Kapitel 24 - Jay (ü)

Lias Hand strahlt trotz der Kälte ihres Körpers eine angenehme Wärme aus, und ich genieße den Moment, bevor Lia mich wieder anschreien und hassen wird für das, was ich getan habe.

Ich schaue kurz aufs Steuer und entdecke Blut daran, das von meinen Fingerknöcheln stammt. Ich hätte Jason so gerne weiterhin geschlagen, für das, was er Lia angetan hat.

Von wegen, der Deal gilt. Dieser Idiot holt sich einfach, was er will.

Ich frage mich, was passiert wäre, wenn ich Lia nicht schreien gehört hätte. Wenn ich nicht rausgegangen wäre, um etwas frische Luft zu schnappen. Ich hätte Lia niemals gehen lassen dürfen, nicht in einem Club in einer so grossen Stadt, nicht, wenn ich weiß, dass Jason hinter ihr her ist.

Ich hoffe, ich hoffe es so sehr, dass Lars und Nico ihm eine ordentliche Abreibung verpassen.

So ruhig wie möglich fahre ich die mir so vertraute Strecke zur Praxis meiner Mom, während ich über den Lautsprecher ihre Nummer wähle.

Bitte Mom, geh ran.

Nach einigen Sekunden ertönt die schläfrige Stimme meiner Mutter, und mir fällt ein Stein vom Herzen.

„Jay?" murmelt sie, und ich rede sofort drauf los.

„Mom, ich brauche dich. Kannst du bitte die Praxis öffnen? Ich komme mit jemanden, der Hilfe braucht. Bitte." Meine Mutter bleibt kurz still, wahrscheinlich denkt sie gerade darüber nach.

„Okay. Ich bin in zehn Minuten fertig" sagt sie schon einiges wacher, und ich nicke wild.

„Gut, danke. Wirklich. Wir kommen in etwa fünfzehn Minuten an. Tut mir leid, dich so spät aus den Federn zu holen, aber ich würde es nicht tun, wenn es nicht dringend wäre."

Meine Mom verabschiedet sich noch, dann legt sie auf. Erleichtert seufze ich aus, dann verlasse ich die Autobahn.

„Wie lange hast du sie nicht mehr gesehen?" fragt Lia leise, und mein Magen zieht sich zusammen. „Lange. Aber es soll mir recht sein, sie hat sich die letzten Jahre kaum für mich interessiert." Ich schaue Lia nicht an, ich weiß auch so, was sie denkt.

Hätte mich für so ein Kind auch nicht interessiert oder sowas.

Wir fahren stillschweigend durch die verschiedenen Straßen und Quartiere, bis wir vor einem großen, weißen Haus stehenbleiben. Schnell parkiere ich, dann springe ich förmlich raus und laufe zu Lia.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht schaut sie mir zu, wie ich ihren Gurt löse, dann hebe ich sie wieder hoch. Ich bezweifle, dass sie laufen kann, ohne alle zwei Sekunden einzuknicken, so wie sie aussieht.

Jason hat sie ganz schön zugerichtet, und abermals verspüre ich den Drang, zurückzufahren und ihm das zu geben, was er verdient, doch ich muss jetzt für Lia da sein.

Vor der Praxis, die direkt neben dem Wohnhaus steht, wartet meine Mutter schon, und kommt auf mich zugeeilt, sobald sie mich sieht.

„Jay! Was ist denn passiert?" fragt sie, und erst dann fällt ihr Blick auf Lia. Sie reißt die Augen auf und schaut mich schockiert an.

„Ist das Lia?" fragt sie leise, und ich nicke. Sie schaut mich an, und ich sehe die Frage in ihren Augen. „Es war Jason, dieser verdammte Arsch."

Meine Mutter zieht die Augenbrauen zusammen, und über ihre Augen legt sich ein dunkler Schatten. Sie ist die einzige von meinen Eltern, die über Jason Bescheid weiß – Dad hat keine Ahnung davon, wer er überhaupt ist.

Wir betreten die Praxis, und meine Mutter deutet mir an, Lia auf ein Behandlungsbett zu legen.

Dann zieht sie mich am Arm raus. „Wie weit ist er gegangen?" fragt sie mich, sobald die Türe geschlossen ist.

„Er hat sie ziemlich zugerichtet, wie du siehst, doch ich konnte ihn von ihr wegreißen, als er... weitermachen wollte. Du weißt schon, was ich meine." Meine Mutter nickt, dann fragt sie weiter.

„Wie ist es überhaupt dazu gekommen? Was macht Lia eigentlich hier?" Ich seufze kurz und lehne mich an die kühle Wand, um meine brodelnde Wut zu unterdrücken.

„Sie ist vor paar Wochen mit Lars zu ihrem Vater gezogen – eine Wohnung unterhalb von mir. Wir haben uns oft gesehen, bis ich mich in sie verliebt habe. Es war schön, und alles war gut, doch dann hat Jason mir einen Deal vorgeschlagen: Entweder Nico und ich würden einmal Drogen verticken, oder er würde sich an Lia vergreifen. Nico und ich wollten natürlich die Drogen verticken, damit Lia nichts davon mitbekommt, doch wir wollten feiern gehen, und da hat sie dank Jenna alles von damals mitbekommen, und was die letzten Jahre passiert ist. Natürlich ist sie komplett ausgerastet und hat mir vorgeworfen, was damals mit Vinny und Elijah passiert ist, und dann ist sie gegangen. Irgendwann habe ich gesehen, wie sie mit jemandem rausging, doch ich habe Jason nicht erkannt. Ich wollte ebenfalls raus, um nach dem Streit einen klaren Kopf zu bekommen, und da habe ich dann ihre Schreie gehört. Mom, du weißt nicht wie sehr ich das bereue. Alles. Alles, was die letzten Jahre passiert ist. Ich wollte nie so werden, wie ich war, ich wollte immer ein gutes Vorbild sein und... fuck. Ich wollte Lia niemals verlieren. Und schau sie dir jetzt an – schau dir an, was Jason angerichtet hat, weil ich nicht auf mein Mädchen aufgepasst habe."

Mir steigen Tränen aus Hass auf mich selbst in die Augen, und meine Mom nickt. „Es stimmt, du hättest sie nicht alleine lassen sollen, doch du kannst es nicht ändern, Jay. Du hast sie trotz allem gerettet."

Betreten schaue ich weg – ich habe sie vielleicht gerettet, doch ich war trotzdem zu spät. Lia wurde wegen mir verletzt, und das werde ich mir nicht verzeihen können.

Meine Mutter legt mir eine Hand auf die Schulter und nickt mir aufmunternd zu, dann geht sie wieder rein. Da ich kein Angehöriger bin, darf ich nicht rein und muss draußen warten, also lasse ich mich auf einem der weißen Plastikstühle nieder und stütze den Kopf auf meine Hände.

Nach sicher zehn Minuten wird die Türe aufgerissen, und Nico tritt mit Lars und Amelie im Schlepptau hinein. Nico und Lars sehen beide richtig beschissen aus – Nico hat mehrere Schrammen im Gesicht, und seine Knöchel sind aufgeschürft. Sein Shirt ist zerrissen, und seine Haare stehen ihm in alle Richtungen ab. Lars hat's auch ziemlich erwischt, doch er ist besser davongekommen als Nico.

Amelie sieht aus, als würde sie jeden Moment anfangen zu heulen, und sie kommt in Windeseile auf mich zu gerannt. „Wie geht's ihr?" fragt sie mich, und ich zucke mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Meine Mom kümmert sich gerade um sie."

Nico und Lars lassen sich links und rechts von mir auf einen Stuhl fallen und warten ebenfalls, wie ich es die letzten Minuten getan habe. Amelie jedoch läuft auf und ab, was mich zusätzlich reizt.

„Dad weiß Bescheid" gibt Lars plötzlich von sich, und ich sacke endgültig in mich zusammen. Er wird es niemals zulassen, dass ich Lia nochmals sehe. Ich nicke nur, und irgendwann setzt Amelie sich wieder hin.

„Hat Jenna das erfahren?" fragt Nico plötzlich, und zeigt auf die Türe, hinter der Lia und meine Mom gerade sind. Ich schüttle kaum merklich den Kopf, dann schaue ich ihn an. „Nein, die feiert wohl immer noch ihren Triumph darüber, dass sie mir das wichtigste Mädchen genommen hat. Lia wird mich hassen, und sie hat alles Recht dazu. Ich bin einfach der größte Idiot, den es gibt, und ich dachte, ich könnte mich ändern. Ich dachte, ich könnte das alles hinter mir lassen und nie mehr ein Wort darüber verlieren. Eigentlich wollte ich es Lia sogar mal sagen, doch dann hielt ich es doch für besser, den Mund zu halten. Schließlich hatte es nichts mehr mit meiner Gegenwart zu tun, doch Jenna wusste, dass sie mir so einen Strich durch die Rechnung machen kann, indem sie es so dastehen lässt, als wäre ich immer noch so wie vor ein paar Monaten."

Nico neben mir schnaubt verächtlich, und ich nicke nur.

Jap, ich empfinde etwa genauso viel für Jenna.

Plötzlich öffnet sich die Türe, und meine Mom kommt heraus, hinter ihr steht Lia. Sie sieht schon etwas besser aus, und ich bin trotz meinem Verhältnis zu meinen Eltern froh, dass Lia zu meiner Mom konnte.

Meine Mutter winkt Nico und mich zu ihr heran, während Lars und Amelie gemeinsam Lia in meinem Auto verstauen. „Jungs, ihr dürft nicht noch mehr Leute in die Sache mit Jason reinziehen. Es wird nicht gutgehen." Nico und ich schauen uns betreten an, dann fange ich an, zu reden.

„Lia kannte die Bande schon lange, noch lange bevor die Probleme überhaupt anfingen. Sie war diejenige, die Jason auf uns aufmerksam gemacht hat. Es war abzusehen, dass er sich irgendwann an ihr vergreifen wird, doch ich hätte besser auf sie aufpassen müssen. Früher konnte sie der Gruppe die Stirn bieten, doch jetzt sind alle mindestens einen Kopf größer als sie – das geht nicht mehr."

Nico nickt bestätigend, und meine Mom bearbeitet ihre Unterlippe. „Haltet sie da raus. Jason will euch eins auswischen, nicht Lia. Lia ist ihm womöglich völlig egal, Jungs. Sarah war es ihm auch. Hört auf neuen Mädchen den Kopf zu verdrehen, ehe ihr das mit Jason nicht geklärt habt. Das gilt auch für dich, Nico – ich sehe, was du mit Amelie am Laufen hast."

Ich nicke betreten. Sie hat Recht – wäre mir Lia nicht so wichtig geworden, oder hätte ich das zumindest nicht so gezeigt, wäre das nie passiert. Jason nimmt sich nur das, was mir oder Nico lieb ist, nicht mehr und nicht weniger. Ich sollte mich eigentlich von Lia fernhalten, doch das kann ich nicht. Ich brauche dieses Mädchen.

„Wir gehen dann mal. Danke für deine Hilfe, Mom." Meine Mutter nickt, und wir verschwinden.

Draußen verabschiede ich mich von Amelie und Nico, dann steige ich in meinen Wagen. Lia schläft neben mir, und Lars hat sich wieder auf der Rückbank ausgebreitet – ebenfalls schlafend. Ich starte den Motor und folge Nico aus der Ausfahrt.

Irgendwann auf der Autobahn trennen wir uns, und ich lasse meine Gedanken an den – mittlerweile gestrigen – Abend wenigstens für einen kurzen Moment los.

Als ich an Amstelveen vorbeifahre erinnere ich mich kurz daran, wie ich mit Lia auf dem Dach war, und unwillkürlich muss ich lächeln. Da war alles noch okay, keiner wusste etwas von Jasons Vorhaben.

Lia wusste nichts von meiner Vergangenheit, sie vertraute mir blind.

--

Zu Hause parke ich meinen Opel, dann wecke ich Lars.

„Sind wir schon da?" murmelt dieser, und ich nicke, während ich gerade Lia aus dem Auto hole. „Ich glaube, nach heute Abend ist es besser, wenn ich zu Hause schlafe" murmle ich, und Lars schaut mich kurz an.

Dann entdeckt er das Auto seines Vaters, und nickt. „Ja, ich glaube auch. Ich werde Dad alles erklären, und hoffentlich lässt sich da was machen."

Ich nicke nur, und für den Rest des Weges schweigen wir.

Vor der Haustüre gebe ich Lia in Lars' Arme und verabschiede mich von ihr, indem ich ihr einen Kuss auf die Stirn drücke. Dann nicke ich Lars zu, da ich ihn nicht irgendwie umarmen kann, bevor ich die Treppen hochlaufe zu meinem Apartment.

Ich öffne die Türe, und sobald ich drinnen bin, laufe ich direkt ins Badezimmer. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, wie schlimm ich aussehe, und ich schnappe mir ein Handtuch, um mir das Blut vom Gesicht zu tupfen. Über meiner Augenbraue prangt eine ziemlich große Wunde, und ich hoffe, das gibt keine allzu dicke Narbe.

Ich wasche mir meine Fingerknöchel, ehe ich das Handtuch in den Wäschekorb werfe und mir mein Shirt überziehe – ebenfalls voller Blut.

Na toll.

Ich frage mich, wie Jason wohl aussehen mag, wenn wir drei schon so beschissen aussehen.

Hoffentlich geht's ihm richtig mies.

Er hätte es verdient. Er hätte es sowas von verdient.

Ich laufe in die Küche und hole mir ein Bier, welches ich innerhalb von fünf Minuten geleert habe. Lange starre ich aus dem Fenster, bis mich die Müdigkeit überfällt. Ich trotte ins Schlafzimmer und ziehe mir meine Jeans ebenfalls aus, bis ich nur noch Boxershorts anhabe.

Meine Uhr lege ich auf die Kommode, und sobald ich im Bett bin, schlafe ich sofort ein.

--

Kaum zwei Stunden später bin ich jedoch wieder hellwach, weil jemand meine Wohnungstüre halbwegs eintritt.

Fluchend stehe ich auf und schlüpfe schnell in meine Jogginghose, ehe ich auf die Uhr schaue.

Halb vier.

Was zur Hölle will bitte jemand um halb vier morgens an meiner Türe?! Ich haste nach vorne, um die Türe zu öffnen, ehe sie noch zerbricht.

Als Lars vor mir steht, bin ich jedoch sichtlich verwundert.

„Was machst du um diese Zeit hier?" frage ich ihn, und er schaut mich direkt an. „Lia hat Albträume, und Dad möchte, dass du kommst. Er meint, nur du könntest sie beruhigen."

Ich nicke langsam, um das zu verdauen. Sein Dad möchte trotz allem, dass ich neben Lia liege und sie beruhige?

Lars zieht mich am Handgelenk raus, und ich schließe ab. Anscheinend bleibt mir keine andere Wahl.

Alex begrüßt mich äußerst freundlich, doch unter seinen Augen bilden sich dunkle Ringe. Wahrscheinlich hat er kein Auge zugetan.

Schon von draußen höre ich Lias Schreie, und als ich vor Lars in ihr Zimmer eintrete und ihr verheultes Gesicht erblicke, bricht es mir fast das Herz.

Das ist alles deine Schuld, Jay.

--

Die beiden tun mir voll leid :(

Denkt ihr, dass Jay Lia's Albträumen ein Ende setzen kann?

- Xo, Zebisthoughts

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