Kapitel 23 - Lia (ü)

!Achtung! In diesem Kapitel werden gewalttätige sowie sexuelle Inhalte vorkommen.

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Ich schaue Jay noch einmal in die Augen, dann drehe ich mich weg und renne davon.

Durch meine Tränen sehe ich kaum was, doch das ist mir egal. Ich muss einfach weg von hier, weg von Jay und Jenna.

Ich kämpfe mich durch die Menge, bis ich endlich die Toiletten entdecke. Ich stürme in eine Kabine und verschließe sie hinter mir, ehe ich mich langsam schluchzend zu Boden gleiten lasse.

Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Jay so sein soll. Nicht besser als all die anderen, die mich haben leiden lassen. Wie konnte ich jemals denken, ich wäre ihm etwas wert? Wie konnte ich glauben, er hätte mich vermisst, genauso, wie ich ihn?

Wie?!

Ungewollt driften meine Gedanken langsam zu Vinny ab, obwohl ich es seit ihrem Tod unterdrückt habe.

Vinny kannte ich seit meiner Geburt, sie war meine absolut beste Freundin. Wir waren unzertrennlich. Sie wusste immer genau, was ich denke und umgekehrt. Wir waren wie Zwillinge, wussten sofort, wann es dem anderen schlecht ging, ohne dass wir uns überhaupt sahen. Sie sah mir sogar ähnlich, doch irgendwann war sie einem jungen verfallen, der viel älter war als sie.

Durch ihn fing sie an, neue Dinge wie Drogen auszuprobieren – bis sie nach einem Streit mit ihrem Freund eine Überdosis nahm. Sie wollte es nicht mal, das weiß ich.

Das spüre ich.

Doch es ist passiert – alles, was die Ärzte noch tun konnten war, ihren Tod festzustellen.

An diesem Tag ist etwas in mir zerbrochen, und ich habe mir mit Jay zusammen geschworen, nie auch nur etwas mit Drogen anzurühren. Er weiß genau, haargenau, wie viel mir dieses Versprechen bedeutet.

Und er hat es einfach gebrochen. Einfach so.

Von Vinny wandern meine Gedanken weiter zu Elijah. Er ist Vinnys großer Bruder, und hat nach ihrem Tod damit angefangen, Drogen zu verticken, um auf andere Gedanken zu kommen.

Vielleicht auch als eine Art Streik.

Jedenfalls wurde er mittlerweile so oft erwischt, dass er jetzt soweit ich weiß festgenommen wurde und in U-Haft sitzt.

Drogen, Drogen, Drogen. Immer sind sie am Leid meiner Freunde schuld.

Ich schlage unbewusst auf den Toilettendeckel, und meine Hand durchzuckt ein pochender Schmerz, doch es ist mir egal. Es dämpft den Schmerz, den ich in mir spüre.

Plötzlich habe ich den Drang, Jay genauso zu verletzen, wie er es bei mir getan hat. Ich wische mir die Tränen mit dem Handrücken weg und stehe auf.

Vor dem Spiegel wische ich mir die dunklen Mascara Ränder unter den Augen weg und trage etwas Puder nach, bis ich nicht mehr ganz so wie ein verheulter Panda aussehe.

Als ich mit meinem Ergebnis zufrieden bin, stolziere ich tief durchatmend aus der Toilette raus und direkt auf die Bar zu. Plötzlich erscheint Nico neben mir und will mich zurückhalten, als er durchschaut, was ich vorhabe, doch ich drehe mich wütend zu ihm um.

„Fass mich bloß nicht an. Du hast die ganze Zeit alles über Jay gewusst, und ich stehe hier und erfahre alles von Jenna. Verpisst euch aus meinem Leben, und jetzt lass mich durch."

Ehe Nico noch etwas sagen kann, habe ich mich auch schon an ihm vorbeigedrückt und entdecke niemanden anderes als Jason, der an der Bar sitzt. Provokativ setze ich mich genau neben ihn und lächle ihn an.

„Hallo Jason! Wie schön, dich auch mal wieder zu sehen." Er lächelt mich ebenfalls an, und so beginnt ein Gespräch zwischen uns. Ich bestelle mir den alkoholhaltigsten Drink, den sie hier angeboten wird, und leere mein Glas mit einem Zug.

Eigentlich trinke ich kaum, doch das hier muss jetzt sein.

Ich habe genug.

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Einige Stunden – und Drinks – später sitze ich halb schlafend auf meinem Stuhl, während Jason sich gerade alle Mühe macht, mich auf sich zu stützen.

Gerade als er es geschafft hat und mich zum Ausgang bringen möchte, wird mir speiübel, und bevor ich überhaupt reagieren kann, begreift Jason anscheinend an meiner Gesichtsfarbe, was los ist.

„Na komm, bringen wir dich mal zu einer Toilette. Du hast eindeutig zu viel getrunken, Lia."

Ich sage nichts dazu, aus Angst, mein Mageninhalt könnte hochkommen, wenn ich meinen Mund öffne. Ich nehme die Bässe um mich herum nur verschwommen war, doch das ist mir mehr als nur recht – die Musik ist nur noch schlechter geworden.

Da tanzt niemand mehr zu, wirklich niemand.

Schneller als ich dachte haben wir die Toiletten erreicht, und Jason schiebt mich in eine Kabine. Ich beuge mich über die Schüssel und lasse alles raus, während mir Jason die Haare zurückhält.

„Geht's ihr gut?" fragt plötzlich eine Frauenstimme, und ich höre nur, wie Jason sie fragt, ob sie aus dem Automaten eine Wasserflasche holen kann. Ich übergebe mich immer wieder, bis ich mich kraftlos gegen die Kabinenwand sacken lasse.

Das Mädchen kommt zurück und reicht Jason die noch verschlossene Wasserflasche. „Danke dir" sagt er knapp, und das Mädchen nickt. Dann verschwindet sie.

Jason öffnet den Deckel, legt seine freie Hand an meinen Hinterkopf um ihn zu stützen, und legt mir dann die Flaschenöffnung an die Lippen. „Hier, trink etwas."

Ich tue, was er mir sagt, und trinke einige Schlucke. Das Wasser fühlt sich angenehm kühl an in meiner Kehle, und gierig trinke ich die ganze Flasche auf einmal aus. Jason lacht leise, dann hilft er mir auf.

„Na, du hast aber Durst. Geht's dir besser?" Er sieht mir in die Augen und hat seine Hand unter meinem Kinn deponiert. Ich nicke, und ich bin ehrlich – es geht mir wirklich besser.

Dank Jason.

Ich lächle, doch Jason bleibt ernst und schaut mir weiterhin in die Augen.

„Komm, wir gehen etwas an die frische Luft." Ich nicke, und ohne dass ich es wirklich mitbekomme, packt Jason mich an der Hand und zieht mich hinter sich durch die ganze Menge. Ich glaube, aus einer Ecke ein paar blaue Augen zu sehen, doch dann schüttle ich den Kopf.

Nein, er ist bestimmt schon gegangen.

Draußen schaue ich hoch zu den Sternen und bleibe einige Sekunden fasziniert stehen. Ich liebe es, wenn man den Sternenhimmel sehen kann.

„Lia, ich bin nicht so wie du denkst." Jasons Stimme reißt mich aus meinem Staunen, und ich schaue direkt in Jasons braune Augen. Dort sehe ich nichts mehr von der Freundlichkeit und Fürsorglichkeit von eben – da ist nur noch dieses eine Gefühl, dass ich mit Abneigung verbinde. Er ist kalt.

„hä" entfährt es mir, doch dann erinnere ich mich wieder, wie Jay und ich in der Bar saßen, und er mir davon erzählt hat, dass Jason der Anführer der Strassenjungs ist.

Fuck. Er steht vor mir. Er ist kalt. Ich sollte abhauen.

Gerade als ich mich umdrehen will, werde ich unsanft am Handgelenk gepackt und gegen die Gebäudewand des Clubs gedrückt. Jasons Atem geht stoßweise, und er ist mir jetzt so nah, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen muss, um in seine Augen zu schauen.

„Du tust mir weh" presse ich hervor, doch Jason versteift den Griff um meine Handgelenke nur. Vor Schmerz wimmere ich kurz auf, doch dann beiße ich mir auf die Unterlippe. So schnell lasse ich mich nicht unterkriegen.

„Hör mir jetzt gut zu, Süße. Wenn du schön deinen Mund hältst und mich einfach machen lässt, wirst du schnell davonkommen. Doch wenn du schreist, werde ich dich verletzen müssen. Hast du mich verstanden?"

Jasons Stimme ist ruhig, aber bedrohlich. Ich fange an zu zittern, als mir langsam klar wird, was er mit mir vorhat. Als ich nichts sage, kommt Jason ganz nahe zu meinem Ohr.

„Ob du mich verstanden hast" sagt er jetzt etwas lauter, und ich nicke schnell.

Ein dreckiges Grinsen schleicht sich über Jasons Gesicht, und ich spucke ihm ins Gesicht. Jason schlägt mich, bevor er schnell sein Gesicht abwischt, und ich heule vor Schmerz auf, doch das war es mir wert – so leicht bin ich nicht zu haben.

„Du Schlampe" zischt Jason, und ich schaue ihm fest in die Augen.

Dann fange ich an, so laut ich kann zu schreien, bis ich einen stechenden Schmerz in meiner Magengrube fühle.

Jason zieht seine Faust zurück und ich sacke in mich zusammen, doch er hält mich weiterhin an einem Handgelenk fest.

„Lass mich in Ruhe" flüstere ich, doch Jason lacht nur. „Das hier ist nicht dein und auch nicht mein Verdienst. Daran ist ganz alleine Jay schuld."

Bei der Erwähnung von Jays Namen steigen mir augenblicklich die Tränen in die Augen. „Er hätte Drogen vertickt, einmalig natürlich, um dir das hier zu ersparen, doch die Gelegenheit bot sich gerade so gut... tja, da konnte ich nicht anders."

Tränen laufen mir über die Wangen, und ich spüre erneut einen Schlag in der Magengrube. Diesmal lässt Jason mich los, und ich falle wie ein Kartoffelsack zu Boden, wo ich mich automatisch zu einer Kugel zusammenrolle.

Jay hätte sowas getan, um mich zu beschützen? Ist er wirklich so schlimm, wie ich bis eben dachte, oder hat er Recht, und er hat sich wirklich geändert?

Bei jedem Tritt von Jason schreie ich auf, wofür ich einen weiteren Tritt kassiere, doch es schmerzt zu sehr, und irgendwann würde Jason sicher auch müde werden – doch ich habe falsch gedacht.

Gerade als ich denke, dass er aufhört, spüre ich, wie eine Hand unter mein Kleid fährt. Sofort versteife ich mich, und die Erinnerungen an Benito kehren zurück mit solch einer Wucht, dass ich anfange zu zittern und panisch nach Luft zu schnappen.

Nicht schon wieder. Aufhören, bitte, lass es aufhören. Ich will nach Hause. Ich... ich will Jay. Jay, hilf mir.

Ich weine weiter, während Jason unbeirrt fortfährt. Mittlerweile hat er mein Höschen erreicht, doch plötzlich wird er mit voller Wucht von mir gerissen. Ich schließe meine Augen und hoffe, dass Jason nicht zurückkommt.

Ich vernehme Schreie, die eindeutig von Jason stammen, und wütende Worte, die ich Jay zuordne.

Jay... du bist hier.

Plötzlich vernehme ich Lars' Stimme, und darauffolgend ist auch Nico im Spiel. Ich öffne die Augen und sehe, wie sie zu dritt auf Jason einprügeln.

Geschieht ihm recht denke ich mir nur, während aus meinen Augen weiterhin Tränen fließen. Dann setzt sich eine zierliche Gestalt neben mich, und nach einigen Sekunden erkenne ich Amelie.

Sie nimmt mich wortlos in den Arm, was zwar höllisch schmerzt, doch eigentlich wirklich ganz guttut. „Es tut mir so leid, Lia. Es wird alles gut, wir sind hier. Er wird nicht zurückkommen, nie mehr."

Ich fange langsam an, die Realität um mich herum wieder wahrzunehmen, und meine Panik versiegt nach und nach. Zurück bleiben nur noch der Schmerz und die Erinnerung an das, was eben passiert ist.

An das, was hätte passieren können.

„Ich will nach Hause" flüstere ich schwach, und Amelie nickt. „Jungs, kann mir jemand helfen?" ruft sie, und Jay steht augenblicklich vor uns.

Seine Fäuste bluten und sein Gesicht ist von Tränen und Wut verschmiert, doch als sein Blick auf meinen trifft, sehe ich nur Trauer.

Ohne was zu sagen schiebt er Amelie beiseite und schiebt seine Arme unter meine Kniekehlen und meinen Rücken, dann werde ich sanft hochgehoben. Jeder Knochen den ich besitze schmerzt, und ich wimmere bei jeder Bewegung auf, bis ich gegen eine warme Brust sacke.

Ich lasse mich von Jay wegtragen, während ich sein Herz gegen seine Brust trommeln höre. Wahrscheinlich würde er liebend gerne umkehren und Jason weiterhin verprügeln, doch er hat sich dazu entschieden, mir zu helfen. Sich um mich zu kümmern.

Für mich da zu sein.

So wie vor zwei Wochen bei Benito. Ist das wirklich schon zwei Wochen her? Komisch, wie schnell die Zeit vergeht. Erschreckend.

„Tut's fest weh?" fragt Jay plötzlich, und seine Stimme ist merkwürdig rau.

Anturnnnn....

Ich nicke. „Sehr" sage ich ehrlich, und Jay versteift sich.

„Kannst du mich bitte einfach nach Hause bringen?" frage ich, doch Jay schüttelt den Kopf. „Du wurdest schwer verletzt. Wir fahren zu meiner Mom."

Bei diesem Satz spüre ich seinen Wiederwillen, seine Mutter zu sehen, doch sie ist Ärztin und hat eine eigene Praxis. Und Jay hat recht – ich wurde wirklich ziemlich heftig verletzt.

„Okay" flüstere ich, dann werde ich auf einen Sitz gesetzt. „Geht das?" fragt Jay, und ich nicke. Diese Position ist tatsächlich einigermaßen angenehm. Ich spüre, wie Jay sich über mich beugt um mich anzuschnallen, dann schlägt er die Türe zu und kurz darauf befinden wir uns auf der Straße.

„Jay?" flüstere ich, und versuche meinen Kopf so weit zu drehen, dass ich ihn anschauen kann. „Hm?" murmelt er, konzentriert auf den Fahrer, der vor ihm fährt.

„Es tut mir so leid" sage ich, und zum dritten Mal heute Abend fange ich an zu weinen, doch statt mir böse zu sein, legt Jay eine Hand auf mein Bein.

„Du hattest schon Recht, Lia. Doch ruh dich jetzt aus, wir reden morgen." Ich lege meine Hand auf seine, und lehne meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe.

Wird es immer so auf und ab gehen?

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Ist es normal, dass ich Mordpläne für eine von mir erfundene Person schmiede?

- Xo, Zebisthoughts

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