47. Abschied
47. ABSCHIED
"Cause it rings in the day
And it rings in the evening
Oh i could pray but it won't stop you leaving
Shadow in black you are grim from your reaping
Oh can't you spare just a day for the weeping
Oh can't you spare just a day for the weeping"
Funeral Bell - Phildel
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Einige Tage später reiste Emily in Begleitung von Sophia und Sirius ein letztes Mal nach Rumänien. Ari und Yuna waren noch in den frühen Morgenstunden nach dem Kampf auf dem Astronomieturm ins Reservat zurückgekehrt, beide mussten arbeiten und würden Charlies Schichten in den nächsten Tagen übernehmen. Charlie blieb noch in England um Bill zu unterstützen, der aus dem Krankenflügel entlassen worden und nun daheim von Fleur und Mrs Weasley gepflegt wurde. Sirje war ebenfalls bereits wieder zurück in Rumänien, Madam Pomfrey würde sich um die weitere medizinische Behandlung kümmern.
Und Emily blieb nun die Aufgabe ihr Zimmer doch noch aufzuräumen und endgültig ihre Sachen zu packen. Die Zeit in Rumänien war für sie nun vorbei und nächstes Schuljahr würde sie wieder nach Hogwarts gehen.
Mit Rücksicht auf Sirius und Emily, hatte Sophia mehrere Portschlüssel kreiert, die sie in mehreren Etappen bis in das Tal in den Karpaten brachte. Zielsicher führte Emily die beiden durch das Hüttendorf zu Sirjes Hütte, wo die Heilerin bereits mit frischem Kaffee und einem Schokoladenkuchen auf sie wartete.
"Hallo Emily." Sirje schloss Emily in die Arme. "Schön dich zu sehen."
Emily lächelte. "Ich freue mich auch." Und tatsächlich freute sie sich sehr Sirje wiederzusehen und wieder zurück im Reservat zu sein. "Auf das Aufräumen eher weniger." Emily verzog das Gesicht.
Sirje lachte. "Ich hab ein paar Aufräumzauber durch dein Zimmer geschickt, zumindest die Bücher sind gestapelt und deine T-Shirts sind gefaltet."
"Sirje, du bist die Beste", seufzte Emily.
"Das kann ich bestätigen", meldete sich Sirius zu Wort. Auf dem Teller vor ihm lag schon das zweite Stück Schokoladenkuchen. "Aber Emily kann ihre Sachen selbst packen. Selbst James hat es irgendwann geschafft seinen Koffer selbst zu packen."
"Jajaja, ich geh ja schon", murmelte Emily und schlurfte in ihr kleines Zimmer. Tatsächlich sah es deutlich ordentlicher aus als in der ganzen Zeit in der Emily hier gewohnt hatte. Mit einem Schlenker ihres Zauberstabes flogen die Bücherstapel in die mitgebrachte Kiste. Merlin sei Dank gab es Federleicht-Zauber, ansonsten hätte Emily vermutlich einen Kran gebraucht um die ganzen Bücher zu transportieren.
Emily hatte fast schon ein schlechtes Gewissen, als sie die T-Shirts und Pullover aus den Schubladen kramte und doch wieder in ihre Reisetasche stopfte. Sie nahm sich nur vor Sirje nach dem Zauber zu fragen, damit sie die Unordnung selbst beseitigen konnte. Also zumindest vielleicht. Aus dem Bad holte sie noch ihre Sachen und schmiss sie zuoberst in die Tasche.
Ohne ihre Unordnung sah das kleine Zimmer beinahe leer und verlassen aus, nur die rote Decke auf dem Bett erinnerte daran, dass Emily fast ein Jahr hier gelebt hatte.
Ein Jahr, dass so ganz anders gewesen war, als Emily es sich je hatte vorstellen können.
Ein Jahr, das auf seine eigene Art und Weise spannend und lehrreich und gut gewesen war.
Ein Jahr, in dem Emily nichtsdestotrotz Glück erfahren hatte.
Und sie würde das Reservat und seine Bewohner vermissen.
"Hast du alles?" Sirje war in das Zimmer getreten und lächelte Emily an.
"Ich glaube schon." Emily legte den Federleicht-Zauber auf die Bücherkiste und die Reisetasche.
"Nicht alles", erwiderte Sirje und nahm die Decke vom Bett. "Das ist deine Decke."
"Meine?", fragte Emily erstaunt, als Sirje ihr die Decke in die Arme drückte.
"Klar", sagte Sirje. "Ich hab sie für dich gemacht, als Charlie mir sagte, dass ich eine kleine Cousine bekomme." Sie zwinkerte bei der Nennung von Emilys erfundener Identität. "Ari hat mir geholfen den richtigen Farbton für eine Gryffindor zu finden. Ich dachte, dass etwas Vertrautes nicht schaden kann."
Die Decke fiel zu Boden als Emily auf Sirje zurannte und sie in die Arme schloss. "Danke, Sirje", murmelte Emily und verbarg ihr Gesicht an Sirjes Schulter. "Ich danke dir für alles. Ich weiß nicht, wie ich dieses Jahr ohne dich überstanden hätte." Nicht nur, weil Sirje Emily so meisterhaft medizinisch versorgt hatte oder das beste Essen weit und breit kochte. Da waren auch die unzähligen Gespräche und die vielen, kleinen Momente in denen Sirje einfach nur da gewesen war. "Du bist wirklich die Allerbeste."
Doch Sirje lachte nur. "Du musst mir nicht danken" Sie löste die Umarmung und betrachtete Emily. "Ich hatte dich wirklich gern hier, Emily."
Emily klaubte die Decke wieder vom Boden auf und drückte sie an sich. Der feine Geruch von getrockneten Kräutern stieg in ihre Nase, ein Geruch, den Emily für immer mit Sirje und dem Reservat verbinden würde. "Und ich war gern hier."
"Ich hoffe, dass Sirius noch etwas von dem Kuchen für dich übrig gelassen hat", sagte Sirje und half Emily dann die Tasche und die Kiste in die Küche schweben zu lassen.
Tatsächlich hatte jemand ein kleines Stück für Emily beiseite gestellt, doch der Rest vom Kuchen war längst vertilgt worden, denn neben Sirius und Sophia saßen auch noch Yuna, Ari und Noah in der Küche.
"Da bist du ja", rief Yuna begeistert. "Wir wollen uns auch noch von dir verabschieden."
"Genau, du kannst nicht gehen, ohne dich gebührend zu verabschieden", sagte Noah, "schließlich gehörst du auch zu uns."
"Kann ich erst meinen Kuchen essen?" Emily ließ sich auf einen Stuhl fallen und schnappte sich den Teller, bevor auch nur irgendjemand anderes auf die Idee kommen ihr den Kuchen zu stehlen.
"Wie geht es mit dem Orden weiter?", fragte Ari. "Hat sich schon etwas ergeben, seitdem-" Irgendwie konnte selbst Ari nicht ganz aussprechen, was an dem Abend geschehen war.
"Noch nicht viel", erwiderte Sophia. "Mad-Eye hat die Führung übernommen, aber viele sind noch zu sehr geschockt von Dumbledores Tod."
"Mad-Eye ist eine gute Wahl", meinte Yuna.
"Er ist vor allen Dingen paranoid und herrisch", murmelte Sirius, "aber kämpfen kann er. Er ist kein Politiker wie Dumbledore, aber die Zeiten von Politik sind vorbei. Es ist nun Krieg und niemand kann es mehr leugnen."
Stille senkte sich über Sirjes Küche, auch wenn Sirius Worte für niemanden eine Neuigkeit bedeuteten. Dafür kämpften sie alle schon zu lange.
"Fürs erste wird bis Dumbledores Beerdigung nichts weiter passieren." Sophia brach das Schweigen. "Was aber nicht bedeutet, dass wir nicht trotzdem etwas tun können. Gibt es etwas was Lilium vom Orden braucht? Können wir euch irgendwie helfen?"
Ari schüttelte den Kopf. "Im Moment nicht. Wir haben immer noch Geld aus der letzten Spende übrig und das bestellte Material ist teilweise noch nicht geliefert, so dass wir erst einmal darauf warten, bevor wir weitermachen können. Ansonsten sind noch mehrere Übungstreffen geplant, wenn jemand dran teilnehmen möchte, gerne. Wir testen gerade das neue Kommunikationssystem aus." Sie grinste Emily an. "Ich denke, dass wir zum Ende des Sommers noch einmal auf euch zukommen."
"Es sei denn, ihr benötigt vorher wieder unsere Hilfe", ergänzte Yuna.
"Okay", sagte Sirius. "Aber meldet euch, wenn ihr was braucht."
Neugierig hörte Emily zu. Scheinbar waren zumindest Sophia und Sirius auch bei Lilium involviert, waren sie vielleicht sogar auch Mitglieder? Sie musste später mit den beiden mal reden, nicht nur weil die Erwähnung von Spenden sie auf eine Idee gebracht hatte.
"Maia?", sagte Ari, "können wir uns weiterhin auf deine Arbeit verlassen?"
Emily grinste breit. "Natürlich." Es tat gut zu wissen, dass sie weiter für Lilium arbeiten konnte, dass Lilium ihre Arbeit schätzte.
Sophia und Sirius sagten nichts weiter, auch wenn sich Emily sicher war, dass die beiden nicht wussten was genau Emily für Lilium tat.
"Sehr gut." Ari nickte zufrieden. "Dann werden sich voraussichtlich Bill oder Fleur bei dir melden."
"Okay." Eigentlich war Emily schon neugierig gewesen, wer noch alles in Großbritannien war und zu Lilium gehörte, aber sie verstand auch, dass der Kontakt zwischen den Mitgliedern oft begrenzt war. Zumindest wenn sie so unter Beobachtung standen, wie es in Großbritannien waren. Das Reservat bot Lilium doch mehr Freiheiten.
Sophia sah auf ihre Uhr. "Wir können leider nicht mehr lange bleiben, die Portschlüssel sind zeitgesteuert. Du hast alles, oder?"
"Jep." Emily stand auf und umarmte nacheinander Yuna und Ari. "Passt mir auf Rubeus auf, ja? Und schickt mir Fotos von ihm."
Yuna warf Ari einen vielsagenden Blick zu. "Ich wette, dass unsere Emily hier noch einmal mit Drachen arbeiten wird."
"Ich hätte nichts dagegen", erwiderte Ari vergnügt.
Noah trat zu Emily. "So, dein richtiger Name ist also Emily."
Emily wurde rot. Verdammt, das hatte sie glatt vergessen, dass Noah der Einzige war, der sie nur unter Maia Johansen kannte. "Ja. Aber ich hab dich immer noch besiegt." Sie grinste den norwegischen Drachenzähmer an.
"Ich hoffe, dass wir uns noch einmal zu einem Duell treffen", sagte Noah und lächelte. "Dann zeig ich dir, was ich wirklich kann."
"Das glaubst du." Emily grinste immer noch.
"Dann also bis bald, Emily", erwiderte Noah sanft.
Sirius beäugte Noah misstrauisch, sagte jedoch nichts dazu, sondern schrumpfte lieber Emilys Tasche und die Bücherkiste, so dass sie in die Taschen seiner Lederjacke passten.
Emily umarmte Sirje ein letztes Mal, bevor sie die Hand auf den Portschlüssel legte. Emily atmete tief durch. Das Reservat war ihre Zuflucht gewesen, eine kleine, geheime Welt, ein sicherer Ort. So nah und doch so weit weg. Doch nun war es an der Zeit dieses Kapitel zu beenden und in die Welt zurück zu kehren, auch wenn Emily niemals so wenig wusste, was sie erwarten würden.
***
Langsam gewöhnte Emily sich an Portschlüsselreisen, trotzdem war sie froh endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Die drei waren im Wohnzimmer in Ynys Môn gelandet. Bevor Sirius oder Sophia auf andere Ideen kommen, platzte Emily schon mit ihrem Plan heraus.
"Mit siebzehn bekommen Harry und ich die Verfügungsgewalt über unser Verlies in Gringotts, oder?" Auch wenn sie niemals selbst dort gewesen war, wusste sie doch dass es ein Familienverlies gab.
"Natürlich", erwiderte Sirius, die Stirn gerunzelt. "Derzeit wird es von mir verwaltet, da ich Harrys Pate bin, Sophia es ist derzeit verboten.. Aber warum fragst du?"
"Ari hat etwas von einer Spende erwähnt", erklärte Emily. "Und ich will einen Teil meines Geldes an Lilium und an den Orden spenden, die können das Geld besser gebrauchen." Die Aktionen von Lilium mussten auch alle bezahlt werden: Medizin, Geld für die Versorgung von Flüchtlingen, das Material für die Fälschungen, der Druck der Flugblätter, die Ausrüstung und noch so vieles mehr.
"Du musst nicht-", begann Sirius.
"Ich würde aber gerne", sagte Emily mit fester Stimme. "Wahrscheinlich finanzierst du ebenfalls Lilium, nicht wahr?"
Sirius seufzte. "Erwischt." Er sah jedoch nicht sonderlich traurig aus. "Die Blacks haben in den letzten Jahrhunderten viel zu viel Geld verdient, dass ihnen eigentlich nicht zusteht." Es war eine Wiedergutmachung, auch wenn Sirius es vielleicht nicht so nannte.
"Gut." Emily nickte. Das lief ja besser als erwartet. "Dann brauche ich nur noch einen Termin bei Gringotts."
"Kein Problem", antwortete Sirius. "Wenn du möchtest, begleite ich dich." So etwas wie Stolz schwang in seiner Stimme mit. "Ich muss sowieso noch einige finanzielle Dinge regeln." Er tauschte einen Blick mit Sophia, die nur nickte.
"Kann ich euch noch etwas fragen?" Emily folgte einer plötzlichen EIngebung.
"Du kannst uns alles fragen, Emily", sagte Sophia.
"Ob du eine Antwort bekommst, ist eine andere Sache." Sirius grinste Emily an. "Nein, dass war nur Spaß. Die Zeiten in denen wir euch etwas verschweigen können, sind vorbei. Ihr seid bald erwachsen."
Emily verdrehte die Augen. "Warum war Dumbledore eigentlich so dagegen, dass die Jüngeren - also Ari, Yuna, Charlie und Lasse - etwas für den Orden tun dürfen?"
"Das ist keine ganz einfache Frage, Emily." Sophia seufzte und setzte sich auf das nahestehende Sofa. "Da spielen viele Gründe eine Rolle."
Sirius setzte sich neben seine Frau und schlang einen Arm um sie. Emily zog sich den Ohrensessel herbei und machte es sich dort bequem.
"Dumbledore wusste natürlich, dass er jede Hilfe für den Widerstand benötigen würde, die er bekommen konnte", begann Sophia, "Lasse ist ein exzellenter Auror, Ari und Yuna haben sehr gute Verbindungen in wichtige Familien und Politik."
"Der Kampf gegen Voldemort wird auf vielen Ebenen ausgefochten", fügte Sirius hinzu, "die Todesser suchen nicht nur in Großbritannien nach Anhängern und Geldgebern."
Emily nickte. "Ari hat davon erzählt, sie haben sogar schon Krum gefragt."
"Es zieht alles immer weitere Kreise", sagte Sophia langsam. "Aber gleichzeitig wollte Dumbledore auch niemanden zu sehr in Gefahr bringen, auch wenn das in diesen Zeiten lächerlich klingen mag. Aber seine vielleicht größte Angst war, dass sich die Geschichte des ersten Ordens wiederholt. Dass erneut eine Generation ausgelöscht wird."
Sophias Blick fiel auf eine Fotografie auf dem Kaminsims. "Von all den Personen auf diesem Bild des ersten Ordens, sind so viele gestorben. Marlene, ermordet an ihrem eigenen Hochzeitstag, Dorcas ermordet in der Mysteriumsabteilung von Voldemort persönlich, Caradoc verschwunden. Lily und James-" Ein Schaudern durchlief ihren Körper.
"Gideon und Fabian waren nur ein paar Jahre älter als wir", übernahm Sirius das Erzählen. "Benjy war jung, genauso wie Edgar. Er hatte sogar Familie, die sie allesamt umgebracht haben. Alice und Frank in St. Mungos. Und ich in Askaban."
Emily bereute es die beiden überhaupt danach gefragt zu haben, die Erinnerungen umwoben die beiden wie dunkle Schatten, die sie niemals los werden würden.
Doch Sophia sprach weiter: "Es hat uns ruiniert."
Aber genau das war es, die Kämpfer des ersten Krieges erlebten alles wieder aufs Neue, all die Traurigkeit, Verletzungen und die Machtlosigkeit und den Tod. Aber da war eine neue Generation herangewachsen, die sich entschieden hatte in den Kampf zu ziehen. Die vielleicht aber auch keine Entscheidung hatten treffen können, sondern in den Krieg gezwungen wurden.
Und vielleicht war genau dass das Grausamste. Mitansehen müssen wie eine Generation im gleichen Alter erneut in einen Krieg verwickelt war, den sie bereits gekämpft hatten. Dass die Älteren genau wussten, was die Jüngeren erwartete.
Plötzlich verstand Emily es so viel besser. Dass die Älteren sie aus guten Grund beschützen wollten und es doch nicht konnten. Dass sie wussten wie es war. Umso dankbarer war Emily für Sophias und Sirius stille Unterstützung, dass sie Emily und Harry ihren eigenen Weg gehen ließen, obwohl es sicherlich nicht einfach für sie war. Sie erinnerte sich an das Gespräch mit Remus in der Bibliothek aim Haus am Grimmauldplatz, wo sie genau darüber gesprochen hatte. Das Verständnis für den Wunsch der Jüngeren, während die Älteren sie gleichzeitig davon fernhalten wollten.
Dass sogar ein Albus Dumbledore verstanden hatte, dass er den Krieg nicht alleine führen konnte, während er keine Hilfe wollte, weil er genau wusste, was dies für diejenigen im Widerstand bedeutete.
Aber nun war ein jeder von ihnen mit diesem Krieg, mit dem alten Krieg auf unsichtbaren Banden verwoben, keiner konnte sich ihm entziehen. Sie konnten nur kämpfen, für sich, für andere. Da war ein Krieg, ein Sturm und sie befanden sich mitten drin.
***
Die Beerdigung von Dumbledore fand ein paar Tage später auf den Ländereien von Hogwarts statt. Es war seltsam passend, dass Dumbledore, der so viel für die Schule gegeben hatte, auf diesem Land die letzte Ruhe finden sollte. Emily, Sophia und Sirius nahmen erneut einen Portschlüssel, der sie nach Hogsmeade brachte. Remus und Tonks warteten bereits auf die drei.
Es war das erste Mal seit der Attacke vor einem Jahr, dass Emily wieder in Hogsmeade war. Auf dem ersten Blick sah alles aus wie immer, nur dass unzählige Hexen und Zauberer aus dem sonst so beschaulichen Dorf in Richtung Hogwarts strömten. Scheinbar wollte alles und jeder dem großen Dumbledore die letzte Ehre erweisen. Doch als Emily genauer hinsah, war es an vielen Stellen die Abwesenheit von Schäden, die ihr verriet welchen Schaden das Dorf tatsächlich im letzten Jahr davon getragen hatte. Frisch gestrichene Fensterläden und gerade Dächer, statt abgetretetem Pflaster und windschiefen Mauern. Manche Häuser sahen einfach zu neu aus.
"Wir wollten uns beeilen", sagte Sophia, die Hand in der Manteltasche vergraben, genau dort wo sie ihren Zauberstab umklammert halten konnte.
Auch Remus, der sich ständig schützend vor Tonks stellte, sah angespannt aus und blickte sich andauernd um.
"Nichts lieber als das", murmelte Sirius.
Emily wusste nicht, ob Sophia, Sirius, Remus und Tonks sich auch an die Attacke in Hogsmeade erinnerten oder sich einfach nur in der Menschenmenge unwohl fühlten, aber sie ließ sich von den Erwachsenen schnell aus der Menge und hoch zum Schloss führen. Am Ufer des Schwarzen Sees waren lange Reihen an weißen Stühlen aufgebaut, die sich schnell füllten. Sirius fand noch ein paar freie Plätze und schnell nahmen sie Platz.
Emilys Blick wanderte über die Menge, ganz vorne saßen natürlich die wichtige Leute, wie Scrimgeour, der derzeitige Zaubereiminister, und seine Leute. Aber auch Kingsley, Mad-Eye und Michael und Elina Bergström saßen weit vorne, alle vier trugen ihre offiziellen Aurorroben. Ob Sophia wohl auch lieber bei ihren Kollegen gesessen hätte? Doch Sophia machte nicht den Eindruck, dass sie ihre Kollegen überhaupt wahrnahm. Zumindest Dädalus Diggles purpurner Spitzhut war in der Menge nicht zu übersehen. Von Lilium waren Ari, Lasse und Elliott Sayre zu sehen, in der Reihe dahinter erkannte Emily ein paar der Ladenbesitzer aus Hogsmeade: Ambrosius Flume vom Honigtopf und Sky Edwards aus dem Kleiderladen und ihre Freundin Milena Vance.
Auf der Seite zum See hin hatten sich die Schüler von Hogwarts versammelt. Inga winkte Emily verstohlen zu. Leo und Neville saßen ein paar Reihen vor ihr, zusammen mit den Gryffindors. Lunas hellblonder Schopf leuchtete in der Sonne zwischen den Ravenclaws, sogar eine ganze Menge Slytherins war hier.
Emily stockte der Atem, als sie Harry endlich in der Menge fand. Er saß ganz am Rand, weit weg von den anderen Schülerinnen und Schülern, nur umringt von Ginny, Hermine und Ron. In den letzten Tagen hatte Emily ein paar Mal versucht ihren Bruder zu erreichen, doch weder auf ihre Briefe per Eule noch über das Zwillingsband hatte Harry reagiert. Sie musste mit ihm reden. Wie konnte er sie nur so ignorieren? Und warum? Was hatte Emily ihm getan?
Um sich abzulenken, warf sie lieber einen Blick auf Hogwarts, das mächtig wie eh und je über ihnen aufragte. Es war seltsam beruhigend die Schule so still und ruhig in der Sonne zu sehen, auch wenn Emily sich gewünscht hatte, dass es unter anderen Umständen wäre.
Hagrids Auftauchen riss Emily wieder aus ihren Gedanken. Hagrid schritt langsam den Mittelgang entlang, in seinen Armen eingewickelt in ein samtenes Tuch: Dumbledore. Der Samt war dunkelviolett und mit silbernen Sternen bestickt, was Emily jäh an dem Moment in dem Moment erinnerte, in dem sie Dumbledore das erste Mal gesehen hatte. Damals als er sie im Waisenhaus besucht hatte und ihr den Brief für Hogwarts gegeben hatte.
Getuschel und Gewisper war in der Menge zu hören, die Umstände, in denen Dumbledore zu Tode gekommen waren, blieben immer noch mysteriös. Oder redeten sie mal wieder nur über Harry?
Hagrid legte Dumbledores Leichnam auf einem riesigen, marmornen Tisch ab und setzte sich zu seinem Halbbruder Grawp in die letzte Reihe, während ein kleiner Zauberer nach vorne trat und mit der Trauerrede begann, eine endlose Aneinanderreihung von Dumbledores Leistungen ohne dabei zu wissen, was Dumbledore wirklich für ein Mensch gewesen war.
Emily hatte niemals die gleiche Verbindung zu Dumbledore aufgebaut wie Harry, er war ihr kein Mentor gewesen. Aber dennoch hatte Dumbledore immer wieder eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt und er war ein großartiger Schulleiter gewesen. Natürlich trauerte sie irgendwie um Dumbledore, doch ihr Herz schmerzte noch mehr für Harry, der noch so viel mehr verloren hatte.
Etliche Leute schrien auf, als ein Ring aus Flammen Dumbledores Leichnam und den Tisch einschlossen und in den Himmel auf loderten. Weißer Rauch stieg in merkwürdigen Formen, einmal glaubte Emily sogar einen Phönix aus Rauch zu erkennen. Als die Flammen erstarben, stand an der Stelle des Tisch ein weißes Grabmal.
Pfeile rauschten durch die Luft und noch mehr entsetzte Schreie waren zu hören, doch die Pfeile fielen weit von der Menge weg auf den Boden. Auch die Zentauren des Verbotenen Waldes nahmen Abschied von Dumbledore, genauso wie die Meermenschen des Schwarzen Sees.
Langsam stand Emily mit all den Anderen auf. Die Reihen leerten sich schnell und vor Emily gingen die Gryffindors und sofort fiel ihr Leo ins Auge. Sein Anblick war ein wie ein Schlag ins Herz und Emily wusste, dass sie mit ihm reden musste. Aber sie konnte nicht - noch nicht. In ihrem Herz und ihrem Kopf war jetzt nicht auch noch Platz für das emotionale Chaos, dass ihre Gefühle bezüglich Leo waren. Leo verdiente etwas Besseres, verdiente eine ehrliche Erklärung, eine Entschuldigung.
Und da war ein Splitter Angst in ihr. Angst, dass Leo sie dann hassen würde. Wenn er es nicht sowieso schon tat.
Aber jetzt musste sie erstmal ihren Bruder finden. Hastig quetschte sich Emily durch die Menge und sah wie Harry von den anderen Leute weg strebte, nur noch Hermine und Ron waren bei ihm. Emily rannte los, sich nicht darum kümmern, dass ihr entsetzte Blicke folgten.
"Harry", rief Emily. "Harry."
Harry wirbelte herum und seine Augen weiteten sich. "Emily."
Schlitternd kam Emily vor Harry, Hermine und Ron zu stehen. "Hallo", sagte Emily leise. Nicht nur Harry hatte sich im letzten Jahr verändert, auch Hermine und Ron. Es war ihr im Astronomieturm und im Krankenflügel gar nicht so sehr aufgefallen, erst jetzt im hellen Sonnenlicht. Sie alle schienen älter als ihre siebzehn Jahre und da war eine Härte und Entschlossenheit in ihren Augen, die noch nicht recht zu ihnen passen schien. "Kann ich kurz mit Harry reden? Alleine?"
Ron zuckte mit den Schultern, während Hermine antwortete: "Natürlich." Sie warf Harry einen auffordernden Blick zu und zog dann Ron an der Hand davon.
Stille breitete sich zwischen den Zwillingen aus, so seltsam ungewohnt. Emily wusste plötzlich nicht mehr, was sie sagen sollte. "Wie geht es dir?"
"Dumbledore ist tot." Harrys Stimme war flach. "Wie schon?"
Emily seufzte, was besseres war ihr nicht eingefallen und so war sie einfach mit der Frage heraus geplatzt, auch wenn sie die Frage eigentlich selbst hasste. "Ich möchte nur mit dir reden, Harry."
"Nein."
Überrascht von der Vehemenz in Harrys Stimme, blieb Emily stehen. "Kannst du es mir nicht wenigstens erklären?"
"Emily, ich kann und ich werde dir nicht alles erklären", sagte Harry. Eine steile Falte zog sich zwischen seinen Augenbrauen.
"Aber warum?", fragte Emily verzweifelt. "Ich will dir doch nur helfen."
"Das weiß ich", antwortete Harry, "aber ich brauche deine Hilfe nicht."
"Das kannst du nicht Ernst meinen."
"Doch."
Emily griff nach Harrys Händen. "Kannst du es mir wirklich nicht erklären?"
"Ich hab gesehen, wie du branntest", sagte Harry langsam, die grünen Augen hell leuchtend. Zu viele Emotionen, als dass Emily sie alle hätte benennen können, wirbelten dort herum.
"Du warst in Hogsmeade?" Alle Farbe verschwand aus ihren Wangen. "Ich dachte, ich dachte du wärst-"
"Ingas Zauber hat nicht lange angehalten", erwiderte Harry scharf. "Ich bin mit Ron wieder zurückgekehrt, wir konnten euch nicht alleine lassen."
Sein Gestank nach Blut und Schweiß.
Sein heißer Atem, der über ihren Körper strich, während er in ihre Haare griff und ihren Kopf nach hinten bog.
Das Reißen ihrer Haut, als er seine Krallen in ihren Rücken hieb.
Schreie, von denen Emily bis heute nicht wusste, wem sie gehörten.
Es war Harry gewesen, der geschrien hatte. Harrys bittere Schreie, die bis heute durch ihren Kopf gellten.
Für einen Herzschlag stand ihr ganzer Körper wieder in Flammen und Emily bekam keine Luft. Ihr Schmerz, aber Harrys Erinnerung über das Zwillingsband.
"Ich- ich", stammelte Emily. "Ich wollte nicht-"
"Was wolltest du nicht?"
Emily vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. "Ich wollte nicht, dass du das mit ansehen musstest-" Es war genau das passiert, was sie hatte vermeiden wollen.
"Und ich will nicht, dass so etwas noch einmal passiert." Harry zwang sie die Hände vom Gesicht zu nehmen und ihn anzusehen. "Bitte frag nicht mehr, Emily. Bitte tu es nicht."
Kälte biss sich in Emilys Körper. Irgendwie hatte sie nicht mal mehr die Kraft wütend zu sein, obwohl sie nichts mehr wollte als Harry anzuschreien, ihm zu sagen, dass er ihr alles erzählen konnte. Dass sie die Wahrheit verlangte. Aber sie konnte es nicht. Nicht wenn ihr das Herz brach, wenn sie Harrys schmale Gestalt sah, der gequälte Ausdruck in seinen Augen, der entschlossene Zug um seinen Mund.
Da war so viel Schmerz. In ihr. In Harry. Sie konnte es einfach nicht.
"Bitte frag mich nie wieder." Harry drehte sich um und ließ Emily alleine am Seeufer zurück.
[Ende des 6. Jahres]
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Das ist das finale Kapitel für das sechste Schuljahr, das doch am Ende kein richtiges Schuljahr war und eine ganz andere Richtung genommen hat, als jemals geplant. Ich hoffe, dass es euch trotzdem gefallen hat. Und vielen, vielen Dank für die vielen Leser, egal ob neu oder schon lang dabei (sorry, dass dieses Jahr so ewig gebraucht hat).
Mit dem siebten Jahr wird es in ANATHEMA nahtlos weitergehen, die ersten Kapitel stehen schon und ein Plan auch :)
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