Nazi(s) in Berlin
Vorerst schleppen Irenka und ich Johann in meine Wohnung…auch ohne komplette Uniform (da ihm die meisten Abzeichen und Anstecknadeln weggenommen wurden, also quasi seine ganze Jacke) sieht er noch immer so aus, als würde er nicht in diese Zeit gehören. Deswegen sollten wir ihn wenigstens ein bisschen neu einkleiden.
In meiner Wohnung angekommen stürzt sich Irenka gleich auf meinen Kleiderschrank und nach wenigen Sekunden sieht es in meinem Zimmer so aus, als wäre hier gerade der gesamte Reichstag explodiert.
"Boaaaaah! Des soll er tragen!" qietscht Irenka laut hervor und hält ein ebenso schrilles…ähm Hemd in die Luft. Bei diesem Muster frage ich mich wer mir bei dem Kauf gerade eine Pistole an die Schläfe gehalten hat. Denn allen im Raum leuchtet nun ein neon-pinkes, orange - blau geblümtes Hemd entgegen, dass vielmehr nach Fasching als sonst irgendwas aussieht.
"Wie wäre es mit nein" wirft Johann verstört ein und lässt sich langsam aber sicher vom Bett auf den Boden sinken.
Mit einem kleinen Schubser werfe ich Irenka in einen der sich türmenden Kleiderhaufen und suche nun selbst ein Outfit für unser Nazi-Supermodel.
Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich das passende Outfit gefunden. Naja sagen wir mal so: das was am ehesten zu Johann passt. Nämlich ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck "Sieg oder Tod" am Rücken und einem Totenkopf auf der Vorderseite, welches ich damals von einem (Ex)-Freund geklaut habe. Außerdem hatte er damals einen sehr eigenartigen Musikgeschmack, denn das T-Shirt ist von dem "Künstler" Namens Nachtmahr. Dazu eine schwarze Lederjacke und schwarze Jeans von meinem Vater.
Irenka ist eingeschlafen und Johann vergnügt sich munter mit den Teppichflusen als ich ihm die Kleidungsstücke auf den Kopf werfe.
"Was ist das denn?" skeptisch betrachtet er den schwarzen Haufen Kleidung der nun auf seinem Schoß liegt. "Klamotten. Du kannst nicht in Uniform durch Berlin rennen! Und beeilen dich wir müssen noch nach Horst suchen" hektisch werfe ich die herumliegenden Kleidungsstücke wieder in den Schrank zurück und wecke dabei ruckartig Irenka auf, die mit einem lauten Gähnen über den Teppichboden rollt.
Als ich das Chaos wieder einigermaßen beseitigt habe sehe ich zu Johann. Schlechter Plan. Denn anstatt sich ins Bad oder eine Ecke des Zimmers zu verkrümeln zieht er sich mitten in meinem Zimmer um. Oder besser gesagt aus.
"El. El. Elena? ELENA! Mund zu- du fängst noch an zu sabbern!" Irenka zieht mich aus dem Zimmer und wir setzen uns an den Küchentisch wo seltsamerweise ein Kuchen steht…
Natürlich fällt Irenka sofort über den Kuchen her und hätte ich sie nicht schon nach kurzer Zeit gestoppt, wäre jetzt kein Stück mehr davon da. "Wie kannst du jetzt überhaupt an Essen denken? Wir haben einen Nazi am Hals! In unserer Zeit! Und draußen rennt noch ein zweiter von der Sort rum, der obendrein nicht mal 1 plus 1 rechnen kann. Was machen wir denn jetzt?"
"Na ihn suchn. So schwer kann det doch ned sein nen Typen in Nazi-Uniform zu findn." Wie immer sieht Irenka das viel zu locker...und langt schon wieder heimlich nach dem Kuchen.
"Irenka, ich meins-"
"Und wie seh' ich aus?", unterbricht mich Johanns Stimme. "Ich fühl mich so...komisch in dem Zeug."
Sofort sehe ich auf und mustere ihn kurz. Überraschenderweise steht ihm alles fast wie angegossen. Das T-Shirt schmeichelt seinem leicht durchtrainierten Körper, die Hose steht ihm überraschend gut...und um seinen Hals baumelt die Kette mit dem Eisernen Kreuz, die ich noch aus meinen Metal-Zeiten habe. Wo zur Hölle hat er die denn her? Ich suche sie schon seit Jahren!
Ja gut... Jetzt sieht er zwar nicht mehr aus wie ein Nazi...aber wie ein NEO-Nazi. Na super... Upgrade kann man das nicht gerade nennen. Eher als hätte er sich von Hitler selbst zu seiner Putzfrau degradiert.
Ach du braune Neune... Moment mal, ging das nicht irgendwie anders? Und seit wann benutze ich überhaupt solche Oma-Begriffe?
"Sag mal, was soll das denn?" Ich deute auf das Eiserne Kreuz.
"Na wenn ich schon mein eigenes nicht tragen darf!", meint er wie ein enttäuschtes Kind, dem man seinen Lollipop weggenommen hat.
Irenka nickt anerkennend. "Det sieht nicht nur Bombe aus, sondan Atombombe!
Begeistert springt sie um Johann herum und ich kann nur denn Kopf schütteln. Ach du meine Güte, wenn das so weitergeht schicke ich sie mit ihm die Vergangenheit zurück! Wenn wir das überhaupt hinkriegen. Ich seufze. "Na egal. Wir dürfen jetzt nicht zu viel Zeit verlieren. Immerhin rennt Horst immer noch da draußen rum..."
Klar, es gibt einiges, was wir Johann vielleicht noch erklären sollten über diese Zeit, aber Horst hat erst mal Vorrang. Mit Johann im Schlepptau verlassen wir also das Haus und suchen an allen Orten, an denen er und Horst zusammen gewesen waren. Ohne Erfolg. Aber natürlich werden wir ständig von Johanns nervigen Fragen zu allem möglichen begleitet. "Eure Autos sehen ja komplett anders aus!" "Was ist denn das da?" "Und wofür ist das?" Und hin und wieder bekommt er einen halben Herzinfarkt wegen irgendetwas neuem, das für ihn einfach zu unglaublich ist um wahr zu sein.
Schließlich bleibt er vor einem Gebäude stehen. "Eichmann verkauft jetzt Schuhe?", fragt er ungläubig. "Vom Obersturmbannführer zum Schuhverkäufer... Ihr lebt in verrückten Zeiten!"
"Siehst du schlecht? Da steht Deichmann, du Eumel." Ich schlage mir mit der flachen Hand auf die Stirn. Langsam wird mir das hier echt zu anstrengend.
Plötzlich erregt etwas anderes Johanns Aufmerksamkeit. "Was sind das denn für Jungen da drüben?" Ich sehe in die Richtung, in die er deutet und das was ich erkenne ist genug, um zu wissen, dass ich damit nichts zu tun haben will. Springerstiefel, weiße Schnürsenkel, kurz geschorenes Haar, T-Shirts, die rechte Parolen in alter Schrift zieren, und recht eindeutige Tattoos. Sie sind vielleicht 17 oder 18, auf jeden Fall eindeutig jünger als Johann.
"Ach die... Äh...mit denen willst du nichts zu tun haben..." Ich lächle nervös und versuche Johann von der Gruppe wegzuziehen. Aber nein, natürlich läuft es nicht so.
"Det sind doch nua Nazis", bemerkt Irenka desinteressiert. Danke, Irenka, danke.
"Wirklich? Wieso sollte ich denn nichts mit ihnen zu tun haben wollen? Die sehen doch ganz nett aus. Wie die Jungs, die frisch aus der HJ zu uns kommen", meint er fröhlich und marschiert mit bestimmtem Schritt in ihre Richtung. Muss sich für ihn ja fast schon nach Heimat anfühlen.
"Johann! Warte doch mal!"
Aber es ist zu spät. Er hat die kleine Gruppe erreicht und hebt gekonnt den rechten Arm. "Heil Hitler, Kameraden."
Hat er jetzt nicht gemacht oder? Na ganz toll... Zum Glück hat es sonst niemand gesehen. Hoffe ich...
Ich höre nur Gesprächsfetzen während ich mich nähere. "...Kenn dich gar nicht... Bist du auch in der Szene?"
"Szene? Ich bin bei der SS", antwortet Johann wahrheitsgemäß.
Ich ahne schon schlimmstes. Das kann doch gar nicht gutgehen! Allerdings reagieren die Neonazis etwas anders als erwartet.
"Det gibt's nich! Du warst echt bei der SS!"
"Alter... Is nich wahr!"
"Ehrenmann."
"Natürlich. Ich war Obersturmbannführer und habe in Berlin direkt unter Himmler gearbeitet", erklärt Johann fast schon stolz.
Als ich bei ihnen ankomme, erzählt Johann seinen begeisterten Zuhörern von den guten alten Zeiten.
Das gibt's doch nicht. Die glauben das wirklich? Ist so viel Dummheit überhaupt möglich? Nicht mal Nazis hätte ich für so bescheuert gehalten!
"Johann...wir müssen gehen", meine ich bestimmt. Der kann sich hier doch nicht einfach neue Kameraden anlachen!
"Bitte Elena, lass mich doch noch mit meinen Kameraden ein paar Liedchen singen."
Schon stimmt er an. "Deutschland, Deutschland über-"
"Du kommst jetzt mit!" Wütend zerre ich ihn von den Neonazis weg, die ihm noch nachrufen wie sie ihn erreichen können weil sie ihn unbedingt den anderen vorstellen wollen. "Whatsapp? Insta? Facebook?"
"Äh... Ihr könnt mir einen Brief schreiben", ruft er fröhlich zurück.
"Hä? Brief?", fragt der eine seine Freunde etwas verwirrt.
"Det hat man damals auch so gemacht, du Depp. Da gabs noch keen Smartphone", antwortet ein anderer.
"Red kein Scheiß. Wie hätten die denn ohne das..."
Ich höre die Stimmen noch leise und hätte mich gerne vor die Reichsbahn geworfen. Die machen sogar den Neonazis Schande und das muss schon was heißen! So viel Dummheit tut echt weh...
"Das war gemein, Elena. Ich hab doch gerade erst neue Freunde gefunden..." Mit hängenden Schultern schleicht er neben mir her.
"Sie können dir ja einen Brief schreiben. Immerhin warst du so nett ihnen meine Adresse zu sagen." Ich bin merkbar sauer, aber natürlich überhört Johann meinen Sarkasmus.
"Aber du, sag mal..."
"Was denn?" Ich seufze leise.
"Was ist ein Wottsapp?"
Wisst ihr was? Jetzt reicht's!
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