31. Hirngespinste

Und Haz. Wie geht es euch? Danke, dass ihr noch hier seid, auch wenn es so unregelmäßig ist. Entschuldigung nochmal! Ich gebe mein Bestes.
Your addictive heart

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Pov Harry

Ellen war der festen Überzeugung, dass Louis in mich verliebt war.

Ich hatte keine Ahnung, wie sie darauf kam, aber in unserer Zeit als Mitbewohner hatte sie zahlreiche Telefonate mit anhören müssen, unfreiwillig Nachrichten gelesen und die Post gesehen, die ich bekam. Und nur nach wenigen Monaten hatte sie mir verkündet, dass Louis eindeutig auf mich stand. Mitsamt Vorstellung ihrer Beweislage.

Ihre Beweislage war allerdings echt dürftig. Dass Louis sich mir gegenüber anders verhielt als dem Rest unserer Freunde oder dass er mir meistens unangefochtene Priorität einräumte, hatte ich auch so schon gewusst. Und das lang weniger an Verliebtheit, als an der Tatsache, dass wir quasi als Brüder aufgewachsen waren. Und dass ich nunmal der Jüngste von uns war und Louis den größten Beschützerinstinkt der Gruppe besaß. Und sein Hass gegenüber Derek war nicht wie Ellen behauptete Eifersucht, sondern gründete darauf, dass beide sowieso schon im Streit lagen, als herauskam, dass Derek mich verletze. Natürlich war Louis nicht gut auf meinen Exfreund zu sprechen. Das wusste Ellen aber natürlich nicht. Und deswegen war ihr Wissensstand ja auch unvollständig und ebenso dürftig wie ihre Beweislage. Sie hatte Louis ja nichtmal getroffen, Videochats zählten nicht.

Trotzdem musste ich an ihre Worte denken, als Louis und ich gemeinsam in der Dunkelheit lagen und uns wegen der Enge meines Bettes kaum ein paar Zentimeter trennten. Ich hatte mich geweigert, Louis auf dem Boden schlafen zu lassen. War ja nicht so, als würden wir uns zum ersten Mal ein Bett teilen.

Irgendwie fühlte es sich trotzdem anders an. Und das gefiel mir absolut gar nicht. Ich war müde, meine Kopfschmerzen pochten irgendwo hinter meinen Schläfen und die Erschöpfung lockerte meine Muskeln, aber der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Das irre Gefühl in meinem Magen lenkte mich zu sehr ab.

Ich seufzte leise. Ich wusste ganz genau, dass eine einzige meiner Schlaftabletten das Problem lösen würde. Aber Louis durfte nicht wissen, dass ich die nahm. Oder dass ich das andere Zeug nahm, was Jacob mir besorgte. Er würde ziemlich sicher nicht verstehen können, dass mir die Teile einfach nur ein bisschen unter die Arme griffen. Er würde denken, ich hätte mich in eine Abhängigkeit gestürzt, was definitiv nicht so war. Definitiv nicht.

Ich wusste, wie sich Abhängige verhielten. Dank Derek war mir durchaus bewusst, was Drogen anrichten konnten. Aber die nahm ich auch nicht. Ein paar Beruhigungspillen waren was anderes. Medikamente.

Ich wälzte mich auf die Seite, balancierte vorsichtig auf der Bettkante. Schwarze Flecken flimmerten vor meinen Augen und ich stieß langsam und kontrolliert die Luft aus. Vielleicht könnte ich es doch zum tausendsten Mal mit Schäfenzählen probieren. Oder aufgeben und nach meinem Handy greifen. Oder...

,,Kannst du nicht schlafen?" Louis Atem brannte in meinem Nacken. Ich zuckte zusammen.
,,Wieso bist du wach?"
,,Ich hab dich zuerst gefragt.", flüsterte Louis und ich hörte die Decke rascheln, die er von Zayn bekommen hatte. Warum auch immer der zwei Bettdecken besaß.

,,Irgendwie kommt der Schlaf nicht.", murmelte ich eine Antwort ohne mich umzudrehen. Im Dunklen konnte ich ja ohnehin kaum etwas erkennen, dann konnte ich auch gleich liegen bleiben.

,,Wieso nicht?"
,,Weiß nicht."

Louis schwieg eine Sekunde. Dann verlagerte er scheinbar sein Gewicht, die Matratze bebte ein wenig. Ich hielt kurz die Luft an, irgendetwas brodelte in mir. Dann war es wieder still.

,,Willst du reden?", wisperte Louis leise und ich schloss die Augen. Wärme durchrang meinen Körper.

,,Ich weiß nicht worüber. Es ist ja eigentlich nichts, ich kann nur nicht...einschlafen."
Ich hörte Louis Frage, ohne das er sie stellte. Kommt das öfter vor? So wie bei den Panikattacken machte er sich Sorgen um mich. Er ist in dich verliebt. Nein. Louis war nur fürsorglich. Manchmal ein bisschen zu sehr. Wir waren keine Kinder mehr. Das sagte zumindest das arme Bett, das definitiv nicht für zwei erwachsene Männer ausgelegt war.

Aber Louis stellte die Frage nicht, er schien sie herunter zu schlucken. Warum? Keine Ahnung. Ich hatte das Gefühl, Louis wäre ein wenig gewachsen, geistig. Er hatte noch nicht einmal mit einem Mord an Nick oder Derek gedroht, seit er hier war. Und ich wusste, dass er seine Wut ganz schön weit hinunter schluckte. Vielleicht kam Louis inzwischen mit dem Zorn in ihm klar. Ich würde es ihm wünschen.

Vielleicht wünschte ich es mir auch für mich.

,,Ich kann auch nicht einschlafen.", gestand Louis leise und überraschte mich damit. ,,Ich weiß auch nicht, die Gedanken drehen sich einfach ein schnell, um sie überhaupt zu greifen."

,,Kommt mir bekannt vor.", flüsterte ich zurück. ,,Möchtest du denn darüber reden?"

Louis seufzte und ich hielt wieder die Luft an. Vertraute Louis mir eigentlich noch so, wie er es mal getan hatte? Ich war lange Zeit fort gewesen, ich hatte mich als nicht ganz so heile gezeigt, wie ich gerne wäre. Vertraute er mir seine Sorgen noch an oder dachte er, ich könnte sie nicht für ihn tragen?

,,Weißt du", setzte mein bester Freund an, ,,manchmal erscheint mir alles einfach sehr unfair."

,,Wie meinst du das?" Ich atmete.

,,Naja..." Er stockte, räusperte sich. Dann raschelte es wieder kurz, er hatte sich auf den Rücken gedreht, um die Decke anzustarren. Ich lauschte in die Dunkelheit.

,,Keiner von uns hat ein wirklich einfaches Leben, oder? Ganz schön viel Mist, der sich da stapelt. Manchmal frage ich mir, warum das nicht alles gleich aufgeteilt ist, warum manche Menschen viel mehr ertragen müssen als andere." Er klang fast ein bisschen resigniert. Oder erschöpft. Unruhig wackelte ich mit den Zehen, suchte nach einer Antwort. Mir fiel nur eine von Pinterest ein.

,,Manche Menschen können eben mehr ertragen als andere, die an deren Last brechen würden."
,,Da ist nicht fair.", beharrte Louis weiter. ,,Nur weil jemand stark ist, muss er ja nicht mehr leiden müssen."

Darauf gab es keine Antwort, also schwieg ich. Warum dachte Louis grade jetzt an sowas? Unfair. Das Leben war nun mal nicht fair, das hatte ich schon früh verstanden. Manche Menschen wuchsen in großen Einfamilienhäusern auf, umsorgt und geliebt, ohne jegliche Sorgen die über einen kleinen Streit unter Geschwistern hinausgingen. Und andere lebten in kleinsten Wohnungen, auf sich alleingestellt, fernab von Liebe, Geld oder Geborgenheit. Die Umstände, in die man hinein geborgen wurde, waren nicht fair. Aber damit musste man leben lernen.

Oder eben nicht.

Louis war geliebt aufgewachsen, wenn auch nicht reich. Und die Aufmerksamkeit seiner Mutter hatte er stets mit anderen geteilt. Sehnte er sich nach mehr? Oder was fand er in seinem Leben grade nicht fair, was konnte er nicht ertragen? War das Studium doch nicht so gut, wie er sagte, war es zu viel? Störte ihn seine WG, vermisste er seine Familie? Wollte er...was wollte Louis? Wonach sehnte er sich, konnte es aber nicht bekommen, weil das Leben unfair war? Und was erlitt er, das ich nicht sehen konnte?

Ich schluckte. Irgendwie war mir nicht so richtig klar, wovon Louis sprach. Und das tat ein bisschen weh. Wenn Louis zu kämpfen hatte, sollte ich das wissen. Und ihm helfen.

,,Welchen Mist würdest du denn gerne loswerden?", fragte ich leise. Kurz dachte ich, Louis wäre eingeschlafen, dann regte er sich. Er kleines Seufzen, dann seine Stimme, die die Stille durchdrang.

,,Naja..." Er räusperte sich. ,,Ich bin ein bisschen einsam."

Ich schluckte. Einsam. Wie meinte er das? Einsam. Er lebte nicht allein, sondern mit einer guten Freundin. Er hatte Liam, er hatte Niall, Emma, Nils, Zayn, mich. Seine Familie. Sicher auch Kommilitonen, wenn das zählte. Aber das war wohl nicht das einsam, was Louis meinte.
Einsam bedeutete nicht allein. Und ein Menschen mit vielen Freunden konnte trotzdem einsam sein, wenn er niemanden hatte, der ihn an oberste Stelle setzte. Nochmal Pinterest, aber Pinterest hatte auch gerne mal recht.

,,Du wünschst dir eine Beziehung?", hakte ich vorsichtig nach. Gleichzeitig wusste ich nicht, was ich darüber denken oder wie ich fühlen sollte. Sollte ich überhaupt etwas anderes als den Wunsch in mir haben, dass Louis glücklich war? Und jemanden bekam, der ihn liebte, wie er es sich wünschte?

,,Ich...." Louis schien nicht ganz zu wissen, was die Antwort war. Er stammelte ein bisschen herum, Sekunden, in denen sich die Gefühlsspirale in meiner Brust drehte, unfähig, mir ein Gefühl zu liefern, das ich benennen konnte. Frustriert kniff ich die Augen zusammen. Atmen nicht vergessen.

,,Irgendwie schon. Weniger unbedingt eine Beziehung, einfach...Liebe?" Er klang schüchtern, beinahe kleinlaut. Als wäre das zu viel verlangt. Dabei war es das doch gar nicht.

Ich kannte das Gefühl, unbedingt Liebe zu brauchen. Ich hatte nicht grundlos zu viele zu kurze zu oberflächliche Beziehungen geführt und verzweifelt nach jedem Strohhalm Liebe gegriffen, der mir gereicht wurde. Ich hatte Dereks Gewalt vielleicht nicht als Gewalt erkannt, aber auch das war teilweise Schuld meiner Liebe zu ihm und dem Wunsch, seine Liebe zu behalten. Und Dereks Liebe war groß gewesen, so groß, dass es zu viel für ihn geworden war. Aber für mich war sie lange Zeit das Paradies gewesen.

Jetzt war das anders. Zwei Jahre ohne Beziehung. Ich wollte nicht behaupten, dass ich gelernt hatte, das Bedürfnis nach Liebe zu bändigen, aber ich hatte verstanden, dass nicht alle Liebe gut war. Und die, die ich brauchte. Die, die das Loch in meiner Brust schließen konnte.

Louis wollte Liebe. Hatte er auch eine Leere in sich, die er füllen musste? Ich hoffte von ganzem Herzen, dass das nicht so war. Das wäre nichts, was Louis verdiente. Er sollte die Liebe finden, die er brauchte, die richtige, grenzenlose, schmerzlose, echte Liebe. Nicht die falsche, dunkle Version. Er sollte nicht einsam sein. Auch wenn irgendetwas in mir verzweifelt aufbrüllte. Was auch immer das war. Die Gefühlsspirale blieb ein Chaos.

,,Fühlst du dich manchmal leer, weil niemand da ist, der dir die Liebe gibt, die du meinst?", wisperte ich ins finstere Schlafzimmer und hielt die Luft an, um Louis Antwort ja nicht zu überhören. Dass er romantische Liebe meinte und nicht die freundschaftliche, familiäre Familie, die er schon besaß, war wohl klar.

,,Leer?" Louis hielt inne. Vielleicht hatte er auch eine Gefühlsspirale in der Brust, die ihm noch nicht gezeigt hatte, was er da wirklich fühlte. Ob da eine Leere war oder nicht.

,,Nicht wirklich leer.", erklärte er dann leise und ich stieß den Luftzug aus. ,,Eher...sehnsüchtig, würde ich sagen. Als würde mir etwas fehlen, aber es ist dort irgendwo. Ich muss es nur..." Wieder stockte er.

,,Finden?", schlug ich vor. Louis brummte unzufrieden.
,,Nein, nicht finden. Ich weiß, wo es ist, was es ist. Aber es funktioniert nicht? Ich muss es noch aktivieren, reparieren?" Die Worte schienen ihn nicht zufrieden zu stellen und ich verstand nicht ganz, wovon Louis sprach. Aber das, was zählte, war, dass da keine große Leere in Louis Brust hockte, die er verzweifelt füllen wollte. Das war gut. Sehr gut sogar.

,,Hmm", summte ich unverbindlich, unsicher, was ich sagen sollte. Louis seufzte tief.

,,Sorry, ich kann's nicht erklären. Aber ich wollte auch nicht jammern. Ich hab ein gutes Leben, ich bin nicht der mit der ganzen Last, Haz."

Ich rollte mich jetzt doch herum, wenn auch nur auf den Rücken, um wie er die Decke anzustarren. Louis spielte auf mich an, oder? Meine Last? Dabei kannte er die gar nicht so genau, wie er vielleicht dachte. Aber das konnte ich ihm genauso wenig übel nehmen wie ich Ellen übel nehmen konnte, dass sie ohne Hintergrundwissen über Louis Gefühle sprach - ich hatte mich ihnen schließlich nie ganz anvertraut.

Manchmal dachte ich, dass das ein Fehler gewesen war. Dann dachte ich daran, was passiert war, sobald es jemand heraus gefunden hatte. Im Grunde nichts Gutes. Also war es vielleicht das Richtige, die Vergangenheit einfach schlafen zu lassen. Und zu Vergessen, soweit das ging. Wo wir wieder da wären, wo die Medikamente weniger Droge als Hilfestellung waren. Was Louis nicht verstehen konnte. Der Hund biss sich in den Schwanz.

Hund. Ich hätte gerne einen Hund. Ein kleines Grinsen flackerte über mein Gesicht, so dämlich das auch war.

,,Sorry", murmelte Louis in die Dunkelheit und ich brachte eine Sekunde, um unser Gespräch wieder zu finden. Last. Ich war der mit der Last, die Louis unfair fand.

,,Es ist einfach nur so, dass ich mir Sorgen um dich mache, Harry. Aber das ist nicht deine Schuld oder dein Problem. Du musst einfach wissen, dass ich da bin.", führte Louis fort und ich merkte, wie mein Herz anschwoll und die Wärme intensiver wurde.
Louis war gewachsen, zumindest ein Stück. Und das war ein gutes, notwendiges Stück gewesen.

,,Danke, Lou.", wisperte ich zurück, ohne ihm ins Gesicht sehen zu können oder zu müssen. Ein Hand tastete über die Bettdecken und ich entwirrte meine, um sie zu greifen. Warm verschränkte Louis unsere Finger.

,,Alles, was du brauchst, Haz.", antwortete er mit einer Sanftheit in der Stimme, die mich lächeln ließ. ,,Du musst nur darum bitten."

Er ist in dich verliebt. Ellens Stimme ging mir nicht mehr aus dem Kopf, genauso wenig wie ihr Gesicht, als sie mir diese Worte über ein Glas billigen Wein hinweg verkündete. So unfassbar mitleidig, als sie über Louis sprach. Als würde ich ihm wehtun, ihm das Herz brechen, jeden Tag aufs Neue, den wir zusammen verbrachten. Ellen hatte mir damit ein wenig Angst gemacht, auch wenn ich wusste, dass an ihrer seltsamen Theorie nichts dran war. Sie kannte nicht alle Puzzleteile des ganzen Bildes, natürlich kam sie zum falschen Schluss.

Ich drückte Louis Hand und stellte mir vor, alles wäre anders gekommen. Vielleicht gab es ja ein Universum, in dem wir nicht nur beste Freunde waren. Eine sehr seltsame Vorstellung. Louis als Freund. Mir fielen die Augen zu. Hirngespinste. Aber beruhigende Hirngespinste, die mich dazu brachten, endlich das Land der Wachen zu verlassen, endlich den Schlaf meinen Geist vernebeln zu spüren.

Im Endeffekt zählte doch nur, dass wir einander hatten. Und dass Louis einsam war und Liebe finden musste. Vielleicht könnte ich ihm ja dabei helfen.

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Hehe

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