《29》
Kurz vor 5 Uhr kletterte Avan an der Hauswand hinunter und huschte durch das, zum Glück noch offene Fenster, zurück in sein Zimmer.
Er hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass das tatsächlich so problemlos laufen würde. Schnell zog er sich seine anderen Klamotten um und schaffte es gerade noch seine Hose zuzuschnüren, bevor er Schritte im Flur, vor seiner Tür, hörte.
Er trat aus dem Flur und wäre beinahe mit Lina zusammengestoßen.
„Guten Morgen", nuschelte er und wollte sich an ihr vorbeischieben, doch sie hielt ihm an Ärmel fest. „Gerald, kann ich dich kurz sprechen?", fragte sie leise.
Er drehte sich zu ihr um und stellte erstaunt fest, dass sie noch im Nachthemd war. Das Kleid schien relativ dünn zu sein und er konnte deutlich ihre Körperrundungen darunter erkennen. Lina bemerkte seinen Blick, doch ihr schien es egal zu sein.
„Ich muss doch Arbeiten", sagte er, doch Lina winkte ab. „Ich habe Berndt Bescheid gesagt. Er geht heute ohne dich".
„Warum?"
Sie hielt ihm am Ärmel gepackt und zog ihn mit in ihr Zimmer. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch nie bei ihr gewesen war. Der Raum ähnelte seinem, doch auf dem Boden lagen jede Menge Kleider verstreut. Es gab einen kleinen Tisch mit Spiegel und ein paar Fotos, die an der Wand hingen. Lina lief durch den Raum und setzte sich auf ihr Bett. Avan wusste nicht wohin er sich setzen sollte, deshalb blieb er einfach mitten im Raum stehen. Lina schien sich damit zu begnügen und musterte ihn einen Augenblick lang.
„Wo warst du heute Nacht?"
Avan hob seinen Kopf. Sein Gesicht glich einer steinerne Maske, doch in seinem Kopf ratterte es. Hatte sie ihn bemerkt?
„Komm schon, tu nicht so als wüstest du nicht was ich meine", sagte Lina und verschränkte die Arme.
Avan überlegte. Ihr eine Lüge aufzutischen würde keinen Sinn machen, sie würde ihn so oder durchschauen. „Ich war draußen", meinte er schließlich. Das war nicht einmal gelogen.
„Das stimmt. Dein Bett war leer".
„Woher weißt du das?", hakte Avan nach und er konnte den bedrohlichen Tonfall in seiner Stimme nicht zurück halten.
Lina hob unschuldig die Hände. „Ich bin nur plötzlich wach geworden und hab ein leises Rascheln aus deinem Zimmer gehört. Ich habe vorsichtig geklopft aber du hast nicht aufgemacht. Also habe ich vorsichtig einen Blick riskiert aber du warst nicht da".
„Du hast mir nach spioniert ?",fragte Avan bitter und sein Blick verdunkelte sich.
„Nein. Ich habs dir doch grade erklärt", protestierte Lina.
„Das Fenster und der Schrank standen offen aber von dir fehlte jede Spur. Dein Bett war aber noch warm, also konntest du noch nicht lange fort sein".
Avan starrte sie an: „ Woher weißt du, dass mein Bett warm war?"
Lina winkte ab. „Ist doch jetzt egal, wichtig ist, dass ich wissen willst wo du warst? Und wieso haust du einfach mitten in der Nacht übers Fenster ab?"
Avan musterte sie mit finsteren Blick, dann lachte er. „ Du bist schlauer, als ich dachte".
Lina verzog ihr Gesicht. „Ach komm schon, wo warst du gestern?"
Avan grübelte nach einer Ausrede. Er wusste, er konnte jetzt nicht mehr ausweichen.
Schließlich gab er auf. „Ich bin aufs Dach geklettert". Keine Lüge.
„Natürlich hast du das gemacht. Mitten in der Nacht", sagte Lina ungläubig und verschränkte die Arme. Avan warf die Arme in die Luft. „Was erwartest du von mir, was ich dir erzählen soll, damit du zufrieden bist?"
Lina sah ihn vorwurfsvoll. „Ach ich weiß auch nicht. Vielleicht die Wahrheit?!"
Avan stöhnte auf. „Das ist die Wahrheit". Wenn auch nicht die ganze aber immerhin ein Teil.
„Glaub ich nicht", antwortete Lina.
Avan drehte sich um. „Gut, ich habs dir gesagt, ob du es nun glaubst oder nicht. Ich gehe dann". Er steuerte zur Tür doch Lina war schneller, als er. Flink war sie aufgesprungen und knallte die Tür vor ihm zu. „Du verlässt diesen Raum erst, wenn du mir die Wahrheit sagst".
Avan blickte wortlos zu ihr. „Zwing mich nicht dir etwas anzutun".
Über Linas Gesicht huschte ein Hauch von Angst, doch schnell verbarg sie es wieder.
„Mach doch", funkelte sie ihn an. Avan musste zugeben, dass er sie schlecht eingeschätzt hatte. Sie war mutiger, als er gedacht hatte, wenn auch dümmer. Würde hier ein anderer seiner Art stehen wäre sie innerhalb ein paar Sekunden tot.
Avan wusste, dass er sie nicht ernsthaft verletzen würde und außerdem war sein Schwert noch in seinem Zimmer. Auch, wenn es für ihn kein ernsthaftes Problem darstellen würde sie auszuschalten.
Aber er wusste auch, dass er es ihnen eh erzählen musste. Und genau in diesem Moment traf er die Entscheidung. Er würde ihr es jetzt erzählen und dann würde er abhauen. Bis die Wachen da waren würde er längst über alle Berge sein. Er massierte sich mit den Finger die Schläfen und schaute zu Lina. Vielleicht war sie ja wieder eingeschlafen oder so. Leider war dies nicht der Fall. Sie saß an ihrem Bett gelehnt da und wartete gespannt.
Er atmete bedeutungsvoll aus und gab sich einen Ruck:„ Sagt dir der Begriff Assassine etwas?" Sofort schnellte ihr Kopf herum. Sie starrte ihn an und nickte.
Avan sah sie an. „Kannst du es dir jetzt denken?" „Was?", fragte Lina. Avan versuchte sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen.
„Assassine? Nachts unterwegs, die Gerüchte, die in der Kneipe erzählt wurden?", versuchte er ihr auf die Sprünge zu helfen. Endlich schien der Groschen bei ihr gefallen zu sein und ihre Augen wurden groß. „Willst du mir sagen, dass du einer von denen bist?", fragte sie.
Avan nickte.
Endlich hatte sie begriffen. Er konnte beobachten, wie sie eins uns eins zusammenzählte. „Du willst mir also klarmachen, dass du einer dieser Killer sein willst?", fragte sie ungläubig.
Avan schüttelte den Kopf. „Weißt du was? Ist auch egal, ich gehe". Er stand auf und wollte zur Türklinge greifen, doch Lina hob zu seiner Überraschung ihre Hände.
„Okay, angenommen du bist einer dieser...dieser Leute, was ist dann mit den letzten Wochen? Wieso wohnst du bei uns und warum warst du nur letzte Nacht draußen? Oder warst du auch die ganzen letzten Nächste draußen?".
Avan konnte sehen wie ihr Kopf ratterte. „Okay ich erzähle dir alles. Aber du versprichst mir, nicht sofort zu deinen Eltern zu laufen, okay?"
Nach und nach erzählte er ihr alles und ihre Augen wurden immer größer und größer. Dass er allerdings "der Schatten" war, ließ er aus. Sie musste nicht alles wissen. Als er fertig war und stoppte, sah ihn Lina aus einer Mischung aus Erstaunen, Überraschung und Furcht an. Natürlich hatte er Details ausgelassen und ihr klar gemacht, dass er keiner dieser blutrünstigen Killer war.
„Da ich es dir jetzt erzählt habe, werde ich heute auch euer Haus verlassen".
„Was, wieso?", fragte Lina verdattert. Avan wurde nicht schlau aus ihr. Gerade noch bewies sie Mut und hatte ihn aus seiner Reserve gelockt und im anderen Moment war sie wieder das kleine, unschuldige Mädchen. Und irgendwie, auch, wenn er es sich nicht eingestehen wollte, mochte er genau das an ihr.
„Es ist zu riskant für mich, hier zu wohnen aber zugleich zu wissen, dass jemand mein Geheimnis kennt".
„Aber ich habe doch eingewilligt, dass ich meinen Eltern nichts erzählen werde", sagte Lina und legte den Kopf schief.
„Versteh mich nicht falsch aber ich kann das Risiko nicht eingehen. Was ist, wenn du gefangen genommen wirst und sie dich foltern? Würdest du lieber die Schmerzen ertragen oder ihnen die Informationen erzählen?" Lina sah ihn entsetzt an. „Mich foltern?"
Avan winkte ab. „Egal, vergiss es".
„Lass uns doch heute noch etwas machen", schlug Lina plötzlich ganz urverwandt vor. Avan hob verwundert den Kopf.
„Naja, wenn du heute gehen wirst, dann lass uns den Tag wenigstens noch zusammen verbringen und etwas unternehmen", druckste Lina herum.
Avan legte nachdenklich den Kopf schief. „Hast du den gar keine Angst vor mir? Ich habe dir erzählt, dass ich ein Auftragsmörder bin aber dich scheint das nicht zu stören". „
„Ich glaube, ich kann dieser Vorstellung, dass du einer dieser Killer sein sollst noch nicht so ganz meinen Glauben schenken", murmelte sie bloß.
Avan nickte. „Vielleicht ist das auch besser so".
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