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An der Hütte angekommen, konnte Avan immer mehr Details erkennen. Das Haus bestand hauptsächlich aus dunklem Holz und faste mehrere Stockwerke. Angesichts der einsamen Landschaft, wirkte verlassen, fast schon als wäre es ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Vor der schäbigen Tür hing ein kleines Metallschild, dass in dem sachten Wind leicht umher schaukelte.

Avan tat alles weh und wenn er daran zurückdachte, dass er vor ein paar Stunden noch im Kerker gesessen hatte, schauderte er. Seine wunden Handgelenke erinnerten ihn nur zu gut an die Ketten. Fast schon konnte er das zusätzliche Gewicht noch spüren, das auf seinen Schultern lastete.

Sahid drehte sich zu ihnen um, kurz bevor Avan die Tür aufgerissen hätte. „Verratet niemanden, wer ihr seit und woher ihr kommt. Wir sind zwei einfache Bürger, die einen Mann mit einem verletzen Mädchen gefunden haben. Wenn herauskommt, dass wir alle aus unterschiedlichen Reichen stammen... Ach egal, verratet am besten nichts",Avan nickte, auch, wenn diese Ausrede nicht grade die beste war. Obwohl es hier in der Pampa wohl eh niemanden interessieren würde. Hoffte er zumindest. Lians Blick traf seinen. Für beide war es nicht das erste Mal, dass sie ihre wahre Person verschwiegen.

Der Eingangsraum war nicht besonders geräumig doch immer noch groß genug für ein Dutzend Leute. Die Wände machten stabileren Eindruck, als von außen und wirkten, als hätte sie jemand frisch poliert. An der breiten Holztheke stand ein stämmiger Mann, der gelangweilt auf seinem Stuhl hockte und ein blitzblankes Glas polierte. An den kleinen, krummen Tischen vor der Theke war alles frei, bis auf einen Mann, der sich die Kapuze ins Gesicht gezogen hatte. An seiner angespannten Haltung erkannte Avan sofort, dass er in Ruhe gelassen werde wollte. Vielleicht war er ein Verbrecher oder auf der Flucht. So nah an den Grenzen, kümmerte das niemanden mehr. Der ältere Holzboden knarzte unter ihre erschöpften Füßen. Bei ihrem Anblick hob der Gastwirt den Kopf und seine Augenbraue wanderte in die Höhe. Avan wusste nur zu gut, dass sie nicht den besten Eindruck hinterließen und alles andere als unauffällig waren. Drei bewaffnete Männer, die aussahen, als kämen sie direkt aus dem Kampf und eine schlafende, bewusstlose Frau..? Zudem erkannte man an ihrer Kleidung, dass sie auf der Flucht waren.

Hoffentlich ist hier niemand aus dem Feuerreich...

Sahid seufzte auf, doch sein Versuch sich nichts anmerken zu lassen, scheiterte kläglich. Außer den anderen Mann war hier sonst niemand an den Tischen. Das einzige was sie noch wollten war ein Dach über den Kopf, etwas zu Essen und ein Bett für die Nacht auch, wenn Avan bezweifelte, dass er wirklich Schlaf finden würde. Sie waren nun schon Tage unterwegs und brauchten alle dringend Ruhe. Sahid drehte sich zu Lian und Avan. „ Das mit den Pferden regele ich, verhaltet euch möglichst ruhig." Sein Blick wirkte leicht angespannt, doch dahinter erkannte man auch bei ihm die Erschöpfung.

„Eine warme Mahlzeit plus ein Quartier für die Nacht für uns". Der bärtige Mann am Thesen starrte Sahid unbeeindruckt an, trotz seiner anmutigen Aura, die er sonst immer so gut beherrschte.

„6 Goldmünzen", brummelte er. Sahid zog eine Augenbraue hoch. „6 Münzen, nur für eine Nacht. Hören Sie mal, wir sind erschöpft und wenn sie den Preis senken, werden wir morgenauch noch drei Pferde dazu nehmen"

Der Mann seufzte und grummelte irgendwas in seinen Bart hinein. Mit seiner Hand zog er eine Schublade auf und fischte einen Schlüssel heraus. Er ließ ihn auf den Tresen fallen und Sahid schenkte ihn ein Lächeln. „Pferde kosten extra", murmelte der Mann und wartete gar nicht erst auf ihre Antwort. Er drehte ihnen den Rücken zu und watschelte um die Ecke. Von dort hörte man ihn mit irgendjemand diskutieren.

Während Lian sich den Schlüssel schnappte und Fenja nach oben transportierte, ließen sich Avan und Sahid am Tisch nieder, um auf ihr Essen zu warten. Avan betrachtete den anderen Mann im Augenwinkel, doch von ihm schien keine Gefahr auszugehen. Er lehnte sich an die Rückenlehne des Stuhls und wartete. Lian kam die Treppe hinunter und gesellte sich wieder zu ihnen.

„Was denkt ihr, wie viel Kundschaft hier her kommt?", lenkte er das Thema ab und lockerte damit die Stimmung. Avan deute mit einem unscheinbaren Kopfnicken und den anderen Mann. „Viel wird es wohl nicht sein."

Sahid schmunzelte. „Ich bin froh, dass wir heute Nacht noch ein Quartier gefunden haben. Ich hätte nicht sonderlich große Lust unter freiem Himmel zu übernachten."

Avan sah zu ihm. „So schlimm ist es nicht. Es kommt darauf an was man daraus macht."

„Was meinst du?", fragte Lian neugierig. „Du warst ein Assassine, oder?", fragte Sahid plötzlich mit ernsterer Stimme. Avan hatte das war in seinem Satz deutlich gehört, doch er ignorierte es so gut es ging.

„In der Stadt ist es eine willkommene Arbeit, um zu Überleben", versuchte er nicht zu sehr darauf einzugehen. Lian starrte ihn verblüfft an.

„Also bist d ein echter Assassine?". Zum Glück sprang löste Sahid die Situation, in dem er dazwischen ging. „In der Organisation, von der ich geredet habe, verkleiden wir uns als Assassinen, damit wir weniger auffallen. Es ist immer eine große Sache, wenn man auf einen ,,echten" Assassinen trifft."

Avan runzelte die Stirn. „Was ist daran besonders?"

„Naja, Anfangs hatte unsere Verkleidung viele Macken und es ist immer interessant zu vergleichen."

Avan seufzte. "An meiner Arbeit gibt es nichts heroisches. Kein Grund darüber zu Staunen. Außerdem habe ich meine Kleidung und Waffen schon länger nicht mehr."

Bevor jemand etwas sagen konnte, kam eine junge Frau in den Raum hinein gestolpert. Die blonden Haare zierten in einer aufwendigen Aufsteckfrisur, doch anstatt einer ebenso aufwendigen Bekleidung, trug sie eine Schürze. Anscheinend war sie gleichzeitig auch der Koch. Sie balancierte drei Teller mit dampfenden Essen auf den Armen und ließ diese unsanft vor sie auf den Tisch fallen. Trotz des unhöflichen Benehmen, galt Avans Blick nur dem Essen. Wann hatte er das letzte Mal etwas richtiges, eine warme Mahlzeit, gegessen?

Nach dem Essen stampften sie in ihr Zimmer. Es war ein einfacher Raum, nichts besonderes. Es gab ein Bett, eine Truhe und einen kleinen Schreibtisch. Gegenüber der Tür war ein kleines Fenster eingelassen, durch das man auf die weite Landschaft hinausblicken konnte. Avan fand die Vorstellung mit de anderen in einem Raum zu schlafen nicht gerade verlockend und den anderen schien es ebenso zu gehen. Doch es war klar, dass Fenja das Bett beanspruchen würde und sie wohl oder übel auf dem Boden Platz nehmen durften. Avan wusste, dass ihn eine weitere Nacht auf dem harten Boden bevorstand, doch es war abermals besser, als mit gefesselten Händen im Kerker zu hocken.

Sahid hatte bereits eine Decke auf den Boden ausgerollt und wühlte in seinem Beutel, den er anscheinend seit geraumer Zeit mit sich trug. Lian stand mit verschränkten Armen an der Tür und beobachtete Sahid bei seiner Arbeit. Avan fühlte sich völlig fehl am Platz. Schnell schritt er auf das Fenster zu und tat so, als prüfte er die Landschaft mit seinen Blicken, damit er nicht nur sinnlos rumstand. Plötzlich hörte er hinter sich einen Rascheln und er drehte sich neugierig zu der Geräuschquelle um. Sahid hatte einen Umhang, einen ähnlichen wie er und Lian einen trugen, aus seinem Beutel hervorgezaubert. Sahid nickte Avan zu. „Ich wusste doch, ich hab noch einen. Hier, für dich." Damit du endlich mal richtige Kleidung bekommst", warf er mit einem Blick auf Avans abgewetztes Hemd hinzu.

Avan blickte an sich hinunter, nahm das Gewand aber an sich. Zu seiner Überraschung war auch ein neues Hemd dabei. Schnell knöpfte er sich sein eh schon total zerfetztes Hemd auf und war es auf den Boden. Sein Oberkörper kam dabei zum Vorschein und Avan entdeckte einen neuen, nicht ganz verheilten Schnitt an seiner Hüfte. Er prüfte sie mit der Hand, doch zum Glück blutetet sie nicht mehr. Sich darum zu kümmern würde zu viel Zeit stehlen und zudem hatte er nicht die richtigen Kräuter dafür. Er musste sich wohl auf das Glück verlassen und hoffen sie möge schon wieder von selbst heilen. Mit einer schnellen Bewegung schlüpfte er in die erstaunlich weichen Klamotten. In dem neuen Hemd waren unzählige Nischen und Taschen eingelassen. Er tastete mit seinen Fingern in einer der Taschen und zog zu seiner Überraschung einen Dolch hinaus. Mit einem Fingerschnippen ließ er den Dolch in die Luft schnellen und fing es mit einer gekonnten Drehung wieder auf, um die Waffe zu prüfen. Sahid beobachtete ihn dabei und Avan begegnete seinen Blick.

„Du scheinst Umgang mit Waffen zu haben", stellte er fest. Avan blickte zu ihm. „Wäre traurig, wenn nicht."

Dieser Satz hing in der Luft nach und niemand schien es für nötig zu halten, ein erzwungenes Gespräch am Laufen zu halten. Der Stoff fühlte sich ungewohnt bequem an und passte sich sofort an seine Körperkonturen an. „Diese Kleidung ähnelt meiner alten", murmelte er und Sahid nickte zufrieden.

Als es langsam draußen dämmerte und Avans Müdigkeit immer weniger wurde, ließen sich die drei Männer auf dem Holzboden nieder. Lian lag direkt neben dem Bett, falls Fenja aufwachen würde, wäre er sofort zur Stelle. In der Mitte lag Sahid und Avan lag am nächsten zu der Tür. Avan stütze seinen Kopf auf seine verschränkte Arme und drehte sich so zur Seite, dass er an den beiden vorbei, aus dem Fenster schauen konnte. Anfang war ihnen mulmig zumute, doch schon bald ertönten die leisen Schlafgeräusche von Sahid und sogar Lian. Avan konnte sie nicht verstehen, wie sie jetzt nur schlafen konnten. Seine Augen hatten so lange beobachtet, dass er wusste, wie die Welt nachts aussah. Aus dem Fenster schien fahles Mondlicht in den Raum und warf einen unheimlichen Glanz auf die schlafenden Gestalten. Die leisen, gleichmäßigen Atemgeräusche waren das einzige, was zu hören war. Avan seufzte und drehte sich möglichst leise auf die andere Seite.

Doch egal, wie lange er auch die Decke anstarrte, er wusste, dass er nicht einschlafen konnte. Seine Sinne waren in der Nacht angespannt, jahrelang geschärft geworden. Wie sollte er jetzt schlafen können? Er wandte seinen Blick ab und die Tür fiel ihm ins Auge. Etwas in Avans Inneren regte sich und er fasste einen Entschluss.

Langsam hob er den Kopf und ließ seinen Blick auf Fenjas regungsloser Gestalt verharren. Mit einer anmutigen Bewegung richtete er sich auf und tastete nach dem Dolch in seiner neuen Tasche. Er umschloss das vertraute Ding und blickte sich in dem Raum um. Lians und Sahids Gestalt sahen im fahlen Mondschein seltsam verzehrt aus. Er wandte seinen Blick ab und drückte fast lautlos die Klinge hinunter. Zu seinem Glück öffnete sich die Tür nicht mit einem Knarzen, wie befürchtet, und so konnte er mühelos hindurch schlüpften. Kaum hatte er den Raum verlassen, spürte er das beklemmende Gefühl von sich abfallen. Eingeschlossen in einem Raum und dann noch mit anderen. Das war nichts für Avan. Er huschte, wie ein Schatten die Treppe nach unten und kam in den Eingangsbereich. Seltsam wie anders alles in der Dunkelheit aussah. Avans Augen huschten zum Tresen, doch alles lag still, verlassen da. Gut.

Er huschte zu dem Ausgang und drückte die Türklinge hinunter. Sie war nicht abgeschlossen. Kaum hatte er die Tür geöffnet strömte ihn ein eiskalter Lufthauch entgegen doch es störte ihn nicht. Nein, ganz im Gegenteil. Avan lächelte und trat in das Freie. Er nahm einen tiefen Atemzug und spürte den leichten Wind durch sein Haar tanzen. Er blickte zum Himmel, an dem der runde Mond sein Licht auf ihn und die Landschaft warf. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich seltsam an und Avan stellte fest, dass alles mit einer Schicht Raureif überzogen war. Seine Stiefel glitten über den Boden und er lief in einem Bogen um das Haus herum. Seine Hände fröstelten, doch Avan genoss es. Schnell blickt er zu der Regenrinne hinauf, welche zu dem Hausdach, seinem Ziel führte. Er lächelte und streckte seinen Arm danach aus.

Seine Hände brannten und seine Muskeln waren zum zerreißen gespannt, als er sich die Regenrinne empor schlängelte. Sein Atem ging leise auch wenn er bei jedem Atemzug ein Wölkchen kalter Luft ausstieß. Lautlos wie ein Schatten zog er sich auf das schräge Dach hinauf und lehnte sich an den krummen Schornstein an.

Endlich konnte er sich entspannen. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Kein hinterhältiges, nein. Einfach nur zufrieden. Er atmete tief ein und beobachtete die kalte Luft, die er wieder ausstieß. Seine Blicke schweiften über die weite Ebene und blieben an den hohen, imposanten Bergen in der Ferne hängen. Er fragte sich, was Lina wohl grade machte? Schnell verbannte er den Gedanken aus seinem Kopf. Warum dachte er ständig an Lina? Er musste sie unbedingt aus seinem Kopf bekommen.

Sein Blick blieb an dem Dach hängen und seine Gedanken schweiften zu seiner Stadt ab. Er würde die Nacht hier verbringen. Die einzige Möglichkeit sich noch auszuruhen war hier oben in Freiheit. Nicht, da unten in dem engen, stickigen Raum. Nein. Hier oben war er in Freiheit und niemand konnte ihn erreichen. Er war völlig alleine, so wie er es schon immer gekannt hatte.

Und das würde sich auch nicht ändern.

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