Anders
Er ist anders. Er ist anders und das macht ihn so gefährlich. Manche würden sagen, er ist verrückt und vielleicht ist er das ja auch. Fakt ist, er ist ein Mörder.
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte keine Angst vor ihm. Gänsehaut überzieht meine Arme, als ich vor dem Computer sitze und mir die Bilder der Frauen ansehe.
14 sind es, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt. Sie wurden vergewaltigt, übel zugerichtet, misshandelt und bestialisch getötet.
Meine Gedanken wandern zu meiner Frau, die wahrscheinlich gerade unsere Tochter ins Bett bringt. Mir wird übel, wenn ich daran denke, dass er sie entführen und genauso behandeln könnte, wie er es mit den anderen Frauen gemacht hat. Sie haben es nicht verdient, aber wer hat das schon?
Ich muss anfangen, ihn zu verstehen. Um einen Mörder zu fassen, muss man ihn verstehen. Man muss verstehen, was in seinem Kopf vorgeht, was ihn antreibt. Warum er das tut, was er tut. Auch wenn ich sowas schon mein halbes Leben lang mache, wird es nicht einfacher. Ich würde sagen, es wird sogar schwerer. Es wird schwerer, sich zu trauen. Sich zu trauen, anzufangen wie der Mörder zu denken. Denn jedes Mal bleibt ein kleiner Teil zurück. Man wird ihn nie wieder ganz los und das macht mir Angst. Auch wenn es das nicht sollte.
Wut. Er scheint sehr wütend zu sein, wenn man sich die toten Frauen so ansieht. Ich frage mich, wie man so viel Wut und Hass in sich tragen kann, dass man zu so etwas fähig ist. Diese Frauen haben nichts getan und trotzdem hat er sie umgebracht.
Ich glaube, er ist verrückt. Vielleicht ist er aber auch extrem klug. Aber das glaube ich nicht. Wenn er klug wäre, dann wäre da ein Muster. Ein Muster, nach dem er seine Opfer auswählt. Aber das scheint es nicht zu geben.
Er scheint von seiner Wut getrieben zu sein und das macht ihn so gefährlich. Noch gefährlicher als die Tatsache, dass er anders ist.
Ich sehe mir die Bilder nochmal an. Und da kommt es mir, wie ein Blitz schlägt es in meinen Kopf ein: Sie sind normal. Sie sind die Sorte Frau, die es zu Tausenden gibt, überall. Die, die nichts Besonderes sind, die nicht auffallen.
Und da ist sein Muster. Es ist ein Muster, wie es mir noch nie untergekommen ist. Manche wählen ihre Opfer wegen der Hautfarbe, der Religion oder der Sprache aus, aber er wählt sie aus, weil sie normal sind. Normal und langweilig.
Seine Wut ist Fluch und Segen zugleich für mich. Sie macht ihn gefährlich, aber wer so wütend ist, begeht irgendwann einen Fehler. Darauf muss ich warten: Dass er einen Fehler macht. Einen Fehler, der uns zu seiner Person führt.
Und vielleicht ist er ja genial. Vielleicht ist er ein Genie. Aber jeder macht irgendwann einen Fehler. Und darauf muss ich warten.
Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und verschränke die Arme hinterm Kopf. Und ich lächle. Denn ich werde warten, solange es auch dauern mag. Er wird einen Fehler machen und dann werde ich zuschlagen.
Auch wenn er anders ist, es endet für alle Mörder gleich.
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