine große Hilfe war. Ich bedauerte, dass ich in der Schule nicht mehr Spanischunterricht genommen hatte und es zu einem der Fächer machte, in denen ich nicht besonders gut war. Vielleicht hätte es mir in dieser Situation, in der ich mich befand, wirklich geholfen. Im Hinterkopf setzte ich Spanischunterricht auf die Liste der Dinge, die ich in meiner Freizeit tun sollte. Es lag genau zwischen Stricken lernen und meinen Kleiderschrank ausmisten.
"Keine Sorge, Sie machen das toll. Haben Sie mitbekommen, aus welcher Richtung der Schuss kam?" Ich schüttelte den Kopf, denn ich wollte bei so wichtigen Dingen nicht raten, wenn ich keine Ahnung oder tatsächliches Wissen über den Verlauf einer Kugel hatte.
"Der offene Raum des Parks hat es nicht wirklich möglich gemacht, festzustellen, woher sie gekommen ist, und sie kam buchstäblich aus dem Nichts. Es ist nicht so, dass irgendjemand darauf vorbereitet war, solche Dinge zu bemerken. Das war wohl auch der Grund, warum alle Menschen kreuz und quer gerannt sind." Ich erhielt nur ein Nicken als Antwort, und bevor eine weitere Frage gestellt werden konnte, wurden wir von jemandem unterbrochen, der auf uns zu joggte.
Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf den Neuankömmling, und einen Moment lang nahm ich an, dass es sich um einen der anderen Beamten handelte, derzu uns herüberliefen. Aber es dauerte keine fünf Sekunden, bis ich ihn als das erkannte, was er war. Verdammt attraktiv und unglaublich wütend, so wie er die Augenbrauen zusammengezogen hatte, und wenn ich das mörderische Glänzen in seinen Augen richtig deutete. Aus diesem tödlichen Blick, der direkt auf den Polizisten gerichtet war, schloss ich verdammt schnell, dass er nicht hier war, um zu spielen, und mit dieser Einstellung höchstwahrscheinlich auch kein Vollstrecker des Gesetzes war.
"Sind Sie derjenige, der mir sagen kann, was zur Hölle hier passiert ist?" Der Ton seiner Stimme durchfuhr mich wie ein eiskalter Schlag, und ich sah, wie auch der Beamte sichtlich schluckte. Er versuchte schnell, die augenblickliche Einschüchterung, die er empfunden haben musste, herunterzuspielen und räusperte sich, bevor er sich dem Mann zuwandte und die dicken Augenbrauen hochzog.
"Ich bin Officer Quert und wenn Sie mir Ihren Namen sagen und wie Sie in den heutigen Vorfall verwickelt sind, können wir uns gleich dort drüben unterhalten, aber ich bin gerade indisponiert." Ich beobachtete die Interaktion mit mehr Interesse, als ich in dieser Situation zeigen sollte, da war ich mir sicher. Immerhin gingen mich wildfremde Personen wenig an, solange sie nicht schwer verletzt waren. Aber ich hatte eine Ahnung, einen Verdacht, dass es möglich war, dass dieser Mann in die Schießerei verwickelt war. Vielleicht war er der Schütze und wollte sich nun in die Ermittlung einmischen, um von sich selbst abzulenken. Jeder, der sich in der Gegend aufhielt, war verdächtig, wenn man mich fragte, und ganz besonders jene Männer, die Zeugenaussagen unterbrachen und auf sehr aggressive Weise wissen wollten, was vor sich ging.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Cousin gerade niedergeschossen wurde, also entschuldigen Sie mich, wenn ich keine verdammte Zeit verschwenden will." Ich beobachtete, wie der dunkelhaarige Mann versuchte, seine Gefühle zu beherrschen und nicht komplett auszurasten, was ihm offensichtlich nicht leichtfiel. Aber wenn es wirklich sein Cousin war, der angeschossen worden war, konnte ich seine Reaktion durchaus verstehen. Vielleicht war er ja doch kein Verdächtiger und stattdessen nur ein besorgter und aufgebrachter Verwandter.
Meine interne Recherche kam zu einem abrupten Halt, als ich bemerkte, wie mein Handy in meiner kleinen Handtasche klingelte. Ich wagte es, einen Blick darauf zu werfen, da die Aufmerksamkeit nun eh nicht mehr auf mir lag. Trotz der Größe meiner Tasche brauchte ich peinlich lange, um mein Telefon zu finden, und ich war überrascht, als der Anrufer so hartnäckig war, dass er nach so langer Wartezeit nicht einfach aufgelegt hatte. Ich ahnte allerdings bereits, wer mich so dringlich anrief, und als ich schließlich das Handy herausholte und auf die Anruferkennung schaute, wurde mein Verdacht bestätigt.
Nach einem kurzen Blick nach oben, um zu sehen, ob ich wieder wahrgenommen wurde, und als ich sah, dass die beiden Männer sich intensiv anstarrten und sich überhaupt nicht um mich kümmerten, ging ich einen Schritt zurück und nahm den Anruf entgegen.
"Wo zum Henker bist du, Mary? Wir warten schon seit über einer Stunde auf dich. Ich habe draußen gestanden und mir die Eier abgefroren, weil ich auf dich gewartet habe." Die reizende Stimme meiner liebevollen Schwester und ihre sanften und fürsorglichen Worte dröhnten durch den Lautsprecher, bevor ich überhaupt die Gelegenheit hatte, sie zu begrüßen. Typisches Verhalten, würde ich sagen.
"Ich werde Benny sagen, dass du Eier gesagt hast, und dann musst du die Kekssteuer bezahlen!"
Aus dem Zusammenhang gerissen, waren meine Worte wohl... interessant. Vielleicht auch ein wenig beunruhigend, so dass sich Außenstehende wahrscheinlich fragten, ob mein Gehirn noch in vollem Umfang funktionierte.
Zumindest schien es so, denn plötzlich starrten mich zwei sehr verwirrte Gesichter an.
Ich biss mir beschämt auf die Lippe und versuchte, einen Weg zu finden, die Situation zu entschärfen, aber es gelang mir nicht. Wie sollte man sich auch davon erholen, dass man die Arbeit der Polizei bei einer Schießerei mit dem Wort "Eier" unterbrochen hatte? Verlegen räusperte ich mich.
"Tut mir leid, meine Schwester ist am Telefon, sie hat sich Sorgen gemacht. Ich hoffe, das ist kein Problem?" Der Polizist musterte meinen flehenden Blick und meine hoffentlich unschuldig wirkende Körperhaltung und nickte schließlich leicht.
"Danke, ich werde mich schnell darum kümmern."
Mit diesem Versprechen wandte ich mich ab und duckte mich etwas näher an das Telefon, als ob mich das unsichtbar machen würde.
"Brit, das ist ein wirklich schlechter Zeitpunkt. Ich bin im Park, und es gab eine Schießerei, und ich habe hoffentlich gerade einem Menschen das Leben gerettet, und hier ist die Kacke am Dampfen."
Die Worte kamen in Lichtgeschwindigkeit aus meinem Mund und ich verstand sie selbst kaum. Hätte ich diese Gedanken nicht selbst geformt, hätte ich, wahrscheinlich Mühe gehabt, sie zu deuten. Aber Brit und ich teilten ein so enges geschwisterliches Band - wir waren zusammen aufgewachsen, und sie kannte mich gut genug, also verstand sie natürlich alles, was ich ihr entgegengeschleudert hatte, auf Anhieb.
"Sprich ein bisschen schneller, dann verstehe ich vielleicht das Kauderwelsch, das du da von dir gibst, kleine Schwester."
Oder auch nicht.
Wozu diente dieses enge Verhältnis zwischen Geschwistern, wenn nicht dazu, den Unsinn der anderen zu verstehen und die Sätze des anderen zu beenden?
Ich ließ mir meine Enttäuschung nicht anmerken und versuchte es noch einmal, diesmal lauter und deutlicher.
"Ich sagte, im Park ist die Kacke am Dampfen und ich habe gerade verhindert, dass ein Typ verblutet, also ist es wirklich unpassend und ehrlich gesagt unverdient, mich jetzt zu beschimpfen. Ich könnte es aber durchgehen lassen, denn du hast nicht gewusst und kannst nicht wissen, dass ich Zeuge eines Verbrechens war. Entschuldige dich später!"
Brit antwortete definitiv etwas, ich konnte ihre Stimme in meinem Ohr hören. Was ich noch deutlicher hörte, war das Räuspern von jemandem hinter mir. Und das war Grund genug, meine Schwester zu ignorieren. Vorsichtig drehte ich mich um und sah mich – Überraschung! - zwei Gesichtern gegenüber, die mich anschauten als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Ich hätte mir überlegen sollen, ob ich an dieser Stelle Spenden annehmen sollte, schließlich sahen mich die Leute an, als wäre ich ein Kunstwerk in einem Museum und die Miete war fällig, also wäre ein Trinkgeld willkommen. Aber ich wusste, dass es nicht der richtige Zeitpunkt für meine dummen, kleinen Gedanken war, vor allem, als ich den nicht sehr erfreuten Blick von Officer Quert sah. Also versuchte ich zu lächeln und bekam eine ausdruckslose Mine zurück.
"Brit, ich rufe dich gleich zurück." Meine letzten Worte an meine Schwester, bevor ich auflegte und zum Beamten zurückschlurfte. Das Risiko, dass mich meine Schwester später auseinandernehmen würde, nachdem ich sie so skrupellos weggedrückt hatte, ging ich lieber ein, als noch größeren Unmut eines Polizisten auf mich zu ziehen.
"Das tut mir wirklich leid. Familie kann hart sein, Sie wissen schon."
"Ich würde sagen, es gibt im Moment dringendere Angelegenheiten, Miss Andrews."
Ich presste meine Lippen aufeinander und nickte zustimmend. Er hatte natürlich recht, und ich verstand den Ernst der Lage, in der ich mich befand. Aber ehrlich gesagt war ich froh, dass ich mich ablenken konnte. Als Krankenschwester waren Traumata und Verletzungen jeglicher Art ein unvermeidliches Ereignis, doch einen Patienten bei der Einlieferung ins Krankenhaus zu sehen und mitten an einem Tatort mit einem Schussopfer zu sein, waren zwei ganz unterschiedliche Sachen.
Mit den Folgen und der möglichen Notwendigkeit einer Therapie würde ich mich allerdings später auseinandersetzen müssen.
Der Beamte atmete laut aus, scannte seinen Zettel und warf einen kurzen Blick zu dem vermeintlichen Cousin des Opfers. Dann blickte er zurück zu mir.
"Miss Andrews, ich glaube nicht, dass ich im Moment noch weitere Fragen an Sie habe. Aber bitte stellen Sie sich darauf ein, dass Sie im Laufe der nächsten Tage auf die Wache gerufen werden, um eine offizielle Aussage zu machen. Und wenn Sie sich noch an etwas anderes von heute erinnern, rufen Sie mich an oder kommen Sie sofort aufs Revier."
Der Officer reichte mir seine Karte und ich warf einen kurzen Blick darauf, bevor ich zustimmend nickte.
"Das werde ich tun, danke. Kann ich jetzt gehen?"
"Ja, wir haben Ihre Daten notiert, Sie sind also entlassen."
Ein Seufzer der Erleichterung entwich meinen Lippen und ich schenkte dem Officer ein Abschiedslächeln. Bevor ich jedoch den Ort des Geschehens verlassen und versuchen konnte, die Ereignisse der letzten Stunden zu vergessen, blieb mein Blick an dem dunkelhaarigen Mann hängen.
Er fixierte mich quasi mit seinem Blick und ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich konnte nicht sagen, warum ich so reagierte, ob es Angst, Abscheu oder Zufall war. Vielleicht wurden mein Unterbewusstsein und meine menschlichen Instinkte durch das grundlose Angestarrtwerden von einen völlig Fremden durcheinander gebracht.
Was auch immer es war, es war mir unangenehm, und ohne es zu versuchen, spürte ich, wie sich meine Gesichtsmuskeln vor Ekel zusammenzogen.
Gruselig.
Schließlich drehte ich mich um und joggte davon. Nur schnell weg. Gleichzeitig wählte ich die Nummer meiner Schwester, und es dauerte keine zwei Klingelzeichen, bis sie abnahm.
"Du hast zweimal Kacke gesagt, und mein Sohn wird davon erfahren, also mach dich bereit, ebenfalls die Kekssteuer zu zahlen!"
"Ich wusste, dass du mich beim ersten Mal verstanden hast!"
***
Frage des Tages: Denkst du, du würdest Erste Hilfe leisten, wenn du einen Verletzten Menschen auffinden würdest?
xx Mika
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