Kapitel 34 - Jay (ü)
Als ich erwache, höre ich nur viele verschiedene Piep Töne, die sich gnadenlos durch mein Trommelfell in mein Hirn schlängeln.
Ich will mir die Hände an die Ohren legen, doch meine rechte Hand ist durch etwas verhindert und bleibt an Ort und Stelle.
Ich öffne wiederwillig die Augen und blicke direkt in ein grelles Licht. Stöhnend lege ich mir meine freie Hand auf die Augen und schirme sie somit ab.
Erst jetzt erkenne ich, dass ich nicht zu Hause bin – sondern in einem Krankenhaus.
Was mache ich in einem Krankenhaus?!
Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen, bis ich an meiner rechten Hand hängen bleibe.
Dieses Etwas, das meine Hand erschwert, ist eine andere Hand – die meines Bruders.
Wieso pennt der hier und hält meine Hand?
Ich schaue meinen Arm herauf und bemerke einige Schläuche und Zugänge daran, unter denen sich Kratzer und Wunden abzeichnen.
Verwirrt rüttle ich an Nicos Schulter, und er wacht auf. Zuerst schaut er kurz aus dem Fenster, dann bemerkt er mich und er fängt sofort an zu grinsen.
„Heilige Scheiße du bist doch noch wach. Ich dachte schon du machst jetzt deinen Dornröschenschlaf."
Obwohl ich immer noch keine Ahnung habe, was abgeht, bin ich froh, dass Nico schon im ersten Satz einen Witz bringt.
Er scheint sich also nicht verändert zu haben.
„Was ist passiert?" frage ich meinen Bruder, und er schaut mich ernst an.
„Du hattest mit Elijah einen Motorradunfall und liegst jetzt seit zwei Wochen auf der Intensiv. Die wussten nicht mal, ob du's überleben wirst."
Mir bleibt der Mund offen, dann erinnere ich mich wieder. Das Auto kam von links, es war viel zu schnell, Elijah ist einem anderen Auto ausgewichen, und da passierte es – der Fahrer erwischte uns mit voller Wucht.
„Hey, Jay, alles klar?" Ich schaue verwirrt zu Nico, dann nicke ich.
„Ja, alles gut. Ich erinnere mich nur gerade an alles. Was ist mit Elijah? Geht's ihm gut?"
Nico nickt nur knapp. „Ihn hat's auch ziemlich erwischt, aber nicht so stark wie dich. Du wurdest einige Meter von der Maschine weggeschleudert und die mussten dich aus einem Graben holen. Hättet ihr keinen Helm getragen, könnten wir jetzt eure Beerdigung planen."
Ich schaue Nico nur an. So knapp bin ich dem Tod also entwischt?
„Wie geht's mir?" frage ich, und Nico grinst. „Dein Bein war ziemlich kompliziert gelagert, aber es ist nichts gebrochen. Deine Rippen waren geprellt, und du hattest eine Gehirnerschütterung. Und du hattest eine starke innere Blutung, doch was das genau war musst du mich nicht fragen. Der Arzt sollte sowieso gleich hereinkommen."
Nico winkt der Schwester, die hinter einem Fenster die Monitore überwacht, und sie kommt zu uns. „Schön, dass Sie wieder da sind! Hat Ihr Bruder schon gesagt, was passiert ist?"
Ich nicke nur und schaue gespannt zu, wie sie an einigen Knöpfen rumdrückt, dann hängt sie irgendeinen Beutel mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, die gleich durch die Infusion in mir reinfließen wird, an eine Stange.
„Sie lagen zwei Wochen im Koma. Sollten Sie etwas verwirrt sein, ist das normal, sollten Sie jedoch andere Beschwerden haben, rufen sie uns bitte mit diesem roten Knopf."
Sie zeigt auf ein Gerät mit einem rot gefärbten Knopf neben meinem Kissen, und ich nicke. „Ihr behandelnder Arzt wird gleich kommen" sagt sie noch, dann verschwindet sie wieder.
„Glück gehabt" murmle ich, und Nico nickt. „Was habe ich verpasst?" frage ich, und Nico denkt nach.
„Nicht viel, Elijah wurde vor drei Tagen entlassen. Amelie und ich sind jetzt offiziell ein Paar, und zwischen Lars und Yamina läuft's auch sehr gut."
Ich nicke, doch eigentlich interessiert mich nur eine Person. Ich schaue Nico an, und ich glaube, er lächelt kurz.
„Sie war jeden Tag hier, Jay. Ich musste sie einmal sogar raustragen, damit sie etwas isst."
Nico schaut mich mit einem nicht deutbaren Blick an, doch ich weiß, dass Lia ihm wohl alles gesagt haben muss.
„Wenn du dir jetzt nicht den Arsch aufreißt, ist dieses Mädchen weg" sagt er noch dazu, und ich nicke nur.
Sie war also jeden Tag hier. Ich lächle über diese Information – ich hätte es ehrlich gesagt nicht gedacht.
Ich dachte, sie würde mich egal unter welchen Umständen nie wieder vor sich haben wollen – ich habe mich wohl getäuscht.
„Wo ist sie jetzt?" frage ich, und Nico hält mir eine Nachricht von ihr unter die Nase.
Lia: Hey! Ich kann heute nicht zu Jay kommen, Lars liegt mal wieder krank im Bett und scheint ohne meine magischen Kräfte nicht zu können. Richte Jay einen Gruß aus und rede etwas mit ihm. Vielleicht hört er dich ja...
Sag Bescheid, wenn etwas ist! Und wehe du passt nicht gut auf deinen Bruder auf ;-)
Mein Lächeln wird breiter, und Nico schmunzelt.
—
Zwei Tage später stehe ich mit einer kleinen Reisetasche vor dem Klinikum und warte darauf, dass ein schwarzer Audi auf den Parkplatz fährt.
Ich würde ja selber fahren, aber so ohne Auto geht das schlecht.
Ich will gerade mit einer Hand nach meinem Handy greifen, als Nico endlich auf den Parkplatz einbiegt, aussteigt, die Tasche nimmt und mir die Türe aufhält.
„Herzlichen Dank" sage ich übermäßig nett, und Nico lacht nur. „Bilde dir ja nichts darauf ein, ich mache das aus Mitleid und weil ich ein netter Bruder bin."
Ich winke ab, während Nico grinsend meine Tasche in den Kofferraum wirft.
Seit Lia weiß, dass ich wach bin, ist sie nicht mehr gekommen. „Vermisst du sie?" fragt Nico, als könnte er meine Gedanken lesen.
„Wie – hä?" Nico grinst und schüttelt den Kopf. „Dein Blick sagt alles, und außerdem bin ich immer noch dein Bruder. Ich kenne dich."
Ich schaue raus, dann nicke ich. „Ja, ich vermisse sie. Sehr sogar. Zwar bin ich erst seit zwei Tagen wieder wach, doch trotzdem fehlt sie mir. Mir wurde erst vor dem Unfall wirklich bewusst, wie sehr ich sie zerstört habe, und es zerreißt mich selbst. Ich wollte ihr nie so wehtun, ich wollte immer nur das Beste für sie. Doch ich bringe ihr nur Unglück – ohne mich wäre sie nie auf Jason gestoßen, und er wäre nie auf die Idee gekommen, sie ernsthaft zu verletzen. Ihr Leben war davor bestimmt auch nicht perfekt, doch ich musste kommen und es ihr noch mehr zerstören. Doch trotzdem brauche ich sie in meiner Nähe. Ich fühle mich leer, nutzlos und alleine wenn wir streiten, doch bei ihr fühle ich mich wirklich gebraucht und geliebt."
Wieso erzähle ich das alles gerade Nico?
Nico sagt eine Weile nichts, dann räuspert er sich, während er einen LKW überholt.
„Jay, dich hat's wirklich erwischt. Kämpfe um sie, bevor du sie ganz verlierst. Zeige ihr deine weiche Seite, deine gute Seite. Zeig ihr, dass du auch anders sein kannst, denn ich weiß, dass du es kannst."
Mein Bruder grinst mich von der Seite an, dann wird er wieder ernst.
„Und wie soll ich das anstellen? Sie will mich nicht mehr sehen, Nico."
Mein Bruder schüttelt nur den Kopf, dann wendet er sich kurz an mich. „Jay, es sind die kleinen Dinge. Eine unerwartete, schöne Nachricht, erkundige dich nach ihr, wenn ihr euch zufällig trefft, zerlege dein Geschirr nicht und such dir auf keinen Fall ein Betthäschen. Sei für sie da und hör ihr zu, auch wenn sie nichts zu sagen hat und ihr euch nur anschweigt. Lass sie unbewusst wissen, dass du immer noch da bist, und dass du bereit bist, dich für sie zu ändern."
Seit wann weiß er so viel über Liebe und Beziehungen?
„Okay... dann versuche ich das mal. Danke, Nico." Mein Bruder winkt nur ab und biegt auf den Parkplatz der Apartments ein.
„Ich penne heute bei dir" erklärt er noch, dann steigt er aus.
Aha?
Er öffnet mir wieder die Türe, und als ich aussteige verbeugt er sich äußerst schwungvoll. Bei diesem Anblick kann ich nicht anders und pruste los, während Nico meine Tasche holt und sich von meinem Lachen anstecken lässt.
Da wir den Lift nehmen – danke an den Unfall an der Stelle – fahren wir an Lias Stockwerk vorbei, und ich kann nicht plötzlich ihrem Dad oder so begegnen, was mir gerade wirklich mehr als recht ist.
Ich will einfach nur noch auf meine Couch und einen guten Film oder so schauen.
„Jay?" Ich schaue meinen Bruder an.
„Ja?" antworte ich, während ich aufschließe.
„Weiß Lia eigentlich, dass ihre Schule direkt neben deiner Uni ist?"
Ich halte kurz in meiner Bewegung inne, dann stoße ich die Türe auf.
„Ich wusste bis eben nicht mal, dass sie auf diese Schule gehen wird" gestehe ich, und Nico zieht die Augenbrauen hoch.
„Habt ihr überhaupt geredet oder nur gefickt?" fragt er belustigt, und ich schlage ihn auf den Oberarm.
„Natürlich haben wir geredet, aber eben nicht über Schule. Es sind Ferien, wer redet da schon über die Schule?" Nico zeigt mit dem Daumen auf sich, und ich wende mich kopfschüttelnd ab.
„Du bist eine echte Enttäuschung als Bruder" sage ich, und ernte dafür einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.
„Du solltest es ihr vielleicht sagen, in einer Woche fängt die Schule wieder an." Ich hebe nur die Hände und nicke.
Er hat schon Recht, es wäre für Lia wohl ein ziemlicher Schock, ihren gehassten Nachbar plötzlich vor der Schule anzutreffen.
Andererseits – so oft würden wir uns eh nicht begegnen. Ich habe jeden Tag zu unterschiedlichen Zeiten Kurse und Vorlesungen, während sie morgens zur gleichen Zeit zur Schule muss, und nachmittags wohl vor oder nach mir Schluss hat.
Vielleicht würden wir uns am Mittag über den Weg laufen, doch da ich meistens im Gebäude bleibe, würde auch dieser Fall eher selten eintreffen.
„Bestellen wir was?" frage ich meinen Bruder, damit wir nicht länger über Lia sprechen müssen. Er nickt, und ich wähle Mikkos Nummer.
—
Keine zwanzig Minuten später klingelt es, und ich stelle mein Bier auf den kleinen Tisch um Mikko die Türe zu öffnen.
Nico bleibt auf dem Sofa sitzen und nippt weiterhin an seinem Bier, während er sich einen Joint dreht.
„Ich wusste gar nicht, dass du im vierten Stockwerk wohnst" ist das erste, was Mikko sagt, sobald ich die Türe geöffnet habe.
„Oh... tut mir leid."
„Kein Ding, der Typ da mit diesen grauen Augen – echt angsteinflößend – hat mir dann gesagt, du würdest hier wohnen."
Was?
„Beschreibe mir den Typen bitte etwas deutlicher" sage ich, und Mikko schaut mich verwirrt an, doch dann überlegt er.
„Seine Haare sahen aus wie Flammen, er hatte graue, schmale Augen und eine Lederjacke. Und in seiner Hand hielt er einen Motorradhelm."
Elijah.
„Okay, danke. Hier, dein Geld. Mach's gut!"
Mikko gibt mir die Pizzen und nimmt das Geld an, dann verschwindet er im Lift.
„Was ist los?" fragt Nico, der mittlerweile seinen Joint im Mund hat, als ich die Türe wütend zuschlage.
„Elijah ist bei ihr."
Ich schnappe mir mein Bier und laufe vor dem Fenster auf und ab.
„Hey, ich weiß, dass du ihn nicht magst, und ich erst recht nicht, aber es ist Lias Entscheidung, wen sie bei sich im Haus haben will. Und außerdem scheint er sie ja nicht verletzen zu wollen, also kannst du dich wieder setzen und wir essen die Pizzen, sonst werden sie kalt."
Ich nicke nur, und lasse mich neben Nico auf die Couch fallen. Gerade will ich Nico zwischen zwei Bissen fragen, wie lange Amelie und er schon zusammen sind, als es erneut klingelt.
Nico will aufstehen, doch ich komme ihm zuvor
„Mein Haus, meine Haustüre, mein Besuch" ermahne ich ihn grinsend und mit gehobenem Zeigefinger, und Nico lacht beschwichtigend.
Ich öffne die Türe, und zwei schmale, graue Augen schauen mich an.
„Elijah? Was machst du hier?"
Erstaunt schaue ich meinen ungebetenen Gast an und hoffe, dass Nico das hier nicht mitbekommt.
„Ich wollte wissen, wie es dir geht." Elijah schaut mich unschuldig an, und aus irgendeinem Grund beruhigt mich das. „Mir geht's gut, danke. Jedenfalls besser als vor ein paar Tagen. Und dir?"
Ich bin immer noch ziemlich angespannt, doch es gibt eigentlich keinen Grund dazu. Elijah nickt nur, und erst dann entdecke ich die Naht, die unter seiner kurzen Hose hervorlugt.
„Was war das?" frage ich ihn, und er schaut an sich runter. „Ach, das. Das war glaube ich das Kennzeichen des Arschlochs, das in uns reingefahren ist. Übrigens ist er seinen Führerschein los."
Ich verziehe mein Gesicht bei dem Gedanken daran, wie schmerzhaft das wohl gewesen sein muss.
„Nun, ich glaube ich gehe besser. Man sieht sich."
Elijah winkt mir mit seinem Helm kurz zu, dann verschwindet er im Treppenhaus.
Komischer Typ, aber irgendwie mag ich ihn.
„Ihr scheint euch wirklich zu verstehen" sagt Nico plötzlich hinter mir, und ich fahre zusammen.
Dann drehe ich mich auf einem Bein zu ihm um und nicke.
„Ja, irgendwie schon. Lass uns weiteressen."
Ich drücke mich an Nico vorbei und laufe auf die Couch zu, während Nico sich etwas zu trinken holt.
Was hat Elijah bei Lia gemacht?
—
Ja.. was wohl?
Ich finde es so süß dass Lia jeden Tag bei Jay war :3
- xo, zebisthoughts
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