Kapitel 35 - Lia (ü)

„Was wollte Elijah denn hier?" höre ich Lars' müde Stimme plötzlich hinter mir.

„Er wollte glaube ich wissen ob alles okay ist oder so."

Lars schaut mich skeptisch an, dann verschwindet er wieder in seinem Zimmer.

Er hat mich nach einem Date gefragt. Elijah Greyson hat mich nach einem Date gefragt.

Und ich habe zugesagt.

Ich muss über Jay hinwegkommen, er tut mir nicht gut und wir würden uns nur gegenseitig zerstören. Wir haben beide total andere Vorstellungen von unserem Leben und andere Ziele.

Unsere Meinungen trennen sich so oft, dass wir immer wieder aneinandergeraten, und schlussendlich sind wir beide verletzt.

So geht das nicht mehr – ich will das nicht mehr.

„Also stehst du da jetzt stundenlang so? Du machst mir Angst, Lia."

Lars steht wieder im Türrahmen, und wahrscheinlich hat er mich schon die ganze Zeit beobachtet.

„Ich war in Gedanken versunken, sorry. Brauchst du etwas?" Lars schaut mich kurz verwirrt an, dann nickt er.

„Eine Erklärung von dir. Was ist mit dir los? Seit dem Unfall bist du total komisch drauf, als hätte jemand dich ausgewechselt."

Als Lars den Unfall erwähnt zucke ich zusammen, und er kommt auf mich zu.

„Hey, was ist los?"

Er nimmt mein Gesicht in die Hände und schaut mich prüfend an. „Ist etwas mit Jay passiert?"

Zuerst will ich den Kopf schütteln, doch dann nicke ich, und mir steigen Tränen in die Augen.

Ja verdammt, es ist etwas mit Jay passiert. Er hat sich verändert und wir haben uns verloren.

Lars zieht mich wortlos in die Arme und drückt mich fest an seine Brust. Ich fange an zu schluchzen und die Tränen laufen in Bächen über meine Wangen.

Etwas unbeholfen lege ich meine Arme um meinen Bruder, der mich immer wieder auf die Stirn küsst und mir über den Kopf streichelt.

„Komm, wir essen jetzt Eis."

Er löst sich etwas von mir, nimmt mich an der Hand und zieht mich in unsere Küche.

„Wir haben Eis?" frage ich kraftlos, und Lars nickt. „Jede Menge. Yamina schaufelt das Zeug in Unmengen in sich rein, das glaubst du gar nicht."

Ich nicke nur traurig, während Lars die Box aus dem Tiefkühler holt und in zwei Schüsseln je zwei große Kugeln verteilt. Eine hält er mir entgegen, die andere nimmt er selbst.

„Danke" flüstere ich, und wir setzen uns auf Lars' Bett, weil er langsam müde wird. „Und jetzt erzähl. Ich bin hier und höre dir zu, Lia."

Ich nicke und hole tief Luft, um die Tränen runterzuschlucken.

„Es war kurz vor dem Unfall" fange ich an, und plötzlich sprudelt alles aus mir raus, und es tut so unglaublich gut, mit jemandem über alles zu sprechen.

Lars schaut mich immer wieder mitfühlend und verständnisvoll an, während wir beide Eis in uns reinstopfen.

Irgendwann kann ich nicht mehr und lege meinen Kopf auf seine Schulter, und als ich fertig erzählt habe, zieht Lars mich abermals in eine feste Umarmung.

„Ich verstehe dich, Lia. Es wird alles wieder gut, vertrau mir. Ich bin für dich da, okay? Wir alle sind für dich da."

Wieder bilden sich Tränen in meinen Augen, und ich lasse sie laufen.

Irgendwann sacke ich noch mehr zusammen, bis Lars sich plötzlich mit mir hinlegt und mich an seine Brust zieht.

„Schlaf jetzt, Lia. Ich bin bei dir." Ich nicke und atme den vertrauten Duft meines Bruders ein, ehe ich langsam wegdrifte.

Ich werde langsam wach und will mich umdrehen, als ich gegen etwas Warmes, Hartes stoße.

Jay?

Ich schlage die Augen auf, doch erkenne nur meinen Bruder.

Natürlich nicht Jay, den hast du erfolgreich verscheucht.

Ich erinnere mich langsam wieder an den gestrigen Abend, und plötzlich fahre ich auf.

Elijah wollte mich heute um zwölf abholen um mit mir essen zu gehen.

„Was ist denn" murmelt Lars plötzlich genervt, und ich lächle ihn an.

„Ich gehe rüber, kann nicht mehr schlafen." Lars nickt nur, und ehe ich aus dem Zimmer bin nehme ich schon wieder seinen regelmäßigen Atem wahr.

Ein Blick auf mein Handy zeigt mir, dass ich noch zwei Stunden Zeit habe um mich fertig zu machen.

Da es „nur" ein Essen ist, werde ich mich nicht unglaublich hübsch machen, und außerdem sind Elijah und ich nur Freunde.

Oder?

Ja, wir sind nur Freunde.

Ich steige schnell unter die Dusche und lasse das warme Wasser über mein Gesicht laufen – genau das, was ich jetzt gebraucht habe.

Ich greife nach meinem Shampoo und wasche mir die Haare, während ich leise die Melodie von „Safe" summe, mein absolutes Lieblingslied von Nico Santos.

Gut eine halbe Stunde später stehe ich mit nassen, durchgebürsteten Haaren und einem Handtuch um den Körper gewickelt vor dem Spiegel und schaue mich an.

Von Jasons Übergriff ist kaum noch was zu sehen, die blauen Flecken sind kaum noch zu sehen, mittlerweile sind sie sogar eher gelblich.

Doch die inneren Wunden sind immer noch frisch, woran Jay nicht ganz unschuldig ist.

Schnell tapse ich auf bloßen Füssen über den Parkettboden in mein Zimmer, wo ich mir direkt ein Paar Socken anziehe.

Dann fische ich mir ein schwarzes Crop Top raus mit einer hellblauen High Waist Jeans, die sich wirklich gut um meine Taille schmiegt – ich muss sagen, ich bin schon gut definiert und geformt.

Zufrieden betrachte ich mein Outfit im Spiegel, dann schnappe ich mir meinen Föhn. Ich trockne meine Haare nicht ganz, das mag ich nicht.

Dann style ich sie zu zwei Space Buns auf meinem Kopf, und ich bin noch zufriedener – ich sollte diese Frisur eindeutig öfters tragen.

Schnell zupfe ich ein paar lose Strähnen raus, und fertig sind meine Haare. Schminken tue ich mich kaum, denn heute ist meine Haut mal freundlich zu mir und zeigt sich von ihrer Schokoladenseite.

Ich ziehe mir einen leichten Eyeliner und tusche meine Wimpern, das war's.

„Lia, da steht jemand an der Türe für dich."

Lars öffnet die Türe einen Spalt und lugt hinein. Ich nicke, dann sage ich, er soll ihn bitte hereinbringen.

Es ist erst halb zwölf, Elijah scheint es eilig zu haben. Naja, fertig bin ich sowieso.

„Hi."

Diese mir nur allzu bekannte Stimme lässt mich sofort herumfahren.

„Jay?" frage ich tonlos, während ich ihm direkt in seine eisblauen Augen schaue.

„Ja" antwortet er knapp, und steckt seine Hände in die Taschen seiner Jeans. „Was ist?" frage ich ebenso knapp und versuche, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen.

„Ich wollte mich nur dafür bedanken, dass du die letzten Wochen scheinbar immer bei mir warst. Hat Nico jedenfalls gesagt."

Bei dem Gedanken daran, wie ich an Jays Bett sass und seine Hand gehalten habe, während er im Koma lag, werde ich verlegen.

„Keine Ursache. Du warst bei mir auch da."

Jay nickt nur, dann herrscht eine Weile Stille.

„Ist noch was?" frage ich, und Jay nickt.

„Ich gehe mit Amelie und Nico raus, die Beiden wollten fragen, ob du mitkommen willst." Ich schüttle den Kopf und rede einfach drauf los.

„Ich gehe gleich mit Elijah essen, tut mir leid." Jays Blick wird einen Tick kühler, und ich sehe genau, wie sich sein Kiefer anspannt.

„Elijah? Also geht ihr auf ein Date?" Ich nicke zögerlich und könnte mir eine reinhauen dafür, dass ich es Jay einfach so ins Gesicht gesagt habe.

Schließlich hat auch dieser Mensch irgendwo Gefühle.

„Er hat mich gestern Abend gefragt." Jay nickt nur abwesend. „Hast du ein Problem damit?" frage ich, und trete mir imaginär in den Arsch.

Natürlich hat er das, du schlaues Kind.

Jay schnaubt und schaut mich direkt an.

„Was denkst du denn? Dass ich jubelnd dastehe, wenn diese eine Person, ausgerechnet er, das einzige Mädchen zum Essen ausführt, das mir wirklich wichtig ist? Tut mir leid Lia, aber das wird nicht passieren. Auch nicht, wenn es eine wildfremde Person wäre – ich weiß, dass du mich nicht mehr in deinem Leben willst, und eigentlich wollte ich mich gerecht von dir verabschieden damit auch ich weitermachen kann in meinem Leben, doch ich werde nie einfach wegschauen können, wenn du mit einem anderen glücklicher bist als mit mir."

Wir atmen beide hörbar aus, und Jays kalter Blick ist Schmerz gewichen.

Er leidet genauso wie du, Lia.

Ich nicke nur langsam, dann atme ich abermals tief durch.

„Okay, das verstehe ich, Jay. Ich werde auch nicht einfach wegschauen können, wenn du mal ein anderes Mädchen bei dir hast. Aber du kennst meine Meinung zu uns."

Jay nickt, dann lächelt er traurig. „Ich werde nie ein anderes Mädchen an meiner Seite haben, denn niemand reicht dir das Wasser" murmelt er, und ich glaube für einen kurzen Moment, mich verhört zu haben.

Plötzlich fällt mein Blick auf die Uhr hinter Jay, und ich stelle erschrocken fest, dass Elijah in zehn Minuten hier sein wird.

„Jay, es tut mir leid, aber Elijah kommt bald" flüstere ich, und traue mich nicht, Jay anzusehen. Ich kann diesen Schmerz in seinen Augen nicht sehen, ich kann seinem Blick nicht standhalten nach alldem, was passiert ist und was ich zu ihm gesagt habe.

Nicht nachdem er gerade so unglaublich ehrlich zu mir war, und ich alles zerstören muss. Ich kann es einfach nicht.

„Schon okay, ich wünsche dir – euch viel Spaß."

Gerade wendet er sich mit dem Rücken zu mir, als er nochmal über die Schulter schaut.

„Lia?" fragt er, und ich sehe auf. Er lächelt leicht, und mein Herz beginnt zu schmelzen.

„Du siehst wunderschön aus."

Mit diesen Worten verlässt er mein Zimmer, und ich spüre, wie etwas auf meine Hand tropft, die reflexartig die Kette umfasst hat, die Jay mir ganz am Anfang unserer Geschichte geschenkt hat.

Ich wische mir etwas erstaunt die Tränen weg, doch sie fließen nach. Jays Worte hinterlassen in mir so viel Wärme und gleichzeitig Schmerz, dass ich unglaublich verwirrt bin.

Bin ich wirklich das erste Mädchen, dass ihm wirklich wichtig ist? Und glaubt er wirklich, ich werde je mit jemandem glücklicher sein können als mit ihm?

Klar, die Zeiten mit ihm waren nicht immer schön, doch wenn wir glücklich waren, dann so richtig. Wir haben jede Emotion voll ausgelebt, egal welche.

Wir haben uns gestritten und angeschrien, uns verflucht und beleidigt, doch wir haben uns auch so unglaublich geliebt, dass es wehtat.

Keiner konnte mich so gut verstehen wie Jay, keiner war so für mich da, wie er es war. Keiner hat mich immer wieder so sehr berührt wie er, und keiner hat mir in so kurzer Zeit gezeigt, wie schön das Leben manchmal auch sein kann.

Und jetzt ist diese eine Person weg – wegen mir.

Er will abschließen und weitermachen, so wie er es eben noch gesagt hat. Doch ich konnte förmlich spüren, wie sehr er sich dagegen sträubte – wie sehr er sich wünschte, es wäre anders gelaufen, und er weiß gar nicht, wie ähnlich wir uns in diesem Punkt sind – ich wünschte, er hätte mir von Anfang an erzählt, was in seiner Vergangenheit passiert ist, und nicht immer dann, wenn es gerade gut lief.

War es wirklich das Richtige, alles zu beenden?

Plötzlich werde ich umarmt, und erst dann realisiere ich, wie weit weg ich wohl gerade war.

„Du musst nichts sagen, Lia. Ich weiß, was los ist."

Elijah.

„Wie lange bist du schon hier?" frage ich ihn, und er überlegt wohl kurz. „Ich habe eure Unterhaltung gehört."

Ich nicke nur, und Elijah lässt mich irgendwann los. „Willst du noch raus?" fragt er mich, und diesmal nicke ich.

„Ja, schließlich hast du mich eingeladen. Das lasse ich mir doch nicht entgehen!"

Elijah lacht leise, dann wischt er mir mit dem Daumen meine Tränen weg. „Dann lass uns gehen."

Ich nicke, und hacke mich bei ihm unter. Lars nickt mir kurz zu, und ich lächle ihn an. Dann verlassen wir die Wohnung.

„Wo gehen wir hin?" frage ich Elijah, doch der schüttelt nur den Kopf. „Das wirst du noch sehen" sagt er, und ich gebe mich vorerst mit dieser Antwort geschlagen.

Irgendwann kommt plötzlich ein Junger Mann, etwa um die neunzehn Jahre alt, auf uns zugelaufen und wirft mir einen verwunderten Blick zu.

„Seth!" ruft Elijah, und er fängt sofort an zu strahlen. Seth lächelt ebenfalls, und die beiden umarmen sich.

„Hast du Bock heute Abend was trinken zu gehen?" fragt Seth Elijah, und ich glaube, dass er etwas errötet.

„Ehm... ja, warum nicht? Holst du mich gegen halb acht ab?" Auch Elijah scheint sichtlich verlegen zu sein, und plötzlich geht mir ein Licht auf: die beiden mögen sich.

Sobald Seth weg ist, fange ich an laut los zu quieken.

„Oh mein Gott Elijah! Wie du ihn angeschaut hast!"

Elijah legt mir schnell die Hand vor den Mund, bevor alle uns – beziehungsweise mich – komisch anstarren.

„Kein Wort zu niemandem" flüstert er, doch er kann sich das Grinsen nicht verkneifen.

Ich schüttle strahlend den Kopf, und er nimmt die Hand wieder weg.

„Seit wann weißt du es?" frage ich, und laufe fröhlich neben ihm her. „Ich habe recht schnell gemerkt, dass ich bi bin. Nur gab es bisher niemanden, doch jetzt habe ich Seth. Er ist auch bi."

Ich kichere. „Das musst du mir nicht mehr sagen, die Art und Weise wie er dich angeschaut hat, hat alles gesagt."

Elijah knufft mich in die Seite, doch auch er grinst.

Ich freue mich für ihn.


Awww Elijah und Seth :3

Ich heule btw schon wieder wegen der Szene mit Jay und Lia :')

- xo, zebisthoughts

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