28. Was für eine Begegnung
Ein kleiner Zeithüpfer zurück zu dem Moment, an dem Zayn und Harry Derek gegenüberstehen. Wieso ich die Kapitel so herum geordnet habe? Darum.
Wie geht es euch? Wenn ihr reden wollt, bin ich immer da (:
You don't have to be sorry
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Pov Harry
Ich hatte diese schwarzen Augen schon so lange nicht mehr gesehen, dass ich langsam gedacht hatte, ich hätte mir damals nur eingebildet, dass man darin tatsächlich ertrinken konnte. Ertrinken, als wäre einem ein Stein an den Fuß gekettet worden, bevor man im Fluss landete.
Eingebildet hatte ich mir das nicht, auch wenn ich es mir wünschte, sobald ich Derek ins Gesicht starrte. Sofort war da nichts anderes mehr als seine dunklen Augen, nichts anderes als die Überraschung in seinem Blick. Wenigstens teilten wir zumindest etwas. Und gemeinsam hatten wir auch, dass es uns scheinbar beiden die Sprache verschlagen hatte, Stille drückte auf meine Ohren und ich starrte nur stumm in diese Augen. Dass Zayn hinter mir und die Frau neben Derek auch noch existierten, trat in den Hintergrund. Ebenso Nick, der sich wahrscheinlich grade ins Fäustchen lachte.
Für einen Moment vergaß ich zu atmen, dann war da wieder Luft in meiner Lunge und ich japste. Das Geräusch schien Zayn aus seiner Starre zu reißen, denn im nächsten Moment schob er sich an mir vorbei und blockierte mit seinem Rücken meinen Blick auf Derek. Oder Dereks Blick auf mich, wie auch immer.
,,Was machst du denn hier?" Zayn klang weniger überrascht als wütend.
,,Ich...", Derek stockte. Ich schluckte.
,,Wir sind hier, weil Derek als Notfallkontakt von Nick eingetragen ist. Er wurde angerufen und da sind wir vorbeigekommen, um nach ihm zu sehen, es klang ja so, als wäre ihm etwas...zugestoßen." Das war die Stimme von Dereks Mutter, sie klang beinah entschuldigend. Ich machte einen Schritt zur Seite, um nicht völlig hinter Zayn zu verschwinden, auch wenn es eine liebe Geste von ihm gewesen war.
Tatsächlich, Dereks Mom sah aus wie immer. Es war bestimmt fast drei Jahre her, dass ich sie das letzte Mal gesehen hatte, aber der freundlich distanzierte Blick in ihren runden Augen und das etwas kühl wirkende Lächeln auf ihren Lippen waren keinen Tag gealtert. Wenn ich nicht in diesem Krankenhaus stünde, könnte ich auch in Dereks Elternhaus sein. Oder in der Schule, an einem Tag der offnen Tür mit Elternbesuchen. Ich zuckte zusammen. Nick hinter der Tür in meinem Rücken machte die Vorstellung nicht besser. Ich hatte definitiv grade nicht genug Luft, um mich in meine Kindheit zurückzuversetzen.
,,Harry ist Nicks Notfallkontakt, er wurde angerufen.", kommentierte Zayn trocken, er bekam von meinen aufgewühlten Gefühlen und Gedanken wenig mit. Oder eben doch und er rückte grade deswegen noch ein Stück an mich heran.
Ich dachte an die Rezeptionistin zurück. Sie hatte am Telefon darüber gesprochen, dass sie die Notfallkontakte kontaktiert hatte. Plural. Vielleicht hatte ich damit rechnen sollen, Derek hier anzutreffen. Denn selbst wenn die beiden eine wahnsinnig seltsame Beziehung hatten und sich mehr hassten als liebten, wen sollte Nick sonst angegeben haben? Unsere Eltern? Auf keinen Fall.
,,Sieht so aus, als hätte der Junge zwei angegeben. Wie geht es Nick denn?", erkundigte sich Georgina und richtete ihre Worte eindeutig an mich. Ich musste erneut schlucken, bevor ich mir räusperte und Zayn anstupste, damit er mich reden ließ. Dass ich dankbar für seine reine Präsenz war, würde ich ihm später sagen.
,,Nicht zu schlecht. Gehirnerschütterung, gegipster Arm. Er ist wieder bei Bewusstsein." Mehr konnte ich nicht hervor würgen, aber Georgina schien das zu reichen, ihre Augen leuchten auf, als sie meine Stimme hörte. Oder ich bildete mir das ein. Ich war grade nicht wirklich auf der Höhe, ich zitterte immer noch wie Espenlaub.
,,Das sind gute Neuigkeiten, nicht wahr, Derek?" Sie wandte sich an ihren Sohn, ihr Blick wurde hart. Ich sah bewusst nicht zu ihm hinüber, auch wenn ich seinen Blick spürte.
,,Ja. Einfach hervorragend." Die Bitterkeit hätte ich auch gehört, hätte er sie nicht so betont.
,,Wir würden dann jetzt auch verschwinden, Sie können ja jetzt rein gehen.", erklärte Zayn Georgina und schob mir ein Stück nach links Richtung Treppenhaus. Schon wieder war ich ihm dankbar, ohne Zayn stünde ich morgen noch hier, so festgewachsen fühlte ich mich im Moment. Es war irgendwie unglaublich, diese beiden hier im Krankenhaus zu sehen. Weder Dereks dunkle Augen und kantige Gesichtszüge noch Georginas weiße Designerhandtasche und Lächeln passten hier her.
,,Eigentlich", räusperte sich Dereks Mom und stand langsam auf, ,,würde ich gerne kurz mit dir sprechen Harry." Sie sah mich an, dann legte sie ihrem Sohn eine Hand auf die Schulter. ,,Du gehst schonmal zu Nick rein. Aber keinen Streit anfangen."
Ich schluckte, weil ich das irgendwie nicht gedacht hatte. Sicher, von Derek hätte ich sowas erwartet, aber nicht, dass Georgina irgendetwas mit dem Exfreund ihres Sohnes zu besprechen hätte. Im Krankenhaus. Während sie ihren Sohn herumkommandierte, als wäre er nicht längst Mitte Zwanzig und so unabhängig, wie man sein konnte.
,,Ich denke nicht, dass...", setzte Zayn an, aber ich fiel ihm ins Wort.
,,Okay."
Nicht nur Zayn starrte mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle, auch Derek hatte die Augen weit aufgerissen. Als er aufstand, musste ich alles in mir stählern, um nicht zurück zu weichen. Ich spürte, wie sich meine Gesichtszüge verschoben.
,,Du musst nicht mit ihr reden Harry, niemand...", setzte Zayn an, leise flüsternd. Ich flüsterte zurück.
,,Niemand erwartet das, ich weiß. Aber ich will wissen, worum es geht. Und...vor ihr habe ich auch keine Angst." Dass ich vor Derek sehr wohl Angst hatte, wusste Zayn nur zu gut, ich musste es nicht aussprechen.
,,Das freut mich, Harry, wirklich!", lächelte Georgina und trat einen Schritt zur Seite, fort von Derek, bevor sie die Hand nach mir ausstreckte, um mich aufzufordern, zu ihr zu kommen. Ich blinzelte zu Derek hinüber. Er fand meinen Blick, sein Gesicht wurde unlesbar und er machte einen weiteren Schritt fort von seiner Mutter. Ich schluckte, dann senkte ich meinen Blick auf meine Füße, bevor ich Georginas Aufforderung folgte. Zayn zischte leise, vielleicht fluchte er auch, dann machte er die Tür zu Nicks Zimmer frei und bedeutete Derek mit einer fahrigen Handbewegung, er solle eintreten.
,,Könnten wir unter vier Augen sprechen?", fragte Georgina sanft, sobald Derek durch die Tür gegangen war und meine Schultern etwas an Anspannung verloren. Wieder richtete sie ihre Worte mehr an mich, als an Zayn, der schnaubte und mich anstieß.
,,Wie du es möchtest, Haz, wirklich, denk an dich." Er klang ein bisschen flehentlich. Ich würde ihn gerne anlächeln, aber es kam nur ein seltsamer Blick dabei herum.
,,Ist schon okay." Okay, immer wieder okay. Gut passte in dem Zusammenhang irgendwie grade nicht, auch wenn ich wusste, dass Ellen jetzt sagen würde, okay wäre höchstens eine vier, eher eine drei. Gut musste über fünf sein. Sie und ihre blöden Skalen.
Zayn sagte nichts mehr, er zog sich ein paar Schritte zurück und lehnte sich neben die Tür zu Nicks Zimmer an die Wand. Seinen Blick auf mir spürte ich trotzdem weiterhin, auch als Georgina mich an den Stühlen, auf denen sie mit Derek gesessen hatte, vorbeiführte und mir einen der Sessel vor dem Fenster im Aufenthaltsbereich der Station anbot. Ich setzte mich, lehnte mich nicht zurück und musterte das Zimmer. Ganz hübsch eigentlich. Auch wenn es mir in den Fingern juckte, das Bücherregal umzusortieren. Da schien es keine Ordnung zu geben. Ich senkte den Blick auf meine Hände. Fast hätte ich vergessen, dass sie noch immer zitterten.
,,Tut mir leid, dass ich dich so furchtbar überfalle, Harry. Nach all der Zeit.", begann Georgina damit, was auch immer sie sagen wollte, auszusprechen und ich sah sie die Beine übereinander schlagen. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte und zuckte einfach mit den Schultern. Das nahm sie wohl als Zeichen, einfach weiterzureden.
,,Bevor ich irgendetwas sage...wie geht es dir? Wir haben uns so lange nicht gesehen und naja..." Sie stockte. Vielleicht war ihr selbst bewusst, dass die Frage irgendwie seltsam war, wo wir doch grade in dem Krankenhaus saßen, indem mein Bruder lag. Nachdem ich ihren Sohn, meinen Ex, der mich misshandelt hatte, wiedergesehen hatte und die zitternden Hände verkrampft aneinander drückte. Ich zuckte mit den Achseln.
,,Gut, denke ich." Sie sah aus, als wünschte sie, ich würde mehr sagen, aber ich verspürte nicht wirklich das Bedürfnis ausgerechnet ihr mein Herz auszuschütten. Und mein Hals fühlte sich ganz schön zugeschnürt an.
,,Hm. Okay, aber wenn dem nicht so wäre, könnte ich das auch verstehen, bei dem, was du durchgemacht hast." Sie sah mich so eindringlich an, dass ich das Zusammenzucken verstecken musste. Diese Worte gefielen mir nicht. Was wusste sie, was wusste sie nicht? Hatte Derek etwas erzählt oder alles im Dunkeln gelassen? Kalter Schweiß rann mir den Rücken hinab, ich atmete betont ruhig ein und aus. Nicht gleich das Schlimmste annehmen. Hätte Derek alles verraten, würde Georgina sicher keinen Kontakt mit mir suchen, oder?
,,Wie...wie meinst du das?", stotterte ich und der mitfühlende Ausdruck auf ihrem Gesicht verbesserte gar nicht.
,,So, wie ich es gesagt habe. Du hattest weiß Gott kein einfaches Leben, Harry. Ich weiß, dass deine Mutter noch immer mit ihrer Psyche kämpft und dein Vater - " Ich unterbrach sie. ,,Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern." Das und ich will nicht über sie sprechen konnte sie sich wohl denken, zumindest sagte das ihr entschuldigendes Gesicht.
,,Ich weiß, entschuldige. Aber das macht es dir auch nicht einfacher, oder? So ganz ohne Unterstützung, sei es finanziell oder emotional - " Und wieder unterbrach ich sie, diesmal etwas lauter als zuvor, also nicht mehr flüsternd. ,,Ich komme gut über die Runden, ich brauche ihre Unterstützung nicht. Und die von Nick auch nicht, falls das deine nächste Frage war."
Ich fühlte mich ein bisschen schlecht für die groben Worte, aber so empfand ich nunmal. Ich hatte bewusst jeden Kontakt zu meinen Eltern vermieden, ich hatte lange Hilfe von Cafcass bekommen. Jetzt war diese Unterstützung zwar weggefallen - mit meinen zwanzig Jahren war ich auch nicht mehr deren Angelegenheit - aber dafür konnte ich jetzt arbeiten. Ich hatte in Manchester gearbeitet, ich tat es jetzt und ich sparte, wo es ging. Ich kam wirklich gut klar, ich brauchte niemanden, der mich finanziell unterstützte und dann anderswo ausnutzte.
Und emotionale Unterstützung hatte es von meinen Eltern nie gegeben. Dafür hatte ich die besten Freunde der Welt. Zumindest in dieser Hinsicht schien das Schicksal mich einmal belohnt zu haben.
,,Das freut mich zu hören." Jetzt lächelte Georgina schon etwas angestrengter. Langsam bekam ich eine Idee davon, worauf sie hinaus wollte, und ich konnte mir nicht auf die Zunge beißen, bevor ich es aussprach.
,,Willst du über das Konto sprechen, das Derek für mich angelegt hat? Das ganze Geld, was er mir überwiesen hat?"
Jetzt zuckte sie zusammen. Hatte ich getroffen? Ich wurde aus ihrem überraschten Gesichtsausdruck kaum schlau. Vielleicht war das ja auch nur die halbe Wahrheit. Bevor sie etwas sagen konnte, redete ich schon weiter, der Knoten in meinem Hals schien plötzlich verschwunden. Tief in mir spürte ich Wut brodeln, dunkle Wut, aber ich schob sie hinfort. Ich war so schon emotional genug.
,,Falls ja, keine Sorge, ich habe es nicht angerührt. Ich will kein Geld von ihm. Ich werde ganz sicher nicht in die nächste Falle tappen und mich wieder von ihm abhängig machen, weil ich Schulden bei ihm habe." Ich atmete aus, mein Gesicht fühlte sich heiß an. Das mit der unterdrückten Wut funktionierte wohl doch nicht so gut.
Georginas Gesicht wurde plötzlich ganz sanft, ganz vorsichtig. Sie zuckte, als wolle sie die Hand nach mir ausstrecken, überlegte es sich aber im letzten Moment anders.
,,Harry, das meinte ich gar nicht. Ich hab erst vor ein paar Wochen von allem erfahren." Sie holte tief Luft und ich rutschte doch ein Stück in den Stuhl zurück. Ich hatte das Gefühl, ich könnte die Lehne brauchen.
,,Was Derek dir angetan hat ist unverzeihlich und es tut mir wahnsinnig leid. Er ist jetzt in Therapie und er wird sich dir nie wieder nähern, wenn du das nicht willst, das verspreche ich. Das Geld hat er dir wohl aus Reue überwiesen, er war...er war ziemlich am Boden zerstört nach eurer Trennung. Trotzdem kann die Vergangenheit nicht zurückgedreht werden, er hat dich unglaublich verletzt und das kann nicht wieder gut gemacht werden. Du weißt selbst am Besten, was Derek dir angetan hat und ich würde mich gerne dafür entschuldigen, dass ich nie etwas davon mitbekommen habe."
Ich blinzelte. Die Wut verdampfte ein wenig, jetzt fühlte mich ein nur noch ein bisschen schwer. Schwerer als zuvor. ich entschied mich, nur auf den einfacheren Teil zu antworten.
,,Du musst dich für nichts entschuldigen, niemand wusste etwas."
,,Doch, muss ich. Ich hätte es wissen können, wissen sollen." Sie sah so unglücklich, für einen Moment so klein aus, dass ich fragend zu ihr aufblickte. Georgina holte zum zweiten Mal tief Luft, jetzt sah sie mir nicht mehr in die Augen.
,,Erstmal bin ich seine Mutter, ich sollte mein Kind kennen. Ihr wart bei uns zu Besuch, so oft, dich kannte ich doch auch schon länger...dass mir nie etwas aufgefallen ist, ist unverzeihlich. Im Nachhinein einfach nur...blind. Immerhin ist Derek doch sehr...herrisch. Und in Kombination mit..." Jetzt unterbrach sie sich selbst und musste innehalten, die Augen geschlossen. Ich umklammerte die Stuhllehne. ,,In Kombination damit, dass ich wusste, wie sein Vater ist, wie sein Großvater war...ich hätte es wissen müssen und dich warnen sollen, dir helfen sollen."
Ihr unglücklicher Gesichtsausdruck lenkte mich kurz von ihren Worten ab, dann riss ich die Augen auf.
,,Georgina, schlägt dein Mann dich?"
,,Nein, Harry, nein.", sagte sie zu hastig und ich sah mich. Dann zuckte sie mit den Schultern und ich sah mich nicht mehr. ,,Nicht mehr zumindest. Früher, als wir jünger waren, ist es mal vorgekommen. Ich hab mich inziwschen sehr gut mit seinem Narzissmus abgefunden, ich habe eigene Integrität, wir waren gemeinsam in Therapie. Aber Derek war das nie und das war einer meiner größten Fehler. Ich hätte eins und eins verbinden sollen, erstrecht dann, wenn ich euch beide bei mir Zuhause hatte. Rückblickend gab es so viele Hinweise..." Sie unterbrach sich selbst, ihr Blick glitt in die Ferne, als sähe sie all diese Situationen vor ihrem inneren Auge. Ich wollte sie nicht sehen, ich konzentrierte mich auf das Jetzt.
Nicht mehr, hatte Georgina gesagt. Ich glaubte es ihr, seit ich sie kannte, war sie keine Frau, der ich zugetraut hätte, dass sie sich unterbuttern ließ. Nicht wie ich. Und nicht ein einziges Mal, bei keinem Besuch war mir die Beziehung von Dereks Eltern seltsam vorgekommen. Niemals. Und sollte nicht grade ich so etwas erkannt haben? Oder wollte ich es bloß einfach nicht sehen?
Ich räusperte mich.
,,Es tut mir leid, dass du das durchmachten musstest, egal, wie lange es vielleicht her ist oder auch nicht." Ich sah sie an, sie nickte zurück. Vollkommen ernst. Nicht deutete auf eine Lüge hin, aber darin war ich auch einmal gut gewesen. ,,Jedenfalls...du musst dir keine Vorwürfe machen, Derek hat mich geschlagen, nicht du. Und ich hätte mir helfen sollen, nicht du, du bist seine Mutter, du liebst ihn, natürlich denkt man da nicht an sowas."
,,Ich liebe ihn immer noch." Sie hatte Tränen in den Augen.
,,Und das ist doch vollkommen normal. Ich hoffe, dass es Derek besser gehen wird. In Zukunft. Aber ich möchte nicht mehr in dieser Zukunft sein. Also...wenn du wolltest, dass ich dir vergebe, dann vergebe ich dir. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich an mich wenden." Wieder sah ich sie ernst an, wieder nickte sie. Ich fühlte mich ein wenig in der falschen Rolle.
,,Aber ansonsten...nur noch eins. War das Geld Schweigegeld? Möchtest du mich bitten, das Ganze unter den Teppich zu kehren?"
Georginas Gesichtsmuskeln zuckten und ich spürte meinen Magen rumoren. Eigentlich wollte ich dieses Gespräch nicht mehr, schon lange nicht mehr. Führte ich es für mich oder für sie? Zayn hatte gesagt, ich solle an mich denken. Ich fühlte mich grade ziemlich stark. Hier saß ich, zitternd weil die blöden Beruhigungsmittel zuhause lagen, durcheinander, weil Nick einfach Nick gewesen war, neben der Spur, weil Derek einfach vor meinen Augen aufgetaucht war und irgendwie gleichzeitlich ängstlich und fast wütend, weil Georgina mich weiter aus meiner Comfortzone stieß, als ich es wollte.
,,Nein, war es nicht, Harry, das war nicht Dereks Idee dahinter. Er wollte...wiedergutmachen, was nicht wiedergutzumachen ist. Er möchte sich entschuldigen, Reue zeigen, aber er ist schlecht darin und er weiß, dass du nicht grade mit ihm sprechen möchtest, also das Geld. Er meinte, du brauchst es, um in Sicherheit zu bleiben." Jetzt sah sie mich ernst an und ich wich dem Blick aus. Sah so aus, als wäre Derek nicht weiter darauf eingegangen. Wenigstens etwas. Ein Haufen Steine fiel mir vom Herzen. Hätte Georgina auch noch dieses Geheimnis gewusst, wären es zu viele gewesen. Niemand durfte das jemals erfahren, drei Leute waren zwei zu viel.
,,Jedenfalls ist es kein Schweigegeld, fass das nicht so auf. Natürlich möchte ich nicht, dass Derek etwas zustößt, dass er ins Gericht muss und vielleicht ins Gefängnis, ich bin seine Mutter." Sie lächelte traurig. ,,Aber ich weiß auch zu gewissen Teilen, was dir passiert ist. Und du hast Gerechtigkeit verdient. Solltest du also eines Tages entscheiden, dass du Derek anzeigen möchtest, stünden wir vielleicht auf verschiednen Seiten im Gerichtssaal, aber ich würde dich nie auf so schmutzige Art und Weise zum Schweigen bewegen wollen. Du hast das Recht, dir Gehör zu verschaffen und auszusprechen, was du aussprechen möchtest."
Ich spürte Tränen hinter meinen Augen und schloss sie vorsichtshalber. Irgendwie tat es gut, das zu hören, auch wenn ich das Geld trotzdem niemals anrühren würde, nicht einfach so. Und ich hatte nicht vor, Derek anzuzeigen, der Gedanke einem Haufen Fremder von dem zu erzählen, was hinter geschlossenen Türen geschehen war, war so ängstigend, dass ich mich auf meine Atmung konzentrieren musste. Ich wollte die Vergangenheit vergessen, nicht wieder ans Tageslicht zerren. Aber es bedeutete mir doch etwas, grade Dereks Mutter so etwas sagen zu hören.
,,Danke, Gerogina.", sagte ich ehrlich und versuchte mich an einem kleinen Lächeln. Sie lächelte zurück, dann warf sie einen Blick auf die Uhr.
,,Ich denke, ich habe dich lange genug belastet, Harry. Entschuldige den Überfall. Ich wollte nur, dass du weißt, dass du bei uns immer willkommen sein wirst, auch wenn du keinen von uns wiedersehen willst. Wenn du etwas brauchst, melde dich, du bist nicht allein auf der Welt. Und du musst keine Angst mehr vor Derek haben, er wird dich nie wieder auch nur falsch ansehen, dafür ist gesorgt. Du kannst trotzdem zur Polizei gehen, wann du es möchtest." Sie lächelte wieder traurig, dann lehnte sie sich vor und tätschelte sanft meine Hand.
,,Und wenn du einen Therapeuten suchst - ich habe Kontakte. Du bekommst sofort einen, vergiss das Geld. Und das ist keine Bestechung, das ist ein Gefallen, den ich dir wirklich gerne machen würde."
Ich blinzelte langsam. Ich wollte keine Therapie, aber das würde ich mit ihr so wenig diskutieren wie mit meinen Freunden damals, als alles aufgeflogen war. Und dass ich weniger Angst vor Derek in Person hatte als vor dem, was er wusste und aussprechen konnte, musste sie auch nicht wissen.
,,Danke. Ich melde mich, wenn ich etwas brauche." Ich hörte die Lüge selbst, aber sie sagte nichts dazu. Trauer glitzerte in ihren Augen, aber ich glaube sie wusste, warum ich mich nicht weiter in diese Familie verstricken wollte. Auch wenn Georgina immer nett zu mir gewesen war. Jetzt grade reichte es. Alles reichte. Zumindest war atmen kein Problem.
,,Okay. Dann lasse ich dich mal wieder in Ruhe und sehe nach, ob das Krankenhauszimmer noch unversehrt geblieben ist." Sie wollte lachen und unterbrach sich dann mit einem schuldbewussten Blick. Ich zuckte mit den Schultern und blieb sitzen, als sie aufstand. Nur ihre Hand nahm ich noch kurz in meine, dann winkte ich vorsichtig und wandte die Augen ab. Der Hof vor dem Krankenhaus sah ziemlich trostlos aus, es wurde immer kühler draußen.
,,Mach es gut, Harry.", hörte ich Georgina sagen, dann war ich allein. Meine Handflächen schwitzen, ich rieb sie aneinander. Was für eine Begegnung.
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Was für eine Begegnung. Was haltet ihr von Georgina und dem, was sie gesagt hat?
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