Kapitel 13 - Lia (ü)

Ungeduldig stehe ich vor der Mikrowelle und trete von einem Fuss auf den Anderen, als sie endlich mit einem „Ping" das Ende ihres Prozesses ankündigt.

Vorsichtig nehme ich die Schüssel mit Popcorn raus und gebe mir alle Mühe, mir dabei die Finger nicht zu verbrennen. Jay ist immer noch bei Lars, und irgendwie habe ich das starke Gefühl, dass sie über mich reden.

Soll ich lauschen?

Kurz mache ich einen Schritt in Richtung Türe, doch dann schüttle ich bestimmt den Kopf. Nein, ich werde ganz bestimmt nicht Jay und Lars bei einem womöglich privaten Gespräch belauschen gehen.

Immer noch mit der Popcornschüssel in der Hand laufe ich ins Wohnzimmer, stelle die Schüssel auf den Tisch und schnappe mir die Fernbedienung für die Musikanlage. Es ist zwar schon nach zehn Uhr, doch wenn ich die Musik nur ganz leise spielen lasse, wird das niemand merken.

Leider mag die Anlage mich heute nicht besonders – die ersten Töne eines Rocksongs spielt sie in voller Lautstärke ab.

Erschrocken zucke ich zusammen und drücke wie wild auf den Volumenknopf, bis der Song in einer akzeptablen Lautstärke spielt.

Bitte, bitte, bitte sag, dass niemand klingeln kommt.

Ich lausche einige Minuten ängstlich, doch es scheint, als würde wirklich niemand kommen.

Glück gehabt.

Ich gehe wieder in die Küche und betrachte die Pizza, die sich im Ofen langsam aufwärmt. Ganz in Gedanken versunken spüre ich plötzlich, dass mich jemand beobachtet, und erschrocken drehe ich mich um – und blicke direkt in ein Paar blaue Augen.

„Jay, Gott, erschreck mich nicht so!" flüstere ich, während sich mein Körper, der sich reflexartig angespannt hatte, wieder entspannt. Jay grinst nur sein typisches Jay-Grinsen und lehnt sich an die Kochinsel hinter ihm.

„Tut mir leid, Kleine" sagt er nur hoch amüsiert, und ich würde ihn gerne in die Seite kneifen, doch der Backofen – der meine Waden gerade durch das Glas aufwärmt – gibt einen Ton von sich, den ich selbst nicht so ganz deuten kann – ich habe das Teil noch nie benutzt.

„Sieht aus als wäre die Pizza fertig" meint Jay, und ich nicke. Gerade will ich mir einen Topflappen vom Hacken nehmen, doch Jay ist schneller und nimmt ihn mir sozusagen vor der Nase weg.

Dann schiebt er mich etwas beiseite, öffnet den Backofen und nimmt die Pizza raus.

„Nicht, dass du dich wieder verletzt" murmelt Jay nur, um meinen verwirrten Blick zu quittieren. Ich schaue ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, während er sein Bestes versucht, meinen Blick zu ignorieren, doch ich sehe das kleine Lächeln, welches seine Lippen umspielt.

Während Jay sich darum kümmert, die Pizzen in gerechte Stücke zu schneiden (Betonung auf versucht), bereite ich zwei Teller vor.

„Willst du was trinken?" frage ich beiläufig, und Jay nickt. „Habt ihr Cola oder so?" Diesmal bin ich dran mit nicken. Aus dem Kühlschrank hole ich zwei Büchsen Cola, eine für Jay und eine für mich.

„Geh du schon mal nach vorne, ich bring Lars noch sein Essen. Jay nickt, während er sich die beiden Teller schnappt und im Wohnzimmer verschwindet. Versonnen lächle ich, während ich die Suppe, die ich heute Morgen vorbereitet habe, kurz aufwärme.

Was sind wir eigentlich?

Diese Frage schiesst mir so plötzlich durch den Kopf, dass ich beinahe etwas erschrecke. Stimmt, soweit ich mich erinnere, haben Jay und ich uns nie wirklich auf etwas geeinigt. Seit er mir die Kette gekauft hat, haben wir uns eigentlich auch nicht mehr wirklich berührt.

Wir haben uns ja auch kaum gesehen.

Ich fülle schnell ein paar Löffel Suppe in eine Schüssel, dann lege ich einen Löffel dazu und balanciere das Ganze auf einem Tablett zu Lars Zimmer.

Ich klopfe mit meinem Knie und trete direkt ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Wie erwartet liegt Lars immer noch im Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Sobald ich einatme merke ich, wie sehr es hier drinnen stinkt.

„Lars, so kalt dir auch ist, ich muss das Fenster aufmachen. Du vergiftest dich noch selbst."

Mit einem lauten Grummeln teilt mir Lars mit, dass er alles andere als begeistert ist von meinem Vorhaben, doch es hindert mich nicht daran. Ich stelle das Tablett auf dem Pult ab und lehne mich darüber, um den Fenstergriff zu erreichen. Sobald das Fenster offen ist, spüre ich die angenehm lauwarme Nachtluft auf meiner Haut, und eine Weile bleibe ich so stehen.

„Hunger" ertönt es plötzlich aus dem Bett, und Lars hat sich tatsächlich etwas aufgesetzt. Ich bringe ihm grinsend das Essen, dann ziehe ich mir den Stuhl heran und setze mich drauf.

„Wo hast du Jay gelassen?" fragt Lars zwischen zwei Löffeln. Ich grinse leicht. „Der wartet im Wohnzimmer. Wieso?" Lars schaut mich vielsagend an, dann zuckt er mit den Schultern. „Nur so" meint er, und ich schlage ihn leicht auf den Oberarm.

„Kleine, kommst du noch oder darf ich deine Pizza haben?" höre ich plötzlich Jays Stimme aus dem Wohnzimmer, und jetzt schaut Lars mich erst recht vielsagend an.

„Kleine?" fragt er nach, und ich nicke, während ich rot anlaufe. „Er hat den Spitznamen herausgefunden, als ich mich über meine Grösse beschwert habe." Lars nickt nur, dann stehe ich auf.

„Ist es okay, wenn ich gehe?" frage ich, und abermals nickt Lars – mit diesem Blick. Ich verdrehe die Augen, dann verlasse ich das Zimmer.

Hastig laufe ich zum Wohnzimmer, und da ich nur Socken trage, schlittere ich zum Sofa. Jay scheint mich noch nicht bemerkt zu haben, und sofort fällt mir die perfekte Rache für eben ein. Langsam nähere ich mich das letzte Stück, dann schlage ich Jay plötzlich auf die Schulter.

Vor Schreck lässt er beinahe sein Pizzastück fallen und zieht scharf die Luft ein. Ehe er mich ansehen kann, pruste ich los und lasse mich kraftlos zu Boden sinken.

„Na warte" murmelt Jay, und ehe ich es realisieren kann, steht er neben mir und schlingt seine Arme um meine Taille. Wild fuchtle ich mit den Armen rum, doch Jay platziert mich mühelos auf seiner Schulter.

„Jay?" frage ich immer noch atemlos vom Lachen, und Jay gibt ein „hmm" von sich.

„Was zur Hölle machst du jetzt?" frage ich, doch Jay kneift mich nur in den Oberschenkel. Da ich verkehrtherum hänge, erkenne ich nicht wirklich viel ausser dem Boden. Jedoch erkenne ich mein Zimmer sofort.

„Hallo?" frage ich noch mal, und ehe ich mich wehren kann, lande ich auf meinem Bett. Jay lässt sich neben mich fallen, und schon wieder geht alles zu schnell – das nächste was ich wahrnehme sind Jays Lippen auf meinen.

Reflexartig erwidere ich den Kuss, und Jay lässt etwas locker. Seine Arme schlingen sich um meine Taille, und ich vergrabe meine Finger in seinen schwarzen Haaren.

„Lia?" flüstert Jay gegen meine Lippen, und ich öffne die Augen, um ihn direkt anzuschauen.

„Du bist verdammt toll."

Ich lächle breit, dann ziehe ich Jay am Kragen seines Shirts wieder zu mir ran. Diesmal küssen wir uns nicht so vorsichtig wie eben – diesmal sind unsere Küsse viel fordernder, viel verlangender. Jays Hand gleitet unter mein Shirt, während er sich endgültig über mich beugt.

Langsam legt er eine Spur von Küssen bis zu meinem Schlüsselbein, dort bleibt er eine Weile und fängt an, zu saugen.

Wird das etwa ein Knutschfleck?

Ich halte die Luft an, so sehr schreit mein Körper nach Jay.

Was sind wir eigentlich?

Unerwartet fällt mir diese Frage wieder ein, und Jay bemerkt mein Zögern sofort. „Was ist?" fragt er sanft, und ich schaue Jay an.

„Was sind wir eigentlich?" frage ich ihn, selbst verwundert von mir, dass ich ihn sowas überhaupt frage. Jay schaut mir eine Weile an, dann legt er den Kopf schief.

„Zwei Leute, die sich vorsichtig aneinander herantasten" sagt er, und wir wissen beide, dass ich das vor einer Woche gesagt habe, kurz bevor er mich geküsst hat.

Ich lächle leicht, dann küsst Jay mich wieder.

--

Ich wache auf meinem Bett auf, keine Ahnung, wie spät es ist. Mein Blick ist gegen die Wand gerichtet, also drehe ich mich um – und klebe vor Schreck fast an der Wand.

Neben mir liegt Jay, friedlich schlafend.

Schnell beruhigt sich mein Puls wieder, und ich denke an gestern Abend. Wir haben uns noch lange über alles Mögliche unterhalten, darüber geredet was wir die letzten Jahre so getrieben haben.

Dann muss ich wohl eingeschlafen sein. Plötzlich merke ich, dass ich meinen Pyjama trage. Hat der – ich stosse hörbar die Luft aus, als mir klar wird, dass Jay mich wohl wieder umgezogen hat.

Wie spät ist es eigentlich?

Vorsichtig lehne ich mich über Jay um einen Blick auf den Wecker zu erhaschen.

Halb drei Uhr morgens, prima – dann muss Jay sicherlich auch noch nicht so bald aufstehen.

„Was machst du da?" murmelt dieser plötzlich, und vor Schreck zucke ich leicht zusammen. „Ich habe nur geschaut, wie spät es ist. Sag mal, was ist mit Lars?"

Sofort will ich aufstehen um nach meinem Bruder zu sehen, doch Jay legt seinen Arm um meine Hüften und zwingt mich so wieder auf die Matratze zurück.

„Kein Grund zur Sorge, dem geht's gut. Ich habe noch nach ihm geschaut, doch er hat schon friedlich gepennt." Ich nicke nur und entspanne mich wieder.

„Danke, Jay."

Jay nickt nur, während er mit seinem Daumen Kreise auf meine Wange malt. Ich würde am liebsten für immer so mit ihm liegenbleiben, doch Jay muss morgen arbeiten – mal wieder.

Nico hat soweit ich weiss frei, jedenfalls will er mir die Schule zeigen. Zwar ist er schon lange nicht mehr dort, doch Amelie hat keine Zeit, also habe ich Nico gefragt. Er hat sofort zugestimmt.

Gerade als ich langsam in den Schlaf drifte, fällt mir plötzlich Jason ein, und wie sehr die Winston Brüder ihn zu verabscheuen scheinen. Ehe ich nachdenke, ist die Frage auch schon raus.

„Jay, wieso mögen du und Nico Jason eigentlich nicht?" frage ich leise, doch Jay hat jedes Wort verstanden. Seine Hand auf meiner Wange verkrampft sich etwas, und ich könnte mich treten.

Wieso bin ich auch immer so neugierig?

„Ich mag ihn einfach nicht."

Jays Ton ist kühl, viel kühler als sonst. Doch ich kann mich nicht halten. „Wieso?" wispere ich.

Was tue ich hier eigentlich?

Jay dreht sich ruckartig wieder zu mir um und schaut mir direkt in die Augen.

„Wieso ist dir das so wichtig?" fragt er kalt, und ich schrecke zusammen.

„I-ich habe einfach gesehen, wie ihr heute auf ihn reagiert habt. Er ist doch eigentlich ganz nett, deshalb verstehe ich das nicht so."

Jay schnaubt verächtlich.

„Nett? Jason ist alles andere als nett. Er verarscht die Leute um sich rum am laufenden Band und macht alles kaputt, was er kaputtmachen kann. Inklusive Nico. Halt dich von ihm fern, er ist kein guter Mensch."

Halt dich von ihm fern?

Bitte?

Bitte?!

„Ich soll mich von ihm fernhalten? Du kannst mir nicht sagen, was ich tun und lassen soll, Jay."

Meine Stimme ist nun nicht mehr so verschlafen, sondern eher wütend. Jay setzt sich ruckartig auf, und zieht mich gleich mit. So sitzen wir uns jetzt gegenüber und funkeln uns wütend an.

„Lia, es ist eine Warnung. Nur für dein Wohl bestimmt, mehr nicht. Wäre er ein normaler Typ der nicht andere immer wieder verletzt hätte ich kein Problem, doch Jason ist verdammt nochmal kein solcher Typ. Ich kenne ihn zwei Jahre länger als du okay?"

Seine Stimme zittert, und ich koche immer noch.

„Dafür musst du mich nicht so anmachen, mit mir kann man tatsächlich normal reden. Ausserdem... du bist auch nicht gerade ein Typ der feinen Art, wenn ich dich da mal dran erinnern darf."

Diese Worte scheinen Jay zu treffen, denn er sagt nichts mehr, sondern seine Augen werden noch einen Tick kühler. „Lass gut sein, Lia. Das hier war eine schlechte Idee. Gute Nacht."

Mit diesen Worten steht er auf, rauft seine Kleider zusammen und verlässt das Zimmer. Ich sitze immer noch mit offenem Mund da, während ich die Wohnungstüre knallen höre.

Perfekt.

Ich hab's mir wieder mal versaut. Langsam wandert mein Blick nach unten, und ich starre auf den leeren Platz, wo Jay eben noch lag.

Langsam spüre ich, wie mir die Tränen in die Augen steigen, doch ich unterdrücke sie gewaltsam.

Nein, wegen so einem Idioten werde ich jetzt ganz bestimmt nicht heulen.

Angestrengt schaue ich die Wand vor mir an und versuche, mich auf morgen zu konzentrieren, was jedoch nicht funktioniert.

Kurz überlege ich, Amelie anzurufen, doch es ist mitten in der Nacht, ich will sie nicht wecken.

Entmutigt lasse ich mich zurück in die Kissen sinken, und nach einigen Minuten der Leere in mir drin falle ich in einen traumlosen Schlaf.

--

Und da haben wir wieder mal das Drama.

Jason scheint wirklich eine Art wunder Punkt zu sein bei den Winston-Brüdern, was Lia leider auch noch zu spüren bekommen hat. Denkt ihr, die beiden kriegen sich wieder ein?

- Xo, Zebisthoughts

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