51. Das Trennen der Wege

51. DAS TRENNEN DER WEGE

Emily musste mit Harry reden. Wenigstens ein einziges Mal, egal was Harry damals am Seeufer zu ihr gesagt hatte oder Ron gestern Abend. Sie konnte Harry doch nicht einfach so ziehen lassen auf diese irrsinnige, halsbrecherische und zerstörerische Mission. Denn nichts anderes war es. Sie konnte Harry nicht verlassen. Letztes Jahr nach Hogsmeade hatte sie keine Wahl gehabt, aber jetzt konnte sie Harry nicht schon wieder verlassen?

Wenigstens ein Gespräch, nur ein einziges.

Harry hatte es geschafft sie fast einen Monat lang zu ignorieren, als ob er niemals eine Schwester gehabt hatte. Da war er ihr ein Gespräch schuldig. Oder etwa nicht?

Wenigstens hatte Harry so viel Ehrfurcht vor Mrs Weasley, dass er garantiert nicht die Hochzeit von Bill und Fleur verpassen würde, so dass Emily noch einmal die Chance hatte ihren Bruder zu sprechen.

Seidenglatts Haargel hielt Emilys Haare immer noch einigermaßen im Zaum, so dass sie im Bad schnell fertig war. Auf einem Bügel in ihrem Zimmer hing schon das Kleid, dass sie per Eule bei Sky Edwards in Hogsmeade bestellt hatte. Da inzwischen Sommer war, reicht der Rockteil des smaragdgrünes Kleides nur bis zu den Knien, auch wenn Emily sich für Ärmel entschieden hatte, die bis knapp zu den Ellenbogen reichten. Sie fühlte sich immer noch nicht wohl bei dem Gedanken, dass jemand ihre Narben sehen könnte.

Sirius wartete im Wohnzimmer bereits auf Emily und Sophia. Zur Feier des Tages trug er einen schwarzen Smoking, nur auf die Krawatte dazu hatte er verzichtet. Das weiße Hemd war mindestens einen Knopf zu weit offen. Dafür hatte Sirius seine schwarzen Haare zu einem Zopf gebunden.

"Emily-", sagte Sirius leise und seine Stimme brach etwas. "Du siehst-"

Emily sah an sich herunter. "Stimmt irgendetwas nicht? Ist das Kleid nicht gut genug?"

"Nein, alles gut, Emily", erwiderte Sirius langsam. "Das Kleid steht dir wunderbar. Du siehst wunderbar aus." Er macht einen schnellen Schritt auf Emily zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. "Lily hatte ein sehr ähnliches Kleid, es war eines ihrer Lieblingskleider."

"Oh", meint Emily. Sie hatte das Kleid gewählt weil ihr die Farbe so gut gefallen hatte und sie so gut zu ihren Haaren passte. Ihre Mum musste genauso gedacht haben. Vorsichtig strich sie über die fließenden Stoff des Kleides und musste lächeln.

"Du siehst aus wie sie in dem gleichen Alter", murmelte Sirius.

Das Klicken von Absätzen auf dem Parkettboden, verriet das Sophia in das Wohnzimmer kam. "Die Silvesterfeier bei den Potters." Ein versonnenes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. "Lily hat das Kleid extra dafür gekauft, sie war nervös, weil sie einen guten Eindruck bei James Eltern machen wollte."

"Und James war es sowieso vollkommen egal, was sie trug", fügte Sirius hinzu, "er war so glücklich, dass Lily wirklich da war."

Begierig sog Emily die Informationen auf, sie mochte es wenn Sirius oder Sophia oder Remus spontan etwas über Lily und James erzählte.

"Wir waren alle so glücklich", sagte Sophia leise, ihr Blick fiel wieder auf die Bilder auf dem Kaminsims.

Denn sogar im Glück lauerte der Krieg. Aber nicht für heute, nicht wenn Bill und Fleur heirateten. Heute sollte ein glücklicher Tag sein.

***

Ganz wie Sophias und Sirius Hochzeit war die Einladung ein Portschlüssel, der sie an die Grenze des Schutzzaubers um den Fuchsbau herum brachte. Ari, Fred und George standen bereit um die Gäste im Empfang zu nehmen. Auch wenn Fred und George eher die Gelegenheit nutzten um Fleurs Veela-Cousinen überaus freundlich zu begrüßen und ihnen ihre Hilfe anzubieten, natürlich ganz uneigennützig.

"Wir sollen euch vor Tantchen Muriel warnen", sagte Fred, der sich gerade genug von den Veelas lösen konnte. "Sie ist heute wirklich gut drauf."

Was, zumindest so weit sich Emily erinnern konnte, bedeutete, dass Muriel Prewett zu alles und jedem eine Meinung hatte, die sie auch gerne lautstark kundtat.

"Ihr könnt sie nicht übersehen", fügte Ari hinzu. "Sie sieht aus wie ein Flamingo."

"Wir haben ihr mal ne Stinkbombe unter den Stuhl gelegt, seitdem lässt sie uns beide in Ruhe." George deutete auf Fred und sich. "Allerdings würde Mum euch töten, wenn ihr das heute wagt."

"Danke für die Hinweise", sagte Sirius lachend. "Dann ist ja gut, dass ich die Stinkbomben heute daheim vergessen habe."

"Wir sollten uns dann wohl lieber einen Platz weit weg suchen." Sophia hakte sich bei Sirius unter und zog ihn in Richtung Fuchsbau davon.

Emily folgte dem Strom der Besucher zum Obstgarten des Fuchsbaus. Im Obstgarten war ein riesiges, weißes Zelt aufgebaut worden, dort würde die Zeremonie und die Feier stattfinden. Emily war überrascht, dass so viele Hexen und Zauber zu Gast waren, das würde es noch schwieriger machen ihren Bruder zu finden. Ständig hielt sie nach einem schwarzen Haarschopf Ausschau, doch zwischen den riesigen Hüten und glitzernden Roben war das irgendwie schwierig.

Dafür fand Emily Inga, die gemeinsam mit Yuna und Sirje am Rand stand. Zumindest ein paar bekannte Gesichter in der Menge, dachte sich Emily und gesellte sich zu den dreien.

"Hallo, Emily", sagte Sirje lächelnd und schloss Emily in die Arme. "Schön, dich wieder zu sehen."

"Genau." Auch Yuna zog Emily in eine Umarmung. "Sirje beschwert sich die ganze Zeit schon, dass es ohne dich so ruhig ist."

Eine feine Röte schob sich auf Sirjes Wangen. "Das stimmt wirklich. Morgens ist niemand da, der sich mit mir unterhält."

"Soll ich jetzt beleidigt sein?" Yuna gab Sirje einen Kuss auf die Wange. "Es wird Zeit, dass ich die Ausbildung beende und aus den Lehrlingsbaracken ausziehen kann."

"Auf jeden Fall, noch alles Gute zum Geburtstag nachträglich", sagte Sirje. "Ich wollte dir eigentlich einen Kuchen backen, aber das erschien mir für die Hochzeit nicht ganz so passend."

"Kuchen geht immer", sagte Inga. "Außerdem würde mir dann der Sekt vielleicht doch nicht so stark in den Kopf steigen." Sie betrachtete versonnen das leere Sektglas in der Hand.

"Hast du Harry gesehen, Inga?", fragte Emily.

Inga zuckte mit den Schultern. "Nö. Aber George meinte, dass sie ihn als Weasley-Cousin tarnen wollen."

Emily stöhnte auf. So viele Weasleys wie es gab, würde das ewig dauern ihn zu finden. Sie konnte ja schließlich auch nicht jeden Rothaarigen fragen, ob er nicht zufällig eigentlich Harry Potter war. "Den finde ich ja nie." Sie war zumindest froh, dass sie nur halb so bekannt war wie ihr Bruder und sowieso niemand weiter als die roten Haare sah.

"Ach, warts nur ab", winkte Inga ab. "Du musst nur Ron und Hermine finden, ich glaube nicht, dass sich Harry freiwillig mit Tantchen Muriel unterhält."

"Ja, vor der wurde ich auch schon gewarnt", seufzte Emily.

Lautes Gekreische am Eingang weckte ihre Aufmerksamkeit. Die Veela-Cousinen hatten Viktor Krum entdeckt und ließen dafür Fred und George links liegen.

"Sollen wir ihm helfen?", fragte Yuna Sirje, die grauen Augen spitzbübisch funkelnd. Immerhin waren die drei gut befreundet.

Sirje hob eine Augenbraue. "Du hast Recht, er könnte etwas Hilfe benötigen."

"Entschuldigt uns", rief Yuna und verschwand mit Sirje im Schlepptau.

"Wir sollten uns auch schon mal Plätze suchen", sagte Inga. "Ich will nicht von Tante Molly umgebracht werden, nur weil wir keinen Platz gefunden haben oder zu spät kommen."

Die beiden Mädchen fanden noch Plätze relativ weit vorne, schließlich gehörten sie beide praktisch zur Familie. Ingas Eltern und Lasse saßen ebenfalls bereits, genauso wie Ari und ein paar der Veela-Cousins, die sich inzwischen etwas beruhigt hatten. In der Reihe auf der anderen Seite des Ganges, fand Emily auch Ron und Hermine. Zwischen den beiden saß ein etwas stämmiger, rothaariger Junge, der immer wieder am Kragen seines scheinbar zu engen Festumhanges zupfte. Emily lächelte, Harry hatte sie schon mal gefunden.

Leise Musik ertönte und Inga seufzte erleichtert auf. "Ich glaube fürs Erste sind wir vor Tante Molly sicher."

***

Die Hochzeit von Fleur und Bill war wunderschön und Fleur strahlte so hell, dass man die Narben auf Bills Gesicht kaum wahrnahm. Selbst Tantchen Muriel hielt ausnahmsweise die Klappe. Fred und George hatten sich mit den Spezialeffekten mal wieder selbst übertroffen: Tauben, die über allen schwebten als das Brautpaar "Ja" sagte und eine goldene Tanzfläche, die beiden sahen auch äußerst zufrieden mit sich aus. Statt der langen Stuhlreihen für die Zeremonie, fanden sich unter dem Zeltdach nun viele kleine Tische und Stühle, rundherum liefen Kellner mit Tabletts voller Getränke und Häppchen. Eine Band mit goldenen Jacketts spielte plötzlich auf.

"Wir sollten dem Brautpaar gratulieren", meinte Inga und schnappte sich gleich ein Glas Sekt vom nächstbesten Tablett. Emily drückte sie lieber auch eins in die Hand.

"Ich suche immer noch Harry." Emily stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte Harry oder Hermine und Ron in der Menge zu finden. Doch es reihten sich nun alle vor dem Brautpaar auf und in der Menge waren einfach zu viele Rothaarige, als dass Emily Harry in seiner Tarnung finden konnte.

"Ich helfe dir später beim Suchen", sagte Inga. "Aber fürs erste muss ich mich leider benehmen." Sie verzog das Gesicht.

"Wieso dass denn?", fragte Emily. "Alles okay bei dir?"

"Klar." Inga wedelte abwehrend mit der Hand. "Es hat sich herausgestellt, dass Mama und Papa nicht ganz so begeistert waren, dass Lasse und ich bei der letzten Aktion dabei waren." Inga sah sich um, bevor sie die Stimme senkte und Emily zu flüsterte: "Mad-Eyes Tod hat sie fürchterlich erschrocken und wir beide waren ihnen etwas zu nah."

"Ich dachte, ihr wärt schon längst abgebogen?"

Inga schüttelte den Kopf. "Wir mussten eine Schleife drehen, dann haben wir es gesehen. Lasse denkt immer noch, er hätte etwas tun können. Mama und Papa kennen Mad-Eye schon ewig, sie trauern um den alten Kerl. Dass ihre Kinder mitten drin gelandet sind, hat ihnen einen ganz schönen Schock versetzt."

Auch wenn Ingas Eltern schon seit langen Jahren Auroren und im Widerstand waren, war es doch noch etwas ganz anderes, wenn die eigenen Kinder in den Kampf zogen. Für Elina und Michael war es auch nicht einfacher als für Mr und Mrs Weasley oder Sirius und Sophia.

"Und deshalb versuche ich jetzt ein bisschen braver zu sein." Ingas spitzbübisches Grinsen konnte nicht ganz verbergen, dass Mad-Eyes Tod sie nicht auch irgendwie berührte, dass die Sorge ihrer Eltern etwas in ihr auslöste. Die Sanftheit in ihrer Stimme sprach Bände.

"Und wie lange planst du das durchzuhalten?" Emily zog eine Augenbraue hoch.

"Vermutlich nicht so lange." Inga grinste. "Wenigstens haben sie nicht mitbekommen, dass ich gestern gelauscht habe."

"Hast du was Interessantes erfahren?", fragte Emily neugierig.

"Nicht wirklich", erwiderte Inga. "Sie wollen sich in den nächsten Tagen treffen. Sophia und Kingsley sollen jetzt übernehmen. Aber lass uns wann anders drüber reden."

Ein weiteres Sektglas später, hatten die beiden endlich Bill und Fleur erreicht um den beiden zu gratulieren. Fleur war erfreut die beiden zu sehen, nachdem Inga und Emily zu den wenigen auf der Seite der Weasleys waren, die nichts gegen Fleur hatten. Auch wenn Mrs Weasley längst mit Fleur ihren Frieden geschlossen hatte, wusste Emily doch, dass anfangs nicht alle von Fleur begeistert gewesen waren. Fleur konnte zwar manchmal wirklich arrogant sein, doch Emily hatte den größten Respekt vor der Veela.

Aber es blieb ihnen nicht viel Zeit, denn die Gratulanten nahmen kein Ende und dann war es auch schon Zeit für den ersten Tanz von Bill und Fleur.

"Können wir euch von einem Tanz überzeugen?" Fred und George hatten sich zu Emily und Inga geschlichen, die am Rande der sich schnell füllenden Tanzfläche standen.

"Was ist aus den Veela-Cousinen geworden?", fragte Emily.

Fred zuckte mit den Schultern. "Offenbar zählt der Ruhm eines Quidditch-Stars immer noch mehr als der Reichtum von zwei erfolgreichen Unternehmern."

"Ich bin mir sicher, dass es nur daran liegt, dass sie noch nie in der Winkelgasse waren", versuchte Inga zu trösten und klopfte George auf den Arm.

"Wir scheinen zwar nur die zweite Wahl zu sein", sagte Emily lachend, "aber wenn es euch dann besser geht."

"Ihr seid niemals die zweite Wahl." Fred zog Emily auf die Tanzfläche. "Du warst im Übrigen auch noch nie bei uns im Laden."

"Sorry", lachte Emily, "war leider außer Landes."

"Aber jetzt geht es dir wieder besser?", fragte Fred ernsthaft interessiert, bevor er Emily herum wirbelte.

"Ja", sagte Emily und meinte es ernst. "Es ist gut wieder hier sein."

"Es ist auch schön, dich wieder hier zu haben."

Emilys Wangen wurden warm. "Also, wann kann ich euren Laden besuchen?"

"Du?", sagte Fred. "Jederzeit." Er reckte den Hals, um besser über die Menge sehen zu können. "Krum streitet sich übrigens mit Lunas Vater."

Emily drehte den Kopf um besser sehen zu können. Tatsächlich stand Viktor am Rande der Tanzfläche und redete auf einen Mann in gelben Roben ein. Yuna und Sirje standen daneben, beide mit angespannten Gesichtern.

"Was ist denn mit denen los?", fragte Emily.

Fred zuckte mit den Schultern. "Am Ende hat der gute, alte Xeno wahrscheinlich wieder von einer seltsamen Gestalt erzählt und Viktor passt das ganze nicht. Du weißt ja, wie die Lovegoods sind."

Emily warf einen letzten Blick auf die Streitenden und ließ sich dann wieder von Fred herumwirbeln. Ein Tanz noch und dann würde sie sich auf die Suche nach Harry machen. Aber erst zwei Tänze mit Fred, ein Tanz mit George und sogar mit Charlie später, konnte Emily sich von der Tanzfläche loseisen und Harry suchen. Inga war irgendwohin verschwunden, doch Emily wollte nicht erst noch Inga suchen, sie hatte sowieso schon zu viel Zeit verschwendet.

Vom Rande der Tanzfläche versuchte Emily Ausschau zu halten um wenigstens Ron und Hermine zu entdecken. Zur ihrer Überraschung tanzten Ron und Hermine miteinander und schienen kaum ein Auge für alle anderen zu haben. Wann war das denn passiert? Emily wusste, dass die beiden ineinander verliebt waren, aber bisher hatte keiner der beiden es gewagt mit dem Anderen darüber zu reden. Nun ja, vielleicht war der Tanz zumindest ein Anfang.

Emily verzog das Gesicht, als sie realisierte, dass es jetzt nur noch schwieriger werden würde Harry zu finden. Zwei echte Weasley-Cousins später, glaubte sie Harry gefunden zu haben. Er saß an einem der Tische zwischen Elphias Doge und Tantchen Muriel und kein echter Weasley würde sich das wohl antun. Bevor Harry wieder verschwinden konnte, quetschte sich Emily durch die Menge.

"Die Dumbledores haben in Godric's Hollow gelebt?", fragte Harry gerade und es war wirklich komisch seine Stimme aus dem fremden Mund zu hören.

"Ja, Barry, wie ich eben schon sagte", sagte Tantchen Muriel unwirsch. Nur gut, dass die nicht wusste, wen sie tatsächlich vor sich hatte. "Noch ein Weasley, den ich nicht kenne", murmelte sie, als sie Emily sah.

"Hallo", grüßte Emily fröhlich, "ich bin nur hier um Barry abzuholen."

"Barney", korrigierte Harry.

"Tanzen wir, Barney?" Emily konnte es sich nicht verkneifen ihren Bruder zu ärgern.

Harry warf ihr einen vernichtenden Blick zu. "Was willst du, Emily? Ich dachte, wir haben alles geklärt."

Neben ihnen spitzte Tantchen Muriel ihre Ohren. "Familienstreit?"

"Komm mit." Harry zog Emily davon, anscheinend war ihm Tantchen Muriel doch zu neugierig. Er blieb nicht stehen, bis sie am Rande des Zeltes standen.

"Kann ich mit dir sprechen?"

"Emily", erwiderte Harry gequält, "ich will nicht mit dir reden."

Seine Worte waren ein Schlag ins Gesicht.

"Zumindest nicht darüber", fügte Harry nach einem Blick in Emilys Gesicht schnell hinzu.

Das machte Harrys Worte nicht weniger schmerzhaft. "Das habe ich gemerkt", murmelte Emily. "Ich weiß war ihr vorhabt. Ich weiß, dass ihr auf eine Mission gehen wollt."

"Was?" Harry wirbelte zu Emily herum. "Wie kommst du darauf?" Er sah Emily an, vielleicht zum ersten Mal an diesem Tag richtig. Und doch war es ein fremdes Gesicht, dass ihr da entgegen blickte.

"Ginny hat mir erzählt, dass du noch etwas erledigen musst", antwortete Emily langsam, vorsichtig auf Harrys Reaktion wartend, ob er gleich wieder explodieren würde. "Dumbledore hat dir Unterricht gegeben, damit er dich auf deine Aufgabe vorbereiten konnte, oder?"

Harry zögerte.

"Etwas, dass mit der Prophezeiung und Voldemort zu tun hat", drängte Emily weiter. Diese eine gottverdammte Prophezeiung, die ihren Bruder zum Auserwählten machte, zum Einzigen, der Voldemort besiegen konnte. Diese gottverdammten Worte, die Harry solch eine Bürde auflegten.

"Ich hätte dir nichts erzählen sollen."

"Aber du hast es getan", sagte Emily. "Zumindest damals."

"Da wusste ich noch nicht um was es geht", sagte Harry. "Welches Wissen-" Er biss sich auf die Lippen.

Endlich ein Stück Wahrheit, auch wenn es nur Ginnys Worte bestätigte. "Ich kann helfen", sagte Emily. "Ich will dir helfen."

"Nein, das ist meine Aufgabe", antwortete Harry störrisch. "Ich will deine Hilfe nicht, auch nicht die von Sirius oder sonst wem."

Sirius hatte seine Hilfe angeboten? Natürlich hatte er das. "Selbst Sirius weiß Bescheid, was du vorhast?"

"Natürlich nicht." Harry schüttelte den Kopf. "Aber Sirius ist ja auch nicht blöd. Aber ich komme allein klar, ja?"

"Deshalb dürfen Ron und Hermine dich begleiten?", spottete Emily, viel harscher, als sie es beabsichtigt hatte. "Und ich nicht."

Wenigstens hatte Harry den Anstand jetzt etwas beschämt auszusehen. "Emily-" Seine Stimme brach.

Genauso wie es Emilys Herz tat. Sie wollte nicht hier stehen und mit ihrem Bruder, ihrem Zwilling, ihrem Seelenverwandten streiten, aber sie konnte nicht anders. Sie wollte ihm doch nur helfen, würde für ihn kämpfen, würde an seiner Seite stehen.

"Warum Ron und Hermine?", fragte Emily. "Warum diese beiden und nicht ich? Ich bin deine Schwester." Sie sah Harry flehend an.

"Emily, du verstehst das nicht-", setzte Harry an, doch Emily unterbrach ihn sofort: "Dann erklär es mir doch endlich."

"Dass du meine Schwester bist, ist ja das Problem." Harry trat einen Schritt auf Emily zu und schleuderte ihr die Worte entgegen.

Seine Worte ein weiterer Schlag und Emily zuckte zusammen.

"Du bist alleine schon deswegen in Gefahr, weil inzwischen alle Welt weiß, dass du meine Schwester bist", rief Harry, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt. "Und wenn du jetzt auch noch weißt, was ich vorhabe, dann bist du in noch größerer Gefahr."

"Wir sind in einem Krieg, Harry", antwortete Emily leise. "Niemand ist mehr sicher."

Harrys Schultern sanken. "Ich weiß. Aber-" Er schluckte. "Aber, du warst schon so oft in Gefahr, wurdest verletzt, nur wegen mir, dass ich nicht zulassen kann, dass ich dich noch mehr in Gefahr bringe." Dunkle Schatte lagen unter seinen Augen, Augen die endlich wieder die seinen waren, da der Vielssafttrank endlich an Wirkung verlor. Nur war das Feuer in ihnen längst zu Asche verbrannt. "Als dich in Hogsmeade gesehen habe, das Feuer, Greyback-"

Schreie. Schreie, die in Emilys Ohren dröhnten. Schreie, von denen sie inzwischen wusste, wem sie gehörten.

"Ich dachte, ich verliere dich endgültig", sagte Harry, seine Stimme kaum mehr ein Wispern, als ob er kaum zugeben wollte, was hätte so leicht in dieser Nacht passieren können. "Nichts hat so sehr weh getan wie diese Momente."

Emily riss die Augen auf. Das Zwillingsband. Natürlich hatte Harry alles gespürt, sie hatte nur allzu leicht vergessen, dass das Band zwischen ihnen in zwei Richtungen reichte.

Das Reißen ihrer Haut, als er seine Krallen in ihren Rücken hieb.

Sein heißer Atem, der über ihren Körper strich, während er in ihre Haare griff und ihren Kopf nach hinten bog.

Ein Schauder rann Emily über den Rücken, so kalt die wie bittere Erkenntnis. Sie war so egoistisch gewesen. So egoistisch, dass sie vergessen hatte, niemals darüber nachgedacht hatte, dass auch Harry alles miterlebt hatte. Dass auch Harry etwas verloren hatte. Hitze flutete ihren Körper und färbte ihre Wangen rot. Es war nicht nur sie gewesen, die gelitten hatte. Harry mochte zwar in Hogwarts gewesen sein, doch auch er hatte das Jahr ohne sie verbringen müssen.

"Es tut mir Leid, Harry."

"Du kannst nichts dafür, Emily", murmelte Harry.

"Ich will dir nicht weh tun", sagte Emily und streckte die Hand aus. "Ich will dir doch nur helfen." Es tat weh Harry so zu sehen, ein alter, müder Krieger und doch so jung. Wie konnte sie ihm noch Schmerz zufügen, hatten sie beide doch davon mehr als genug erlebt?

"Deine Augen", murmelte Harry. "Deine Augen, es sind nicht mehr die gleichen wie meine." Seine Stimme war sanft und brach dabei doch.

Emily wollte schon ihre Augen schließen, verbergen, vertuschen, dass sich etwas geändert hatte. Doch sie konnte es nicht. Sie konnte nicht die Wahrheit verbergen. Genauso wenig wie der Vielsafttrank nun Harrys wahre Gestalt verbergen konnte. Die blitzförmige Narbe unter dem dunklen Haar, ein müdes Gesicht. Und hell strahlende grüne Augen.

"Nein", erwiderte Emily leise. "Das ist was Greyback mir mitgegeben hat." Greyback hatte sie gezeichnet.

"Ich wollte niemals, dass dir so etwas passiert."

"Es ist nicht deine Schuld." Emilys Kehle war wie zugeschnürt, sie brachte die Worte kaum hervor. Wie viele Risse konnte ein Herz ertragen? Wie viel Schmerz, bis es endgültig kaputt war? "Es ist nicht deine Schuld, Harry, verstehst du das?" Sie packte ihren Bruder bei den Armen.

"Emily-", Harry setzte zum Sprechen, doch seine Augen verharrten auf der Tanzfläche und er beendete niemals diesen Satz.

Ein silbern schimmernder Luchs stand auf der Tanzfläche, die Gäste um ihn herum erstarrt zu grotesken Posen. Selbst die Musik hörte auf zu spielen. Dann öffnete der Luchs sein Maul und sprach mit der lauten, tiefen und langsamen Stimme von Kingsley.

"Das Ministerium ist gefallen. Scrimgeour ist tot. Sie kommen."

In diesem Moment spürte Emily wie die Schutzzauber über dem Fuchsbau fielen, wie da einfach nichts mehr war.

Für einen Augenblick herrschte Stille, dann schrie jemand und Chaos brach aus. Gäste stoben in alle Richtungen davon, viele disapparierten sofort, die Knallgeräusche ohrenbetäubend.

Emily zog ihren Zauberstab aus dem Holster am Oberschenkel hervor und beschwor einen Schutzschild um sie herum.

"Harry", schrie Hermine, den Zauberstab gezückt und barfuß. Ron war dicht hinter ihr. Sie sah zwischen Harry und Emily hin und her. "Wir müssen los, Harry."

Emily streckte die Hände nach ihrem Bruder aus, wollte sich verabschieden, wollte mit ihm mitgehen, wollte ihn in den Arm nehmen, ein letztes Mal. "Harry-"

"Es tut mir Leid, Emily." Harry hob seinen Zauberstab und ein hellrotes Licht stob hervor.

Der Schockzauber traf Emily in dem gleichen Moment, als Harry verschwand.

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