Kapitel 22 - Jay (ü)
Ich gehe zweimal vor der Haustüre auf und ab, dann klopfe ich.
Wieso bin ich so nervös?
Lars öffnet mir, und ich versuche mich an einem Lächeln – kläglichster Versuch meines Lebens.
„Ich komme gleich" ruft Lia im Hintergrund, und jetzt lächle ich wirklich. Lars schließt die Türe leicht, nachdem er auf den Flur hinausgetreten ist.
„Wie lief's?" fragt er mich leise, und ich zucke kurz die Schultern. „Wir sind uns jetzt einig, dass wir das Zeug verticken werden, solange Lia aus der Sache rausgehalten wird. Ich möchte auf keinen Fall, dass sie verletzt wird oder davon erfährt." Lars nickt, dann legt er mir die Hand auf die Schulter.
„Ich werde auf Lia aufpassen, während ihr unterwegs seid. Ich vertraue euch. Sie hat schon genug durchgemacht, ich glaube, sowas würde ihr den Rest geben." Ich nicke nur, und mein Magen zieht sich zusammen.
Lia würde nie mehr mit mir oder Nico reden, sie würde uns aus ihrem Leben verbannen und so tun, als hätte sie uns vergessen. Sie würde niemandem mehr vertrauen können.
Sobald ich Lia gestern ins Bett gebracht hatte, bin ich nach vorne ins Wohnzimmer gegangen und habe Lars aufgeklärt. Er war alles andere als erfreut, dass Nico und ich die Drogen verticken wollen, doch er sah auch keine wirkliche Alternative, also müssen wir es tun. Ich hasse es, wie sehr Jason uns dank Lia in der Hand hat. Bevor sie zurückkam, hätte er uns nichts anhaben können.
Doch jetzt bin ich wieder verwundbar, und das nutzt dieses Arschloch natürlich sofort aus. Ich balle meine Hände zu Fäusten, als die Türe wird wieder geöffnet wird, und Lia hinaustritt. Sofort bleibt mir der Atem weg, als ich sie sehe.
Sie sieht wunderschön aus.
Ich packe ihre Hand und umfasse sie fest mit meiner, ehe ich Lia an mich ziehe und ihr einen Kuss auf den Mund drücke.
„Hast du mich so sehr vermisst?" schmunzelt sie an meinen Lippen, und ich nicke übertrieben. Sie lächelt, und ihre Augen strahlen so wunderschön, wenn sie das tut.
Ich könnte mich jedes Mal wenn sie das tut neu in sie verlieben, für immer. Ich könnte es mir nicht vorstellen, ein anderes Mädchen als Lia an meiner Seite zu haben. Ich will diese grünen Augen zum Strahlen bringen, und diese vollen Lippen zu einem Lächeln werden lassen, diese Haare immer wieder zwischen meinen Fingern hindurchgleiten lassen.
Keine anderen Augen liebe ich so sehr, keine anderen Lippen will ich auf meinen spüren, und keine anderen Haare möchte ich so sehr berühren, wie Lias. Ich werde dieses Mädchen vor allem beschützen, insbesondere vor Jason und seiner dreckigen Bande.
„Kommt ihr heute noch?" fragt Lars plötzlich, der schon vor dem Lift steht. Ich nicke und ziehe Lia mit mir, und auch im Lift lasse ich ihre Hand nicht los.
Draußen krame ich meinen Autoschlüssel aus meiner Jeanstasche und öffne das Auto. Lars übernimmt meinen Part als Türaufhalter für Lia, und ich steige direkt auf der Fahrerseite ein. Lars breitet sich auf der Rückbank aus, und Lia sitzt mit einem breiten Grinsen neben mir.
„Na, freut ihr euch so sehr?" frage ich die Geschwister, und beide nicken. Mit einem leisen Lachen starte ich den Motor und lenke meinen Wagen auf die Straße.
Während der Fahrt werfe ich immer wieder einen kurzen Blick zu Lia, die den Kopf an die Fensterscheibe gelehnt hat und nach draußen starrt. Wahrscheinlich ist sie völlig in Gedanken versunken, denn sie reagiert nicht, als mir ein älterer Mann aus Versehen die Vorfahrt stehlen will.
Normalerweise rastet sie immer total aus.
Lars scheint voll und ganz mit seinem Handy beschäftigt zu sein, also konzentriere ich mich wieder ganz auf den Verkehr. Kurz vor dem Club erkenne ich, wie ein schwarzer Audi gerade aus der Gegenrichtung kommt, und es ist unschwer zu erkennen, dass Nico der Fahrer ist.
Das nenne ich Timing.
Ich suche nach einem freien Parkplatz, und Nico parkiert direkt neben mir. Auf seinem Beifahrerplatz sitzt Amelie, die sich wie Lia in Schale geworfen hat.
Ich steige aus, und meine Mitfahrer machen es mir gleich. Lia und Amelie umarmen sich und plaudern direkt drauf los, während Lars und ich Nico mit einer brüderlichen Umarmung begrüßen.
„Ich trinke heute übrigens nicht, ich muss diese zwei reizenden Personen noch nach Hause bringen" verkünde ich, und zeige auf Lia und Lars. Beide verdrehen die Augen, dann hakt Lia sich bei mir unter und zieht mich in Richtung Eingang.
Mit ihrer Euphorie zieht sie die anderen gleich mit, und in bester Laune betreten wir den Club, der schon ziemlich voll ist. Sofort schlängeln sich einige Mädchen zu uns durch, doch Lia und Amelie wehren diese durch ihre Blicke sofort ab.
„Du erledigst das ja besser als jeder Bodyguard" witzele ich, und Lia knufft mich in die Seite. „Irgendjemand muss ja auf dich aufpassen" gibt sie zurück, und ich lache nur.
Nico, Lars und Amelie drängen zur Bar, doch zu meiner Erleichterung sehe ich, dass Nico auch nur eine Cola bestellt – immerhin ist auch er mit dem Auto hier.
Ich ziehe Lia in Richtung Tanzfläche, und obwohl sie sich etwas wehrt, scheint sie trotzdem motiviert zu sein. „Na, dann zeig mal was du so drauf hast" bemerke ich, und Lia schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Na dann, aber sei nicht traurig, wenn du nicht mithalten kannst" sagt sie noch, dann wartet sie auf den richtigen Beat und legt los. Und sie legt nicht nur irgendwie los – sie ist verdammt gut und zieht alle um sich rum in ihren Bann.
Wo zur Hölle hat sie all diese geilen Moves her?
Sie bewegt ihren Körper perfekt synchron zu den Bässen, und ihre Körperbeherrschung ist einfach nur grandios. Ich habe schon lange niemanden mehr so tanzen gesehen. Lia legt eine perfekte, bühnenreife Show hin, und sie scheint richtig aufzublühen in dem, was sie da tut.
Ich frage mich, wann sie das alles gelernt hat.
Sei nicht traurig, wenn du nicht mithalten kannst.
Ich werde durch diese Worte aus meinem Bann gezogen und fasse mich wieder. Zeit, Lia mal Konkurrenz zu verschaffen. Ich warte eine gelegene Bewegung ab, und dann komme ich auf sie zu.
Ich bin zwar etwas aus der Übung, doch schnell erwecken die vertrauten Bewegungen wieder dieses wunderbare Gefühl von Freiheit in mir, und es kommt alles von selbst. Lia und ich bewegen uns perfekt im Einklang, und ich blende all die Leute um uns herum aus. Wir tanzen, bis das Lied zu Ende ist, und alle in einen tosenden Applaus verfallen.
Lia und ich sehen uns nur schwer atmend an, während sie mich frech angrinst. Nachdem die Menge wieder anfängt, sich mit sich selbst oder ihren Freunden zu beschäftigen, lege ich meine Lippen auf Lias. Sie erwidert den Kuss, und meine Hand wandert in ihren Nacken, um sie noch besser zu mir hochzuziehen.
Irgendwann lösen wir uns voneinander, und Lia grinst wieder frech. „Du warst wirklich gut, doch ich finde, dass ich gewonnen habe."
Gerade will ich sie kitzeln und mich verteidigen, als jemand übertrieben laut klatschend auf uns zu stöckelt.
Jenna.
„Na, das hätte ich aber nicht von dir erwartet, Jay! Das war ja hin-reiss-end!" Ich verdrehe die Augen und lege instinktiv meinen Arm um Lias Hüfte, die mich nur verwirrt anschaut, Jenna jedoch freundlich wie immer anlächelt. Diese streckt ihr die Hand hin und lächelt so falsch wie sie nur kann.
„Hallo, ich bin Jenna. Eine ehemalige Arbeitskollegin von Jay." Lia nickt nur.
„Ich bin Lia."
Mehr nicht. Jenna schaut mich schmollend an und nähert sich mir, doch als sie Lias Blick sieht, stockt sie etwas. „Jay, Liebling, es verletzt mich schon sehr, dass du nach mir so schnell jemanden neues gefunden hast. Ich dachte, das mit uns wäre etwas Wertvolles gewesen."
Augenblicklich löst sich Lia von mir und schaut mich fragend an, während sie auf Jenna zeigt. „Wer ist sie?" wispert sie, und ich fahre mir durch die Haare.
„Wie gesagt, eine ehemalige Arbeitskollegin. Wir hatten nie was, auch wenn sie das nicht so wahrhaben will. Tut mir leid Jenna, aber ich kann deine Wahnvorstellungen nicht bestätigen. Ich würde niemals etwas mit dir anfangen."
Misstrauisch schaut Lia von mir zu Jenna, während diese mich nur gespielt unschuldig anschaut. „Das ist aber schade. Doch ich bin mir sicher, ich weiß viel mehr über dich, als sie."
Ich werfe Jenna einen warnenden Blick zu, doch Lia kommt mir zuvor.
„Was weißt du denn? So gut wie ich Jay kenne, hat er bestimmt keine Geheimnisse vor mir." Vertrauensvoll blickt sie zu mir hoch, und ich schlucke nur.
Wenn du wüsstest.
„Nun, wenn das so ist... dann weißt du bestimmt, dass Jay damals unter Drogen stand, die er selbst bei sich zu Hause versteckt hatte. Auch ist er wie der letzte Arsch mit Mädchen umgesprungen, es gab sogar eines, dass sich wegen ihm gemobbt gefühlt hat. Er hat eine Menge Scheiss gebaut, geklaut und so... nichts schlimmes, nur so kleine Dinge hier und da. Aber eben, das weißt du bestimmt schon, so gut wie du ihn kennst."
Ich traue mich nicht, Lia anzusehen. Ich weiß, was sie von Drogen hält. Ich weiß, was sie von Leuten hält, die Mädchen nicht mit Respekt behandeln. Und verdammt, ich weiß, was sie von Leuten hält, die anderen psychischen Schmerz zufügen.
Und ja, genau so jemand war ich, nachdem sie gegangen ist.
Ich habe ab und zu was mitgehen lassen, ich war nicht sonderlich nett zu Mädchen, doch ich habe niemals jemanden verletzt, nach der Sache von vor zwei Jahren. Ich habe nie absichtlich jemanden fertiggemacht, ich war einfach nur verdammt arrogant und selbstsüchtig.
Die Menschen waren mir egal. Doch ich habe mich geändert, schon bevor ich Lia wiedergesehen habe.
„Drogen? Jay, sag, dass das nicht wahr ist. Du hast Drogen genommen?" Ihre kleine Hand dreht meinen Kopf zu ihr, und somit kann ich ihrem Blick nicht entkommen. Von dem freudigen Glitzern in Lias Augen ist jetzt nichts mehr zu sehen, ich sehe nur noch Wut und Enttäuschung.
„Ja... ja, ich habe damals Drogen genommen. Es war einmalig, und es war meine Schuld. Ja, ich bin nicht nett zu anderen gewesen, und ja, ich habe ab und zu mal geklaut, aber das ist schon über ein halbes Jahr her. Ich will und werde mich ändern Lia, ich wollte niemals jemandem wehtun, bitte, das musst du mir glauben!"
Ich sehe sie flehend an, doch ihr Gesicht versteinert sich, während eine einzelne Träne über ihre Wange rollt.
„Du hast damals also wirklich Drogen genommen... obwohl du wusstest... du... fuck!" Sie holt aus und verpasst mir eine, ehe ich mich wehren kann – doch ich habe es verdient.
„Lia, bitte –" versuche ich es, doch sie schneidet mir das Wort ab.
„Nein, Jay, kein Lia bitte. Wir haben uns nach Vinny geschworen, niemals Drogen zu nehmen! Verdammt, war dir das nicht genug, was mit ihr passiert ist?! Sie war so jung, viel zu jung! Und Elijah – er sitzt jetzt wegen Drogenhandel! Scheisse Jay, ich hätte das niemals von dir gedacht. Und all die Mädchen – oh Gott, all die armen Mädchen, die du wahrscheinlich hemmungslos ausgenutzt hast, nur damit dein Ego poliert wird und du dich in deiner Rolle als Arschloch grandios fühlst. Und wie war das nochmal, mit du bist die einzige die ich jemals wollte?! Von wegen! Wahrscheinlich hattest du mich sogar vergessen und hast einfach weitergelebt, ohne mich! Und ich Idiotin habe dir monatelang hinterhergeheult, habe auf eine einzige verdammte Nachricht von dir gehofft, habe all diese Qualen meiner Mitschüler über mich ergehen lassen, obwohl du kein einziges Stück besser warst! Du hast mich einfach so fallen gelassen, um dich mit Drogen vollzupumpen, Mädchen flachzulegen und zu klauen. Weißt du was, Jay? Du bist das Letzte. Ich will dich nie mehr sehen."
Ihre Stimme bricht, und Tränen laufen über Lias Wangen. Ich will sie ihr instinktiv wegwischen, doch ich halte Inne in meiner Bewegung.
Sie hat recht, ich war ein Arschloch. Ein verdammt riesiges sogar. Doch ich habe mich geändert – ich habe nie mehr Drogen genommen, abgesehen von ein bis zwei Joints im Monat, um einfach etwas runterzukommen. Ich habe nie mehr jemanden ausgenutzt, nicht mehr geklaut und versucht, mein Leben endlich auf die Reihe zu bekommen.
Ich habe Lia nie vergessen und sie immer vermisst, doch ich wollte sie von mir fernhalten, damit ich sie nicht auch noch verletze. Doch all das würde mir Lia nie glauben, nachdem, was Jenna angerichtet hat.
Jenna.
Ich könnte ihr den Hals umdrehen. Wahrscheinlich hat dieses Biest nur so auf eine Gelegenheit gewartet, um mir einen Strich durch die Rechnung meines Lebens zu machen. Sie weiß haargenau, dass ich mich längst geändert habe, doch natürlich erwähnt sie das nicht.
Aber ganz ehrlich – das macht auch nicht ungeschehen, was ich damals getan habe. Ich war grausam, und Lia hat alles Recht der Welt, mich dafür zu hassen.
Ich habe alles getan, was die Leute getan haben, die sie so fertiggemacht haben.
Ich bin kein Stück besser.
--
Und wieder ein kleines Stück aus Jays Vergangenheit, das aufgedeckt wurde. Findet ihr Lias Reaktion berechtigt?
- Xo, Zebisthoughts
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