2. Day Tripper

Aus irgendeinem Grund wollte ich bei Paul bleiben und nicht mit meinen Eltern wegfahren. Etwas hielt mich hier fest, ein Bann, dass zwischen mir und Paul hing. Wir kannten uns gerade mal zehn Minuten und ich behandelte ihn schon wie meinen engsten Freund. Ich sollte besser einen Gang zurückfahren. Wer weiß, ob Paul auch so dachte wie ich. Dies glaubte ich sogar weniger, da er diesmal nicht am Fenster hing wie vorhin. Wenn ich ganz ehrlich war, machte mich es schon etwas traurig, aber man kann schließlich nicht alles haben und er ist ja nicht mein Boyfriend oder so.

Meine Eltern kamen wenige Sekunden später die Treppe hinab. " Staarst du ihm schonwieder hinterher?", fragte mein Vater mürrisch und ging stampfend zum Auto. " Wen staart sie hinterher?". Meine Mutter wusste also noch nicht Bescheid. Dann wurde es mal Zeit, ihr die Geschichte kurz und knapp zu erklären. " Ich habe den Nachbarsjungen, Paul McCartney, kennengelernt und er hat mir geholfen, meinen Koffer hochzutragen. Dad passt es wohl nicht, dass er in meinem Zimmer war ". Mein Vater schnaubte verächtlich, als er uns dann meckernd bat, endlich ins Auto einzusteigen. Bevor wir wegfuhren, sah ich Paul hinter der Gardine seines Fensters hervorlinsen. Er zwinkerte mir zu, weswegen ich breit grinsen musste. Dann fuhr mein Vater überraschend schnell los. " Ach, jetzt reg dich doch nicht auf. Sei doch glücklich, dass sie jemanden gefunden hat, der ihrem Alter entspricht ". Das Gute war, dass meine Mutter mit dieser Sache cool umging. Naja vorerst. Noch hatte sie ihn nicht kennengelernt. Aber ich wusste selber nicht, warum mein Vater so austickt bei Paul. Er kennt ihn doch gar nicht richtig. " Hast du dir diesen Jungen mal angeguckt? Elvisfrisur, Lederjacke, totaler Macholook. Er ist kein guter Umgang für Dani. Sie brauch jemanden, der keinen schlechten Einfluss auf sie hat. Wer weiß, ob er mit Drogen handelt oder gar raucht ". Langsam wurde ich wütend. Wie konnte er nur so über Paul reden. Vom Aussehen her sieht er vielleicht etwas halbstark aus, aber im Inneren ist er ganz anders. So wie ich ihn heute kennengelernt habe, scheint er ein sehr netter Mensch zu sein. " Dad, du hast doch gar keine Ahnung. Du hast Paul doch noch gar nicht kennengelernt, wie kannst du sowas sagen? Hast du schonmal von dem Spruch gehört, dass Aussehen täuschen kann?". Mein Vater reagierte nicht auf meine Fragen und fuhr unbeirrt weiter. Meine Mum sagte ebenfalls nichts, wollte sich aus der ganzen Situation raushalten. Das sollte sie auch besser. Wer weiß, was meinem Vater noch alles für Argumente gegen Paul einfallen.

Später schlenderten wir etwas in der Innenstadt herum. Wir besuchten den Hafen, gingen etwas in der Lord Street bummeln und aßen Kuchen in einem kleinen Cafe. Unsere schlechte Laune war schnell verflogen, als wir diesen Tagestrip unternahmen. Es gab so vieles zu sehen hier in Liverpool. Allmählich vergaß ich langsam, dass ich Ausländer bin und gewöhnte mich dadran, dies als meine neue Heimat anzuerkennen. Als wir am späten Nachmittag unseren Trip beendeten und zurück zum Auto gingen, fiel mir eine kleine Gruppe von drei Jungs auf. Sie sahen ebenfalls wie Halbstarke aus und hatten den gleichen Look wie Paul. Der eine, der auf einem Stein sahs, schien der Leader zu sein. Jeder lachte über seine Witze, die für mich schon viel zu dreckig waren. Meine Eltern waren etwas weiter vorne, aber ich hatte sie noch im Blick. Die Jungsgruppe war auf der anderen Seite und als mich der Junge auf dem Stein bemerkte, drehte er seinen kompletten Kopf zu mir rüber und pfiff durch seine Zähne. Wollte der mich etwa anmachen? Mit einem Kopfnicken wollte er mich rüberlotzen, doch ich schüttelte den Kopf und wendete meinen Blick ab. " Ey, komm schon Babe. Häng doch etwas mit uns ab ". Ungern wollte ich mit diesen Halbstarken rumhängen. Der Leader schien ein ziemlicher Angeber zu sein und eine Flirtmaschine. Meine Eltern schienen die Jungs gar nicht bemerkt zu haben und gingen um die nächste Ecke, sodass ich schnell hinterhereilte, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Hinter mir hörte ich, wie jemand rannte und spürte dann Arme, die sich um meine Hüften schlang. Es war dieser Typ, der nach mir gerufen hatte. " Lauf doch nicht weg, Kleine. Vor mir brauchst du keine Angst haben ". Ich wollte mich aus seinem Griff befreien, aber gegen seine Kraft kam ich null an. Seinen Lippen fuhren meinen Nacken hinauf und durch meine langen Haare. Auf der anderen Seite hörte ich Pfiffe von den anderen Jungs. " Ich hatte gedacht, wir könnten etwas Spaß zusammen haben ", flüsterte der Junge verführerisch und drehte meinen Kopf zu sich, sodass ich direkt seine Augen sehen konnte. Sie waren ebenfalls dunkel, jedoch kleiner als Pauls Augen. Sie huschten über meinen ganzen Körper, vorallen über meine obere Hälfte und verweilten dann an meinen Lippen. Ich versuchte, mich gegen ihn zu wehren, doch es half nichts. Sein Gesicht kam meinem immer näher und ich hatte das ungute Gefühl, dass er mir meinen ersten Kuss stehlen will. Ungern wollte ich ihn verärgern, aber ich wollte mir meinen ersten Kuss noch aufsparen. Deswegen drückte ich meine Hände gegen seine Lederjacke und schaffte es so tastächlich, ihn von mich zu drücken. " Lass mich einfach, okay ", sagte ich in einem normalen Ton, ohne groß Streit anzukündigen und ging mit schnellen Schritten den Weg entlang, wo ich meine Eltern zuletzt gesehen habe. Hoffentlich warteten sie am Auto auf mich. Der Junge kam mir nicht nach, rief auch nicht weiter nach mir. Dafür, dass er so ein großer Halbstarke war, hat er genug Grips im Kopf, um die einfachsten Sachen zu verstehen. Wer weiß, was mit mir passiert wäre, hätte ich mich nicht gewehrt. Ich alleine unter drei Jungs, das wäre auf keinen Fall gut gegangen. Für mich zumindest nicht.

Meine Eltern standen wartend am Auto. " Wo warst du denn?", fragte meine Mutter besorgt und musterte mich. " Ich..wurde nur kurz aufgehalten ". Mehr wollte und konnte ich nicht sagen. Hätte ich ausgeplaudert, was dieser Junge mit mir gemacht hätte, wäre mein Vater sofort umgekehrt und hätte ihm sämtliche Knochen gebrochen. " Okay..". Mehr sagten meine Eltern nicht, war auch besser so. Wir fuhren also wieder nachhause, in unser neues Haus in der 19 Forthlin Road. Meine Mutter fragte mich nach Abendbrot, doch ich lehnte ab. Erstmal wollte ich zu Paul rüber und ihm von den ersten Eindrücken erzählen. Vielleicht interessiert ihn das auch gar nicht, aber zumindest werde ich ihm von dem kleinen Vorfall erzählen. Vielleicht kennt er ja diese Jungs. Einer hatte auf jedenfall eine Sonnenbrille aufgehabt. Ich nahm, wie abgesprochen, meine Gitarre mit und lief die Treppe runter, nach draußen. Bevor ich bei Paul klingeln konnte, wurde die Tür schon von diesem persönlich geöffnet. " Hey, komm doch rein ", sagter und ließ mich eintreten. " Mein Vater und mein Bruder sind gerade nicht da, also haben wir sturmfrei ". Dabei schaute er mich lächelnd an, was ich erwiderte. Bei Paul fühlte ich mich irgendwie wohl, zumindest wohler als bei diesem Typen, der mich heute begrabscht hatte. Paul zeigte mir sein Zimmer, was er wohl extra etwas für mich aufgeräumt hatte, und wir setzte uns auf sein Bett. " Wie war dein kleiner Ausflug?", fragte er, zupfte dabei an seiner Gitarre herum. Etwas faziniert war ich schon. Das war das erste Mal, dass ich einen Linkshänder beim Gitarre spielen sehe. " Ganz gut eigentlich. Aber am Ende war es ganz komisch ". Paul sah auf, musterte mich eingehend. " Was war denn komisch?", fragte er, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. " Naja, da waren drei Jungs auf der anderen Straßenseite und der eine hat versucht, mich anzumachen und rüberzulotzen. Als ich einfach weitergegangen bin, kam er hinter mir her und hat mich angefasst und mit mir geflirtet. Schon gruselig ". Paul schien dieses Thema jetzt mehr zu interessieren. " Wie sahen die denn aus?". Ich versuchte ihm, eine genaue Beschreibung von den Jungs zu geben, vorallen von dem angeblichen Leader. Paul nickte und fing dann an, zu lachen. " Dann hattest du das große Vergnügen, meine Mates kennenzulernen. Der, der dich angefasst hat, war bestimmt John Lennon, die andere hießen Stuart Suitcliff und Pete Shotton ". Jetzt war es schon eine peinliche Sache. Immerhin habe ich gerade schlecht über Pauls Freunde gesprochen. Dieser schien meinen Gedanken erkannt zu haben. " Mach dir nichts draus. So lernt jeder diese drei Kauze kennen. Aber spätestens übermorgen wirst du ein ganz anderes Bild von den haben, versprochen ". Er legte eine Hand auf meine Schulter ab und lächelte. Bestimmt hatte Paul recht. Der erste Eindruck zählt schließlich nicht immer. " Du hast recht ", sagte ich leise und schaute auf seine Gitarre, die auf seinem Schoß lag. Paul folgte meinem Blick. " Wollen wir etwas üben?". Ich nickte lächelnd. " Gerne ". Ich holte meine Gitarre aus der Tasche raus und schlang den Gurt um meinem Hals. Das Erste, was Paul mir beibrachte, ist den Griff richtig zu halten.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top