48. Grau

48. GRAU

Emily hatte keine Ahnung mehr, wie viele Tage seitdem ihr Bruder sie verlassen hatte, vergangen waren. Irgendwie verschwamm jeder Tag in den anderen, ebenso wie die unzähligen dunklen Wellen die sich schäumend brachen und auf den Strand von Ynys Môn krachten. Graues, eisigkaltes Wasser umgab Emilys nackte Füße, bevor es sich wieder zurück zog, nur um dann mit erneuter Wucht wieder auf das Land zu treffen. Wieder und immer wieder. Beständig.

So beständig wie die Fragen in Emilys Kopf, die verwirrten Gefühle in ihrem Herzen.

Das Wasser nahm Emily kaum noch wahr, sie vergrub die Zehen im Sand und sah den Wellen zu. Waren ihr Füße schon blau? Irgendwie konnte es Emily in diesem Moment nicht weniger kümmern.

"Hallo Eos", murmelte Emily der kleinen, schwarzen Eule zu, die auf ihrer Schulter landetete.

Eos zog an Emilys Haaren, ein unmissverständliches Zeichen, dass sie eine Belohnung haben wollte. Hermine, die sich im letzten Jahr um Eos gekümmert hatte, hatte die Eule nach Emilys Rückkehr wieder zu ihr zurück geschickt.

Emily kramte in ihrer Hosentasche nach einer Eulenleckerei und hielt sie Eos hin. "Wieder keine Antwort?"

Eos schlang die Leckerei hinunter. Doch Emily war auch so klar, dass Eos ihr keine Antwort von Harry gebracht hatte. Wieso auch? Bisher war jede Nachricht an Harry unbeantwortet geblieben. Jeden Tag hatte sie Eos losgeschickt, jeden Tag war Eos ohne Antwort zurück gekehrt. Dabei wollte Emily doch nur wissen warum.

"Verdammt", schrie Emily zu den Wellen und Wolken.

Erschrocken flog Eos auf und davon.

Emily fluchte leise. Selbst ihre Eule hatte sie nun verschreckt. Dabei wollte sie doch nicht so verdammt niedergeschlagen sein. Aber irgendwie fühlte sie sich so einsam. Einsamer als jemals im letzten Jahr. Und alles nur, weil Harry, der verdammte, sture Idiot beschlossen hatte nobel zu sein. So nobel zu sein, dass er seit Dumbledores Beerdigung kein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte. So nobel, dass er sich weigerte Emily zu sehen, sich sogar weigerte ihr zu schreiben. Sie war sich noch nicht mal sicher, ob sie sich an ihrem Geburtstag sehen würden.

Ich hab gesehen, wie du branntest. Harrys gebrochene Worte waren ihr ein ständiger Begleiter. Und ich will nicht, dass so etwas noch einmal passiert.

Emily vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sie hasste diese Worte. Aber sie konnten doch nicht die Antwort auf die verzweifelte Frage sein, warum ihr Bruder sie verlassen hatte?

Sie brauchte doch keinen Schutz? Sie war Harrys Schwester, sie sollte an seiner Seite stehen. Er brauchte sie doch. Oder etwa nicht?

Der leise Schrei einer Eule hinter ihr, ließ Emily herumfahren. War Eos zurück gekehrt? Doch vor ihr flatterte ein großer Uhu mit dunkelbraunem Gefieder. An seinem Fuß war ein kleines, viereckiges Paket befestigt.

Emily watete aus dem Wasser und streckte den Arm für den Uhu aus, der es sich auch sofort auf ihrem Arm bequem machte. "Wo kommst du denn her?", fragte Emily und löste die Verschnürung. Das Paket war nicht größer als ihre Handfläche und auf der Oberseite hatte jemand eine Lilie gemalt. Keine gute Zeichnung, aber Emily wusste sofort was es war. Lilium.

Emily hoffte auf einen neuen Auftrag, dass würde sie wenigstens ein bisschen ablenken. Tatsächlich verbarg sich in dem Paket, nach dem Emily den Verkleinerungszauber wieder rückgängig gemacht hatte, eine Mappe, die sich mit Emilys Fingerabdruck öffnete. Doch statt eines Auftrag zum Fälschen, fiel Emily ein dicker Stapel Papier, der dicht beschrieben war, entgegen. Oben drauf lag eine Notiz von Sirje.

Hej lyllasyster, es ist hier so ruhig geworden ohne dich. Ari, Charlie, Yuna und Rubeus richten Grüße aus. Eventuell hat Rubeus Charlies Lieblingshemd in Brand gesteckt und Charlie ist deswegen etwas eingeschnappt. Sprich ihn besser nicht darauf an, wenn wir uns zur Hochzeit sehen. Weswegen ich dir eigentlich schreibe: wir haben es noch mal geschafft uns zu treffen und zu trainieren. Du bist uns immer noch einen Kuchen schuldig, aber ich schicke dir trotzdem meine Aufzeichnungen. Ich bin mir sicher, dass du sie gerne lesen willst. Hej då för nu, Sirje

Emily musste schlucken. Sie vermisste die Leute und das Reservat mehr, als sie gedacht hatte. Die Gemütlichkeit von Sirjes Küche und das Gelächter von lauten Drachenzähmern. Und am allermeisten Sirje, die für sie eine große Schwester geworden war. Die allerliebste Sirje war es auch gewesen, die sich die Mühe gemacht hatte alle geübten Zaubersprüche mit Formel, Lautschrift zur richtigen Aussprache und Zauberstabbewegungen fein säuberlich zu Papier zu bringen. Zusätzlich waren noch jede Menge Anmerkungen am Rand angebracht, die Emily beim Lernen helfen sollten. Denn wenn Sirje eines war, dann gründlich. Außerdem wollte wohl niemand das zerstörte Fenster in Ari und Charlies Hütte wiederholen.

Gut, dass Emily bereits am Strand war. Dort konnte sie in Ruhe üben, weit und breit gab es nichts, was sie zerstören konnte und solange sie sich im Bereich der Schutzzauber aufhielt, bekam auch niemand etwas mit. Emily blätterte den Stapel durch und grinste. Vielleicht war da ja irgendwo ein Zauberspruch dabei, wie sie ihren Bruder endlich dazu bringen konnte, ihr zu antworten.

***

Der Himmel und das Wasser blieben immer noch grau und kalt und unnachgiebig. Genauso wie ihr Bruder, doch Emily fand zumindest eine Aufgabe für sich in Sirjes Aufzeichnungen. Denn die freie Zeit war nicht gut für Emily, zumindest nicht in diesen Tagen.

Emily warf einen vorsichtigen Blick zum Himmel, doch noch war der Mond nicht zu erkennen. Ein bisschen Zeit blieb ihr noch, bis sie sich auch wieder ihm stellen musste. Schnell wandte sie den Blick wieder zurück auf das Meer und mit einem gewaltigen Schrei und einer aggressiven Bewegung türmte sich das Wasser zu einer riesigen Spirale auf, zuckte durch die Luft und fiel dann wieder in sich zusammen.

Wassertropfen spritzen kreuz und quer über den Strand, wie kleine Nadelspitzen traf es Emilys Haut, doch Emily hieß das Gefühl willkommen. In letzter Zeit hatte sie sich sowieso viel zu oft viel zu taub gefühlt. Emily schloss die Augen und ließ die Kälte ihren Körper durchziehen, bis plötzlich heiße Luft ihren Körper umgab und sie in Sekundenschnelle wieder trocken war.

"Du erkältest dich noch", sagte Sirius leise, als Emily die Augen wieder öffnete. Er zog seinen Zauberstab und legte einen Wärmezauber um Emily.

Emily seufzte leise auf, als ihr Körper wieder wohlig warm wurde. Gut, vielleicht war sie wirklich schon ein bisschen unterkühlt. "Warst du bei Harry?"

"Ja." Sirius sah Emily nachdenklich an, als ob er abwägen würde, wie viel er Emily von ihrem Bruder erzählen konnte. Wie viel sie vertragen würde.

"Wie geht es ihm?", fragte Emily leise.

"So weit, so gut", murmelte Sirius. Harry war wieder in den Ligusterweg zurück gekehrt, während er Emily praktisch verboten hatte ihn zu begleiten. Nicht, dass er ihr das persönlich gesagt hatte, er hatte das über Sirius ausrichten lassen, so dass Emily die Ferien in Ynys Môn verbrachte. Der Blutschutz, der nur noch ein paar Wochen bestehen würde, war für Harry wichtiger als für Emily, daher hatte auch der Orden nichts dagegen. Schließlich hatte Emily auch schon die letzten Ferien nicht mehr im Ligusterweg verbracht.

"Wir haben über Skeeters neues Buch gesprochen", fuhr Sirius fort, "nachdem ihr beide drin vorkommt, würde ich gerne einen Anwalt beauftragen, der Skeeter verklagt."

Überrascht sah Emily Sirius an. Das waren nun wirklich Neuigkeiten, die sie von allem ablenkten. Sie hatte natürlich die Schlagzeilen und das Interview von Skeeter gelesen, in dem sie ihren Leserinnen und Lesern diverse Kapitel über Harrys und Dumbledores Beziehung versprach, ebenso wie über die genaue Rolle von Dumbledore bei ihrem Verschwinden. Emily wusste genau, dass alles Mist war, was diese Frau schrieb, aber das Buch würde garantiert ein Bestseller werden, so neugierig war die Zaubererwelt. "Das geht?"

Sirius musste schmunzeln. "Natürlich. Ich kenne das Buch noch nicht, aber ich gehe davon aus, dass sich dort genug Material finden wird um sie wegen Verleumdung und Falschaussagen dran zu kriegen. Hätte ich schon nach dem Turnier machen sollen. Außerdem seid ihr noch minderjährig und damit besonders schutzwürdig."

Wenn Emily nicht genau gewusst hätte, wie Sirius das letzte Wort meinte, hätte sie die Augen verdreht. Doch der Gedanke Skeeter eins auszuwischen, gefiel ihr irgendwie. "Von mir aus ja."

"Sehr gut." Sirius rieb sich die Hände.

"Aber Harry will immer noch nicht mit mir sprechen, oder?", fragte Emily. Sie hasste diesen hoffnungsvollen Klang in ihrer Stimme.

Sirius gute Laune verschwand schlagartig und tiefe Furchen erschienen auf seiner Stirn. "Er hat nichts dazu gesagt." Sirius besuchte Harry jeden zweiten Tag und jedes Mal war die Antwort dieselbe. "Ich kann ihn nicht dazu zwingen-"

"Schon gut." Emily versuchte ein schiefes Lächeln. "Du kannst nichts dafür." Sie wollte Sirius nicht noch mehr belasten, er war sowieso die ganze Zeit angespannt zwischen den Zwillingen.

"Es tut mir Leid für dich", sagte Sirius, "für euch beide."

Emily nickte nur.

"Wir sollten dennoch bald los", sagte Sirius. "Wir apparieren, ist das okay für dich?"

"Klar." Mit Sirius Worten kehrte auch die Nervosität wieder zurück, so hart wie ein Schlag ins Gesicht. Ihr Magen verknotete sich zu einem riesigen Klumpen und ihr Herz schlug bis zum Halse. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal so nervös gewesen war. Vielleicht am Yule Ball? Schnell vertrieb sie die Erinnerung wieder, das half nun wirklich nicht. Wieder blickte Emily zum Himmel, doch noch war der Mond nicht vollständig aufgegangen.

"Hier sind Schuhe und Jacke für dich."

"Danke." Emily nahm die Schuhe und die Jacke von Sirius entgegen. "Meine Socken hast du nicht zufällig auch?"

"Werden überbewertet." Sirius grinste verlegen. "Accio Emilys Socken." Keine zwei Sekunden später schoss ein Paar Socken durch die Luft und traf Sirius an die Brust. "Hier."

Ein kleines Grinsen erschien auf Emilys Gesicht. "Danke." Nachdem sie in Socken und Schuhe geschlüpft war, gingen Sirius und Emily ein Stück weiter den Strand hinunter, bis sie die Grundstücksgrenze erreichten und die Schutzzauber aufhörten. Es zwar auch ausgewählten Personen möglich direkt in den Garten zu apparieren, aber es war für Anfänger, wie Emily, einfacher außerhalb der Schutzzauber zu apparieren.

Emily hatte immer noch keine offizielle Lizenz zum Apparieren, da sie zum einen noch keine siebzehn war und wenn das Ministerium so weiter machte, sie auch niemals riskieren dort hin gehen um den lächerlichen Test abzulegen. Allerdings klappte es doch immerhin so gut, dass sie kleine Strecken bereits alleine apparieren konnte.

"Bereit?", fragte Sirius. Seine dunklen Haaren waren in den letzten Wochen länger geworden und die Seeluft sorgte dafür, dass sich die Haare noch mehr lockten als sonst. Zusammen mit der Lederjacke und den Stiefeln sah er manchmal eher nach einem verwegenen Pirat aus.

"Ja." Zumindest zum Apparieren war Emily bereit. Für alles was danach kam, eher nicht so. Doch erst einmal musste sie sich darauf konzentrieren heile am Ziel anzukommen. Emily rief sich das Bild der kleinen, kiesbedeckten Straße, die zum Cottage führte und von hohen Bäumen gesäumt war, vor Augen. Ein leiser Knall ertönte und Emily fühlte sich als ob sie durch einen viel zu engen Schlauch gezogen wurde, bevor sie auf eben jener Straße, die sie sich gerade vorgestellt hatte, landete. Emily schüttelte sich, Apparieren war nicht viel angenehmer als Reisen mit dem Portschlüssel.

Sirius tauchte neben Emily auf. "Alles noch dran?", fragte er unbekümmert.

Emily zuckte mit den Schultern. "Fühlt sich so an."

"Deine Haare sind auch noch alle da." Sirius grinste.

"Wie beruhigend."

Gemeinsam machten sich Emily und Sirius auf den Weg zum Cottage, das Tonks und Remus bewohnten. Und seit drei Tagen auch Edward "Teddy" Remus Lupin, nur ein bisschen Werwolf und dafür ein ganzer Metamorphmagus und vielleicht jetzt schon das heißgeliebteste und verwöhnteste Baby auf Erden. Zumindest wenn man Sirius als Maßstab nahm, der in sein Patenkind heiß verliebt war.

Schnell hatten sie das weiße Cottage erreicht, wo Remus schon auf sie wartete. Oder vielmehr auf dem kleinen Bänkchen neben der Haustür saß und zu schlafen schien. Das Cottage hatte ein tiefgezogenes Dach und auf der anderen Seite der Haustür zogen sich lange Rosenrabatten bis hinauf zum Dach. In dem abendlichen Sonnenlicht, sah es fast ein bisschen märchenhaft aus. Im Garten stand eine alte Schaukel, vermutlich noch aus Remus Kindertagen.

Da sie noch ein wenig Zeit hatten, setzten sich Emily und Sirius zu Remus auf die Bank und schwiegen.

"Ihr seid ja schon da", murmelte Remus jedoch, kaum dass die beiden saßen.

Sirius schmunzelte. "Der Vollmond geht in keiner halben Stunde auf."

Langsam öffnete Remus seine Augen, die vor lauter Schlafmangel dunkel umschattet waren. "Echt?"

"Jep, Moony", antwortete Sirius und klopfte Remus auf die Schulter. "Hat Teddy euch überhaupt schlafen lassen?"

"Nicht wirklich." Remus stand schwerfällig auf und streckte sich, dass die Knochen knackten. "Oh, hallo, Emily."

"Hallo", sagte Emily lachend und winkte Remus zu.

"Ich hatte schon ganz vergessen, dass das der erste Vollmond ist, seitdem", murmelte Remus und gähnte erneut.

Emily zuckte zusammen, es fühlte sich an als ob jemand einen Eimer Meerwasser über ihr ausgekippt hatte. Nur, dass sie dieses Mal die Kälte spürte. Sie wusste ja, warum sie hier war, aber hatte es lieber tief im hintersten Winkel ihres Kopfes versteckt. Es war der erste Vollmond, den sie nicht in Rumänien verbringen würde. Der erste Vollmond, seit dem Gespräch mit Remus nach dem Kampf im Astronomieturm. Der erste Vollmond, an dem sie sich nicht verstecken konnte.

Ihr Herz begann ihr wieder bis zum Halse klopfen, so sehr, dass sie sich sicher war, dass Remus und Sirius es hören würden.

"Was macht Bill heute Nacht?", fragte Remus. "Ich bin in den letzten Tagen nicht wirklich dazu gekommen mich bei ihm zu erkundigen-"

"Mach dir um den keine Sorgen." Sirius winkte ab. "Fleur ist bei ihm und hat schon für ihn gekocht. Ich glaube, dem geht's heute Nacht gut." Er grinste.

"Gut, gut." Remus rieb sich über das Gesicht.

Neid durchfuhr Emily scharf. Für Bill schien das so einfach zu sein. Für ihn ging das Leben einfach so weiter.

"Wir sollten schon mal losgehen", sagte Remus. "Es ist noch ein Stück." Er führte Emily und Sirius vom Cottage weg in Richtung des Waldes.

Tiefer und tiefer gingen sie hinein, folgten einem Pfad, der nur schwach ausgetreten war. Kiefernnadeln und Äste knackten leise unter ihren Füßen. Als sie eine Lichtung erreichte, streifte Emily ein Kribbeln, wie ein leichter, elektrischer Schlag. Schutzzauber. Stark genug um einen Werwolf aufzuhalten. Und so alt, dass sie noch von den Rumtreibern gemeinsam beschworen worden waren, damals als sie Hogwarts verlassen hatten und einen Platz für einen Werwolf brauchten.

"Wir sind da", sagte Sirius leise. Ein Funkeln war in seine grauen Augen getreten. "Ich hatte so einiges für uns geplant, aber du scheinst mir etwas zu müde zu sein, Moony."

Remus hatte immerhin noch so viel Energie, dass er die Augen verdrehen konnte. "Emily, bitte warte außerhalb der Schutzzauber, bis Sirius und ich uns verwandelt haben. Erst wenn du dich auch verwandelt hast, kannst du zu uns kommen."

Sirius sah Remus verwundert an, doch er sagte nichts, als Emily nur nickte und wieder den Bereich des Schutzzaubers verließ. Das elektrische Kribbeln war viel stärker, als sie den Schutzzauber verließ. Emily setzte sich zwischen die Wurzeln des nächstbesten Baumes und richtete den Blick auf den Wald.

Emily konzentrierte sich auf ihre Atmung. Einatmen. Ausatmen. Würde sie sich überhaupt in den Wolf verwandeln können? Seit dem Tag an dem Strand hatte sie es nicht wieder ausprobiert, eine weitere Sache, die sie in sich verborgen hatte. Langsam wechselte das wenig verbliebene Licht von golden zu silbern. Emily legte den Kopf in den Nacken und versuchte einen Blick auf den Vollmond zu erhaschen. Doch das dichte Blätterdach ließ sie nur Bruchstücke erkennen. Vorsichtig zog sie ihre Beine näher an sich und legte den Kopf auf den Knien ab. Emily schloss ihre Augen. Richtete ihre Aufmerksamkeit nach innen. Suchte ihre Magie.

Es war ihr fremde Magie, aber ein bisschen weniger fremd als noch vor einigen Wochen. Wusste, was sie erwartete. Erschrak nicht mehr, so sehr, als die Magie erwachte und sie umgarnte.

Emily ließ sich Zeit, ließ die Magie sie einhüllen, jeden einzelnen Zentimeter vor ihr.

Die Verwandlung war langsam, ganz so, als würde sie sich zum ersten Mal verwandeln. Aber es tat nicht weh, nur die bittersüße Erkenntnis, dass es jetzt anders war.

Geräusche füllten mit einem Mal den Wald. Alles was ihre menschlichen Ohren nicht hatten wahrnehmen können. Die Welt war schärfer und dunkler.

Emily war die Wölfin.

Zögerlich hob sie den Kopf.

Moony und Tatze standen auf der anderen Seite des Schutzzaubers, der Wolf den schwarzen Hund überragend. Doch die Aufmerksamkeit beider war vollkommen auf Emily fixiert. Tatze legte den Kopf schief und schien Emily anzugrinsen.

Es hatte wirklich funktioniert. Emily setzte langsam eine Pfote vorwärts, die Bewegung stockend. Die Magie floss kribbelnd durch ihre Adern. Doch bevor sie die Pfote wieder absetzten konnte, fiel Emily nach hinten zurück und landete auf dem Hintern. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus dem Lungen und Emily fluchte leise.

Emily erstarrte.

Emily streckte die Hand aus und seufzte. Es war ihre menschliche Hand. Na, das hatte ja super funktioniert.

Tatze bellte lautstark und schlug mit der Pfote gegen die magische Barriere. Rote Funken sprühten dort wo er den Schutzzauber berührte. Moony winselte leise und lief auf und ab ohne den Blick von Emily zu wenden.

Stöhnend rappelte Emily sich auf und rieb sich über das Steißbein. Ihre Muskeln protestierten bei jeder Bewegung, die viel zu schnell aufeinander folgenden Verwandlungen forderten ihren Tribut. Außerdem war sie es einfach nicht mehr gewöhnt ein Animagus zu sein. "Ja, ja, ich komme ja schon", murmelte Emily, als Tatze nochmals bellte. Sie schleppte sich näher an die Barriere und kniete sich dann davor.

Tatze nickte Emily auffordernd zu und setzte sich ihr gegenüber auf die Hinterbeine. Scheinbar wollte er auf Emily warten.

Emily konzentrierte sich auf die Wolfsgestalt in ihr, doch irgendwie war das Bild nichts mehr als bunte Schwaden, die sich nicht fassen ließen. Einatmen. Ausatmen. Mit der einen Hand stützte sie sich auf dem Waldboden ab, während die andere Hand auf ihrem Herzen lag in einem verzweifelten Versuch es wieder zu beruhigen. Emily tastete nach der Magie, suchte nach den einzelnen Fäden. Doch da war nichts mehr als feine, faserige Fäden, die nicht ausreichten um die Verwandlung zu erwirken. Emily konnte nicht mehr als nach Luft zu schnappen.

"Es funktioniert nicht", flüsterte Emily.

Moonys Heulen antwortete ihr.

"Ich weiß, Moony", murmelte Emily, "ich sollte es nochmal probieren, aber ich glaube nicht, dass es heute Nacht noch einmal funktioniert."

Moony trat näher zu der Barriere, doch im Gegensatz zu Tatze, wagte er es nicht sie zu berühren. Der Werwolf verzog die Lefzen, so dass seine Zähne sichtbar wurden und knurrte leise.

Es war nicht böse gemeint, das wusste Emily. Auf einem tieferen Level konnte sie verstehen was der Werwolf ihr sagen wollte. Dazu war doch genug Wolf in ihr. "Nein, Moony", erwiderte Emily. "Lauf mit Tatze. Habt Spaß heute Nacht." Ohne mich. "Es ist okay."

Schwerfällig ließ sich Moony auf den Boden fallen und zog die Beine an. Er gähnte und legte dann seinen Kopf ab. Keinen Augenblick später, kam ein leises Schnarchen von ihm.

Tatze schien ungläubig auf seinen Freund hinab zuschauen und stupste ihn mit der Pfote vorsichtig an. Selbst ein Bellen weckte Moony nicht wieder auf. Tatze schüttelte sich, bevor er aufstand und sich einige Meter weit weg von Moony bewegte. Eine Myriade von Funken sprühte auf, als sich Tatze an die Barriere drückte und dann blitzschnell in Sirius zurück verwandelte. Sirius sprang schnell auf die andere Seite.

Erstaunt sah Emily zu ihm. "Ist alles okay bei Moony?"

"Wie es scheint, ist das Geheimnis einen Werwolf in einer Vollmondnacht ruhig zu stellen", sagte Sirius langsam, "exzessiver Schlafmangel und die Aufregung ein frischgebackener Vater zu sein." Ein Grinsen erhellte sein Gesicht.

Emily wusste, dass Teddys Geburt ziemlich turbulent verlaufen war. Nachdem der Kleine erst auf sich hatte warten lassen (Tonks hatte Sirius bereits mehrere Heuler gesendet, als er es wagte zu fragen, ob der Kleine schon da sei) und dann konnte es ihm nicht schnell genug gehen und war innerhalb weniger Stunden da. Da Werwölfen nun der Zutritt zu St. Mungos und allen anderen magischen Krankenhäusern verwehrt war, brachte Tonks, unterstützt von ihrer Mutter, Molly Weasley und Poppy Pomfrey, ihren Sohn daheim zur Welt. Remus war vor lauter Aufregung nicht die größte Hilfe gewesen, auch wenn er die ganze Zeit an Tonks Seite gewesen war.

Emily betrachtete den schlafenden Werwolf, der so nun überhaupt nicht gefährlich aussah. Zuneigung zu Remus und Sirius wallte in ihr auf.

Sirius machte es sich neben Emily auf dem Waldboden bequem und lehnte sich an den nächstbesten Baumstamm. "James konnte am Anfang auch kaum für ein paar Minuten in seiner Animagusform bleiben. Er ist immer in seine menschliche Form zurück gesprungen."

"Echt?" Emily wandte sich zu Sirius.

"Die Form anzunehmen ist die eine Sache", sagte Sirius. "Aber sie beibehalten ist die Andere."

"Hmm", murmelte Emily. Sie griff nach einem kleinen Ast, der vor ihr lag und begann daran herumzuspielen. Mit der Löwin war alles so einfach gewesen, sie erinnerte sich an die Aufregung, die Freude, die in ihr gesprudelt hatte. Sie erinnerte sich sogar noch an ihren allerersten Lauf durch den Verbotenen Wald.

"Ich glaube, dass es für dich so ist, als wenn du es wieder von Neuem lernen musst", sagte Sirius. "Auch wenn du einen Vorteil hast."

"Einen Vorteil?" Emily runzelte die Stirn.

"Erinnerst du dich noch daran, dass die Animagie deinen Körper auf magischer Ebene verändert?", fragte Sirius. Als Emily nickte, fuhr er fort: "Remus und ich haben zu diesem Thema noch einmal recherchiert, obwohl es kaum Schriften zu diesem Thema gibt. Wir konnten aber auch nur Mutmaßungen anstellen, aber dadurch, dass dein Vater bereits ein Animagus war und somit seine Magie verändert hat, hat er das gewissermaßen an dich weiter vererbt. Die Magie unserer Eltern bestimmt zu einem großen Teil auch unsere Magie, James hat also praktisch die Veranlagung für Animagie an dich weiter vererbt. Da war ein winziger Teil, der Animagie bereits kannte und vermutlich warst du deshalb in der Lage es so schnell zu lernen."

Mit einem leisen Knacken, zerbrach der Ast in Emilys Händen. Gedanken wirbelten durch ihren Kopf - ihr Vater hatte ihr seine Fähigkeiten vererbt? Was war dann noch von ihr übrig? Es war doch ihre Löwin. Ihre Wölfin, korrigierte Emily sich bitter. Die Wölfin, denn die ihre war sie noch lange nicht.

"Versteh mich nicht falsch, Emily", sagte Sirius sanft. "Es ist nur eine Veranlagung, die Tatsache, dass du wirklich eine Animaga geworden bist, dass ist ganz allein dein Verdienst. Wenn du dich nicht dafür entschieden hättest, säßest du heute nicht hier. Harrys Talent auf dem Quidditchfeld ist auch seins und nicht dass eures Vaters."

Vielleicht, vielleicht, war es auch ein Geschenk gewesen. Ein Geschenk, dass es ihr erlaubte stark zu sein. Wärme erfüllte Emilys Körper und ein Lächeln zierte ihre Lippen.

"Möchtest du es noch einmal probieren?", fragte Sirius.

Vorsichtig streckte Emily ihre Beine aus und sog scharf die Luft ein. Das Kauern auf dem Waldboden, hatte den Schmerz in ihren Muskeln nicht besser gemacht. "Heute Nacht nicht."

"Ist auch okay." Sirius klopfte neben sich. "Dann komm her. Kennst du schon die Geschichte, in der James und ich vor der Muggel-Polizei fliehen mussten?"

"Nein." Emily lächelte Sirius an und ließ sich neben ihn fallen. Sirius beschwor einen Wärmezauber herbei und gemeinsam hielten sie Wache über den schlafenden Werwolf.

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Willkommen (zurück) zum siebten Jahr :) Es fühlt sich irgendwie ein bisschen surreal an, dass ich jetzt tatsächlich dabei bin das siebte Jahr zu schreiben, nachdem ich so lange Zeit immer nur sagen konnte, dass ich darüber schreiben möchte... Ich versuche auch, dass es nicht wieder so lange dauert wie beim sechsten Jahr, aber keine Sorge ich hab genug Ideen für dieses Jahr :D

Die Gesichte, auf die sich Sirius bezieht, ist die Kurzgeschichte aus dem Harry-Potter-Prequel.

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