7. Schatten im Hinterkopf
Glaubt ihr an euch?
Danke für das Lesen meiner Story, für all die Votes und Kommentare!
Midnight memories
——————————————————
Pov Louis
Sonntage bedeuteten Yorkshire Pudding.
Früher hatte meine Mom Sonntags gerne mal Roastbeef samt meiner liebsten Beilage gezaubert, auch wenn sie nicht die leidenschaftlichste Köchin war. In unserer Familie gehörte dieses Gericht zum Sonntag wie das gemeinsame Fernsehen am Abend und es war schon immer die Leibspeise von mir und meinen Geschwistern gewesen, auch wenn es heute eher selten vorkam, dass wir mal alle gemeinsam ausgerechnet an einem Sonntag Zuhause waren und Moms Kochkünste bewundern durften.
Trotzdem musste es für mich am Sonntag Yorkshire Pudding geben und auch wenn bei Franzi und mir eher selten mal Roastbeef auf dem Tisch landete - Franzi hatte irgendetwas gegen das Fleisch und außerdem war das finanziell einfach nicht ständig möglich für uns - , so gehörte die Spezialität zu den wenigen Dingen, die ich in der Küche halbwegs zustande brachte. Natürlich schmeckte das Resultat nicht halb so gut wie das meiner Mom oder Harrys Yorkshire Pudding, aber mir reichte es. Und jedes Mal war ich stolz auf mich selbst, wenn ich nichts in der Küche angebrannt oder sonst irgendwie beschädigt hatte.
Auch diesen Sonntag hatte ich fest vor, mir selbst meinen Yorkshire Pudding zu kreieren, als ich morgens aus dem Bett taumelte, um die Dusche zu suchen. Solange keine Prüfungsphase war, hatte ich nämlich auch genügend Zeit dazu. Gut, eigentlich musste ich immer lernen und hatte nie Zeit, aber manchmal musste man sich die eben nehmen. Und manchmal konnte man sie sich nicht nehmen.
Als das kühle Wasser meinen Rücken hinablief und ich hoffte, dass weder das laute Gluckern des Abflusses, noch das Prasseln der Dusche Franzi wecken würde, fühlte ich mich im Gegensatz zu gestern seltsam gelöst. Entspannt.
Gestern war ich ein wenig einsam gewesen. Aber das war okay, ich musste nicht jeden Tag meines Lebens von irgendwem bespaßt werden. Meine Noten freuten sich auch. Ich war gestern furchtbar produktiv gewesen, hatte gelernt, gelernt, gelernt und Sport gemacht. Und mit Harry und Liam geschrieben. Aber trotzdem hatte ich mich einsam gefühlt, als Niall Franzi wieder hier abgesetzt hatte und erst zwei Stunden später wirklich wieder verschwunden war.
Ich wollte nicht so denken, wirklich nicht. Ich freute mich für meine Freunde, für Franzi und Niall, für Emma und Nils, für Liam und Roman. Aber manchmal führte mir ihr Glück auch vor Augen, was ich nicht hatte. Und vielleicht nie so haben würde, wie ich es mir erträumte.
Ich schüttelte den Kopf und wischte mir das Shampoo aus den Augen. Jetzt über mich und meine Gefühle nachzudenken machte überhaupt keinen Sinn. Mein Leben war besser als je zuvor. Und eigentlich wusste ich das auch durchaus zu schätzen.
Als der Wasserstrahl durch meine Hand versiegte, trat ich aus der Kabine und fröstelte wegen der kalten Luft im Bad - in der ganzen Wohnung - bevor ich mir ein Handtuch schnappte, um mich trocken zu reiben. Im Spiegel begegnete mir, ein bisschen verzerrt vom Dunst des Wassers, mein eigener Blick. Ich grinste mich an. Eine kleine Rasur könnte ich definitiv vertragen, aber Lust dazu hatte ich keine und selbst in der Uni morgen würde es niemanden interessieren, wie lang meine Bartstoppeln geworden waren.
Während ich in meine Kleidung für den Tag schlüpfte - Jeans, übergroßer Pullover - vibrierte mein Handy, welches neben dem Waschbecken auf der Ablage lag. Eigentlich lebte es da gefährlich. Egal.
Ein schneller Blick aufs Display zeigte einen Anruf von Harry. Ich drückte auf den grünen Hörer und dann auf den Lautsprecher.
,,Morgen Lou!" Harry klang, als würde er noch im Bett rumliegen oder zumindest grade erst aufgestanden sein. Ich fuhr mir durch die feuchten Strähnen.
,,Morgen. Gut geschlafen?", fragte ich dann.
,,Jap. Du?"
,,Auch, nur eine zu kalte Dusche abgekriegt. Gibt's bei euch wärmeres Wasser?"
,,Ich weiß ja nichts über Eures, aber hier find ich's ganz angenehm, muss ich sagen. Kein Vergleich zur WG, aber ich friere nicht." Na toll. Vielleicht sollte ich morgens immer die Stadt durchqueren, um dort duschen zu gehen. Im Dezember könnte das lustig werden.
,,Unfair.", schmollte ich und Harry lachte. Ich öffnete vorsichtig das kleine Badezimmerfenster, um die Luftfeuchtigkeit wieder auf ein normales Niveau zu senken.
,,Tja." Kurz trat Stille ein, dann schien er sich an den Grund seines Anrufs zu erinnern.
,,Hast du heute vielleicht ein, zwei Stündchen Zeit?" Er klang ein kleines bisschen verlegen. Oder unsicher. Ich zuckte mit den Achseln. Im Stillen freute ich mich, dass er mich angerufen hatte.
,,Klar, willst du wohin? Was Bestimmtes machen?"
,,An die Themse gehen? Vielleicht klingt das bescheuert, aber ich habe die vermisst, irgendwie. London als Ganzes sowieso. Vielleicht können wir auch einfach ein bisschen rumfahren und uns umsehen?", schilderte Harry mir seine Vorstellung und ich konnte seine Worte absolut nachvollziehen. Würde ich auch so machen wollen, hätte ich meine Heimat für ein Jahr nicht gesehen. Die Stadt war vielleicht nicht immer fair oder gut zu einem jungen Erwachsenen, aber sie war unser Zuhause. Ich hätte sie auch vermisst.
,,Bin dabei. Wann magst du los?", sagte ich also zu und spürte die Vorfreude in meinem Magen summen. Inzwischen konnte ich mein Spiegelbild auch in nicht beschlagenem Glas betrachten und ich überlegte kurz, mich doch noch zu rasieren, verwarf den Gedanken aber wieder. Harry interessierte es ebenso wenig, ob ich rasiert war, wie die Menschen in der Uni.
,,Ich könnte dich abholen? Ich weiß nicht, wie lange ich brauche, ich hab eure Adresse ja wegen den ganzen Paketen, die wir zu Weihnachten und den Geburtstagen hin und her geschickt haben, aber ich muss mir noch die richtigen Verbindungen suchen. Ich mach mich einfach gleich auf den Weg und dann sehen wir, wann ich bei dir bin.", schlug Haz vor.
Irgendwie war es seltsam, das aus Harrys Mund zu hören, dabei war es logisch, dass er nicht so genau wusste, wie lange er bis zu mir brauchte. Trotzdem einfach...seltsam.
,,Soll ich dich nicht lieber abholen, ich weiß, welche Bahnen ich nehmen muss. Ich brauch von hier bis zu euch ein bisschen mehr als eine halbe Stunde.", bot ich an, aber Harry stieß sofort einen ablehnenden Laut aus.
,,Nein, ich komm zu dir. Ich will sehen, wie du und Franzi so wohnt, Video Roomtouren sind ja schön und gut, aber ich will eure Wohnung mal in echt sehen. Also schmeiß Franzi aus dem Bett, bevor ich da bin. Wahrscheinlich dann so in vierzig Minuten? Geht das so?"
Ich grinste. Das war ein bisschen zu erwarten gewesen, natürlich wollte er sehen, wie wir so lebten. Wahrscheinlich würde er auch Liams Wohnung spätestens nächsten Samstag, die Bleibe von Emma und Nils und Nialls Wohnung besichtigen gehen.
,,Alles klar, dann machen wir's so. Ich freu mich, bis gleich, Haz." Ich grinste mein Spiegelbild an.
,,Danke, Lou. Bis gleich!" Harry legte auf, aber ich hörte die Erleichterung in seiner Stimme. Hatte er ernsthaft gedacht, ich hätte keine Lust, mit ihm Zeit zu verbringen?
Ich steckte mein Handy in die Hosentasche und verließ das Bad, um mir einen Tee zu machen. Das mit dem Yorkshire Pudding wurde dann wohl nichts, vielleicht könnte ich mir einen in der Stadt besorgen, mal sehen.
Ich seufzte und mein Blick wanderte auf dem Weg in die Küche über die Unordnung im Wohnzimmer. Und ich wusste, dass mein Zimmer nicht besser aussah. Vielleicht sollte ich nochmal eben ein paar Sachen in die Schränke stopfen, bevor Haz herkam.
——————————————————
Fünfundvierzig Minuten später läutete die viel zu schrille Klingel unten an der Haustür des Wohnhauses und ich drückte auf den Summer, um Harry reinzulassen. Vielleicht wars aber auch nur die Post oder sonst wer. Aber wahrscheinlich Harry.
,,...und dann haben sie das Ganze abgeblasen und sich Fish and Chips geholt!", beendete Franzi ihren Satz lauthals, damit ich ihre Stimme auch im Flur noch verstehen konnte, obwohl sie in der Küche auf dem Boden hockte und die Reste ihres Porridge vom Boden kratzte. Sie hatte die Schüssel fallen lassen, nicht ich.
,,War ja erfolgreich.", kommentierte ich ihre Erzählung der scheinbar gescheiterten Kochsession bei Emma und Nils, die mit einem verbrannten, unförmigen Auflauf beendet worden war. Ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht nur die Schuld ihrer Mitbewohner war, Nils hatte da sicher auch seine Hand im Spiel gehabt. Aber ich sollte nicht zu große Töne spucken.
Ich zog die Wohnungstür auf und lehnte mich gegen den Rahmen, während ich den Schritten auf der Treppe lauschte. Ziemlich sicher Harry. Auch, wenn man das nicht richtig sagen konnte, aber die Post war das nicht.
Und tatsächlich tauchte mein bester Freund auf dem Treppenabsatz zu unserer Wohnung auf. Ich musterte ihn schnell, bevor er den Blick zu meinem hob. Harrys jetzt länger gewordenen Locken waren ein klein wenig feucht, seine Wangen gerötet vom Wetter und die dunkle Winterjacke kannte ich seit Jahren. Und als sich unsere Augen trafen, funkelte mir das altbekannte Grün entgegen, dass meine Lieblingsfarbe sein musste. Ich lächelte.
,,Hey Haz."
,,Hey. Ich war ja mal sowas von schnell, oder?", grüßte Harry zurück und kletterte die letzten Stufen herauf, bevor er vor mir stehen blieb. Ich hätte ihn gedrückt, würden da nicht diese kleinen Regentropfen auf seiner Jacke sitzen und mich angrinsen.
,,Also dafür, dass wir Sonntag haben und ungefähr gar nichts im Verkehr los sein sollte, war das nicht besonders schnell.", neckte ich und trat dann zur Seite, um Harry rein zu lassen. Er schlüpfte gleich auf der Türmatte aus den Schuhen und streifte dann die Jacke ab, um auch ja nichts zu beschmutzen. Auch typisch.
,,Also mir waren das genügend Leute, glaub mir.", murmelte er dann und jetzt begrüßte ich ihn nochmal richtig mit einer Umarmung, die Gefahr der Nässe war ja beseitigt. Harry gluckste überrascht, dann erwiderte er den Druck. Vanille. Zimt. Er roch wie er immer gerochen hatte, sein Shampoo schien dasselbe zu bleiben. Oder er roch wirklich so, das wusste ich nicht.
,,Krieg ich auch eine Umarmung?", unterbrach Franzi den Moment, als sie aus der Küchentür hopste.
Harry grinste und löste sich von mir, um die Rothaarige an sich zu drücken.
,,Als würde ich dich vergessen.", nuschelte er in Franzis Nacken, bevor auch die beiden sich von einander trennten und sich anstrahlten. Ich fuhr mir nochmal durch die Haare und wies dann mit einer ausladenden Geste auf die Wohnung hin.
,,Du wolltest sehen, wie wir leben, ja?" Zum Glück hatte ich aufgeräumt, auch wenn Franzi mich ausgelacht hatte. Sonst würde ich jetzt wegen der alten Pizzakartons unter dem Sofa oder wegen des quasi unter allem möglichen Zeugs zusammenbrechenden Wohnzimmertischs rot anlaufen, da war ich mir sicher. Auch wenn das albern wären - Harry und ich kannten uns seit immer und er wusste, wie ordentlich ich war.
,,Louis hat noch sauber gemacht, sonst sähe das hier ganz anders aus.", verriet Franzi mich an Haz und jetzt wurde ich doch noch rot. Verräterin.
,,Hättest du nicht gemusst." Harry schmunzelte und sein Blick wanderte durch das Wohnzimmer, als würde er einen völlig fremden Planeten neu entdecken. Dabei gab es ja kaum was zu sehen.
,,Magst du einen Tee haben, H? Oder wollt ihr gleich los?"
Harry und ich tauschten einen stummen Blick aus, dann schüttelte er den Kopf.
,,Ich brauch keinen Tee, wir können los."
Ich nahm das als ein Zeichen, mir meine Schuhe anzuziehen - die unter der Garderobe standen - und begann, sie zu zu konten, während Harry und Franzi eine kleine Führung unternehmen, damit mein bester Freund auch unbedingt die Küche, das Bad und die Schlafzimmer aus eigenen Augen sehen konnte. Ein bisschen lustig. Aber wenigstens hatte ich in meinem Zimmer alles in den Schrank gestopft, was irgendwie reinpasste.
,,Bin soweit, wollen wir?", rief ich laut durch die Wohnung, als ich mir Portmonee und Schlüssel in die Jacke stopfte. Ein Blick aus dem Fenster bewies, dass der Himmel zwar wolkenverhangen war, es aber jetzt trotzdem endlich trocken zu sein schien. Glück gehabt.
,,Klar." Harry schlenderte zurück in den Flur und schlüpfte in seine eigenen Schuhe.
,,Ihr habt es echt schön hier. Auch wenn mir all das Unizeugs in euren Zimmer Angst macht...wie könnt ihr nicht dauerhaft unter Anspannung und Stress stehen?", fragte er währenddessen.
,,Tu ich doch. Von Montag bis Freitag. Dann versuche ich alles an mir abprallen zu lassen. Das Studium ist super anstrengend und ich weiß manchmal nicht, wieso der verdammte Tag nur vierundzwanzig Stunden hat, aber am Wochenende weigert sich mein Kopf einfach, auch nur an die nächste Woche zu denken. Klar, lernen geht und so, aber ich bin nicht halb so krass drauf wie all die anderen in meinem Studiengang.", erklärte ich und schob im selben Atemzug die Tatsache von mir, dass in zwei Wochen schon wieder zwei Testate anstanden. Für die würde ich ab morgen büffeln. Nicht heute. Heute war ich mit Haz unterwegs. Die Zeit war auch definitiv gut investiert.
,,Wie schaffst du das?" Harrys Augen waren groß. Naja, vielleicht war meine Art der Ignoranz nicht grade die Beste.
,,Weiß nicht.", gab ich ehrlich zu.
,,Indem er sich am Wochenende mit allem möglichen Kram ablenkt und mich nervt.", klinkte sich Franzi ein und grinste breit, als ich vor Empörung den Mund öffnete.
,,Ist nicht so, als wären unsere Taktiken nicht ziemlich ähnlich! Und außerdem nervst du mich, nicht ich dich!", wehte ich mich gegen ihre Anschuldigung.
Harry lachte und sein Blick wanderte zwischen uns hin und her.
,,Ich hab euch beiden vermisst."
,,Unsere Zickereien? Bist du sicher?", hakte meine Mitbewohnerin gespielt skeptisch nach und zwinkerte mir zu.
,,Auch. Ja, auch. Ihr seid einfach unverbesserlich." Harry grinste und ich überspielte die Wärme, die das Gespräch mir in die Wangen trieb, indem ich die Wohnungstür aufriss und die Hände in den Jackentaschen versenkte.
,,Wollen wir los, Haz?"
,,Klar. Bis dann, Franzi!", erwiderte mein bester Freund und drückte die Rothaarige noch kurz, bevor er zu mir ins Treppenhaus trat und ich die Tür hinter uns in Schloss fallen ließ. Dann mal ab an die Themse.
——————————————————
Die Zeit spielte ein klein wenig verrückt, als Harry und ich am Ufer des großen Flusses entlang spazierten. Immer wieder fühlte es sich so an, als wären wir wieder in der Nacht nach seinem Geburtstag, in der Nacht, in der wir von der Party geflohen und einfach nur wir zwei gewesen waren. Nur für einen Moment.
Auch wenn die Sonne heute ihr schwaches Licht über die Stadt warf und weder Sterne, noch der Mond auftauchten, so riss derselbe unbarmherzige Wind wie damals an meiner Jacke und an Harrys Haaren, als wolle er uns dazu bewegen, die andere Richtung einzuschlagen. Die Wogen des Wassers zu unserer Linken schlugen ungleichmäßig gegen das steinige Ufer und die Tower Bridge wurde mit jedem unserer Schritte ein klein wenig größer, auch wenn wir sie vermutlich erst in einiger Zeit erreichen würden.
Wie damals hüllten Harry und ich uns in ein angenehmes Schweigen.
Ich musste daran denken, was mir in dieser Nacht vor so langer Zeit alles bewusst geworden war. Dass ich nicht wie Derek sein wollte, zum Beispiel. Dass ich Harry nicht mit meinen Gefühlen erdrücken wollte, sondern sein bester Freund sein würde. Und dass ich ihn nicht verlieren wollte, niemals, auch wenn das bedeutete, dass wir für immer bloß Freunde sein würden.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Hatte ich mich daran gehalten? War ich so für ihn da gewesen, wie er es gebraucht hätte?
Ich wusste es nicht. Ich hatte es versucht, ja. Aber war das genug gewesen? War Harrys Herz noch immer gebrochen?
,,Worüber denkst du nach, Lou?", riss Haz mich aus meinen Gedanken und ich warf ihm einen Blick zu. Seine Wangen waren rosig und vom Wind entführte Strähnen klebten ihm auf der Stirn, aber seine Schönheit war trotzdem umwerfend. Ich löste die Augen von ihm und musterte das dunkle Wasser der Themse, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt als den verschmutzten Fluss.
,,Nichts Bestimmtes."
,,Du siehst so ernst aus. Magst du drüber reden?", hakte Harry nach und ich hörte jetzt schon die Sorge in seiner Stimme. Dabei machte ich mir grade Sorgen um ihn. Wir waren vielleicht ein Gespann.
Ich zögerte. Ich wollte das Thema eigentlich nicht anschneiden. Ich wollte nicht mit Harry darüber reden, wie er heute über Derek und alles, was passiert war, dachte oder wie es heute mit den Panikattacken aussah. Wann immer ich in der Vergangenheit diese Themen angeschnitten hatte, ob nun wegen der Distanz über das Telefon oder während seines Abschlussjahrs von Angesicht zu Angesicht, war er entweder ausweichend geworden oder wütend. Und ich konnte es ihm auch irgendwie nicht verdenken.
Heute war ich eigentlich selbstsüchtig gestimmt. Ich wollte die Stimmung nicht vermiesen, den Tag nicht zerstören, bevor er überhaupt begonnen hatte und ich wollte keine unschönen Erinnerungen wecken, während wir eigentlich auf der Suche nach den Guten waren.
,,Weißt du noch, als ich dir erzählt habe, dass ich Medizin studieren will?", sagte ich also stattdessen und blickte weiter aufs Wasser hinaus.
,,Klar. Das war an meinem Geburtstag, nicht? Ein Stück weiter Flussaufwärts." Harry klang verwundert. Komischer Themenwechsel, aber er akzeptierte ihn.
,,Du hast damals gesagt, dass du Angst vor der Zukunft hast.", erinnerte ich mich weiter und wieder tauchte in meinem Kopf ein Bild der Vergangenheit auf. Harry und ich, auf der zerschrammten Holzbank an der Tower Bridge. Ich hatte seine Hand genommen, als er das gesagt hatte. Ich habe Angst vor der Zukunft, Louis.
,,Und du hast gesagt, dass wir, egal was passiert, Freunde bleiben werden. Ich weiß." Harry wurde leiser, auch er schien in Erinnerungen zu versinken. Ich hoffte, dass es so Schöne waren wie meine. Unsere Gespräche in dieser Nacht waren nicht grade leicht gewesen.
,,Hast du immer noch Angst?", fragte ich.
,,Vor dem Studium?"
,,Vor der Zukunft, generell. Macht es dir Angst, nicht zu wissen, was kommt?"
Harry schien zu überlegen, seine Miene wurde nachdenklich und ich betrachtete ihn aus den Augenwinkeln, während ich meine Jacke enger um meinen Körper schlang. Heute war das Wetter wirklich nicht grade unser Freund.
,,Ich weiß nicht. Nicht mehr so viel wie damals, glaube ich. Ich habe einen Plan. Ich habe ein Leben. Ich...natürlich habe ich ein bisschen Angst, aber wer hat das nicht?", antwortete Haz dann und er klang fast zuversichtlich. Ich lächelte. Das war doch schon mal was Gutes.
,,Da hast du recht, die Angst kenne ich auch. Also...freust du dich auf das Studium? Bist du glücklich?", hakte ich weiter nach und Harry seufzte leise.
,,Ja. Manchester hat mir gut getan, denke ich. Und jetzt wieder hier zu sein ist wunderschön. Ich bin froh, dass ich die Chance habe, das zu studieren, was mich interessiert und dass ich mit Freunden zusammenleben und Zeit verbringen kann. Und das alles in der schönsten Stadt, die ich mir vorstellen kann. Gut, vielleicht nicht unbedingt schön."
Dass Harry das wirklich meinte, bezweifelte ich nicht. Und es erfüllte mich mit Wärme, diese Worte aus seinem Mund zu hören. Das bedeutete mir viel.
Aber trotzdem musste ich an die Vergangenheit denken. Harry, wie er in diesem verdammten weißen Krankenhausbett lag, wie er nach der Trennung von Derek wochenlang jede Nacht so sehr weinte, dass ich ihn durch die Wände hören konnte und wie er panisch nach Luft ringend im Dunkeln stand und nicht wusste, wo oben und unten war.
Ich wusste nicht, wie es in Harry aussah und ich wollte, dass er sich mir öffnete. Aber heute schien nicht der Tag dafür zu sein. Mein bester Freund sagte, dass er glücklich sei. Und grade spazierten wir gemeinsam an der Themse entlang und genossen es, endlich wieder beisammen zu sein.
Meine Selbstsucht meldete sich. Ich wollte jetzt nicht die dunklen Schatten ansprechen, die da in meinem Hinterkopf lauerten. Ich wollte einen schönen Tag mit Haz verbringen, die Stadt unsicher machen und unendlich viel Lachen.
,,Das ist schön, Sun. Hast du Lust, ein bisschen querfeldein zu gehen?", war also das Einzige, was ich sagte, bevor ich nach seinem begeisterten Nicken Harrys Arm griff und ihn vom Ufer fort und in die Stadt hinein führte.
Der Tag würde schön werden.
——————————————————
Die Vergangenheit existiert also noch.
Glaubt ihr, Haz ist wirklich absolut glücklich und Louis macht sich unnötig Gedanken?
Erinnert ihr euch noch an Old Friends?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top