《32》
„Aber, wir können doch nicht einfach so einen dieser Mörder fragen!", protestierte Lina, als sie durch die Straße marschierten.
Avan fühlte sich auf dem Boden seltsam unsicher, doch immerhin war es dunkel und zu dieser Uhrzeit war keine Menschenseele mehr auf den Straßen unterwegs. Die Nacht, das war die Stunde der Assassinen. Wer sich um diese Uhrzeit noch draußen aufhielt, der war entweder selbst ein Attentäter oder einfach verrückt geworden.
Ein kalter Luftzug streifte sie und Lina rubbelte sich fröstelnd die Oberarme. Als Avan ihr seine Idee auf dem Dach mitgeteilt hatte, war Lina alles andere, als zufrieden gewesen. Doch da auch Lina keine bessere Idee gehabt hatte, musste sie sich wohl oder übel geschlagen geben.
Schnell hatte sie sich umgezogen und sich eine dünne Jacke übergeworfen. Nachts war es nicht gerade warm und dementsprechend war es kein Wunder, dass ihr jetzt kalt war, doch da drauf konnte Avan keine Rücksicht mehr nehmen. Sie hatten es eilig und es war sowieso nur ein kurzer Weg bis zu ihrem Ziel. Mit schnellen Schritten marschierte er los und sein Umhang umhüllte ihn. Bei jedem Schritt konnte er seine Waffen, die er versteckt unter seinen Mantel trug, spüren. Das versteckte Messer unter seinen Handgelenk funktionierte einwandfrei und Avan war bereit den Mechanismus jederzeit anwenden zu können. Doch bis jetzt waren sie überhaupt noch keiner einzigen Menschenseele begegnet. Avan wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder ärgern sollte. Doch, vielleicht war es sogar besser so, denn er wusste nicht was Lina von ihm halten würde, wenn er vor ihren Augen einen Menschen aus dem Weg räumen würde.
„Hey jetzt warte doch mal", rief Lina und beeilte sich, ihm zu folgen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er automatisch schneller geworden war.
„Musst dich schon ein wenig beeilen, wenn du so langsam läufst schreckst du ja noch die ganzen Ratten auf", meinte er. Lina verdrehte die Augen. „Haha, sehr witzig."
Nach einer weiteren Straßenecke erreichten sie ihr Ziel.
Vor ihnen befand sich ein großes Fachwerkhaus mit mindestens drei Etagen. Vor dem Eingang stand ein Schild, das von dem leichten Wind umher geschaukelt wurde.
„Zum wilden Hirsch", lass Lina verwundert und hob misstrauisch die Augenbraue. „Wer nennt seinen Laden bitte so?", murmelte sie argwöhnisch.
Avan reckte seinen Kopf und versuchte durch das Fenster, ins innere zu starren. „Du wirst dich wundern, aber es gibt noch viel schlimmere Namen". Er wandte sich der Eingangstür zu und wollte die Türklinge aufreißen, doch kurz davor stoppte er.
„Egal was ich jetzt gleich sagen werde, nimm es auf keinen Fall ernst und am besten sag einfach gar nichts. Wenn dich jemand fragt, dann sag du bist mit mir hier". Lina sah ihn mit großen Augen an, doch schließlich nickte sie.
„Ich Versuchs". Avan nickte zufrieden und stieß dann die Tür auf.
Von innen kam ihnen ein Schwall warmer Luft entgegen. Das helle Licht war ein scharfer Kontrast zu der Dunkelheit draußen und es dauerte ein paar Sekunden, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten. Avan war froh über seine Kapuze, die ihn vor neugierigen Blicken schütze. Lina hingegen hatte nichts zu ihrem Schutz und zog die Blicke der Männer wie ein Magnet auf sich. Schnell packte Avan ihren Arm und zog sie näher zu sich. Erschrocken sah sie zu ihm auf, doch ein Blick von Avan genügte und ihr Blick wurde ernster.
Avan sah ihr prüfend in die Augen und sie nickte daraufhin leicht. Die anderen Männer hatten ihren stummen Austausch mit gierigen Blicken verfolgt, doch es schien klar zu sein, dass Lina Avan gehörte und die Männer warfen ihm böse Blicke zu. Doch er ignorierte sie und machte einen Schritt in den Raum hinein. Rasch ließ er seinen Blick in der Kneipe umherschweifen. Ein paar vereinzelte Bürger, ein paar betrunkene Soldaten, nichts besonderes, was ihn aus der Fassung hätte bringen können.
Sein Blick blieb in der dunklen Ecke der Taverne hängen. Fast hätte er die Gestalt dort übersehen. Dort in der hintersten Ecke, verborgen im Schatten saß er. Ein dunkelblauer Umhang, ähnlich wie bei Avan verdeckte seine Gestalt. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen und die rechte Hand ruhte die verdächtig ruhig in einer seiner Tasche. Avan konnte sich schon denken, dass er dort einen Dolch versteckt hielt. Er kannte es nur zu gut von sich selbst.
Zu seiner Überraschung saß der verhüllten Gestalt ein Bürger entgegen. Beide Spieler hatten ein paar Karten in der Hand und auf dem Tisch standen mehrere Krüge Bier. Avan drehte sich zu Lina um und deutete unauffällig zu dem Mann in der Ecke. Lina schaute überrascht, wahrscheinlich hatte sie ihn völlig übersehen. Avan holte tief Luft, für das bevorstehende und prüfte seinen Dolch. Bei einem weiteren Assassinen musste man aufpassen. Ein falsches Wort, eine falsche Bewegung und man war tot.
Er ließ Linas Arm los und marschierte auf die hinterste Ecke zu. Als er dort ankam, sah er den Bürger mit einem tödlichen Blick an und dieser ergriff sofort die Flucht. Mit einem Assassinen wollte er sich nicht anlegen, auf keinem Fall mit einem wütenden. Lina, hinter ihm war verschwunden, doch er konnte sich jetzt nicht um sie kümmern.
Sein gegenüber hatte seinen Blick nicht von den Karten gelöst und funkelte ihn an.
Avan lehnte sich bewusst langsamen an die Stuhllehne hinter sich und ließ seinen Blick über den Mann schweifen. Er war ihm nicht fremd. Früher einmal hatte man viel von ihm gehört, doch mit den Jahren war er untergegangen. Er hatte viele Probleme mit dem Staat gehabt und war ab da untergetaucht. Genauso wie er.
„Ich brauche eure Hilfe", fing Avan an. Er wusste sehr genau, wie man mit seinesgleichen redete. Kein unsicheres Auftreten, keine Höflichkeiten. Eine ruhige, gefasste Stimme.
Der Mann gegenüber zeigte keinerlei Anzeichen, dass er Avan gehört hatte.
„Mit wem hab ich die Ehre?", fragte er über den Rand seiner Karten hinweg. Avan wusste, dass das Spiel schon längst vorbei war, doch er wollte ihn einschüchtern. Doch nicht mit ihm.
„Mein Name tut nichts zur Sache. Ich habe eine Bitte an euch".
„Ich sehe schon, ihr seid nicht zum scherzen hier", meinte der Mann. Avan wusste, das dies seine Chance war, wenn auch zu noch zu früh. Doch sie hatten nicht viel Zeit und jede Sekunde mit der sie länger hier draußen verbrachten wurden Linas Eltern immer und immer mehr gefoltert.
„Ich muss in den Palast der königlichen Majestät. Ich brauche Männer, die mich begleiten".
Der fremde Assassine hob seine Augenbraue: „ In den Palast?"
Avan konnte sich denken, dass es für ihn verrückt klingen musste, denn niemand war so dumm in das feindliche Lager zu marschieren. Doch er hatte keine andere Wahl. Was bielb ihm anderes übrig?
Als Avan nichts erwiderte hob der Mann seelenruhig seinen Arm und nahm einen Schluck aus seinem Bierkrug.
„Was führt mich zu der Annahme, dass du einen Grund für deine Mission hast?"
„Meine Pläne gehen dich nichts an. Hilfst du mir nun oder nicht?", erwiderte er kalt.
Der Mann sah ihn lange an. „Wenn ich dir nun zur Seite stehen soll, dann musst du mich einweihen."
Avan starrte ihn eine Weile an. Es war riskant, doch ihm blieb nichts anderes übrig. Sie brauchte jede Hilfe, die sie nur irgendwie auftreiben konnten.
Seine linke Hand ruhte auf seinem Schwertgriff. Nur eine falsche Bewegung seines Gegenübers und er wäre bereit seine Waffe zu ziehen. Doch der Mann blieb ruhig und es deutete nichts daraufhin, dass er zu einem Kampf bereit wäre. Trotzdem konnte Avan die Möglichkeit nicht ausschließen.
Er straffte seine Schulter und riskierte ein Blick zu seiner rechten. Er erhaschte einen Blick Lina. Etwas unschlüssig stand sie an der Theke und tat so, als würde sie sich brennend für ein Bild, das an der schäbigen Holzwand hing, interessieren. Die Männer an ihren Tischen hatten natürlich mitbekommen, dass Avan sich von ihr entfernt hatte und sahen ihre Chancen. Mit gierigen Blicken verschlangen sie das arme Mädchen. Zum Glück hatte Lina ihnen den Rücken zugewandt und konnte die Blicke, die auf ihr lagen nicht spüren. Avan wusste, dass er bald etwas unternehmen musste. Die Männer würden sich nicht mehr lange damit zufrieden geben, sie nur noch mit Blicken zu durchbohren. Doch Avan konnte sich jetzt schlecht von seinen Gesprächspartner lösen. Er drehte seinen Kopf wieder zu den anderen Assassinen und sah ihn forschend an. Andere Leute hätten diesen Blick vielleicht unhöflich gefunden, doch Avan und der fremde Mann lieferten sich so ein Blickduell. Wer auch nur eine kleine Schwachstelle seines Gegners finden würde, würde sie schamlos ausnutzen und wäre damit im Vorteil.
Ohne seinen Blick abzuwenden erhob Avan dann doch schließlich das Wort: „Lina. Komm her zu mir."
Sein Gegenüber hob ein winziges Stück die Augenbrauen, das einzige Zeichen, dass er Avan gehört hatte.
Hinter den beiden Männern hörte man Schritte, das Klappern von Stiefeln auf dem Holzboden, als sich das Mädchen näherte. Vorsichtig, unschuldig kam Lina herbeigeeilt und sah Avan lächelnd an. „Ja mein Herr?", fragte sie und klimperte mit ihren Wimpern. Avan musste sich eingestehen, das sie die Rolle, des kleinen, unschuldigen Mädchen perfekt spielte. Doch Avan zwang sich dazu sie zu ignorieren und wandte sich zu dem Assassinen um.
„Die Eltern dieses Mädchen wurden vom Kaiser gefangen genommen. Es ist die perfekte Gelegenheit, um uns an dem Kaiser zu rächen. Wenn er sieht, dass wir in seinen Palast eindringen können und so leicht Gefangene befreien, ist das die Gelegenheit. Es wird Zeit, dass wir zurückschlagen, was er uns angetan hat."
„Du willst also die Eltern dieses Mädchens befreien? Spiel mir nichts vor Bursche, ich sehe genau, dass dieses Weib dich um den Finger gewickelt hat. Was sind schon zwei Gefangene mehr? ", antwortete der Mann. Sein Blick war kalt und Avan wusste, er musste sich etwas einfallen lassen, um ihn noch auf ihre Seite zu ziehen.
Also verschränkte Avan die Arme über der Brust und schlug seine Beine übereinander.
„Jedes verdammte Mal, wenn ein weiterer von uns am Hänger stirbt, werden wir immer weniger. Und auch, wenn du dann eine Konkurrenz weniger hast, wird auch die Suche nach den verbliebenen immer kleiner. Die meisten von uns sind Einzelgänger und trotzdem versuchen wir alle Tag für Tag zu überleben. Brich mit mir in den Palast ein und last uns ein Zeichen setzen."
Der Mann sah ihn missbilligend an. „Es interessiert mich einen Dreck was du erzählst. Ich werde nicht mein Leben unnötig aufs Spiel setzen". Avan merkte, dass er sich etwas gutes einfallen müsste, um ihn noch überzeugt zu kriegen. Und dazu musste er seinen Trumpf ausspielen. Er bog seinen Rücken durch und lehnte sich gefährlich weit nach vorne über den Tisch.
„ Tja mein Freund damit verpasst du deine einmalige Chance. Haben wir nicht alle den Wunsch an der Spitze dieser Welt zu stehen? Was ist, wenn auch du die Chance dazu hättest und die anderen dir den nötigen Respekt entgegen bringen würden? Ja, stell dir vor, selbst der Kaiser würde dich beneiden, weil du eine potentielle Gefahr für ihn darstellst. So viel Macht und Respekt, die Leute werden über dich reden und sich sogar vor dir fürchten. Die anderen deiner Art werden von dir berichten, denn du hast die Chance dich bis auf die ersten Plätze zu hoch zu kämpfen."
Der Blick des Mannes blieb unverändert doch Avan wusste genau, was sich in seinem Kopf abspielte. Es war fast so, als würde der Mann fragen: Worauf willst du hinaus? Avan wusste, er musste es geschickt anstellen, deshalb machte er extra eine dramatische Pause, um zu Kräften zu kommen.
„Und jetzt stell dir vor, einer der auf den ersten Plätzen steht bietet der diese Chance an. Einer der im Verborgenen handelt und trotzdem eine Legende ist. Die Leute fürchten sich vor ihm er ist die Schauergeschichte, die der Wahrheit entspricht. Und du hast dieses Glück und wurdest von ihm auserwählt. Also frage ich dich, willst du dir diese Chance vergehen lassen und lieber hier im Dreck dein Leben begraben oder machst du mit?"
Der Blick seines Gegenübers verdunkelte sich. „Wer bist du?", zischte er.
Avan lehnte sich an seine Stuhllehne zurück und ein Raubtierartiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
„Ich bin nichts weiter als ein Schatten."
Sein Gegenüber erstarrte. Langsam wurde ihn das Ausmaß dieser Unterhaltung bewusst.
„Nun denn. Wie lautet deine Antwort?", fragte Avan. „Aber pass auf. Bald geht die Sonne unter und ihr Schatten mit ihr." ES war zugleich eine Bestätigung wer er war und eine Aufforderung.
Die Gesichtszüge des Mannes verhärteten sich.
Avan drehte seinen Kopf zu Lina, während der Mann überlegte. Er wusste genau, dass er Avan hoffnungslos unterlegen war, trotzdem zeigte er keinerlei Anzeichen von Schwäche.
Währenddessen spießte ihn Lina mit ihren Blicken auf. Sie hatte es schneller verstanden, als der Mann gegenüber ihm.
Er konnte von ihrem Blick ablesen was sie dachte: Warum hast du mir nie gesagt, dass du der Schatten bist? Avan begegnete ihren Blick: Wir reden später darüber.
Linas Blick war alles andere als einverstanden, doch in diesem Moment gab der fremde Assassine einen Laut von sich und Avan drehte seinen Kopf in die Richtung des Mannes.
„Wann geht es los?"
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