Teil 1: meine Welt
Seit ich denken kann lebe ich in dieser Welt. Unserer Stadt. In dieser Welt, wo niemand an Zufälle glaubt, alles durch das Los gestimmt wird, in der es ungeheuerlich ist bisexuell oder gar lesbisch oder schwul zu sein. In einer Welt, wo man scheinbar nichts selber bestimmen kann. Wenn ich in einer Woche 18 werde, wird die erste Hälfte unseres „Jahrgangs" komplett sein und die Partnerverlosungen werden stattfinden. Die Partnerverlosung... Dieses Wort schwebt wie das Schwert des Damokles über mir. Am liebsten würde ich für immer 17 bleiben. Ich habe Angst, wer mir zugelost wird. Angst, Gewalt und Verachtung von meinem Partner zu spüren zu bekommen. Angst, jemanden etwas von meinen Ängsten zu erzählen, damit auf keinen Fall das Herrscherpaar etwas davon mitbekommt, denn falls das passieren würde, wäre ich nach einem Tag von der Bildfläche verschwunden und würde nie wieder auftauchen. Ich weiß, ich bin ein Feigling – ein sehr großer sogar, aber ich habe wirklich keine Lust darauf in Alter von nicht einmal 20 Jahren zu sterben. Ich habe also keine Ahnung, was die Zukunft für mich birgt, außer dass ich wahrscheinlich für immer in unserer Stadt festsitzen, nie andere Leute außer die Stadtbewohner kennenlernen– ganz sicher niemanden aus den anderen Städten, einen stinklangweiligen und normalen Beruf haben, genug Geld zum Leben verdienen, ein ordentliches Vorzeigehaus in der Innenstadt mit Garten besitzen und mit sehr viel Glück und wenn ich mich außergewöhnlich gut schlage, vielleicht auch irgendwann eine höhere Position bekommen werde. All dies klingt genau nach der Sorte von Leben, die ich ehrlich gesagt auch haben will. Aber es kommt mir auch ganz irrational vor, dass ich mich über irgendetwas beschweren könnte. Ich meine, das Herrscherpaar hat jahrelange Erfahrung und außerdem ist die Partnerverlosung eine Tradition. Also kann daran schließlich unmöglich was falsch sein. Außerdem würde es sofort auffallen, wenn ich mal den Mund aufmachen würde. Ich bin sehr unscheinbar (sofern man das mit roten Haaren sein kann) und sehr, sehr still. Ich rede eigentlich nur, wenn ich dazu aufgefordert werde. Für mich ist das Leben in der Stadt eigentlich so ziemlich perfekt – dachte ich, bis eine weitere Person in mein Leben trat.
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