Fünfzehn.
Fünfzehn.
"Now this is not the end. It is not even the beginning of the end.
But it is, perhaps, the end of the beginning."
— Winston Churchill (Their Finest Hour (The Second World War, #2))
April 1978
Das erste was Lily nach langer, langer Zeit wieder hörte, war das leise Rascheln von Buchseiten. Ein Geräusch, das ihr so vertraut war ihr eigener Herzschlag und sie merkwürdigerweise beruhigte. Sie wagte es noch nicht die Augen zu öffnen, warum wusste sie nicht ganz. Aber sie fühlte sich geborgen und sicher, es schien als ob ihr Körper wusste, dass sie nicht in Gefahr war. Und dieses Gefühl wollte sie so lange wie möglich bewahren.
Eine leise Stimme füllte ihre Gedanken. Lily kannte die Stimme gut, konnte nicht genug von ihr bekommen. Der sanfte Klang war beständig und half ihr über den Schmerz in ihrer linken Seite hinweg. Bei jedem Atemzug zog der Schmerz doch ihren Körper, aber unterbewusst wusste sie, dass es schon viel besser war.
Nur langsam kamen die Erinnerungen zurück. Lily erinnerte sich nur allzu deutlich an die schrecklichen Geschehnisse bis Denman sie im Wald zurück ließ. Doch danach war alles nur verschwommen, da war ständig das Bild eines riesigen Hirsches in ihrem Kopf und James. Sie meinte auch sich an Sophias Stimme erinnern zu können.
Ob die beiden sie wohl gerettet hatten? Doch das wie und warum, erschloss sich ihr nicht.
Das Rascheln der Blätter hörte auf und die Stimme wurde kräftiger. Er las ihr etwas vor und wenn sie nicht so benommen und müde gewesen wäre, hätte sich jetzt ein Lächeln auf ihren Lippen ausgebreitet. Es war ihr Lieblingsgedicht und das einzige, dessen Worte sie auswendig kannte.
„Out of the night that covers me, Black as the pit from pole to pole, I thank whatever gods may be, For my unconquerable soul.”
Vorsichtig drehte sie ihren Kopf zu der Stimme. „Lily?“ Eine kühle Hand strich über ihre Stirn. „Alles okay bei dir?“
Erst jetzt wagte sie es langsam ihre Augen zu öffnen, die sie sofort wieder zukniff, als das helle Licht in ihren Augen brannte. Er rief lauthals nach Madam Pomfrey, der jungen Krankenschwester und Lily hörte Schritte, die auf dem Linoleumboden hastig herbei kamen.
„Miss Evans?“
Lily öffnete erneut die Augen und zwang sich sie nicht wieder zu schließen. Alles war noch ein bisschen verschwommen und unklar, doch das änderte sich schnell und sie erkannte das freundliche Gesicht unter der gestärkten Haube der Krankenschwester. „Haben Sie noch Schmerzen, Miss Evans?“
Lily schüttelte den Kopf. „Nicht viel“, krächzte sie, ihre Stimme ganz rau und kratzig.
„Ich gebe Ihnen etwas gegen die Schmerzen“, erwiderte Madam Pomfrey und flößte Lily einen bitter schmeckenden Trank ein. Dafür spürte Lily schon bald keinen Schmerz mehr. „Bleiben Sie noch etwas liegen, Sie müssen sich noch ausruhen. Wenn etwas ist, rufen Sie mich sofort.“
Als Madam Pomfrey weg war, setzte sich James auf die Bettkante und griff nach Lilys Hand.
„Was ist letzte Nacht passiert?“, verlangte Lily zu wissen.
James seufzte und fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare. Er sah aus als ob er die ganze Nacht nicht geschlafen hätte, dunkle Ringe zeigten sich unter seinen Augen und er war blass. Seine Ärmel waren hochgekrempelt und rote Striemen zogen sich über seine Arme.
„Du warst dort“, fuhr Lily fort. „Ich habe deine Stimme gehört. Und Sophias.“
„Sophia und ich haben gemerkt, dass du fehlst“, begann James. „Und Sophia hat entdeckt, dass dich jemand in Richtung des Verbotenen Waldes entführt hat.“
„Wilkes“, wisperte Lily.
Wut zog sich über James Gesicht als er den Namen hörte. „Wilkes ist bis jetzt noch nicht wieder aufgetaucht, aber der kann etwas erleben. Genauso wie Denman.“
„Beide sind geflohen?“ Lily wollte die beiden eigentlich nie wieder sehen, aber dennoch sollten die beide ihre Strafe erhalten. „Aber erzähl weiter.“
„Wir haben dich dann am Ende auf der Lichtung gefunden“, fuhr James fort. Wieder fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. „Du hattest ein Messer in deiner Seite stecken und hast schon ziemlich viel Blut verloren. Sophia und ich haben dich dann zur Schule zurück gebracht.“
Lily runzelte die Stirn. Das war nicht das, woran sie sich erinnerte. Und sie war sich ziemlich sicher, dass der größte Teil ihrer Erinnerung stimmte, trotz des Blutverlustes. „Sophia kam erst später dazu“, sagte sie langsam. „Du warst viel eher bei mir.“
„Naja, wir haben ein komisches Geräusch gehört und Sophia hat nachgeguckt…“
„Lüg mich bitte nicht an“, erwiderte Lily. „Ich kann die Wahrheit vertragen.“
James sah sie prüfend an, während ein Hauch Verzweiflung durch seine Augen huschte. Dann legte er einen Finger auf seine Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen und stand auf. Neugierig blickte Lily ihm hinterher, als er durch den Krankenflügel schlich, anscheinend um zu schauen ob niemand dort war.
Madam Pomfrey war längst wieder in ihrem Büro und nur am anderen Ende des Krankenflügels war ein Schirm aufgestellt, um das dahinter liegende Bett zu schützen. Ansonsten war alles ruhig. Lily fragte sich ob jemand in dem anderen Bett lag und hoffte nur, dass nicht noch jemand in der letzten Nacht verletzt worden war.
James kehrte wieder zurück und setzte sich auf die Bettkante. Dieses Mal nahm er nicht Lilys Hand. Selten hatte Lily ihn so ernst gesehen wie in diesem Moment. „Du darfst nichts, aber auch gar nichts von dem, was du gleich hörst, jemanden weiter verraten. Niemanden.“ Er sah sie eindringlich an. „Kannst du das?“
Lily war verwirrt. Was wollte James ihr sagen? Aber dennoch flüsterte sie: „Ja.“
James holte ein Mal tief Luft bevor er anfing zu sprechen. „Du hast Recht, Sophia und ich haben dich nicht zusammen gesucht. Ich war bereits im Wald als ich deinen Schrei gehört habe. An was erinnerst du dich noch?“
„Da war plötzlich ein riesiger Hirsch“, wisperte Lily heiser. Sie konnte immer noch das mächtige Geweih vor ihren Augen sehen und den riesigen Körper, wie er durch das Dickicht brach. „Seine Augen, sie sahen ein bisschen aus wie deine. Und dann war der Hirsch plötzlich weg und du warst dort. Wieso?“
„Weil ich der Hirsch war.“
Lily brauchte ein paar Sekunden um zu verstehen was James ihr damit sagen wollte. „Du warst der Hirsch? Du bist also ein Animagus?“
James nickte nur.
„Warum?“ Lily versuchte sich an alles zu erinnern, was sie je über Animagi gelernt hatte.
„Wegen Remus.“ James seufzte. „Jetzt kommen wir zu dem wichtigen Teil. Bitte hasse Remus nicht, er kann nichts dafür.“
„Warum sollte ich Remus jemals hassen?“, unterbrach Lily ihn. „Er ist einer der nettesten-
James hob seine Hand um ihren Redefluss zu stoppen. „Lass es mich bitte einfach erklären, ja? Du musst wissen, dass er, als er vier Jahre alt war, von einem Werwolf während eines Vollmondes gebissen wurde.“
„Er war erst vier?“ Lilys Augen füllten sich mit Tränen. „Wie kann man einem Kind so etwas antun.“
„Lily, du weißt aber schon was das bedeutet?“, fragte James vorsichtig.
Lily nickte unter Tränen. „Ich weiß es doch schon lange. Irgendwann ist es schon auffällig, wenn er immer zum Vollmond verschwindet. Ich glaube nicht, dass es jemand anderes auch bemerkt hat.“ Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. „Ich wünsche niemanden Remus Schicksal, aber wenn dann hoffe ich, dass sie alle zu solch tollen Menschen wie er werden.“
Auf James Gesicht erschien ein Lächeln, das erste seit dem Beginn der langen Nacht. „Du hasst ihn nicht?“ Er schien so viel mehr besorgt um das Schicksal seines Freundes, was Lily davon halten würde, als um was Lily von ihm selbst denken würde. Fast konnte er schon ihre Stimme hören, wie sie ihn dafür ausschimpfte, dass es so gefährlich und illegal war.
„Wie könnte ich? Er ist mein Freund.“ Lily sprach mit Nachdruck. Sie schien ganz unvoreingenommen und James fragte sich ob sie nicht wusste was es bedeutete ein Werwolf in der Zauberergesellschaft zu sein. Doch dann erinnerte sich, dass sie muggelstämmig war und nicht die Geschichten kannte, dass sie nur in irgendwelchen Büchern darüber gelesen hatte. Dennoch war er so froh, dass Lily Remus so einfach akzeptierte und ihn nicht verurteilte.
„Aber was hat Remus jetzt damit zu tun, dass du ein Animagus bist?“, hakte Lily nach.
„Wir sind zu Animagi geworden, damit Remus den Vollmond nicht alleine verbringen muss“, erwiderte James leise. „Ein Werwolf ist nur für Menschen gefährlich.“ Und so erzählte er die Geschichte einer wunderbaren Freundschaft, die nie zerbrechen würde, davon waren sie fest überzeugt.
Und Lily war sich in diesem Moment niemals so sicher gewesen, dass sie James liebte. Sie wusste wie gefährlich und illegal das alles war, doch sie selbst hätte alles getan um Sophia oder Alice oder Marlene oder Dorcas zu helfen, hätten sie an Remus Stelle gestanden. Sie bewunderte geradezu die vier Jungen, auch wenn sie es nicht gut heißen konnte zu wie vielen Missetaten sie ihre Fähigkeit auch genutzt hatten.
Vorsichtig hob sie ihre Hand, obwohl die Muskeln in ihrer Seite protestierten, und strich James sanft über die stoppelige Wange. Unbewusst schien er sich gegen ihre Hand zu lehnen und schloss für einen winzigen Augenblick die Augen. Der Hauch eines Lächelns zeigte sich auf seinen Lippen. „Danke.“
„Wofür?“ Lily sah ihn verwundert an.
„Für alles. Dass du mir glaubst, dass du Remus akzeptierst, dass du nicht schreiend wegrennst“, sagte James. „Du wirst uns doch nicht verraten?“ Er musste ganz sicher sein, auch wenn er Lily vertraute.
„Niemals“, antwortete Lily aus tiefster Überzeugung.
Aus James Gesicht sprach die Erleichterung. Er wusste, dass er es Lily hätte irgendwann erzählen müssen, wenn sie wirklich eine ernsthafte Beziehung führen wollten, denn er wollte solche Lügen nicht zwischen ihnen haben. Deshalb hatte er Remus, als er mit Lily zusammen gekommen war, die Erlaubnis abgerungen die Geschichte zu erzählen. Nur hatte Remus, und auch James, eher daran gedacht, dass es später sein würde. Doch wie immer war alles anders gekommen als gedacht.
James drückte Lily einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf erst mal, du musst dich noch ausruhen.“
So energisch wie sie konnte, schüttelte Lily den Kopf. „Nein, ich will die ganze Geschichte hören.“ Sie musste wissen was ihr passiert war, eher würde sie nicht ruhen können. „Wo ist Denman? Und Wilkes? Was ist mit ihnen? Wo ist Sophia?“
„Langsam, langsam.“
Lily verdrehte nur die Augen.
„Sophia schläft noch. Ihr geht es gut, sie hat keine Verletzungen erlitten. Sie hat dich ins Schloss gebracht“, fing James mit dem Leichten an. „Aber was hat Wilkes damit zu tun? Und Denman? Ich dachte es wären die Slytherins gewesen?“
Anscheinend gab es noch viel zu klären, schoss es Lily durch den Kopf und so berichtete sie was passiert war, bevor Wilkes sie in den Wald gebracht hatte. „Wilkes durfte gehen und Denman ist abgehauen nachdem er mich verletzt hat.“
„Ich habe keine Spur von denen gesehen“, sagte James ratlos. „Aber ich hab auch nicht drauf geachtet. Du warst wichtiger.“
Lily verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln. „Wie viel Uhr haben wir? Kann ich mit Professor Dumbledore sprechen? Er muss über alles Bescheid wissen.“
„Der Unterricht hat gerade erst angefangen“, berichtete James. „Wir sind für heute davon befreit“, beruhigte er Lily dann noch.
„Hol Professor Dumbledore“, bat Lily James. „Wir dürfen keine Zeit verschwenden.“
„Geht es dir wenn wieder so weit gut?“ Erst als Lily nickte, stand er auf und verließ den Krankenflügel.
***
Eine halbe Stunde später saß nicht nur Professor Dumbledore an Lilys Bett, sondern auch Sophia, die inzwischen wach geworden war und sich in den Krankenflügel geschlichen hatte. James hatte es sich auf einem Stuhl auf der anderen Seite bequem gemacht und hielt Lilys Hand, während sie wieder einmal ihre Geschichte erzählte. Sophia und James gaben jeweils auch ihre Version der Geschichte wieder. Niemand erwähnte mit einem Wort den Hirsch und James gab an, dass er sich zusammen mit Sophia auf die Suche nach Lily gemacht hatte und dann ein verräterisches Geräusch im Wald gehört hatte und um die anderen zu schützen, hatte er das Geräusch verfolgt. Schließlich waren sie schon kurz vor dem Waldrand gewesen, allerdings hatte James sich ein bisschen verlaufen und erst später wieder zurück gekehrt.
Dumbledore hörte aufmerksam zu, fragte nur hier und da nach und strich sich nachdenklich über den Bart. „Professor Denman ist in den letzten Tagen tatsächlich durch seltsames Verhalten aufgefallen, doch ich dachte nicht, dass sein Hass so weit gehen würde“, murmelte er.
„Er ist ein Anhänger von Lord Voldemort“, fügte Lily hinzu. „Ich habe sein Zeichen gesehen.“
Dumbledore nickte traurig. „Ich hätte nie gedacht, dass er so weit gehen würde. Ich habe ihn damals noch selbst unterrichtet. Ihr müsst wissen, dass er jahrelang als Fluchbrecher in Südamerika gearbeitet hat, er hat dort seine Frau kennen gelernt. Er war niemals für die Dunklen Künste, das muss wohl erst später gekommen sein. Jahre später ist seine Frau gestorben. Das muss es wohl sein, was ihn in die Arme Voldemorts getrieben hat.“
„Aber wieso das denn?“, fragte Lily.
„Sie starb am Kindbettfieber, genauso wie ihr Kind“, antwortete Dumbledore langsam. Betroffene Stille folgte auf seine Worte. „Sie waren irgendwo tief im Dschungel und es war niemand da um ihnen zu helfen, außer ein einheimischer Stamm, die auch nichts ausrichten konnten. Ich kenne nur die Geschichten, doch er wird den Muggeln den Schuld an ihrem Tod geben.“
„Und dafür wollte er jetzt Rache nehmen.“ Lily verstand ihren ehemaligen Lehrer plötzlich und doch verstand sie ihn nicht. Sie verstand, dass Trauer einen weit treiben konnte, aber Rache selbst verstand sie nicht, weil es ihr selbst so ein fremdes Gefühl war.
„Und wo ist Denman jetzt?“, wollte James wissen. Er selbst verstand das Gefühl Rache nehmen zu wollen gut, wenn auch nicht in den Ausmaßen.
Dumbledore seufzte. „Er ist geflohen. Auroren sind schon auf der Suche nach ihm. Man wird ihn sicherlich bald fassen.“
„Was ist mit Wilkes?“, fragte Lily.
„Mr Wilkes ist auch noch nicht aufgetaucht“, sagte Dumbledore. „Nach ihm wird aber ebenfalls gesucht.“
„Ich glaube da kann ich helfen“, meldete sich Sophia zu Wort. „Ich weiß zwar nicht genau unter welchem Baum der liegt, aber so ungefähr kriege ich das noch hin.“ In knappen Worten erzählte sie was sie mit Wilkes getan hatte, nicht das mindeste sich schuldig dafür fühlend, dass Wilkes schon die ganze Nacht da lag.
„Miss Jones, gehen Sie bitte nachher zusammen mit Professor McGonagall und Hagrid in den Wald und befreien Mr Wilkes.“ Er zwinkerte Sophia zu. „Ich glaube, er hatte bis dahin genug Zeit um über seine Taten nachzudenken. Eine Strafe wird er dennoch erhalten.“
Auch James musste unverhohlen grinsen als er das hörte. Er war nur froh, dass Dumbledore nicht nach fragte wo er die ganze Zeit gewesen war, denn ihre Geschichte war mehr als nur löchrig.
„Miss Evans, ist es für Sie in Ordnung später ihre Geschichte noch einmal den Auroren zu berichten?“, fragte Dumbledore. „Es wird natürlich eine Anzeige gegen Professor Denman erstattet und auch er wird seine Strafe bekommen, sobald man ihn fasst. Ich kann verstehen, wenn Sie es nicht noch einmal erzählen möchten.“
Lily schüttelte den Kopf. „Nein, es ist schon okay.“
Dumbledore nickte. „Sehr gut. Dann ruhen Sie sich aus, Sie haben es nach dieser Nacht mehr als verdient. Das gleiche gilt für Mr Potter und Miss Jones.“ Er stand auf und verabschiedete sich von den dreien mit der Entschuldigung, dass er noch viel zu klären hatte wegen dieser Nacht.
Kaum dass Dumbledore den Krankenflügel verlassen hatte, verlangte Lily von Sophia zu wissen was genau noch passiert war, denn das hatte ihr James nicht erzählen können. Also erzählte Sophia wie sie Lily an den Waldrand gebracht hatte und dann Hagrid Bescheid gesagt hatte, der Lily dann hoch zum Schloss getragen hatte.
„Dumbledore und ein paar der Lehrer haben dort schon auf uns gewartet“, berichtete Sophia. „Marlene und Alice haben bemerkt, dass wir beide gefehlt haben und da du ja immer so pünktlich und alles bist, haben sie sich irgendwann Sorgen gemacht. Es muss wohl früh morgens gewesen sein, als sie bei McGonagall gemeldet haben, vor allem weil auch keiner der Jungs im Schlafsaal war. Aber ich vermute mal, dass die auch nach dir gesucht haben. Wäre allerdings sehr peinlich gewesen, wenn du dich nur mit James in eine dunkle Ecke verzogen hättest um wer weiß was zu tun.“ Sie grinste schief.
„Dann haben sie dich in den Krankenflügel gebracht und Madam Pomfrey hat mir strengstens befohlen sofort ins Bett zu gehen. Sprout hat mich sogar extra ins Bett gebracht.“
Lily musste etwas lachen bei dieser Vorstellung, auch wenn ihre Seite weh tat.
„Marlene und Alice sind wahrscheinlich schon vor Neugier und Sorge gestorben, aber sie haben mich netterweise schlafen gelassen“, fuhr Sophia fort. „Und die Schule kennt vermutlich auch schon die ganze Geschichte, sprich du kannst Dorcas, Frank und Caradoc zu der Liste an neugierigen Leuten, die unbedingt alles wissen wollen und sich Sorgen machen, hinzufügen.“ In Hogwarts blieb nie etwas lange ein Geheimnis, vor allem nicht solche Sachen. „Sirius, Remus und Peter schlafen bestimmt noch, die haben nichts von irgendwas mitbekommen.“
Inzwischen hatte Madam Pomfrey auch bemerkt, dass Dumbledore weg war und gab Lily weitere Medizin und verscheuchte Sophia, damit Lily ihre Ruhe bekam und Wilkes befreit wurde, während James sich standhaft weigerte Lilys Seite zu verlassen.
„Nicht lange, Mr Potter“, warnte Madam Pomfrey. „Ihre Freundin braucht Ruhe, morgen haben Sie sie wieder ganz für sich.“
„Wunderbar“, strahlte James die Krankenschwester an.
„Hmm“, murmelte Madam Pomfrey nur und ging dann wieder davon um hinter dem Vorhang zu verschwinden und um um den anderen Patienten zu kümmern.
„Wie geht es dir jetzt?“, fragte James besorgt.
„Ich bin erschöpft“, antwortete Lily ehrlich. „Dabei tut mir noch nicht mal meine Wunde weh, ich kann für den Moment einfach nicht mehr. Es war alles so viel.“ Auch wenn man es ihren Worten nie angemerkt hatte, war es doch anstrengend gewesen alles noch einmal zu erzählen und die Erinnerungen wieder zu erleben. Der Horror, die Angst, die Panik, die Schmerzen. Das alles zehrte an ihr und würde es sicherlich noch seine Zeit. Aber sie wollte und würde sich nicht davon unterkriegen lassen. So Menschen wie Denman sollten niemals Macht über sie haben.
„Soll ich gehen, damit du deine Ruhe hast?“, fragte James und wollte schon aufstehen.
„Nein, bleib noch ein bisschen.“ Wenn er hier war, dann musste sie nicht daran denken. „Lies mir wieder vor.“
„Das hast du gehört?“ James klang erstaunt.
Lily nickte und so holte James das schmale Buch wieder hervor und blätterte zu der Seite. „Weißt du, das ist mein Lieblingsgedicht.“
James lächelte. „Irgendwie habe ich auch nichts anderes erwartet. Es passt zu dir. Hübsche, liebe, süße, starke Lily.“
Röte zog sich über ihre Wangen und James musste grinsen. Endlich hatte er die Seite gefunden und räusperte sich bevor er anfing zu lesen.
„Out of the night that covers me,
Black as the pit from pole to pole,
I thank whatever gods may be
For my unconquerable soul.
In the fell clutch of circumstance
I have not winced nor cried aloud.
Under the bludgeonings of chance
My head is bloody, but unbowed.
Beyond this place of wrath and tears
Looms but the horror of the shade,
And yet the menace of the years
Finds and shall find me unafraid.
It matters not how strait the gate,
How charged with punishments the scroll,
I am the master of my fate:
I am the captain of my soul.”
James hatte nicht ganz das letzte Wort gesprochen, da war Lily auch schon mit einem Lächeln eingeschlafen.
***
Es war erst abends als Lily wieder aufwachte. Statt Sonne erhellte nun Lampenschein den Krankenflügel und statt James saß nun Remus neben ihrem Bett. Er sah müde aus und sein Gesicht trug Kratzspuren, die über seinen Nacken führten und dann unter dem Hemd verschwanden. Dennoch lächelte er als er merkte, dass Lily wieder wach wurde.
„Hallo“, sagte er leise.
Lily erwiderte sein Lächeln. „Hallo Remus.“
So etwas wie Erleichterung blitzte in Remus Augen auf, als Lily ihn nicht sofort ablehnte. „James hat dir gesagt, dass- Er sah aus, als wollte er sofort das Schlimmste hinter sich haben. „Dass ich-
„Du bist ein Idiot.“
„Wie was?“ Remus sah Lily verwirrt an.
„Ich weiß es doch schon lange und ich lasse meine Freunde nicht im Stich. Egal was sie sind. Warum sollte ich dich für einen Tag im Monat hassen, für etwas, für dass du noch nicht mal etwas kannst?“, rief Lily. Sie schüttelte den Kopf. „Remus, wenn du das glaubst, dann kennst du mich schlecht.“
Vorsichtig richtete sich Lily auf und zog Remus in ihre Arme. Er sah so aus als könnte er es gerade gebrauchen. Sie sah Dankbarkeit in seinen Augen aufblitzen und dass war für sie genug. Remus erwiderte die Umarmung, Worte wurden in diesem Moment nicht gebraucht.
Doch Remus löste sich schnell wieder aus der Umarmung und es war keine Dankbarkeit mehr in seinen braunen Augen, sondern nur noch Schuld. „Ich habe deine Freundschaft nicht verdient. Ich wollte dich letzte Nacht jagen.“ Seine Worte klangen kalt. „Ich erinnere mich an den Geruch.“
„Du warst niemals auch nur in meiner Nähe“, erwiderte Lily. Wie sie erst später von James erfahren sollte, war es dennoch recht knapp gewesen, aber das würde sie Remus niemals sagen. „Es ist nichts passiert.“
„Aber-
„Kein Aber“, sagte Lily nachdrücklich. „Was habe ich dir gerade gesagt? Du kannst nichts dafür und ich werde dir sicherlich nicht die Schuld für irgendwas geben. Es ist nichts passiert, das schwöre ich dir. Gib mir Veritaserum wenn du mir nicht glaubst.“ Sie redete sich schon fast in Rage. „Du hörst sofort auf dich schuldig zu fühlen, du bist einer der besten und tollsten Menschen, die ich kenne und wenn du das nicht einsiehst, dann – dann- keine Ahnung, aber irgendwas fällt mir schon ein.“ Atemlos lehnte sie sich wieder zurück und ihre Seite schmerzte wieder, doch das Lächeln auf Remus Gesicht war es tausend Mal wert.
„Du bist der beste Mensch, den ich kenne“, murmelte Remus.
Lily wusste, dass es noch lange dauern würde, bis Remus von sich selbst überzeugt war, doch im Notfall würde sie es ihm auch jeden Tag sagen, nur damit er es glaubte. „Weißt du, du solltest Dorcas mal fragen ob sie mit dir nach Hogsmeade geht.“
Remus Gesicht färbte sich scharlachrot und versuchte stotternd zu erklären, dass Dorcas bestimmt nicht wolle und dass es ja gar kein Hogsmeadewochenende mehr geben würde, aber so hatte Lily ihn wenigstens ein bisschen abgelenkt. Irgendwann würde auch Remus begreifen, dass er Liebe und Freundschaft verdient hatte.
***
Die nächsten Tage waren hektisch für Lily. Andauernd hatte sie Besuch von ihren Freunden und anderen neugierigen Leuten, dafür durfte sie wenigstens wieder zurück in den Unterricht, schließlich waren die UTZ Prüfungen nicht mehr weit weg.
James, Sophia, Sirius, Remus, Peter und sie wurden von den Auroren befragt, doch Denman war unauffindbar. Ihn würde man erst zwei Jahre später fassen und in einer Laune des Schicksals würden es Sophia und Frank sein, die ihn fangen würde. So gab es erst spät Gerechtigkeit. Lilys Entführung war tatsächlich Rache für seine Frau gewesen, der ganze aufgestaute Hass hatte sich mit einem Mal entladen und Lily als bekannteste und erfolgreichste muggelstämmige Hexe, war sein Opfer geworden.
Dennoch hatte Wilkes einiges Interessantes über Denman zu berichten. Denman hatte die Slytherins zu den Angriffen auf die Schüler angestiftet und die meisten waren nur zu allzu eifrig gefolgt. Wilkes war einer der eifrigsten gewesen und hatte voll und ganz hinter Denman und seinen Taten gestanden, doch viel wollte er nicht verraten. Für die Angriffe auf die Schüler und Beihilfe zur Entführung wurde Wilkes nach Askaban gebracht, doch Voldemort sollte ihn bald wieder rausholen.
Ein gutes hatte es dennoch, für den Rest des Schuljahres gab es keinerlei Angriffe mehr auf die Schüler Hogwarts und es war relativ ruhig. So ruhig wie es sein konnte, wenn die Rumtreiber beschlossen hatten zum Ende ihrer Schulzeit noch einmal richtig auf den Putz zu hauen.
Aber selbst Lily brachte es nicht über das Herz die Jungen groß zu stoppen. Sie brachten wieder mehr Leben in die Schule und in diesen Zeiten konnten sie es wahrlich brauchen. Außerdem lenkte es Remus vom Nachdenken über die eine Nacht ab und auch Lily fand mit der Zeit, dass ihre Albträume weniger wurden.
Vergessen würde die Nacht dennoch keiner, als den ersten Moment wo sie den Krieg wirklich gespürt hatten.
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Entschuldigung für die lange Wartezeit, aber hier ist endlich das Kapitel :) Ich hoffe es gefällt euch :)
Wir sind schon am Ende von Anfang, es wird auf jeden Fall ein weiteres Kapitel geben, ob es einen Epilog geben wird weiß ich nocht nicht ganz :)
Das Gedicht heißt "Invictus" von William Ernest Henley und ich finde es passt zu sehr vielen der Charaktere aus Anfang ... :)
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